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Jazz-Licks auf der Gitarre entwickeln

Für viele sind die Begriffe Jazz und Jazzimprovisation Bücher mit sieben Siegeln. Zum einen liegt das an den oft sehr kryptisch anmutenden Akkordsymbolen, die mit Optionstönen regelrecht gespickt werden, aber natürlich auch an den Sololinien, die häufig mit chromatischen Noten durchsetzt sind. Insofern hat die fiktive Band “Spinal Tap” natürlich auch irgendwo mit der Aussage “Jazz is a lot of wrong notes” nicht ganz unrecht, allerdings unterliegen diese Töne doch einer gewissen Gesetzmäßigkeit, die erlernt und geübt werden kann.

Jazz-Licks auf der Gitarre lernen

Wer nun glaubt, dass das Verstehen von jazziger Melodiekonzeption nur im BeBop Anwendung findet, der irrt. Viele moderne Gitarristen, angefangen bei Guthrie Govan über Andy Timmons, Larry Carlton und Steve Lukather beweisen immer wieder, wie geschmackvoll Jazzlines auch stilübergreifend ihren Einsatz finden können. Daher möchte ich euch ein paar ausgewählte Konzepte vorstellen, wie ihr das Mysterium der Jazzmelodik begreifen und hoffentlich auch in eurem Spiel zum Klingen bringen könnt.

Inhalte
  1. Jazz-Licks auf der Gitarre: Arpeggios
  2. Jazz-Licks auf der Gitarre: Skalen
  3. Verknüpfung von Arpeggios und Skalenelementen
  4. Jazz-Licks auf der Gitarre: Chromatik
  5. Jazz-Licks auf der Gitarre: BeBop Scales

Jazz-Licks auf der Gitarre: Arpeggios

Viele Jazzstandards basieren auf Vierklangsharmonik und die klarste Möglichkeit, einen harmonischen Sachverhalt auszuspielen, ist die Verwendung der entsprechenden Akkordtöne, sprich Arpeggios.

Betrachtet man die gebräuchlichsten Kadenzen im Jazz, landet man unweigerlich bei der sogenannten II-V-I-Verbindung, einer klassischen Wendung, die Bestandteil vieler Standards ist und sowohl in Dur als auch in Moll vorkommt. Natürlich gelten die hier vorgestellten Konzepte nicht nur für diesen Kadenztyp, sondern können über alle erdenklichen harmonischen Sachverhalte zur Anwendung gebracht werden.

In der Tonart C-Dur lautet die II-V-I Verbindung:

Dm7 – G7 –Cmaj7

Wohingegen in Cm die Kadenz folgendermaßen aussieht:

Dm7b5 – G7 – Cm7

Hier begegnen euch auch die vier diatonischen Basisklänge, deren Arpeggios ihr in allen Lagen beherrschen solltet, nämlich maj7, Dominant 7, m7 und m7b5.

Zur Übersicht liste ich euch hier noch einmal die vier Akkordtypen mit jeweils fünf Fingersätzen im CAGED-System auf. Der Grundton ist jeweils mit einem Viereck markiert.

Um ein Gefühl für den Arpeggiosound zu bekommen, würde ich als Übung empfehlen, die oben genannten II-V-I Kadenzen in konstanten Achtelnoten “auszuarpeggieren”. Die durchaus komplexe Gitarrenlogik erschließt sich am besten, wenn man dies zunächst innerhalb einer Lage durchexerziert und dann gemäß dem CAGED-System an ca. fünf verschiedenen Positionen auf dem Griffbrett übt, vorzugsweise in allen 12 Tonarten. Achtet darauf, die Schnittstellen zwischen den Akkorden am Taktende mit einem weichen und möglichst kurzen Übergang zu gestalten. Im Idealfall sollte hier in einem Sekundschritt der Anfang des nächsten Arpeggios angepeilt werden.

Hier ein Beispiel dafür, wie diese Übung aussehen könnte:

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Übung zu Arpeggios

Jazz-Licks auf der Gitarre: Skalen

Der nächste Baustein sind natürlich die Skalen. Als Gitarrist kennt man davon bereits einige seit den Anfängen des Rock- und Bluesspiels, dennoch habe ich sie in diesem Workshop erst an zweiter Stelle genannt, da Jazzimprovisation sich viel stärker am Akkordsound anlehnt. “Rocker” interessieren sich häufig nur für die übergeordnete Tonart der Solochanges und meist nicht wirklich für jeden einzelnen Akkord, über den soliert wird. Diese Art des “Zusammenfassens” zu einer Gesamttonart nennt man übrigens auch “horizontales Spiel”. Jazzer hingegen denken viel mehr “vertikal” in den Akkordtönen und wollen die Changes “ausspielen”, nehmen die Skalentöne aber dennoch als “Farben” oder “Tensions” wahr, die sich um die Arpeggiotöne herum scharen. Insofern spielen Skalen natürlich hier wie in allen Stilrichtungen eine zentrale Rolle, allerdings ist es hilfreich, den Blickwinkel diesmal leicht zu verschieben. Für Einsteiger im Jazzidiom bietet es sich an, zunächst die Durscale mit allen Modi und den 5. Modus von Harmonisch Moll, sprich HM5 oder phrygisch-dominant zu beherrschen, um erst mal durch die gängigsten II-V-I Verbindungen zu kommen.

Für diese Akkordfolge sähe die Skalenverwendung in Dur und Moll folgendermaßen aus:

Dm7G7Cmaj7
D-dorischG-mixolydischC-ionisch
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Skalen – Übung 1
Dm7b5G7Cm7
D-lokrischG HM5 (C HM)C-dorisch
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Skalen – Übung 2

Fühlt man sich mit diesen Basisskalen vertraut, kann man dazu übergehen, die Melodisch Moll-Tonleiter weiter zu vertiefen und über den einen oder anderen Akkordtyp die entsprechenden Modi dieser Scale anzuwenden. Gebräuchlich ist es, die alterierte Tonleiter, also den 7. Modus der Melodisch Moll-Scale über die Dominanten anzuwenden oder aber die Molltonika mit dem 1. Modus auszuspielen. Selbstverständlich funktioniert das auch in Kombination mit den oben genannten Optionen:

Dm7G7Cmaj7
D-dorischG alteriert (Ab MM)C-ionisch
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Skalen – Übung 3
Dm7b5G7Cm7
D-lokrischG alteriert (Ab MM)C MM
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Skalen – Übung 4

Hier eine Beispiellinie, die eher skalar daherkommt:

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Skalen – Übung 5

An dieser Stelle muss gesagt werden, dass die reine Benutzung von Skalen natürlich hervorragend klingt und einen ganz speziellen Sound hervorruft, allerdings nur vage den Klang der Akkord-Changes herausspielt. Das ist per se überhaupt kein Nachteil und kann sogar durchaus gewünscht sein, dennoch sollte man sich diesen Umstand bewusst machen, um ihn im Idealfall gezielt einsetzen zu können.

Eine tiefergehende Erklärung der Modi, Harmonisch- und Melodisch Moll findet ihr hier:

Verknüpfung von Arpeggios und Skalenelementen

Selbstverständlich lassen sich Arpeggio- und Skalengedanke auch wunderbar miteinander verknüpfen, wenn man es sich zur Aufgabe macht, auf wichtigen Zählzeiten die für die Changes relevanten Akkordtöne zu spielen und beim Akkordübergang auf wichtigen Funktionstönen wie z. B. der Terz oder der Septime zu landen. An dieser Stelle möchte ich jedem das Buch “Connecting Chords with Linear Harmony” von Bert Ligon ans Herz legen, der im Prinzip drei übergeordnete Line-Strukturen aufzeigt, mit denen sich II-V-I Kadenzen sehr gut ausspielen lassen.

• Line 1:

Hier findet ihr jeweils die Terz am Anfang des Akkordchanges. Die Septime des vorhergehenden Akkordes löst sich dabei chromatisch fallend auf.

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Verknüpfung von Arpeggios und Skalenelementen – Übung 1

• Line 2:

Hier wird die II. Stufe als steigendes Arpeggio ausgespielt, dessen Septime sich erneut in die Terz der V auflöst. Die V wird skalar ausgespielt und endet wieder auf der Septime, die in der Terz der I mündet.

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Verknüpfung von Arpeggios und Skalenelementen – Übung 2

Line 3:

Line 3 ist der 2. im Prinzip sehr ähnlich, nur beginnt sie mit einem fallenden Arpeggio auf der II.

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Verknüpfung von Arpeggios und Skalenelementen – Übung 3

Für diese “Grundlines” gibt es jetzt tolle Variationen wie z. B. das Octave-Displacement mancher Töne. Probiert das Prinzip mit den obigen Lines 1-3 und versucht mit Oktavsprüngen zu arbeiten.

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Verknüpfung von Arpeggios und Skalenelementen – Übung 4

Ein weiter Schritt ist das chromatische Umspielen dieser Töne, worauf wir im nächsten Punkt eingehen wollen:

Jazz-Licks auf der Gitarre: Chromatik

Was wären Jazzlines, wenn sie nicht mit einer gehörigen Prise Chromatik gewürzt wären? Dieses Stilmittel wird sehr gerne verwendet, um Durchgangstöne zu schaffen oder aber, um interessante Noten zu schmücken, was in der Fachsprache auch eine “Figuration” genannt wird oder auf Neudeutsch eine “Approach Note”.

Dabei handelt es sich um das Umspielen einer Note oder Melodie mit kleinen Notenwerten. Figurative Noten sind demnach unselbstständig und führen zu einem bestimmten Bezugston, dekorieren diesen oder heben ihn hervor und haben daher keine unmittelbare Bedeutung für harmonische Vorgänge.

An dieser Stelle möchte ich auf den 2. und 3. Teil unserer Chromatics-Workshopreihe verweisen, in der ich die verschiedenen “Approach Note“-Varianten vorstelle. Dennoch hier eine kurze Zusammenfassung dieser Technik, die übrigens sehr unmittelbar mit unserem Punkt 1 “Arpeggios” verflochten ist, denn “approacht” werden in der Regel Akkordtöne!

• One Note Approach (1NA)

Üblicherweise wird sich der Zielnote chromatisch von unten und diatonisch von oben angenähert. Zwei Möglichkeiten des ONA bieten sich demnach hier am Beispiel eines Cm7-Akkordes:

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Chromatik – Übung 1

• Two Note Approach (2NA)

Hier bieten sich vier Optionen an. Zum einen die Kombinationen, die sich aus den beiden 1NA geben und zum anderen die doppelt chromatische Annäherung von unten und die diatonisch-chromatische Annäherung von oben. Hier gibt es den Sonderfall, dass die Startnote diatonisch sein sollte, was z. B. bei der Umspielung der Quinte eines aeolischen Mollakkordes zu zwei diatonischen Noten führt (z. B. Cm7: bb-ab zu g). Ganz im Gegensatz zum dorischen Mollakkord, bei dem die doppelten Approach-Notes zur Quinte a und ab wären. Hier die Beispiele bezogen auf Cm7:

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Chromatik – Übung 2

• Three Note Approach (3NA)

Der 3NA kombiniert nun alle obigen Möglichkeiten, allerdings ergäben sich hieraus auch Kombinationen, die sich nicht zwangsläufig in die Zielnote auflösen, sondern eher davon entfernen. Insofern ergeben nur die folgenden sechs 3NA Sinn, hier am Beispiel eins Cmaj7-Akkordes:

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Chromatik – Übung 3

Auch wenn sich obige Beispiele nur auf einen Arpeggioton beziehen, sollten die Approach Notes natürlich auf alle vier Noten des Basisvierklangs angewendet werden.

Als Übung empfiehlt es sich zunächst, diese ganzen Approach-Varianten über die vier Basisklänge einzeln abzuchecken, bis man sich damit sicher fühlt.

Der nächste Schritt, ihr könnt es sicher schon erahnen, ist die Verwendung über eine II-V-I Kadenz. Im Prinzip habt ihr nun die Auswahl aus den oben aufgeführten Approaches oder aber die Arpeggiotöne gänzlich unumspielt einzusetzen.

So könnte eine solche Line z. B. aussehen:

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Chromatik – Übung 4

Jazz-Licks auf der Gitarre: BeBop Scales

Eine tolle Möglichkeit, um auf interessante und flüssige Lines zu kommen, ist der Einsatz von BeBop-Scales. Darunter versteht man im Prinzip eine heptatonische (7-tönige) Tonleiter, bei der ein bestimmter Ganztonschritt chromatisch aufgefüllt wird, was in einer oktatonischen Tonleiter resultiert. Beginnt man diese Tonleiter nun mit einem Akkordton auf einem Downbeat, werden aufgrund der jeweils hinzugefügten chromatischen Durchgangsnote alle anderen Akkordtöne ebenfalls auf Downbeats fallen, wodurch trotz der skalaren Konzeption der Akkordsound sehr gut deutlich wird.

Als Regel für das chromatische Auffüllen gilt:

Akkorde mit kleiner Septime: kleine Septime und Oktave werden mit maj7 aufgefüllt,

man spricht von der “Sub-Dominant-” oder “Dominant BeBop Scale“.

Akkorde mit maj7 oder 6: Quinte und Sexte werden mit #5 aufgefüllt (die 6 wird damit zum Vertreter für die maj7); man spricht von der „Tonic BeBop Scale”

Hier ein Beispiel für BeBop-Scales über eine II-V-I Verbindung:

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BeBop Scales – Übung 1

Verknüpft man dies nun an den Nahtstellen der Changes mit kurzen Schritten, erhält man Lines in dieser Art:

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BeBop Scales – Übung 2

Richtig interessant wird es nun, wenn man die oben erwähnten Approach-Notes als Verbindung zwischen den Takten benutzt:

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BeBop Scales – Übung 3

Abschließend möchte ich ergänzen, dass es zum Lernen des Jazzidioms natürlich auch unerlässlich ist, sich mit Transkriptionen und Licks der großen Jazzvorreiter auseinanderzusetzen und das Erlernte dann über Jazzstandards und diverse Play-Alongs anzuwenden. An dieser Stelle möchte ich euch unsere Backing-Track-Reihe ans Herz legen, mit denen ihr die obigen Ideen festigen könnt:

Und damit wünsche ich euch viel Spaß beim Entwickeln eurer eigenen Lines!

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Henry sagt:

#1 - 14.04.2024 um 08:28 Uhr

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Eine sehr wertvolle Hilfe durch Haiko Hainz, die einfachen II-V-I-Beispiele zeigen wunderbar, wie verschiedene Lines gebildet werden können, die Hörbeispiele machen es einfach/er, sich für seinen eigenen Style zu entscheiden. Die Noten stehen nun -als Kopien- auf dem No.ständer zum Üben. Wunderbarer Artikel & vielen Dank dafür!!

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