Tracktion Novum wurde von Dawesome entwickelt und bringt Granular-Synthese auf eine neue Ebene. Der Software Synthesizer teilt Audiomaterial in sechs Klangfarben, wobei jeder Layer in anderer Geschwindigkeit und Tonhöhe gespielt werden kann. Fans von Absynth 5 und Filmmusik-Produzenten sollten sich den Soft Synth genauer ansehen.
Dawesome zeigte bereits mit Chop Suey, wie man das Lösen alter Producer-Probleme neu denkt. Phasenprobleme beim Layering von Kick-Samples gehören mit dem Kick-Drum-Instrument der Vergangenheit an. Nun hat sich Peter Vorländer, der Kopf hinter Dawesome, wieder mit Tracktion zusammengetan und präsentiert Novum.
Es handelt sich bei dem Plugin um einen Granular-Synth, der durch Machine Learning Audiomaterial in sechs Layer aufteilt. Diese können dann, ähnlich wie bei Abyss, ebenfalls von Dawesome, klanglich verändert werden. Dieser neue Granular-Synth-Ansatz verspricht ungewöhnliche Sounds und viele Sounddesign-Möglichkeiten.
Details & Praxis
Tracktion Novum – Installation und Oberfläche
Tracktion Novum kommt mit zwei Installationsdateien: das Setup zum Installieren des Plugins und ein ca. 1,5 Gigabyte großer Preset-Ordner. Denn lädt man diesen nicht herunter und importiert ihn in das Plugin, wird man in Novum von einem warnenden „Please Install Content“ begrüßt. Und es sind nur magere acht Presets dabei. Also zieht man den entpackten Ordner „BASIC“ mit den weit über zweihundert Presets aus dem Finder oder Explorer einfach auf das Plugin, schon sind die Sounds importiert.
Die Optik erinnert stark an Abyss, Dawesomes schwarz-bunten Timbre-Synthesizer, der 2021 mit seiner ungewöhnlichen Klangerzeugung erstaunte. Mit Novum treibt Macher Peter Vorländer das Prinzip „ungewöhnliche Klangerzeugung, aber simpler Workflow“ auf die Spitze. In der Mitte ist vor anthrazit-farbigem Hintergrund die bunte Wellenform der aktuell von Novum generierten sechs Layer zu sehen. Direkt darunter kann man jeden der sechs Layer deaktivieren oder tauschen. Will man das tun, wählt man links aus den angezeigten Presets eines aus und zieht von diesem einen Layer ins Hauptfenster.
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Novum – ein akustisches Prisma
Nach dem Import analysiert Novum Audiomaterial – das kann ein zwei Take langer Loop, ein 30-sekündiger Drone oder ein One-Shot-Sample sein – spektral. Was das vereinfacht bedeutet, erklärt Vorländer so: „Novum analysiert und zerteilt Audiomaterial wie ein akustisches Prisma“. Es zerteilt das Quellmaterial also in seine Klangfarben.
Bevor es zu technisch wird, stürzen wir uns aber erst einmal in die mitgelieferten Sounds. In der Beta sind fast 250 Presets dabei, unter anderem einige des Sound-Design-Gurus Databroth. Im Release kommen dazu noch Presets von Yuli Yolo und Tomavatars. Und schon während ich stöbere und Sounds anspiele, gibt es einige Presets, deren Qualität weit über dem liegt, was man von Granular-Synthesizern kennt.
Denn ein verbreitetes „Problem“ von Sounds in Granular-Synthesizern wie Pigments oder Omnisphere ist die mangelnde Struktur. Denn hier flirrt und glitzert es akustisch zwar vom Feinsten, aber in einem Arrangement haben diese Sounds oft nur schwer Platz – meist nur nach ausgedehnter Nachbearbeitung mit Effekten. Bei Novum ist das anders. Gerade im Bereich klassischer Instrumente also bei Streichern, Blech- und Holzbläsern, aber auch einigen Piano-Sounds flirrt und flattert es auch. Aber viele Sounds klingen so definiert und organisch, dass man sie ohne Probleme in einem Arrangement unterbringt.
Sounds anpassen mit der Timbre Flower
Erste Anpassungen nimmt man in Novum entweder mit dem schrittweisen Deaktivieren der sechs Klangfarben oder mit der an Abyss Farbvarianten erinnernde „Klangblume“ (Timbre Flower) im unteren Bereich vor. Mit dieser kann man Novum in jedem der sechs Klang-Layer (oder allen sechs gleichzeitig) eine Vielzahl an Variationen erzeugen. Und zwar, ohne dass man ins technische Detail einsteigen müsste. Man klickt einfach in ein anderes Farbfeld, schon hat sich der Klang weiterentwickelt.
Wem es bei einem Sound dann doch zu sehr flattert und flirrt, der kann direkt neben der Timbre Flower Länge und Dichte der Grains verändern, also die Granular-Engine bearbeiten. Wieder gilt: entweder für alle sechs Layer gleichzeitig oder für jeden einzelnen individuell.
Anspruchsvoller Klangerzeuger für anspruchsvolle Rechner
Nächste Besonderheit von Tracktion Novum im Modul SYN: „Syntify“. Dawesome bezeichnet die Funktion als umgekehrten Filter. Es werden also zusätzliche Obertöne erzeugt, keine gedämpft. Tatsächlich klingt das Resultat meistens wie eine stark angezerrte Saw-Wave, die tonal zum Quellmaterial passt. Diese zusätzlichen Obertöne helfen wiederum beim weiteren Formen des Sounds durch das Filter, es hat quasi „mehr zu tun“.
Neben dem Standard Lowpass24-Filter kann man wahlweise auch einen Lowpass12 und 12dB- und 24dB-Varianten von Highpass- und Bandbass-Filtern auswählen. Dazu kann man dem Sound „mit dem „Dirt“-Parameter, hinter dem sich wohl ein Verzerrer versteckt, etwas Schmutz verleihen. Außerdem gibt es noch ein weiteres Distortion-Modul – hier kann man einen aus vier Distortion-Modi für zusätzliche Verzerrung auswählen (Soft, Hard, Noisy, BRTZ).
Effekte und Modulatoren in Tracktion Novum
Im Effektbereich kann man aus den sechs Effekten Cloud, Shimmer, Reverb, Delay, Phaser und Chorus wählen. In den sechs Slots können Effekte auch mehrmals platziert werden. So erzeugt man zum Beispiel gigantische Delay-Reverb-Chorus-Reverb-Delay-Reverb-Ketten. Bei all der Klangbearbeitung nicht ganz unwichtig in einem Synthesizer: die Modulation! Zum einen gibt es neun Modulatoren zum Verarbeiten von MIDI-Signalen wie Modulation Wheel, Velocity oder die MPE-Signale Pressure, Slide und Lift. Zum anderen kann man in Novum mit LFOs, Hüllkurven, einem Stepper und einem Random-Modul modulieren.
Bei all dem Detailreichtum entfaltet Novum am ehesten seine Farbenpracht, wenn man zum Einstieg mit den fertigen Presets arbeitet, denn diese lassen sich auch hervorragend mit eigenen Sounds kombinieren. Einfach ein Preset laden und dann ein eigenes Sample in Novum ziehen. Der Synth wird das neue Sample mit allen Einstellungen, Effekten und Modulationen des vorher geladenen Presets abspielen.
Eigenes Sounddesign mit Tracktion Novum
Außerdem kann man nach dem Import eines eigenen Samples die sechs Klangfarben und deren von Novum analysierten Hüllkurven (Lautstärkeverlauf) verriegeln. Wechselt man anschließend durch die Presets, behält das Plugin das Sample und verändert nur die Einstellungen, Effekte und Modulationen. So schnell habe ich selten Sounddesign anwenden können.
Wer dann richtig in die Tiefe gehen möchte, lädt ein eigenes Sample (Wav und Flac ist möglich) und beginnt einzelne der sechs Klangfarben mit denen aus den Presets zu tauschen. Dann moduliert man Grain-Länge, Spielgeschwindigkeit und Tonhöhe jedes Layers noch unterschiedlich stark mit einem LFO und aus jedem Drumloop und jedem Waldrauschen werden epische Glitzer-Pads, Drone-Orchester und Atmosphären für Film- Games-Musik.
Granular-Synth mit CPU-Ansprüchen
Was die CPU-Auslastung betrifft, können es bei sehr komplexen Presets mit Multi-Layer-Modulationen und mehrstimmigen Akkorden ältere Rechner mit Tracktion Novum schnell an ihre Grenzen kommen. Zum Vergleich: Mein 2016er Macbook Pro mit Intel Core i7 Quad hat bei Presets wie „Flute Animal“ auch bei hohen Buffer-Werten schnell seine Grenze erreicht.
Der M1 Mac Mini wiederum kratzt selbst bei zehn Spuren mit besagtem Preset kaum an der 30-Prozent-Marke. Auch im Workflow mit Novum braucht das Plugin mit dem älteren Rechner teilweise fünf Sekunden und mehr, um ein Preset zu laden oder zu verändern. Beim System mit Apple-Silicon-Prozessor (nativ von Novum unterstützt) werden die Änderungen und Wechsel ohne Verzögerung vorgenommen.
Fazit
Novum bringt eine Vielfalt in der Soundpalette, einen Workflow für das Sounddesign und eine Verspieltheit mit, die das Plugin für mich mit einem Schlag auf Augenhöhe mit dem Primus in Sachen Filmmusik und Pad-Sounds für die Unendlichkeit Features bringt: Absynth 5.
Im Gegensatz zum von Native Instrument leider sträflich vernachlässigten Semi-Modular-Synth hat Dawesome Novum auch noch eine Zugänglichkeit, was das Sounddesign betrifft, verpasst, mit der man sich schnell nächtelang im Instrument verliert.
Novum die etwas höhere CPU-Belastung als Minuspunkt anzukreiden, wäre bei einem Granular-Synth in etwa so, wie bei einem Analog-Synth zu monieren, dass er zu dumpf klingt, wenn der Cutoff auf niedrige Werte gestellt ist.
Features
- Granular-Synthesizer mit Machine Learning zum Aufsplitten von Audio-Material
- sechs Layer mit jeweils eigener Klangfarbe und Lautstärkeverlauf
- jeder Layer kann mit Layern aus anderen Sounds getauscht werden
- in jedem Layer können Granular-Engine, Tonhöhe und Geschwindigkeit separat eingestellt und moduliert werden
- Import von eigenem Audiomaterial: Wav und Flac
- sechs Filter (Low-Pass 24, Low-Pass 12, High-Pass 24, High-Pass 12, Band-Pass 12, Band-Pass 24)
- Syntify-Modul zur Erzeugung zusätzlicher Obertöne
- Dirt-Modul für Verzerrung
- Distortion-Modul mit vier Verzerrungsalgorithmen: Soft, Hard, Noise, BRTZ,
- automatische Erkennung der Tonhöhe des Originals
- 6 Effekte: Cloud-Reverb, Shimmer-Reverb, Reverb, Delay, Chorus, Phaser, auf Wunsch mit eigenem Effektweg (separat zum Hauptsignal)
- 9 MIDI-Modulatoren: Pressure (MPE), Slide (MPE), Velocity, Lift (MPE), Glide (MPE), PB Wheel, Keytrack, CC, Modwheel
- 4 interne Modulatoren: LFO, Envelope, Step, Random
- ca. 300 Presets
- Systemvoraussetzungen: MacOS ab 10.13 (Apple Silicon wird nativ unterstützt): AU / VST 3
- Windows ab 10 (64 Bit): VST 3
- SSD empfohlen
- sehr musikalische Presets
- schnelles Sounddesign durch Vermischung von eigenen Samples und Presets
- ungewöhnliche Granular-Engine für ganz eigene Sounds
- einfaches Presets-mischen durch Verriegeln des Samples
- kein Contra
Preis
Einführungspreis: 125 USD (Straßenpreis 18.06.2022, bis zum 02.07.2022),
danach 179 Dollar
Micha sagt:
#1 - 21.06.2022 um 10:26 Uhr
Der Bewertung stimme ich voll zu. Es ist einfach genial wie spielerisch man mit diesem Synth seine Samples derart verändern kann, sodass auch diese musikalisch brauchbar sind. Das war für mich immer das große Problem dieser Syntheseform, wenn man nicht Ambient Musik macht. Ich gebe dem Teil sogar 6 Sterne.