Beschäftigt man sich mit der Geschichte der Rockgitarre und ihrer Wegbereiter, so fallen meistens zwei Namen: Jimi Hendrix und Eddie Van Halen. Ohne Frage gab und gibt es unzähige Gitarristen, deren Spiel ebenso phänomenal ist und deren Leistungen ich in keinem Fall schmälern möchte, aber betrachtet man unsere Helden unter dem Aspekt, wer die größte “Jüngerschaft” hinter sich hergezogen und ein ganzes Genre geprägt hat, so wird man um die beiden Namen nicht herumkommen. Jimi Hendrix war bereits Bestandteil eines Play Alikes, darum ist es an der Zeit, eine Dekade weiterzugehen, zum Ende der Siebziger und den Beginn der Achtziger Jahre – die Zeit Eddie Van Halens (und auch der hochtoupierten Haare und Leggins, vielleicht ein Thema für einen weiteren Workshop: ” Look Alike Van Halen”).
Van Halens Beitrag zur Rockgitarre wird gerne auf seine innovative Art des Two-Hand-Tappings reduziert, doch auch sein Rhythmusgitarrenspiel, sein einzigartiger Ton und sein Fingervibrato, der Einsatz von Soundeffekten und seine Weiterentwicklungen im Equipmentbereich lassen erkennen, dass man es mit einem sehr kreativen Menschen mit unglaublichem Spielwitz zu tun hat. So hat Van Halen mit getunten Amps (Marshall Super Leads, Plexis und 800er), selbst zusammengebauten Gitarren (Eddie kam auf die Idee, einen Les Paul PAF Humbucker in eine Strat zu bauen und prägte damit den Typus “moderne Rockstrat”, wie sie immer noch von vielen gespielt wird) und als einer der Ersten mit Floyd Rose Tremolos experimentiert.
Prinzipiell wechselte Eddies Equipment über die Jahre hinweg ständig, sowohl aus Werbevertragsgründen als wohl auch aus geschmacklichen Überlegungen. Die Eckpunkte blieben jedoch identisch: eine Gitarre mit Floyd Rose Tremolo, Ahornhals und Humbuckerbestückung, Röhrenamps, ein Phaser oder Flanger von MXR und gelegentlich ein WahWah. Darüber hinaus gab es schon diverse Van Halen Gitarren von Kramer, Charvel, Music Man und Peavey sowie Van Halen Amps (z.B. der Peavey 6505, der früher 5150 hieß, oder der neue EVH 5150III) – für den Van Halen Sound reicht am Anfang aber ein Amp mit guter Zerre und eine Humbuckergitarre mit einem halbwegs verstimmungsfreien Tremolo.
WORKSHOP
Übrigens wird bei Van Halen die Gitarre gelegentlich tiefergestimmt, die Beispiele in diesem Play Alike sind allerdings alle im Standard E Tuning. Werfen wir einen Blick auf die erste Platte “Van Halen I” aus dem Jahre 1978, die die Gitarrenwelt sprachlos machte.
Eddie benutze hier für seine Rhythmus- und Soloparts gelegentlich den MXR Script Phaser, um den Sound anzudicken, ein Effekt, den ihr übrigens auch bei Joe Walshs Part im Solo von “Hotel California” hören könnt.
Dur Dreiklänge und sus-Akkorde wird man bei Van Halen sehr häufig finden, auf “Van Halen I” ist der Song ” Running with the devil” ein gutes Beispiel dafür. In der Strophe finden wir eine tolle bluesige Begleitung, wie sie von Eddie in vielen Songs verwendet wird, die auch mit Fingern gepickt sehr wirkungsvoll klingt. Übrigens entsteht der Soundeffekt am Anfang dadurch, dass man hinter dem Sattel die Saiten mit dem Plektrum anschlägt.
Auch im nächsten Beispiel “Unchained” von der 1981 erschienen Scheibe “Fair Warning” sehen wir Eddies Vorliebe für fröhliche sus-Sounds (Dsus4, Bbsus4 und Csus4). Die E-Saite wurde auf D heruntergestimmt, hier kommt im Original der MXR-Flanger zum Einsatz.
Im anschließenden Strophen- und Prechoruspart hört man eine sehr findige Rhythmusgitarre mit vielen Arpeggien (Bb Dur, C Dur und F Dur) und Synkopen. Generell ist es bei Van Halen zu beobachten, dass die Gesangslinie und die Gitarrenbegleitung zwei vollkommen eigenständige Bestandteile des Songs sind und auch gerne kontrapunktisch eingesetzt werden.
Versucht die gegriffenen Noten C und D auf der A-Saite leicht mit der Plektrumkante anzureißen, um eine Artificial Harmonic zu erzielen. Hört euch auch an, wie Eddie auf die Single Notes ein sehr starkes Fingervibrato setzt.
Für dich ausgesucht
Die Eröffnungsnummer von “Fair Warning” ist der Song “Mean Street”, ein tolles pentatonisches Rockriff. Der Modulationseffekt über den Ghostnotes in Takt 8 stammt ebenfalls vom MXR-Flanger.
Obwohl auf den ersten Van Halen Platten keine wirklichen Rockballaden zu finden sind, ist der Anfang des Songs “Hear about it later” auf “Fair Warning” ein schönes balladeskes Gitarrenintro. Eddie benutzt relativ viele Leersaiten und stimmt die E-Saite auf D herunter. Der Modulationseffekt stammt auch hier von einem MXR-Flanger.
Als die Van Halen Platte “1984” in eben diesem Jahr erschien, gelang ihm auch der kommerzielle Durchbruch mit dem Hit “Jump”. Obwohl er auf dieser Scheibe auch gerne zu den Tasten greift, bleibt sein Gitarrenspiel immer noch revolutionär. Ein Song dieses Albums, in dem unglaublich viele Ideen und Riffs enthalten sind, ist das Stück “Panama”. Da die Nummer nicht ganz einfach ist, teile ich euch die Rhythmusparts auf:
Im Opening Riff könnt ihr wieder den Einsatz von sus-Akkorden hören (E Dur, E sus 4 und B/E, der auch als Emaj7sus2 gedeutet werden kann), sowie Flageoletts und Whammy Bar-Divebombs (ihr spielt einen Ton an und drückt ihn mit dem Tremolohebel runter, fast bis die Saiten keine Spannung mehr haben). Auch hier begegnet uns wieder eine Artificial Harmonic im Takt 12 auf der Note B.
Das Hauptriff, das auch im Refrain wiederkehrt, wirkt fast wie eine Hommage an AC/DC:
In der Strophe findet sich wieder eine etwas zurückhaltendere Begleitung, wie Eddie sie auch bei “Running with the Devil” in ähnlicher Manier einsetzt:
Und nun als Playback für euch alle drei Parts in einer Reihe, wie sie im Song vorkommen:
LEAD-WORK
Nehmen wir nun Eddies Solospiel genauer unter die Lupe. Wie eingangs schon erwähnt, ist das Two Hand Tapping das wohl bedeutendste Stilmerkmal in Eddies Spiel und in der damaligen Zeit etwas vollkommen Revolutionäres. Zwar gab es Ende der siebziger Jahre auch andere Gitarristen, die das Tapping in ihrem Spiel als Effekt benutzten, aber keiner vermochte es so organisch in seinen Gesamtstil einzubetten wie Van Halen. Als “Van Halen I” erschien, rätselten viele Gitarristen, wie dieser Effekt wohl erzielt wird oder ob es sich vielleicht sogar um ein Keyboard handelt.Eddie nährte das Mysterium noch, da er sich bei den ersten Auftritten während der Tappingeinlagen vom Publikum wegdrehte.
Zuerst möchte ich euch ein paar typische Soloauszüge vorstellen, in denen Eddie die Vielschichtigkeit seiner Tappingvarianten zeigt.
Das Tapping-Paradestück der ersten Platte ist “Eruption”, ein Gitarrensolofeuerwerk, in dem die typische Van Halen Triole das Hauptlick darstellt.Melodisch betrachtet handelt es sich bei den Tappingtriolen um Dreiklangarpeggios in verschiedenen Umkehrungen.
Auf dem Nachfolgealbum “Van Halen II” findet sich die Instrumentalnummer “Spanish Fly”, die Van Halen auf einer Nylonstringgitarre spielt (allerdings auf D gestimmt).Ein Lick daraus ist eine Kombination aus Tapping und Leersaiten, das auch auf der E-Gitarre gut klingt:
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Intro von “Hot for teacher” auf “1984”.
Wie ihr sehen könnt, besteht der Abwärtslauf am Introende aus einem identischen Fingersatz, der von der hohen E-Saite bis zur A-Saite übertragen wird, wodurch sich natürlich auch tonleiterfremde Töne in die Sequenz mischen. Doch das scheint Eddie nicht zu stören, wenn es gut in der Hand liegt und mit der richtigen Attitüde und auch Geschwindigkeit gespielt wird, fallen diese “falschen” Töne dem Zuhörer nicht auf (übrigens kann man ein ähnliches Prinzip im Schlusslauf des Jumpsolos erkennen). Das verrät viel über Eddies Denkweise beim Spiel, die nämlich gänzlich unakademisch und aus diesem Grunde auch sehr erfrischend und schwer zu kopieren ist. Das beschränkt sich übrigens nicht nur auf die Tonauswahl, sondern auch rhythmisch spielt Eddie beim Solieren sehr frei. So kommt es manchmal vor, dass er eine Phrase oder Lick gerade noch so in den Takt quetscht, um auf die nächste schwere Zählzeit wieder herauszukommen. Darum finden sich in den Noten auch manchmal Septolen, Quintolen oder andere vertrackte Notenwerte, die Eddie sich bestimmt nicht bewusst vorgenommen hat.
Als er 1983 einen Anruf von Quincy Jones erhalten hatte, um auf der anstehenden Michael Jackson Platte “Thriller” das Solo zu dem Stück “Beat it” einzuspielen, dachte Eddie, es handele sich um einen Scherzanruf und es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, bis Quincy klarstellte, dass das Angebot ernstgemeint war. Eddie kam, sah und spielte verschiedene Solotakes über die Harmonien, aus denen Quincy Jones dann das letztendlich veröffentlichte Solo zusammenschnitt. Diese paar Takte sind eine Enzyklopädie von Van Halens Tricks und Licks, die wir uns zum Teil mal einzeln zu Gemüte führen wollen.
Eingangs hören wir, wie das mit dem Tremolo nach unten gedrückte B auf der leeren G-Saite nach oben entspannt wird. Später greift Eddie das D und tappt auf das Bundstäbchen des 14. Bundes, danach greift er das E und tappt auf das Bundstäbchen des 16. Bundes – dadurch entstehen Flageoletts (Harmonics).
Übrigens, falls ihr verschiedene Flageoletts tappen wollt, denkt euch den gegriffenen Ton, wie im unteren Beispiel das C auf der G-Saite. Dann tappt auf dem Bundstäbchen des Grundtons C (also im 17. Bund), auf dem Bundstäbchen der Quinte G (also 12. Bund) und auf dem Bundstäbchen der Quarte F (also der 10. Bund) – dort liegen sehr schöne Harmonics. Eddie hat dieses Gimmick auch gerne mit Bendings kombiniert.
Das nächste “Beat it” Tapping-Lick ist eine Mischung aus Tapping und Slide, und zwar slidet ihr mit dem Tapfinger eurer rechten Hand.
Obwohl die “Beat it” Akkordfolge eindeutig in E aeolisch Moll verläuft, setzt Eddie die große Sexte c# in diesem Lick ein. Auch hier seht ihr in der Notation, wie Eddie den Lauf rhythmisch in die beiden Takte einpasst – zur Not muss dann eben auch mal eine Septole her.
Die folgende Phrase resultiert aus einem Arpeggiofingershape, das sehr weite Streckungen erfordert. Obwohl Eddie solche Arpeggios normalerweise tappt, spielt er sie in diesem Fall komplett mit Hammer Ons und Pull Offs. Die Töne B – D – F# auf der B-Saite markieren ein Bm-Arpeggio, wohingegen die Töne E – G – B auf der E-Saite ein Em-Arpeggio umreißen – merkt euch dieses Shape, denn es kann tolle Repeatingpattern liefern:
Und hier Eddies Gebrauch davon:
Bei diesem Lick spielt er ein Tapslide vom 17. Bund bis zum Ende des Halses. Im späteren Verlauf hört ihr noch eine Divebomb, die Eddie wieder in ein Flageolett entspannt.
Dass Van Halens Vorbilder in den Bluesgitarristen der 60er Jahre zu finden sind (Eddie nennt immer Eric Clapton als sein größtes Idol), deren Ideen er aber in die Moderne transferieren konnte, zeigt das folgende Lick aus dem “Beat it” Solo:
Als Playback zum Üben habe ich Euch die komplette Begleitung des “Beat it” Solos vorbereitet:
Auch in anderen Soli kann man Eddies Blueseinfluss hören, so ist z.B. der Beginn des “Jump” Solos ein astreines Blueslick:
Ich hoffe, es ist mir geglückt, euch einen repräsentativen Querschnitt von Eddies Gitarrenspiel zu zeigen, obwohl ich schweren Herzens einige Elemente, Licks und auch persönliche Van Halen Favourites ausgrenzen musste, um den Rahmen des Workshops nicht zu sprengen. Aus diesem Grunde habe ich auch die neueren Van Halen Platten nicht zum Gegenstand dieses Workshops gemacht. Eddies Spiel und Songwriting ist zwar immer noch ganz großes Damentennis, aber die wichtigen Neuerungen für die Gitarrenwelt finden sich meiner Einschätzung nach zu 90% auf den ersten Van Halen Platten bis zum Megaseller “1984”.
Mein Tipp für alle Fans von Edward Van Halens Gitarrenspiel ist, sein Spiel als Ganzheit zu betrachten und nicht nur die Tappinglicks zu imitieren. Eddies Einsatz und sein ganz eigenes Verständnis des Blues, sein Einsatz von Gimmicks und Sound, und auch die Tatsache, dass Eddies Solo- und Rhythmusgitarrenspiel sehr stark miteinander verwoben sind, sind ebenso wichtige Bestandteile wie das Tapping. Legt euer Augen- und Ohrenmerk ganz besonders auch auf seinen Ton, sein sehr weites und aggressives Vibrato, das ihn sofort identifiziert und unter Gitarristen seinesgleichen sucht.
In diesem Sinne – gutes Gelingen! Haiko
irfan oeksuez sagt:
#1 - 29.11.2012 um 04:18 Uhr
Vielen Dank!
Peter Schmidt sagt:
#2 - 02.12.2012 um 15:08 Uhr
F-A-N-T-A-S-T-I-S-C-H !!!
slashgad sagt:
#3 - 10.05.2014 um 12:30 Uhr
Super! Das Beat-it-Solo mal in die Einzelteile zerlegt! Sehr hilfreich! Danke!