Das Hammond Novachord gilt als der erste, kommerziell hergestellte polyphone Synthesizer der Musikgeschichte. Hergestellt zwischen 1939 und 1942 war es ein ungemein innovatives Instrument, dessen Klangerzeugung komplett auf Röhren basierte. Trotz der kurzen Herstellungszeit wurden 1.069 Novachord hergestellt. Heute sind nur noch einige wenige Exemplare übrig, und nur eine Handvoll davon sind überhaupt in einem spielfähigen Zustand. Wir sind nach Italien gereist, um uns dort das derzeit am besten restaurierte Novachord anzuschauen.
Details
Quick Facts: Hammond Novachord
Das Novachord wird oft als der weltweit erste kommerzielle polyphone Synthesizer angesehen. Vollelektronisch mit vielen Schaltungs- und Steuerelementen moderner Synthesizer und subtraktiver Synthese zur Erzeugung von Tönen. Mit 163 Vakuumröhren und über 1.000 kundenspezifischen Kondensatoren wog das Novachord fast 500 Pfund und hatte ungefähr die Größe von zwei Spinettklavieren.
Die Divide-Down-Oszillator-Architektur, die auf monostabilen Vakuumröhrenschaltungen basiert, ermöglichte es, alle 72 Noten polyphon zu spielen, indem mehrere Oktaven von Noten von zwölf Top-Octave-Oszillatoren abgeleitet wurden. Ein ähnliches Design wurde mehr als 30 Jahre später von Robert Moog und A.R.P für polyphone Synthesizer verwendet.
Das Novachord enthielt eine frühe Implementierung von ADSR mit sieben Attack / Decay / Sustain-Hüllkurven, die per Drehschalter und Sustain-Pedal-gesteuerter Freigabe ausgewählt wurden. Es wurde auch ein dreistufiges Resonanz-Bandpassfilter-Netzwerk mit variabler Dämpfung sowie eine elektromechanische 6-Kanal-Vibrato-Einheit verwendet, die mit Paaren benachbarter Oszillatoren arbeitet. Die resultierende Klangpalette reichte von dichten, anhaltenden, saitenartigen und stimmhaften Timbres bis hin zu scharfen Attack-Transienten eines Cembalos oder Klaviers.
Das Novachord entsprach nicht unbedingt den Anforderungen von Organisten oder Pianisten und erforderte häufige Anpassungen der Bedienelemente auf der Vorderseite, um neue Klänge zu erzeugen. Wie viele analoge Synthesizer war das Novachord viel besser geeignet, um “andere”, neue Klangfarben zu produzieren. Das Instrument fand einige Jahre nach der Produktion seine Nische und prägte den Sound vieler Science-Fiction-Film- und Fernsehpartituren.
Geschichte
Das Novachord – wenige haben davon gehört, noch weniger haben es gesehen, aber gehört haben es alle: In der Filmmusik von 1940 -1960 war das Novachord ein oft eingesetztes Instrument. In Der maltesische Falke, Pinocchio, The Twilight Zone und ganz prominent im Zwischenspiel von Gone with the Wind wurde es eher wie eine E-Orgel eingesetzt.
Original Gone With The Wind 1939 – Intermission
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Besonders oft diente es aber als Instrument für Special Effects, oder wenn in Filmen wie Cat People, House of Dracula, Tarantula, King Dinosaur und den vielen Frankenstein Filmen die Monster kommen. Aber auch in der Konzertmusik wurde es eingesetzt: Der berühmteste brasilianische Komponist, Heitor Villa-Lobos, hat es in mehreren großen Werken eingesetzt und Hanns Eisler, der Komponist vieler Arbeiterlieder, Hollywoodfilme und der DDR-Nationalhymne, hat es in seiner Kammersymphonie op. 69 prominent eingesetzt. Diese Kammersymphonie war ursprünglich die Filmmusik zu dem 15-minütigen Naturfilm White Flood von 1940 der unser Filmtipp für heute ist.
Hanns Eisler – White Flood (1) – Kammer-Symphonie (op. 69)
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Mehr InformationenWie kam es zur Entwicklung des Novachord?
Nach dem großen Erfolg mit seinen optoelektronischen E-Orgeln (siehe Musik und Strom 3) entwickelte Laurens Hammond mit zwei Mitarbeitern ein völlig neues Instrument auf Röhrenbasis. Während die E-Orgeln ursprünglich für den sakralen Raum gedacht waren, sollte das Novachord die Wohnzimmer erobern – die Wohnzimmer der gehobenen Bürgerschicht allerdings, denn sowohl die Hammond Orgel, als auch das Hammond Novachord waren sehr teure Instrumente.
Vorgestellt wurde das Novachord auf der Weltausstellung in New York im Jahr 1940 wo es gleich in mehreren Pavillons gezeigt wurde: Bei Ölmagnat Rockefeller spielte ein Quartett aus zwei Hammond Orgeln und zwei Novachord auf und in einem anderen Pavillon wurde zum Lobpreis der Eroberung des amerikanischen Westens durch die Eisenbahn das Musical „Railroads on Parade“ des deutschen Emigranten Kurt Weill gezeigt.
In der Produktionszeit von Ende 1939 bis 1942 wurden angesichts des ungeheuren Arbeitsaufwands erstaunliche 1062 Instrumente gebaut, das ist ungefähr eines pro Tag. Die Technik war brandneu, die Toleranzen der elektronischen Bauteile groß, und so war das Instrument ziemlich fehleranfällig. Nachdem es kriegsbedingt zu immer größeren Lieferengpässen kam, wurde die Produktion schließlich eingestellt. Der geniale Erfinder Laurens Hammond war inzwischen ohnehin damit beschäftigt, Steuerungen für Lenkflugkörper und anderes Kriegsgerät zu entwickeln.
Nach dem Krieg wurde die Produktion nicht mehr aufgenommen und anstelle der Wohnzimmer waren die Film- und Tonstudios erobert worden. Man kann zwar nicht von unzähligen Filmmusiken reden, aber einige sind es doch. Über die Jahre werden die Novachorde dann nach und nach kaputtgegangen und als unnötige Platzfresser entsorgt worden sein. Wie viele Geräte es heute noch gibt weiß niemand, aber funktionsfähig sind nur noch diejenigen, die mit enorm viel Aufwand und Liebe grundlegend restauriert worden sind. Dazu braucht es eines besonderen Menschenschlags und einer davon ist Marco Bacigalupo aus Chiavari an der ligurischen Küste.
Das Novachord 82
Nachdem ich Marco Bacigalupo auf Facebook kontaktiert hatte dauerte es noch zwei Monate und ich stand in seinem Esszimmer vor seinem Novachord, komplett mit den alten eingebauten Lautsprechern, einem nachgebauten RCA Theremin, einer Hammond Orgel Model A, einem Röhrenfernseher, verschiedenen alten Telefonen, und zu meiner Überraschung auch mit Lorenzo Vash von Tiptop Audio und Stefano D’Angelo, einem Entwickler von Arturias Legacy Reihe. Was ich erst jetzt erfuhr: Hinter Marco Bacigalupos unscheinbarer Webadresse versteckt sich eine der prominentesten Reparaturadressen für Röhrengeräte aller Art, vor allem aber für Synthesizer von 1940 bis heute. Die Werkstatt steht voll mit Hammond Orgeln, einem weiteren Novachord das gerade für ein italienisches Aufnahmestudio hergerichtet wird, Radios, Fernseher, vor allem aber alte Synthesizerboliden von Roland, Korg, EMS, egal was, die dort in mehr oder weniger auseinander gebautem Zustand auf ihre Reparatur warten. Tatsächlich ist die Werkstatt, zu der auch eine Holz- und eine Metallwerkstatt gehört, so vollgestellt, dass man oft genug nur seitwärts durch die Gänge kommt. Was hier praktiziert wird ist nicht Radiotechnik, das ist elektronische Kulturarchäologie.
Das Novachord 82 selber stammt aus Oklahoma, wo es von einem italienischen Hammond Spezialisten aufgetrieben und nach Italien transportiert wurde. Welche Mühe die Restaurierung gemacht hat, können wir uns überhaupt nicht vorstellen: Mehrere tausend Widerstände wurden von Hand vermessen und eingebaut, das Holz musste restauriert werden, alle Kontakte wurden gereinigt und geprüft, es ist eine unglaubliche Arbeit. Für den Klang entscheidend sind aber die 163 Vakuumröhren und die waren alle bis auf eine noch in gutem Zustand. Das Novachord No. 82 klingt also tatsächlich wie vor 80 Jahren.
Optische Erscheinung
Das Novachord sieht aus wie eine Mischung aus einem Klavier und einer E-Orgel: Äußerlich aus Holz, groß wie eine Hammond B3 und mit einem Manual mit 72 Tasten und 14 großen braunen Bakelit-Hebeln für die Einstellungen, wiegt das Novachord gut 250 Kilogramm. Die Klangerzeugung, die Verstärkung und alles andere basiert komplett auf Röhren, von denen es insgesamt 163 gibt. Diese sind alle in einem großen Holzkasten aus edlem Kirschbaumholz hinter der Tastatur untergebracht. Zur Abschirmung sitzen sie alle in ihrem eigenen kleinen Metallgehäuse. 72 Tasten, das ist eine ziemlich große Tastatur und lässt auf Polyphonie schließen und so ist es auch: Jede der 72 Tasten kann gleichzeitig klingen, denn jede einzelne Taste hat ihren eigenen Oszillator bzw. Frequenzteiler und ihren eigenen Verstärker. Weiterhin gibt es verschiedene Filter, den Vorverstärker und eine „hex vibrati“ genannte Box, in der Metallzungen vor sich hin zittern – allerdings erst, nachdem man auf der Vorderseite einen Hebel bewegt hat. Diese Metallzungen erzeugen das Vibrato, dazu aber später mehr.
Unter dem Spieltisch hat es – wie bei einem Flügel – eine Säule die nach unten reicht. An dieser Säule sind vier Pedale angebracht: Ein Schwellerpedal für das Volumen, ein Klavierpedal rechts davon und ein weiteres Paar links davon. Das Pedalpaar besteht rechts aus einem Sustainpedal und links aus einem Haltepedal nur für die untere Hälfte der Tastatur. Und das Pedal rechts vom Schweller ist das Sustainpedal noch einmal gedoppelt. Das ist luxuriös und von Laurens Hammond brillant gedacht. Es wäre ja auch zu schade, wenn ein Kauf nicht zustande kommt, nur, weil die Pedale nicht nach dem Geschmack des Käufers angebracht worden sind.
In der Säule ist weiterhin der Lautsprecher angebracht, und im Fall des Novachords in Chiavari ist das auch tatsächlich noch das Original. Lautsprecher in den 1940er Jahren unterscheiden sich im Klang von denen von heute vor allem durch ein engeres Frequenzband. Insbesondere die Höhen kann ein alter Lautsprecher nicht bedienen, aber das macht überhaupt nichts, die Oszillator- und Frequenzteilerröhren können die ohnehin nicht produzieren. Erstaunlich ist allerdings, wie laut das Novachord mit den eingebauten Lautsprechern werden kann. Und wie man auch in den Werbekampagnen zu dem Instrument sehen kann, in denen oft genug mehrere Paare begeistert zu den Klängen des Novachord in einem Wohnzimmer, und um das Instrument herumtanzen: es war ein luxuriöses Instrument mit der allerneuesten Technik und kein Casiotone. Dementsprechend war der Verkaufspreis mit 1900 USD auch kein Pappenstiel, umgerechnet wären das heute ca. 35.000 USD.
Die Klaviatur ist eine typisch leichtgängige und fantastisch spielbare Hammond Waterfall Tastatur. In den ersten von Hammond eingereichten Patenten sollte es sogar eine anschlagdynamische Tastatur werden, aber das wurde später fallen gelassen. Auch die Pedale fühlen sich gut an und das Schwellerpedal hat eine riesige Wirkungsbreite. Man fühlt sich auf dem Novachord gleich zu Hause, da gibt es nichts, wo man nur mit spitzen Fingern herangeht. Das Instrument als Ganzes funktioniert fantastisch gut und es ist doch selten, dass ein Instrument wirklich gleich so eine Einheit bildet. Ich habe mich in der Vorbereitung auf den Besuch in Chiavari mit der sehr guten Samplebank von Soniccouture für Native Instruments Kontakt beschäftigt und mich viel eingelesen und damit gespielt, aber es blieb doch alles etwas abstrakt. Vor Ort, am Instrument, wurde dann sofort alles klar und nach zehn Minuten weiß man, was die Hebel machen, beziehungsweise, was noch wichtiger ist: Man kann vorhersagen was passiert, wenn man diesen oder jenen Hebel verwendet. Das ist etwas, was man von vielen Synthesizern nach vielen Stunden vor dem Gerät nicht behaupten kann.
Verwendete Technik
Die zwölf Töne der obersten Oktave werden direkt durch zwölf Röhren erzeugt, die Klänge der darunterliegenden fünf Oktaven werden durch Frequenzteiler von der obersten Oktave abgeleitet. Anders, als man es durch Logik Gatter und in der Transistortechnik gewohnt ist, ist die durch Frequenzteilung abgeleitete Wellenform keine Rechteckwelle, sondern eine Art Sägezahn, oder vielleicht doch eher ein Säbelzahn, es ist schwierig zu sagen. Das erste Wunder ist auf jeden Fall schon hier zu sehen, denn die oberste Oktave mit den direkt erzeugten Tönen und die darunterliegenden Oktaven mit den abgeleiteten Tönen hören sich genau gleich an. Nach den Oszillatoren bzw. Frequenzteilern geht es direkt in einen Filter, das ist der Hebel der auf dem Bedienfeld höher als die anderen Regler angebracht ist und mit Bright – Mellow bezeichnet ist. In der Einstellung Bright wird der Klang ungefiltert durchgelassen, in der Einstellung Mellow werden recht massiv die höheren Frequenzen beschnitten und das entspricht bei einer Pfeifenorgel vielleicht den gedackten Pfeifen. Angesichts dessen, dass die Röhrentechnik ohnehin keine strahlenden Klänge erlaubt, wird dieser Filter eher selten benutzt.
Danach geht es parallel durch die sechs Filter ganz links auf dem Bedienfeld: Deep Tone, First Resonator, Second Resonator, Third Resonator, Brilliant Tone und Full Tone. Deep Tone ist ein Tiefpassfilter, die Resonatoren sind drei Bandpassfilter und Brilliant Tone ist ein Hochpassfilter. Die Idee ist hier, dass man mit den Resonatoren typische Frequenzbereiche aus- und einblenden kann: Der dritte Resonator liegt im Frequenzbereich brillanter Instrumente wie der Trompete, der zweite Resonator ist auf die menschliche Stimme gestimmt, der erste Resonator deckt die Frequenzen der tiefen Streicher ab. Der Tiefpassfilter kann die Fundamentalfrequenzen ausblenden und der Hochpassfilter schwächt die höchsten Frequenzen ab. Der sechste Hebel, Full Tone genannt, wirkt sich auf alle Filter gleichzeitig aus und wenn der ganz auf ist und auch der Bright – Mellow Filter auf Bright steht, hat man quasi das volle Werk des Instruments.
In den meisten Fällen wird man den Grundton hören wollen und der Hebel ganz links ist also mindestens ein bisschen auf. Das kann aber leicht dazu führen, dass der Bassbereich ein bisschen zu laut ist, weshalb gleich als nächster Regler neben den sechs Filtern der Balancer liegt, mit dem man die Balance zwischen den tiefen und den hohen Tönen in drei Stufen regeln kann. Was sich abstrakt anhört, wird am Instrument gleich zur zweiten Natur: Ist der Klang gut aber Bass zu laut, wird direkt zum Balance Hebel gegriffen. Die Bakelit Hebel suggerieren ja ein bisschen, dass man die Filter, die Balance und alles andere stufenlos einstellen kann. Tatsächlich gibt es aber bei allen Reglern fixe Positionen, bei denen zum Beispiel die Filter plötzlich lauter werden, obwohl der Regler an dieser Position nicht einrastet. Zum Teil sind die Stufen doch recht unterschiedlich, und ursprünglich war das Novachord wohl nicht für kontinuierliche Klangverläufe gedacht. Mit den Erfahrungen des modernen Synthesizers, angefangen beim Minimoog bis zu heutigen Entwicklungen, kommt man aber heute nicht darum umhin, während des Spielens auch die Regler zu bedienen und so zum Beispiel durch den Resonator 2 den menschlichen Vokaltrakt zu simulieren.
Danach kommt der Attack genannte Hebel, der allerdings die ganze Lautstärkehüllkurve regelt. Hier kann man aus sieben Einstellungen wählen. Steht der Hebel auf ‚1‘ haben wir eine schnelle Attackzeit mit unmittelbar darauffolgendem Decay, Stellung ‚4‘ reagiert wie eine Orgel, und Stellung ‚9‘ bietet eine langsame Attackzeit, das Sustain wird gehalten und dann kommt ein langes Release. Kurz gesagt: Von ‚1‘ bis ‚7‘ werden Attack- und Releasezeiten länger und das Sustainlevel höher. Wir übergehen für den Moment den Combination Schalter und kommen zum Volume, der die Gesamtlautstärke in vier Stufen regelt. Danach gibt es zwei Vibrato Schalter, einen für Normal Vibrato und einen für Small Vibrato, die auch beide gleichzeitig in Betrieb sein dürfen. Die Geschwindigkeit des Vibrato kann man damit zwar nicht regeln, wohl aber die Amplitude des recht schnellen Vibratos. Jetzt aber die Frage: Wie bekommt man ein Vibrato auf 72 Tasten? Und wieso heißt das Ding „Hex Vibrati“? Also, es ist wild.
Neben den beiden Vibrato Schaltern gibt es nämlich noch einen Hebel, Starter genannt. Der Starter schaltet überhaupt erst eine kleine Box im Novachord ein und sorgt dafür, dass sechs (griech.: hex) Metallzungen anfangen zu vibrieren. Was jetzt genau passiert geht über mein technisches Verständnis. Anzunehmen ist ja, dass die vibrierenden Metallzungen auf eine Spannung einwirken, aber machen sie das direkt über die Oszillatoren, welche die Spannungsschwankungen dann zuverlässig über die Frequenzteiler weitergeben? Oder werden gleich alle 72 Röhren der Klangerzeugung beeinflusst? Beides wäre enorm.
Enorm ist aber noch etwas ganz Anderes, denn wieso sind es sechs Metallzungen? Die Antwort ist, dass sich ein Vibrato, das auf alle Töne gleichzeitig wirkt, nicht gut klingt. Wer erinnert sich nicht an das Vibrato der Transistororgeln um 1980? Alle Töne beben absolut gleichzeitig vor sich hin, es ist ein Graus. Beim Novachord wirkt eine Metallzunge daher nur auf zwei nebeneinanderliegende Töne ein, die dann die gleiche Phasenlage haben. Bei den nächsten zwei Tönen ist die Phasenlage dann um 1/6 verschoben, und so weiter, bis man die ganze Oktave mit sechs verschiedenen Phasen versorgt hat. Die drei Töne eines üblichen Dreiklangs im Terzabstand haben also alle ein unterschiedliches Vibrato und das sorgt für Lebendigkeit und für den typisch verschwurbelten Vibratosound der 1940er/1950er Jahre.
Und damit kommen wir zum Combination Schalter mit den beiden Bezeichnungen Singing und Percussion. Dabei handelt es sich tatsächlich um zwei Presets, die sehr verschieden klingen. Damit konnten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Zum einen konnte man mit den Presets ohne viel Umstellen schon mal einen Ausschnitt der klanglichen Bandbreite des Novachords darstellen, etwa auf Messen oder einem Kunden gegenüber. Zum anderen dienen sie aber eben auch als ‚Intial‘ Sounds. So gibt es in der Bedienungsanleitung zum Novachord natürlich auch eine Liste mit Sounds samt Einstellungen. Weil es aber lästig ist immer alle Regler einzustellen, wird zunächst einmal der Combination Schalter auf eines der beiden Presets gesetzt, woraufhin sich alle Schalter quasi magisch auf ihre Positionen begeben. Und dann müssen von diesem Initial Preset oft nur noch zwei oder drei weitere Einstellungen geändert werden und fertig ist die „Trompete“, die „Hawaii Gitarre“ oder der „Kontrabass“.
Aber wie funktioniert das? Ganz einfach, auf rein mechanische Weise! Wenn man am Combination Schalter dreht, geht hinter der Abdeckung ein ganzes Uhrwerk los und bewegt die anderen Schalter an ihren Platz. Wer schon einmal seine Zeit damit verbracht hat, mit Hilfe von Patchsheets auf einem Minimoog oder einem Arp Odyssey Sounds nachzubauen kann sicher gut nachvollziehen wie schön es wäre, wenn die Mehrzahl der Schalter schon automatisch auf dem richtigen Platz stünde, und man nur noch zwei, drei Sachen nachregeln muss. Auch hier kann man sehen: Am Novachord wurde nicht gespart, man wollte es der zahlenden Kundschaft so leicht wie möglich machen.
Klang
Und damit sind wir endlich beim Klang. Wie klingt das Novachord? Tja, wie will man das beschreiben. Wir haben viele Aufnahmen mitgebracht: Direkt vom Line Out, aus den Originallautsprechern mit einem Mikrophon, mit einem zusätzlichen Hallgerät, mit einer Mischung aus Line Out und Mikrophon plus ein bisschen Nachbearbeitung. Und was soll man sagen, es klingt halt wie ein Novachord. Also nicht so strahlend wie ein Synthesizer von heute, dazu ist die Röhrentechnik von damals gar nicht in der Lage. Aber es kann doch sehr unterschiedlich nach verschiedensten Orgeln wie Hammond Orgel, Transistor Orgel oder Harmonium klingen. Und dann die Streichersounds mit den unterschiedlichen Vibrati! Und wenn man sich dann auf die Suche macht, klingt es auch nach Mellotron und ganz fahl und sehr sehr retro. Manchmal hört es sich auch an, als würde ein Tonband rückwärts abgespielt oder als würde es durch ein altes Telefon hindurch gespielt. Talk Talk, Radiohead, Klangwolken irgendjemand? Genau so. Also auf jeden Fall zum stundenlang darauf improvisieren, bevorzugt in Moll, und in der blauen Stunde.
Aber auch ganz im Gegenteil für eine flotte Rumba oder einen Samba, am besten dann auch noch mit einer Sideman Rhythmusmaschine in Ergänzung. Oder Jazzstandards oder Klassik, das geht alles. Auf dem Minimoog geht Bach ja nur im Overdubverfahren, deshalb hier nochmal der Hinweis: Das Hammond Novachord ist 72-stimmig! Die Aufnahmen wurden im Esszimmer von Marco Bacigalupo gemacht. Der zuweilen eingesetzte Hall stammt bei Live Aufnahmen von einem Eventide Space, in der Nachbearbeitung wurde manchmal der Apple Matrix Reverb eingesetzt. Das Klangbeispiel mit dem Titel „Shure 565 Unisphere“ wurde mit eben einem solchen Vintage Mikrophon und den Originallautsprechern gemacht.
Audiobeispiele zu Hammond Novachord
Schlusswort
Das Novachord ist ein ganz besonderes Instrument. Nur knapp über 1.000 Stück wurden davon gebaut, spielfertig sind davon heute maximal noch eine Handvoll. Ein polyphones Instrument ganz in Röhrentechnik, das ist schon ein großer Wurf anbetrachts dessen, dass die meisten Synthesizer der Zeit und noch ein paar Jahrzehnte danach, es nur auf eine einzelne Stimme brachten. Das Novachord ist kein Experimentalsynthesizer, die Röhren werden nicht schier zum Zerspringen gebracht, das gab die Zeit nicht her und das war auch nicht das Ziel. Aus heutiger Sicht können wir nur staunen was die Firma Hammond damals hergestellt hat und wir können uns verzaubern lassen von einem Klang, der direkt aus der Vergangenheit zu kommen scheint. Das Novachord ist ein unglaubliches Instrument und die hunderte Stunden Restaurierung von Marco Bacigalupo haben sich mehr als gelohnt!
Anmerkung der Redaktion: In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei Hammond Novachord um den ersten polyphonen Synthesizer überhaupt handelt und vergleichbare Instrumente in dieser Zeit und Form nicht existierten, verzichten wir in diesem Artikel auf die sonst übliche Bewertung.
Technische Daten
Aufbau: Analog- Synthese: Divide Down, Subtraktiv
- 12 Oszillatoren
- Wellenformen: Square (Rechteck)
- Osillator-Modulation: Keyboard, Knob, LFO
- Filtertypes: Band Pass, Resonanz
- LFO Parameter: Triangle
- 6-kanaliges electromechanisches Vibrato
- 72-stimmig polyphon
- 72 gewichtete Holztasten
- Controller: Schalter, Regler, Pedal-Sustain, Pedal-Volumen
- Anschlüsse: Kopfhörer 1/4″, Mono-Ausgang
- Veröffentlichungsjahr: 1939
- Produktionsstopp: 1942
- Hergestellte Instrumente: 1.069 Stck
BadTicket sagt:
#1 - 21.11.2019 um 20:15 Uhr
Danke für den super Artikel zu einem faszinierenden Instrument!
Michael Geisel sagt:
#1.1 - 22.11.2019 um 08:08 Uhr
Ich freue mich, dass der Artikel gefällt. Es werden noch Weitere dieses Genres folgen. :-)
Antwort auf #1 von BadTicket
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