Der Korg MS-20 ist ein Vintage-Synthesizer wie kein anderer. Völlig einzigartig in Sound und Design lieferte er in den 1980er-Jahren quasi das rotzige Gegenstück zu den weichen Flächen des Roland Juno. Gebaut in den Jahren 1978 bis 1983, wurde der monophone Synthie – auch auf Grund seines vergleichsweise günstigen Preises – direkt zum Kassenschlager. Bis heute ist der große Bruder des MS-10 auf unzähligen Produktionen zu hören.
Egal ob Depeche Mode oder Mr. Oizo, DAF oder Goldfrapp, Scooter oder Air – sein kompromissloser und gleichzeitig vielfältiger Sound, machen den Korg MS-20 zu einem der wichtigsten Synthesizer der elektronischen Musikgeschichte. Und nicht nur das, auch die größtenteils selbsterklärende Bedienung und vor allem die endlosen Experimentiermöglichkeiten gehören zu den Stärken des kompakten Synthesizers.
Interessante Entwicklung
Für ein gut erhaltenes Exemplar muss man mittlerweile tief in die Tasche greifen. Wer einmal einen MS-20 besitzt, gibt ihn so schnell nicht wieder her. Das neu erwachte Interesse an analogen Synthesizern blieb auch dem Hersteller natürlich nicht verborgen, und so entschied sich Korg zu einer Neuauflage in Form des leicht verkleinerten MS-20 mini. Gute Nachrichten für alle, die sich das Original nicht leisten können oder wollen. Und natürlich auch für alle, die dadurch zum ersten Mal überhaupt die Gelegenheit haben, den MS-20 auszuprobieren. In unserem Interview mit Fumio Mieda, der sowohl den „alten“ als auch den „neuen“ MS-20 entwickelt hat, erfährt man Details zur Neuentwicklung. Weil der „Kleine“ – von der Größe einmal abgesehen – nahezu identisch mit dem Original ist, trifft dieser Artikel fast ausnahmslos auch auf ihn zu.
Details & Praxis
Korg MS-20: semimodularer Aufbau
Bereits das charakteristische, angewinkelte Gehäuse mit dem aufrechten Bedienpanel macht den Korg MS-20 zu etwas Besonderem. Mit seiner konzeptionellen Mischung aus einem fest verdrahteten Kompakt-Synthesizer wie dem Minimoog und einem Modularsystem schlug der kleine Korg in der damaligen Synthesizerentwicklung einen Sonderweg ein. Wie der Entwickler Fumio Mieda im Interview verrät, stand der Experimentier-Aspekt bei der Konzeption im Vordergrund. Korg wollte ein Instrument zum Entdecken der Möglichkeiten von Synthesizern bauen und stattete den MS-20 deshalb mit einem Patchfeld aus. Das Bedienfeld teilt sich entsprechend in zwei Teile: den Controller-Bereich und den Patch-Bereich. Es sind also einige Elemente fest miteinander verbunden, andere können über Patchkabel miteinander kombiniert werden. Anders als ein vollmodularer Synthesizer erzeugt der MS-20 aber auch schon Töne, wenn auf dem Patchfeld gar nichts gesteckt ist. Dieses halbmodulare Konzept macht ihn zum einen sehr vielseitig, zum anderen kann man ihm auch ohne Physikstudium tolle Klänge entlocken.
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Korg MS-20 Oszillatoren
Die Signalkette des Korg MS-20 folgt dem Prinzip der subtraktiven Synthese auf eine sehr anschauliche Weise. Sie beginnt auf der linken Seite des Bedienfelds mit zwei Oszillatoren. Oszillator 1 liefert über einen Drehschalter die Schwingungsformen Dreieck, Sägezahn und Rechteck sowie weißes Rauschen. Seine Fußlage lässt sich zudem im Bereich von 32′ bis 4′ einstellen. Außerdem kann man die Breite der Rechteckschwingung per Poti stufenlos regeln. Oszillator 2 hat Sägezahn, Rechteck und Puls sowie einen Ringmodulator im Angebot. Dessen Oktav-Range reicht von 16′ bis 2′. Zudem wartet Oszillator 2 mit einem extra Pitch-Poti auf, mit dem er gegenüber dem ersten Oszillator verstimmt werden kann. In der Oszillator-Sektion gibt es darüber hinaus noch zwei Regler für das globale Master-Tuning und die Portamento-Zeit. Beide Oszillatoren kann man obendrein mischen und dann in die Filter schicken.
Filter des Korg MS-20
Der Korg MS-20 bietet hintereinander ein 6dB-Highpass- und ein 12dB-Lowpass-Filter, beide selbstverständlich mit regelbarer Cutoff-Frequenz und Resonanz (Peak). Durch die Kombination der beiden in Reihe geschalteten Filter ist auch eine Notch-Charakteristik mit verengtem Frequenzspektrum möglich. Und genau an dieser Stelle des Signalweges ist der Grundstein des charakteristischen Sounds des MS-20 zu suchen. Denn vor allem die verzerrt röchelnden Filter und die kreischende Selbstoszillation bei aufgerissener Resonanz klingen einzigartig und haben einen hohen Wiedererkennungswert. Die Filterschaltung des MS-20 ist einzigartig – und gleich nach dem „Ladder-Filter“ des Minimoog wohl die legendärste der Analog-Ära. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt: Der MS-20 wurde im Laufe seiner Bauzeit mit zwei verschiedenen Filter-Chips ausgestattet, dem Korg35 und dem OTA-Chip, wobei Letzterer etwas weniger aggressiv klingt.
Korg MS-20 Modulation
Weiterhin hat der Korg MS-20 noch einen Modulation-Generator, wohinter sich ein LFO verbirgt. Dieser kann die Cutoff-Frequenzen beider Filter und ebenfalls die Frequenz der Oszillatoren modulieren. Die Intensität der Modulation stellt man per Poti ein. Neben der Geschwindigkeit ist auch die Schwingungsform der Modulation stufenlos zwischen Dreieck und Sägezahn regelbar. Zudem kann man über eine Verbindung auf dem Patchfeld den LFO auch mit einer Rechteckschwingung betreiben.
Hüllkurven-Generator im MS-20
Schließlich ist der Korg MS-20 mit zwei Hüllkurven-Generatoren (EG) mit unterschiedlichen Features ausgestattet. EG1 bietet Delay-, Attack- und Release-Time für die Frequenz der Oszillatoren. Um sie anderen Parametern zuzuweisen, muss gepatcht werden. EG2 ist eine ADSR-Hüllkurve mit zusätzlicher Hold Time, die auf beide Oszillatoren und auf Wunsch auch auf die beiden Filter wirkt.
External Signal Processor im MS-20
Als große Besonderheit bietet der Korg MS-20 einen External Signal Processor (kurz: ESP). Mit dessen Hilfe kann man extern eingespeiste Audiosignale über Patch-Verbindungen zur Steuerung verschiedener Parameter des Synthesizers, beispielsweise der Tonhöhe, einsetzen. Schickt man zum Beispiel einen Drumloop oder eine menschliche Stimme hinein, lassen sich sehr interessante und auch mal unerwartete Effekte erzielen. Gerade bei Gitarristen war der MS-20 beliebt, weil man ihn quasi auf der Gitarre spielen kann. Nicht zuletzt wegen dieser einzigartigen Funktion erlangte er seinen Ruf als experimentelles Soundlabor. Der External Signal Processor ist eine Quelle nicht enden wollender Klangkreationen.
Besonderheiten des External Signal Processors
Doch gerade die Tonhöhe des Korg MS-20 zu steuern, ist keine leichte Angelegenheit. Das sogenannte Tracking – also das Erkennen der Tonhöhe des eingehenden Signals und die Umwandlung in eine Steuerspannung – funktioniert nicht immer so reibungslos, wie es die Generation MIDI gewohnt ist. Doch hier zeigt sich einmal mehr: Vermeintliche Fehler liefern oft sehr viel kreativere Ergebnisse als das ursprünglich Geplante. Interessant ist auch die Möglichkeit, den ESP zur Steuerung der Filter oder EGs zu nutzen. Mit einem rhythmischen Eingangssignal kann man auf diese Weise Sequencer-artige Sounds realisieren, die zudem auch noch BPM-genau sind. Ein Vorzug, auf den man beim MS-20 mangels MIDI ansonsten verzichten muss. Im nächsten Audiobeispiel steuert das Mod-Wheel die Intensität der Filtermodulation per ESP.
Korg MS-20 Patchfeld
Über das Patchfeld des Korg MS-20 kann man die beiden „Hardware-Modulationsquellen“ Mod-Wheel und Momentary-Switch zuweisen und weißes und rosa Rauschen als zusätzliche Klangquellen verwenden. Außerdem lassen sich die verschiedenen Bausteine des Synths teilweise neu miteinander verschalten, so etwa EG1 und EG2. Als zusätzliche Modulationsquellen stehen per Patch-Verbindung Sample&Hold sowie die Rechteckschwingung des Modulation-Generators bereit. Spannend wird es vor allem dann, wenn man mehrere dieser Möglichkeiten miteinander verknüpft. Beispielsweise kann man die Sample&Hold-Funktion mit weißem Rauschen und der Rechteckschwingung als Taktgeber füttern und das Ganze auf das LP-Filter loslassen:
Eine weitere naheliegende Patch-Anwendung ist die gleichzeitige Steuerung der Lowpass- und Highpass-Filter sowie der Tonhöhe durch das Modulationsrad:
Außerdem beliebt: das simple Einspeisen eines Drumloops unter Verwendung der formidablen Filter des MS-20:
Patchfeld liefert viel Spaß beim Experimentieren
Der Reiz des Patchfelds besteht darin, dass man alles ausprobieren kann, Kabel steckt, Regler dreht und am Ende einen sehr eigenen oder auch mal völlig unerwarteten Sound generiert. Die physische Beschäftigung mit Kabeln, Klinkenbuchsen und großen Drehpotis hat einen großen Anteil am Experimentierspaß. Wer nur ein kleines bisschen auf neue Klangkreationen steht, wird sich spätestens an dieser Stelle dem Korg MS-20 nicht mehr entziehen können.
Fazit
Der Korg MS-20 gehört zu Recht zu den großen Klassikern der Analog-Ära. Es sind vor allem drei Dinge, die ihn so legendär machen: der einzigartige, aggressive Klang seiner Filter, die Einbindung von externen Signalen über den ESP und die modularen Patchöglichkeiten, die ihn zur Soundspielwiese machen. Korg hat immer wieder versucht, diese Erfolgsgeheimnisse auch anderen Modellen einzupflanzen – zuletzt quasi in Perfektion dem MS-20 mini. Doch die Faszination eines Instruments, das ein Stück Musikgeschichte geschrieben hat, bleibt nur dem Original vorbehalten.
Pro
- Einzigartiger Sound
- Einbindung externer Signale
- Vielfältige Patchmöglichkeiten
- Design und handliche Maße
Contra
- Klapprige Tastatur
- Spielsucht
Features
- Polyphonie: monophon
- Tastatur: 3 Oktaven
- Modulationsrad, Momentary Switch
- Oszillatoren: 2
- Oszillator 1: Dreieck, Sägezahn, Rechteck, weißes Rauschen
- Oszillator 2: Sägezahn, Rechteck, Pulse, Ring Modulator
- Filter: 2 (in Reihe geschaltet)
- Filter 1: Highpass, 6dB/Oct
- Filter 2: Lowpass, 12dB/Oct
- EG 1: Delay, Attack, Release
- EG 2: ADSR, Hold
- Modulation Generator (LFO): Dreieck – Sägezahn (stufenlos regelbar), Rechteck (via Patchfeld)
- Weitere Modulationsquellen: Sample&Hold (via Patchfeld)
- External Signal Processor
- Klangspeicher: keine
- MIDI: nicht vorhanden