Es gibt Hunderte von Synthesizern, doch nur eine Handvoll Syntheseformen. In unserem Feature besprechen wir die top Five der Syntheseformen praxisnah.
Die Synthesizer-Landschaft ist heute bunter denn je. Betrachten wir aktuelle Hardware-Instrumente, dann wird schnell klar, dass sich nicht alles um die analoge – oder genauer gesagt – subtraktive Synthese dreht. Diese hat dank Minimoog und anderen erfolgreichen Vintage-Synthesizern unaufhaltsam ihren Siegeszug angetreten. Schon ein smarter Budget-Synthesizer wie der Arturia MicroFreak triumphiert mit mehreren Syntheseformen unter seiner kompakten Haube. Ein Modal Argon 8 verschreibt sich der Wavetable-Synthese. Ein Granular-Sampler darf bei einem Top-Instrument wie dem Waldorf Quantum nicht fehlen. Der Zen-Core Prozessor des neuen Roland Fantom sieht auch Physical Modeling vor. Fast jedes Imitat einer Zugriegelorgel funktioniert nach dem Prinzip der additiven Klangsynthese, so auch die CX3 Tonewheel Organ Sound Engine des Korg Kronos. Aber: Die additive Synthese ist bei früheren wie neueren Instrumenten nicht so präsent und auch in puncto Aufwand/Nutz-Faktor nicht so attraktiv, dass wir sie zu den Top Five zählen.
Vorwort
Natürlich basieren die allermeisten Synthesizer, Keyboards und Digitalpianos auf Sampling-Technologie, insbesondere auf einem Wave-ROM mit gespeicherten Wellenformen unterschiedlicher Herkunft (akustische Instrumente, Geräusche, Synthesizer-Wellenformen, Drums und Percussion, etc.). Die Klangprogrammierung funktioniert aber bei diesen Instrumenten nach dem Prinzip der subtraktiven Synthese. Aus diesem Grund klammern wir das – eigentlich überaus spannende – Thema Sampling aus. In erster Linie erhältst du einen guten Überblick aus der Sicht eines Musikers und keine umfassende Abhandlung. Daher findest du nicht sämtliche Produkte des Marktangebots, oder physikalische Details aufgeführt.
Das funktioniert insgesamt gut ohne ‚Nerd‘-Wissen. Alle fünf Syntheseformen sind für jeden Musiker einfach zu vermitteln. Wir gehen jeweils kurz auf verschiedene Aspekte ein: Historie, das Prinzip der Tonerzeugung, klangliche Stärken, Soundprogrammierung und auf einige bekannte Vertreter der Syntheseform (Hard- und Software). Zudem wirst du anhand einiger Hörbeispiele die akustischen Eigenschaften der jeweiligen Klangsynthese nachvollziehen können. Diese Klangbeispiele demonstrieren sozusagen „spielfertige“ Presets mit Effekten und teilweise auch mit Unterstützung eines Arpeggiators. Genauso triffst du als Konsument alle fünf Syntheseformen im wirklichen Leben an.
Warum sollte man die „Top Five“ überhaupt kennen? Nun, einer der Hauptgründe lautet: Du findest für eine bestimmte Aufgabe oder ein klangliches Wunschziel schnell die jeweils passende Klangerzeugung (als Soft- wie Hardware) unter den vielen Produkten am Markt, kennst die individuellen Stärken und arbeitest daran zielstrebig. Auch wenn die subtraktive Synthese so überaus beliebt und ergiebig ist, alles kannst – und vor allem solltest – du damit klanglich nicht bewerkstelligen, egal ob für deinen Live-Gig, oder im Projektstudio. Schließlich finden sich noch weitere Syntheseformen, die zwar – wie etwa die LA-Synthese oder Vector-Synthese – nicht so verbreitet sind, aber ihren speziellen Charme haben.
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Subtraktive Synthese
Der König der Syntheseformen ist die subtraktive Synthese. Das Adjektiv „subtraktiv“ beschreibt treffend das Prinzip des Klangverfahrens: Einem Basisklang mit großem Frequenzspektrum als Ausgangspunkt „subtrahierst“ du bestimmte Frequenzbereiche. Es ist also ein klangliches Reduzieren von Audio-Signalen, die ein Oszillator oder mehrere Oszillatoren produzieren. Dies geschieht mit einem Filter – bei der subtraktiven Synthese der wichtigste Baustein. In jedem Fall hat die Filtersektion („VCF“ bei frühen analogen Synthesizern) einen Tiefpass (LowPass), der ab einer bestimmten Grenzfrequenz (Filter Cutoff) die oberen Frequenzen beschneidet. Es gibt ebenso andere beliebte Filtertypen wie Hochpass, Bandpass und Bandsperre. Ein Multimode-Filter bietet diese Filtercharakteristiken kombiniert in einer Sektion des Synthesizers. Die Filter-Sektion (ihre „Geschmacksnote“ wird von Kennern heiß diskutiert) ist nicht alles bei der subtraktiven Synthese.
Wie erwähnt, der Oszillator (OSC, VCO oder DCO sind geläufige Kürzel) liefert den Basisklang. Klassisch sind die Oszillator-Wellenformen Sägezahn, Rechteck, Dreieck und Sinus. Bei einer digitalen Klangerzeugung auf Sample-Basis ergibt sich eine nahezu grenzenlose Klangvielfalt. Den zeitlichen Verlauf eines Klangs regelt bei der subtraktiven Synthese eine Hüllkurve (ENV, Envelope). Unterteilt sind Hüllkurven traditionell in vier Phasen („ADSR-Modell“): Attack (Einschwingphase), Decay (Abklingphase), Sustain (Haltephase) und Release (Ausschwingphase). Mit der Lautstärke-Hüllkurve kannst du zum Beispiel einen Sound langsam einschwingen (langes Attack) und lange ausschwingen (lange Release-Zeit) lassen. Bei der Filter-Hüllkurve ist oft die Decay-Phase kritisch, so etwa bei der Programmierung von Bässen, Sequencer-Sounds und allen weiteren perkussiven Klängen.
Ein weiterer elementarer Baustein der subtraktiven Synthese nennt sich LFO, eine Abkürzung für „Low Frequency Oscillator“. Anders als die tonerzeugenden Oszillatoren des Synthesizers schwingt der LFO relativ langsam und erzeugt normalerweise keine Frequenz im Audiobereich. Bekannt sind Vibrato- und WahWah-Effekte, die per LFO entstehen und sich per Modulationsrad oder Aftertouch intuitiv kontrollieren lassen. In der elektronischen und technoiden Musik übernimmt dieser Baustein weitere Aufgaben, so auch die Herstellung tempo-synchroner, rhythmischer LFO-Klangphrasen.
Wo ist die subtraktive Synthese anzutreffen? Diese Frage könnte man tatsächlich in Form eines Lexikons beantworten, das jährlich immer umfangreicher wird. Bei den Hardware-Instrumenten findest du sie praktisch in allen Arranger-Keyboards, in Synthesizer-Workstations seit der Korg M1 (1987 erschienen) und natürlich bei den zahlreichen Sample-ROM-Synthesizern (ebenfalls seit den späten 1980er Jahren populär geworden). Der Ursprung des subtraktiven Modells geht allerdings auf den zu Beginn der 1970er Jahre erfolgreichen und heute vielbeachteten Minimoog des Synthesizer-Pioniers Robert A. Moog (kurz: Bob Moog) zurück. Moog definierte damals alle wichtigen Klangbausteine und übrigens auch die beiden Handräder (Pitchbending und Modulation Wheel) für einen kompakten Tastatur-Synthesizer.
Alle gefeierten Vintage-Synthesizer (SCI Prophet-5, Oberheim OB, Yamaha CS-80, Roland Jupiter-8, etc.) und kleinere polyfone Varianten (Roland Juno, Korg Polysix etc.) arbeiten subtraktiv. Während der 1990er Jahre ist die subtraktive Synthese wieder sehr prominent geworden. Die virtuell-analogen Synthesizer (VA-Synths wie Clavia Nordlead, Roland JP-8000, Yamaha AN1x) lösten einen wahren Boom aus. Heute gibt es kaum einen Musiker, der analoge Synthesizer nicht etwa als VST-Instrument oder als iOS-App kennt. Einen wesentlichen Vorteil der subtraktiven Synthese wirst du sicherlich schon erahnen: Ihre Funktionsweise ist einfach zu verstehen und sie bietet die praktisch perfekten wie universell verwendbaren Mittel für die elektronische Klanggestaltung. Zur Rekonstruktion von filigranen akustischen Klängen ist sie aber nur bedingt zu empfehlen. Diese Aufgabe sollte die FM-Synthese und noch besser das Physical Modeling übernehmen. Einige aktuelle der unzähligen Produkte mit subtraktiver Synthese hörst du bei den folgenden zehn Klangbeispielen.
Audiobeispiele zur subtraktiven Synthese
Frequenzmodulation (FM)
Ein Analogsynthesizer mit subtraktiver Synthese gilt als Lieferant warmer und voluminöser Sounds. Klanglichen Kontrast liefert traditionell die FM-Synthese, wobei aber auch digitale Synthesizer durchaus satte Klänge zustande bringen. Das Kürzel „FM“ steht für Frequenzmodulation. Bei der „einfachen“ FM moduliert ein Sinusoszillator (Modulator) einen zweiten Sinus-Oszillator (Träger), der das Audiosignal produziert. Diese Konstellation nennt man „Träger-Modulator“-Paar. Anders als bei der subtraktiven Synthese mit der vergleichbaren Kombination aus LFO und VCO schwingen beide Sinusoszillatoren sehr schnell (hörbar im Audiobereich). Die klassische FM-Synthese -nach dem Vorbild des Yamaha DX7 – basiert auf der Verknüpfung von insgesamt sechs Sinusoszillatoren (Operatoren).
Wie die einzelnen Operatoren miteinander verknüpft sind, regelt der Algorithmus. Diese Muster (der Yamaha DX7 hat 32 Algorithmen) legen fest, ob ein Operator als Träger oder Modulator fungiert und in welcher Kombination die sechs Operatoren aufeinander wirken. Ein Klangprogramm wird natürlich umso komplexer, je mehr Modulatoren auf einen Träger einwirken. Man spricht hier entsprechend von der „komplexen“ Frequenzmodulation. Stehen Träger und Modulator in ganzzahligen Frequenzverhältnissen, entstehen harmonische, andernfalls disharmonische Spektren, die sich für Glocken, Gongs oder zur Nachbildung geräuschhafter Sounds eignen. Übrigens, im „Orgel-Algorithmus“ (Algorithmus 32) kannst du die sechs Sinusoszillatoren in Fußlagen schichten und nach dem Prinzip der additiven Synthese arbeiten.
Kurios bei der FM-Synthese: Selbst minimale Veränderungen der Parameterwerte können sich klanglich drastisch auswirken, was bei anderen Syntheseformen nicht unbedingt der Fall sein muss. Änderst du zum Beispiel das Frequenzverhältnis von Träger und Modulator, entstehen sofort recht unterschiedliche Klangfarben. Noch rabiater variiert der Sound, sobald du den Algorithmus wechselst. Daher ist die Klangprogrammierung mit der FM-Synthese so respektiert, zumal ein klassischer FM-Synthesizer sehr viele ungewöhnliche Parameter anbietet und nicht mit ein paar Knöpfen (Filter Cutoff und Resonanz findest du nicht) zu bedienen ist. Du brauchst eine lange Einarbeitung und viel praktische Erfahrung, denn die Soundergebnisse lassen sich leider nie exakt vorhersehen. Daher greifen die allermeisten Musiker auf vorhandene Presets zurück und variieren sie ein wenig, was nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ manchmal besser oder schlechter klappt.
Die FM-Synthese entstand bereits 1967 als eine Computer-Klangsynthese im Rahmen wissenschaftlicher Forschung. Entworfen wurde sie von John Chowning an der Stanford University in Kalifornien. Seine Idee war es, durch die Frequenzmodulation zweier Oszillatoren neue – harmonische wie disharmonische – Klangspektren herzustellen. Nach Veröffentlichung der Ergebnisse über die Frequenzmodulation 1973 im “Journal of the Audio Engineering Society” erwarb bereits ein Jahr später der japanische Konzern Yamaha die Patente an diesem Klangverfahren.
Kommerziell sehr erfolgreich wurde die FM-Synthese dank Yamahas DX-Serie. Der 1983 erschienene Yamaha DX7 (ein Bestseller mit über 160.000 verkauften Einheiten) überraschte damals durch neuartige Features, zu denen brillante und anschlagdynamisch spielbare Klangfarben mit bis zu 16 Stimmen sowie ein MIDI-Anschluss zählen. Die FM-Synthese prägte den Sound der Popmusik etwa Mitte der 80er Jahre enorm. Generell werden viele FM-Sounds als brillant, scharf und natürlich empfunden – Natursounds sind jedenfalls besser realisierbar als mit analogen Pendants. Typisch sind Mallets und metallische Sounds, Glocken und glockige E-Pianos oder perkussive Bässe. Bläserklänge lassen sich ausdrucksstark mit einem Breath-Controller spielen. Im Techno und in der aktuellen elektronischen Musik finden sich weitere kreative Verwendungsmöglichkeiten. Ein Ende der Frequenzmodulation ist noch lange nicht in Sicht.
Du findest die FM-Synthese bei etlichen PC-Soundkarten, älteren Handys und selbstverständlich bei vielen Synthesizern. Bei den Produkten aus dem Hardware-Bereich sind insbesondere der Yamaha Montage, dessen kleiner Bruder Yamaha MODX und Korg Kronos zu nennen. Kostengünstig und Spaß bringend erschließt sich FM bei der Korg Volca FM.
Audiobeispiele zur Frequenzmodulation
Physical Modeling (PM)
Im Reigen der Synthesformen geht es bei der PM-Synthese konkret um die Abbildung physikalischer Eigenschaften, die wir z. B. von akustischen Musikinstrumenten kennen. Das Physical Modeling ist ein mathematisches Verfahren, das in erster Linie zur Rekonstruktion von gestrichenen oder gezupften Saiten und auch zur Imitation von Blasinstrumenten verwendet wird. Natürlich darfst du auch eigenständige elektronische Klangfarben erwarten, die eine gewisse Exotik versprühen. Es lassen sich am Rechner ungewöhnliche Instrumente modellieren, die in der Natur nicht vorkommen, so zum Beispiel ein gestrichenes Saxofon, eine Violine mit Schalltrichter oder eine überblasene Klaviersaite. Schön verrückt? Ja, aber dies macht die PM-Synthese auch für Kreative richtig spannend. Dabei solltest du die per Physical Modeling erzeugten Sounds mit Hall und anderen Raumsimulationseffekten geschmackvoll abrunden.
Bezüglich der akustischen Qualitäten der PM-Synthese gehen die Meinungen auseinander: Du findest Musiker, die von dem authentischen Klangverhalten absolut überzeugt sind. Der Klang ändert sich lebendig je nach musikalischer Interpretation. Andere Pianisten und Keyboarder sind der Ansicht, dass virtuelle Sampling-Instrumente nun einmal realistischer klingen, auch wenn sie vielleicht nicht so artikulativ spielbar und ihre Klänge nicht im Detail so modifizierbar sind. In die Programmierung musst du dich allerdings einfinden. PM-Synthese bietet dir eine spezielle Klangparameterisierung, die hauptsächlich Erreger und Resonatoren nachbildet. Was heißt das? Bei einem Blasinstrument ist beispielsweise das Mundstück der klangerregende Teil sowie Rohr und Schalltrichter ein Resonator.
Historisch betrachtet: Die Forscher Kevin Karplus und Alex Strong stellten 1983 einen nach ihnen benannten Algorithmus vor, der als eine Urform des heutigen Physical Modeling betrachtet werden kann. Wie auch bei der FM-Synthese gab es bei der „Waveguide Synthese“ (so ein damaliges Synonym) Kooperationen zwischen der Stanford University und Yamaha, die viele Jahre andauerten, bis 1994 endlich ein kommerzielles Hardware-Produkt erschien: der Yamaha VL1 als neuer Spezialist zur Imitation von Holz- und Blechblas- sowie Streichinstrumenten, die maximal zweistimmig gespielt werden konnten. Ein Jahr später folgte der Korg Prophecy und verdeutlichte etwas mehr, dass mittels Physical Modeling auch bis dato unerhörte Elektroniksounds möglich werden. Als eine Alternative zum eher kostspieligen Yamaha VL1 gab es das Soundmodul VL70m. Für einige Workstation-Synthesizer bot Yamaha auch eine Plug-in-Karte (VL-Board). Insgesamt war Physical Modeling vor über 20 Jahren eine „nette“ und zugleich wegweisende Randerscheinung, was sich nun aber immer mehr ändert.
Du suchst aktuellere Produkte mit Physical Modeling? Im Roland Fantom steckt nun die Engine des V-Piano, das bereits 2009 vorgestellt wurde. Fürs Eurorack bietet sich das Modul Rings von Mutable Instruments an. Beim Korg Kronos ist die Soundengine STR-1 für Plucked Strings vertreten. Es ist zwar kein Synthesizer, aber ein sehr etablierter Vertreter des Physical Modeling: Die Software Pianoteq von Modartt. Pianoteq Pro gestattet es dir, für jede einzelne Klaviertaste mit spezifischen Parametern (Saitenlänge, Hammergeräusch oder Abstand des Tonabnehmers) den Klang zu verändern.
Solche weitreichenden individuellen Eingriffe sind bei keinem der zahlreichen Software-Pianos möglich, die mit aufwändigem Sampling arbeiten. Du kannst also – nicht nur theoretisch – deinen eigenen Konzertflügel konstruieren, was für experimentelle Musik, oder in der Filmmusik nützlich ist. Bei den virtuellen Drummern ist Physical Modeling ebenso längst angekommen, Beispiel: IK Multimedia Modo Drum. Auch DAW-User werden direkt bedient: Bei Apple Logic Pro X sorgt das Software-Instrument Sculpture schon lange für Physical Modeling. Sein Potenzial wird leider etwas unterschätzt. Immer mehr neue Software-Instrumente bieten Physical Modeling, so auch das jüngere Plug-in ResonHeart von Xhun Audio. Es bleibt also spannend.
Audiobeispiele zu Physical Modeling
Wavetable Synthese
Nicht nur hochwertige Automobile kommen aus Deutschland, auch eine Syntheseform „Made in Germany“ ist bis heute international geschätzt. Die Wavetable-Synthese wurde bekannt durch Wolfgang Palm aus Hamburg und dessen PPG-Synthesizer, die um 1980 vor allem in die Hände einer elitären Musikerszene gelangten. Einer der frühesten kommerziellen Wavetable-Synthesizer ist der achtstimmige PPG Wave 2.2. Anfang der 1990er Jahre erlebten die PPG-Synthesizer eigentlich ihre erste Hochzeit: Der Waldorf Microwave, ein Synthesizer-Modul, bewährte sich als eine kompakte und bezahlbare Fortsetzung der PPG-Synthesizer, deren 30 Wavetables längst zu einem Klassiker geworden sind und in mittlerweile zahlreichen Waldorf-Produkten tradiert werden.
Die Idee zur Wavetable-Synthese war es, auf der Oszillator-Ebene digital eine viel größere Klangvielfalt zu bieten als beim klassischen Analog-Synthesizer. Es sollte also deutlich mehr zustande kommen als die Wellenformen Sägezahn, Rechteck oder Dreieck. Tatsächlich bringt ein PPG Wave es auf 64 Wellenformen bei 30 Wavetables, was in der Summe fast 2.000 Wellenformen ergibt.
Ein Wavetable entspricht beim PPG Wave 2 einer speziellen Oszillator-Wellenform samt Klangerzeugung, die mit Filter und Hüllkurven nach dem Prinzip der subtraktiven Synthese arbeitet. Beim Soundprogrammieren dreht es sich vor allem ums Modulieren der Wellensätze. Du musst einen Wavetable zum Beispiel durch einen LFO, per Hüllkurve oder Handrad so in Bewegung versetzen, dass möglichst musikalisch nutzbare und interessante Wechsel und Abläufe des Klangspektrums entstehen, die weich und auch einmal härter ausfallen können. Jedenfalls dürfen die Wellensätze nicht statisch bleiben. Die mit der Wavetable-Synthese programmierten digitalen Sounds polarisieren: Nicht wenige Elektronikmusiker verehren sie, traditionelle Live-Keyboarder werden sie weder besonders würdigen noch vermissen.
Gute Instrumente mit Wavetables sind heutzutage als Hard- und Software erhältlich. Wenn du die klirrenden Wavetable-Sounds eines PPG Wave 2 ziemlich originalgetreu haben möchtest, bietet sich dafür das Software-Instrument PPG Wave 3.V von Waldorf an. Von Wolfgang Palm selbst gibt es aber ebenso iOS-Apps mit der Wavetable-Synthese, so etwa den Wavegenerator. Die klassischen PPG-Wavetables leben ebenso im empfehlenswerten Waldorf Nave weiter, der fürs iPad und den Desktop-PC zur Verfügung steht. Überhaupt gilt der Spruch „Augen auf beim Software-Kauf“, denn Synapse Audio Dune 3, Arturia Pigments, U-he Hive 2 und weitere Plug-ins nutzen die Wavetable-Synthese effektiv.
Als Hardware ist wiederum der Waldorf Blofeld mit oder ohne Tastatur ein bekannter Vertreter, dessen Klangerzeugung sich quasi auch beim Studiologic Sledge wiederfindet. In der Hardware-Welt ist auch der Access Virus TI ein Wavetable-Könner sowie das Flaggschiff Waldorf Quantum, der auch noch einen Granular Sampler enthält. Wenn es nicht die klassischen PPG-Wavetables sein müssen: Mit dem Novation Summit klappt das Wellenreiten fantastisch. Künftig wirst du weitere Instrumente mit der Wavetable-Synthese aufspüren.
Audiobeispiele zur Wavetable Synthese
Granular Synthese
Abgedrehte Soundkulissen, spacige Loops oder auch utopische Sphären auf der Basis beliebiger Audio-Aufnahmen erwünscht? Willkommen bei der Granular Synthese. Ihr Einsatzfeld ist hauptsächlich Ambient, Soundexperimente und cinematische Musik. Bizarre, futuristische und abstrakte Klangbilder – dafür ist die Granular Synthese wirklich die beste Wahl unter den Top Five. Für konventionelle instrumentale Klänge wie Piano, Orgel oder Saxofon ist sie wiederum überhaupt nicht zu gebrauchen.
Technisch sehr vereinfacht dargestellt: Das Grundprinzip ähnelt einem „Daumenkino aus Klangabschnitten“, das aus einzelnen Bildern entsteht: Ein Sample wird in extrem kurze Klangpartikel, so genannte Körner (=„Grains“), zerlegt und anschließend auf verschiedene Weise (Tonhöhen, Formanten, Hüllkurven, etc.) und dabei unabhängig voneinander manipuliert. Hier lassen sich die Grains je nach verfügbarer Rechenleistung vervielfachen. Schließlich nimmst du sie als ein neuartiges Gebilde wahr. Es sind meist dichte Klangwolken, die sich mit herkömmlichen Samplern in dieser Komplexität nicht erzeugen lassen.
Unter den klassischen Hardware-Produkten integrierte lange Zeit nur der Roland V-Synth beziehungsweise der Roland Phrase-Sampler VP-9000 einen DSP, der Sounddesign in Art der granularen Synthese gestattet. Doch keine Sorge: Inzwischen ist es ziemlich einfach und kostengünstig geworden, mit dieser eher ausgefallenen Syntheseform einmal persönlich in Kontakt zu treten. Ein guter Produkt-Tipp lautet Spacecraft von Delta-V Audio auf dem iPad (auch für Mac/PC verfügbar). Hier kannst du ohne viel Knowhow über den Touchscreen wischen und spielerisch in die Granular Synthese eintauchen. Zudem könntest du viele einsatzfertige Sounds bei diesen Instrumenten genießen: VPS Avenger, Spectrasonics Omnisphere, Reason Malström oder Native Instruments Absynth. Als Cubase-Anwender weißt du es vielleicht schon: Für Flächen und Soundcollagen ist Steinberg Padshop eine feine Sache. Bei ihm kannst du auf Anhieb viele superbe Presets konsumieren. Die Pro-Version erlaubt den Import eigener Samples. Innerhalb von Apple Logic Pro ist Alchemy (ursprünglich von CamelAudio entwickelt) ein toller Beitrag zur granularen Synthese.
Schließlich ist granulare Synthese nicht nur als Klangerzeugung, sondern sehr gut als Effekt Plug-In verwendbar, wie die jüngere Software Output Portal zeigt. Eine sehr komplexe wie umfangreiche Ausführung ist die Software Accsone Crusher-X8, die jeden Nerd glücklich machen sollte. Probieren und programmieren musst du letztlich auf allen Ebenen: Sounddesign und Komposition verbinden sich mit der Studio-Produktion oder experimentellen Live-Performance wie bei keiner anderen Syntheseform.
Audiobeispiele zur Granular Synthese
Schlusswort
Mit diesen fünf Synthesemodellen bist du für den täglichen Soundbedarf sehr gut aufgestellt, kannst eine Klangerzeugung nun besser einschätzen und könntest nun viele Standardklänge analoger wie digitaler Synthesizer zumindest ansatzweise kreieren. Anhand der über 40 Hörbeispiele lässt sich gut beobachten, dass die klanglichen Grenzen zwischen den einzelnen Syntheseformen öfter fließend sind: Ein FM-Pad kann warm und analog klingen, manche perkussiven Mallet-Sounds per Physical Modeling sind wiederum auch per FM-Synthese realisierbar, die Wavetable- und Granular-Synthese ähneln manchmal einander, wenn massiver Hall verwendet wird. Daher wird ein Sounddesigner, der beispielsweise Bässe und Flächen liebt, bei jeder Syntheseform seiner Passion nachgehen können.
Überdies bietet jeder elektronische Klangerzeuger jeweils seine eigene Interpretation und mitunter subtile Varianten der fünf vorgestellten Klangsynthesen. Es lohnt sich daher also immer wieder auf die Besonderheiten eines Synthesizers ganz ausführlich einzugehen – sei es nun die sehr markante Filtersektion, ein ausgefallener LFO, oder klanglich enorm flexible Oszillatoren. Nicht zu vergessen bei allen Synthesen: Die Tonerzeugung allein macht nicht die Musik. Entscheidend sind ebenso die Spielhilfen (Modulationsrad, Aftertouch und weitere MIDI-Controller) zur Klangsteuerung sowie letztlich auch die persönliche Kreativität beim Auffinden und Formen von elektronischen Klangfarben.
roseblood11 sagt:
#1 - 04.11.2019 um 10:19 Uhr
Eine schöne Übersicht, nicht nur für Einsteiger!
Ergänzen könnte man noch jeweils einen Freeware Synth in jeder Kategorie, aber evtl übernimmt das auch jemand in den Kommentaren?
Matthias Sauer sagt:
#1.1 - 05.11.2019 um 08:41 Uhr
Vielen Dank! Und ja, das ist eine gute Idee ... obwohl die kommerziellen Software-Produkte gemessen am Potenzial auch teilweise fast geschenkt sind ;)
Antwort auf #1 von roseblood11
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