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Studio-Anekdoten: Produktion von Nirvana „Nevermind”

Im September 1991 wurde ein Album veröffentlicht, das Musikgeschichte schrieb. Nirvanas zweites Studioalbum “Nevermind” prägte die Grunge-Ära. Mit weltweit über 30 Millionen verkauften Einheiten zählt das Album zu den meistverkauften überhaupt.

(Bild: Shutterstock/Rocksweeper)
(Bild: Shutterstock/Rocksweeper)

Nicht zuletzt wurde der auf der Scheibe enthaltene Song “Smells Like Teen Spirit” zur Alternative Rock-Hymne einer ganzen Generation. Wir schauen bei der Entstehung des Klassiker-Albums vom Schreiben bis zum Mixen über die Schulter. Dabei kommen einige unterhaltsame Details zum Vorschein.

Wie von Kinderhand gemacht

Die erste Überraschung steckt schon im Songwriting der Band. Denn wer denkt, dass Nirvana nicht anders gekonnt hätten, als ihre Songs so einfach und direkt zu schreiben, wie sie das für das Album “Nevermind” getan haben, der täuscht sich. In einem Interview mit Loudersound.com betont Dave Grohl, ehemaliger Drummer der Band, dass Nirvana sich ganz bewusst für diesen Weg entschieden hatten. Die Songs sollten fast schon kindlich anmuten und allesamt ein relativ grobes, klares Gerüst haben. Deshalb ist es kein Wunder, dass etliche der Stücke während des Jammens bei Bandproben entstanden und im Kern nur wenig verändert wurden.
Die Idee zum Titel des Songs “Smells Like Teen Spirit” stammt übrigens von einem Spruch, den Kurt Cobains damalige Freundin mit einer Anspielung auf ein Mädchen-Deodorant an seine Zimmerwand schrieb: “Kurt smells like teen spirit”.

Arbeitsmoral

Gute Vorbereitung ist alles. Und wenn man sich anschaut wie schnoddrig-locker sich Nirvana zur Zeit von “Nevermind” gegeben haben, könnte man meinen, dass die Band die Aufnahmen zum Album auf die leichte Schulter genommen hätte. Doch dem war nicht so. Zwar hatte Vig bereits vor den Album-Aufnahmen von “Nevermind” für die Band Demos von drei Songs aufgenommen, die es später auf das Album schafften. Aber um Geld zu sparen, ging dem Studioaufenthalt vor dem Recording sicherheitshalber dennoch eine Pre-Production und Rehearsal-Session voraus, in der Produzent Butch Vig das Material, das Nirvana für das Album geschrieben hatten, kennenlernen und sichten konnte. Und wie es die Legende will, war er (auch aufgrund der guten Vorbereitung der Musiker) schon nach kurzer Zeit so angetan von den Songs und der Spielfreude der Band, dass er schnellstmöglich in das Recording-Studio wechseln wollte. Auf diese Weise versprach er sich, die rauhe Energie, die die Band in die Songs legte, auch in den Aufnahmen zu erhalten. Wie sich später herausstellte, war das ein Kniff, der hervorragend funktionierte.
Noch dazu wollte Vig die Band nicht per Overdubbing aufzeichnen, sondern live im Studio aufnehmen – nicht etwa, weil ihm nur 24 Spuren zur Verfügung standen, sondern, um Nirvanas ganz spezielle Dynamik einzufangen. Und so wurden die Basic-Tracks innerhalb von nur vier Tagen aufgezeichnet. Wie Vig in einem Interview erzählte, bereitete er die Recording-Sessions jeweils mittags vor, die Band tauchte dann am Nachmittag auf, wobei es auch schon mal etwas später werden konnte. Schließlich hatte sie Abend für Abend bis in die Morgenstunden auf der Partymeile von Venice Beach gefeiert. Der Begriff “Arbeitsmoral” hat in diesem Fall also eine gewisse Doppeldeutigkeit…

Klingender Raum

Hinter dem “lebendigen” Sound des Albums steckt eine große Besonderheit. Denn der Recordingraum in den legendären Sound City Studios hat dem Album seinen ganz besonderen Stempel aufgedrückt. Die Esoterik um den Raumklang des Studios geht sogar so weit, dass weder Bauteile noch Wandfarben des Raums je instand gesetzt wurden, in Sorge, dass sein einzigartiger Raumklang verloren gehen könnte. Generell brachte der Recording-Raum durch seine quadratische Form und seine speziellen Oberflächenbeschaffenheiten lange Nachhallzeiten mit sich und sorgte so bei den Aufnahmen von “Nevermind” für Sound mit einer gewissen “dreidimensionale” Live-Atmosphäre.
Um die Raumanteile aufzuzeichnen, stellte Vig bei den Schlagzeugaufnahmen in sechs Meter Entfernung Neumann U-87-Mikrofone auf. Als später Mix-Engineer Andy Wallace vom Label hinzugeordert wurde, wendete er zusätzlich einen Mixing-Trick an, um den Klangeindruck der Recording-Räume noch weiter zu verstärken. Er ergänzte den natürlichen Raumhall mit einem digitalen Hallgerät, dessen Sound er per Equalizer anpasste, um ihn “authentisch” klingen zu lassen. Das Ergebnis ist quasi ein “Recording Sound on Steroids”, der den natürlichen Raumeindruck der Sound City Studios stark überzeichnet.

Ein wesentlicher Anteil am Sound des Albums wird auch dem Recording-Desk zugesprochen. Die Neve 8028-Konsole, die damals in den Sound City Studios zum Einsatz kam, gilt als Mischpult mit “Charakter”. Von ihm wurden seinerzeit gerade einmal vier Exemplare gebaut und verkauft. Exklusiver geht es kaum.

Drum-Kniffe

Entscheidenden Anteil an der Dynamik der Songs hatten auch Drumming und Drumsound von Dave Grohl. Was aber macht man, wenn das Schlagzeug des Drummers einfach nicht ausreicht, um auf Aufnahmen so wuchtig zu klingen, wie seine Spielweise live herüberkommt? Genau: Man leiht sich bei einem Instrumentenverleih ein Drumkit, das so “heavy” wie möglich klingt, um einen möglichst fettem Sound zu aufzuzeichnen. Für “Nevermind” fiel die Wahl auf ein Tama Artstar II mit 24″x16″ Custom Kick Drum, einem 15″x12″ Rack- und 18″x16″ Floor Tom sowie einer 14″x6,5″ Tama Snare aus Glockenbronze.

Produzent Butch Vig, selber Drummer, sorgte bei den Aufnahmen für einen nahezu exzessiven Schlagzeugsound. (License: CC BY-SA 3.0 / Source: https://ruzovdmitry.livejournal.com/60059.html)
Produzent Butch Vig, selber Drummer, sorgte bei den Aufnahmen für einen nahezu exzessiven Schlagzeugsound. (License: CC BY-SA 3.0 / Source: https://ruzovdmitry.livejournal.com/60059.html)

Abgesehen von Raumklang und Overheads wurden die Drums mit naher Mikrofonierung von Kick, Snare und Toms aufgezeichnet sowie mithilfe eines Kick-Tunnels, der dem Kickdrum-Sound den gewissen Extra-Wumms geben sollte. Aber damit nicht genug! Denn obwohl das Drumkit bereits fett klang, setzte Mixer Andy Wallace nichtsdestotrotz ergänzende Samples hinter Kick und Snare Drum ein. Und auch für das Triggern des künstlichen Raumhalls wurden mitunter eigene Samples eingesetzt. Es ist also kein Wunder, dass die Drums auf “Nevermind” so immens druckvoll klingen, wie sie letztlich klingen. Denn sie sind tatsächlich von den einzelnen Drum-Instrumenten bis hin zu deren Nachhall im wahrsten Sinne des Wortes “larger than life”.

Gesang & Gitarren

Ähnlich sah es bei den Vocals aus. Undeutliche Aussprache hin und keifendes Geschrei her, … um den Kurt Cobains Gesang per Mikrofon aufzugreifen, ließ sich Butch Vig auf keine Kompromisse ein. Er nahm dafür ein Neumann U 67  zur Hand, brachte das Mikrofonsignal mit den Preamps der Neve 8028-Konsole auf Arbeitspegel und reduzierte die Dynamik des Vocal-Signals mit einem LA-2A-Style-Kompressor, dem Summit TLA 100. Eine simple, aber beeindruckende Recording-Kette. Doch auch die feinste Technik hilft nicht weiter, wenn es um die Performance geht. Und da Cobain bei seinen Recording-Takes so sehr in die Vollen ging, wie er nur konnte, mussten Butch Vig stets jeweils drei bis vier Takes ausreichen, um daraus etwas zu machen. Eine Vorgehensweise, die in Zeiten von ProTools und top ausgestatteten Projektstudios für viele Musiker nahezu undenkbar ist.
Vintage-Style prägt auch den Bass-Sound des Albums. Für die Bassaufnahmen kamen nämlich ein Fender Precision Back 1979 und ein 1976 Gibson L9-S Ripper zum Einsatz, wahre Klassiker also. Und auch bei den Gitarren setzte die Band auf ebensolche Klassiker. So sind neben einer Fender Mustang aus den 1960ern auf den Aufnahmen auch eine mit diMarzio-Pickups bestückte Fender Jaguar sowie einige Stratocasters mit Bridge-Humbuckern zu hören. Für cleane Verstärkung stand ein Vox AC30 bereit, für rauhe Verstärkung sorgte der Mesa Boogie Combo-Verstärker Studio .22. Ergänzend spielte Cobain über einen Fender Bassman. Mikrofoniert wurde jeweils mit vier Mikrofonen, aus denen der passende Klang herausgesucht wurde. Dabei setzte Vig auf die vier Mikrofonklassiker Neumann U87, AKG C414, Sennheiser 421 und Shure SM57. Aufgerüscht wurde der Gitarrensound dann mit Pedals, wie dem Boss DS-1 für mehr Distortion und dem Electro-Hamrmonix Small Clone für Chorus-Effekte XLINKX, die den Gitarrensound auf dem Album regelrecht “schwimmen” lassen. Ein recht simples, aber hochwertiges Equipment. Echte, handgemachte Musik und Recordings eben.

Ein großes Erbe

Ohne Frage prägten Nirvana mit ihrem Album “Nevermind” das Grunge-Genre und veröffentlichten mit ihrer Single “Smells Like Teen Spirit” die Hymne einer ganzen Generation. Doch das Erbe des Albums geht auch nach dem Tod von Kurt Cobain, dem Verleihen ihres Band-Sterns auf dem Walk of Fame und zahlreichen Jubiläums-Releases weiter.

Dreharbeiten zu der Dokumentation "Sound City" von Dave Grohl. (License: CC BY-SA 3.0 / Attribution: Soundcitymovie [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)])
Dreharbeiten zu der Dokumentation “Sound City” von Dave Grohl. (License: CC BY-SA 3.0 / Attribution: Soundcitymovie [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)])

Die 1969 gegründeten Sound City Studios, in denen Scheiben von Fleetwood Mac, Neil Young, Foreigner und eben auch Nirvanas “Nevermind”-Album aufgezeichnet worden waren, wurden nach dem Tod seiner beiden Gründer zwischenzeitlich aufgelöst. Der ehemalige Nirvana-Drummer Dave Grohl kaufte beim Abverkauf des Studio-Equipments im Jahr 2011 kurzerhand dessen legendäre Neve 8028-Konsole, um sie in seinem Studio zu installieren. Als wäre das nicht Huldigung genug, brachte Grohl dann 2013 eine Dokumentation heraus, die die Neve-Konsole zum “Star” ihrer Berichterstattung machte. Auf diese Weise führte er nicht nur das klangliche Erbe dieser Konsole weiter, sondern setzte ihr auch noch ein mediales Denkmal.

Quellen:
https://www.loudersound.com/features/dave-grohl-the-history-behind-nirvanas-nevermind
https://allmicrophone.com/the-microphones-of-kurt-cobain-nirvana/
https://en.wikipedia.org/wiki/Nevermind
Michael Azerrad (1993). “Come As You Are: The Story of Nirvana”. New York City: Doubleday/Penguin.

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