In diesem Workshop erfahrt ihr alles über den deutschen Schlagzeuger Jaki Liebezeit, der in den Siebzigern mit den Krautrock-Legenden CAN die Popmusik revolutionierte. Jakis „human loops“ bildeten die Spielwiese für die ureigene Melange aus Free Jazz und Psychedelic Rock der selbsternannten Anti-Rocker aus Köln, auf die sich heute noch viele populäre Bands wie zum Beispiel Radiohead berufen.
Es war vor allem Jakis präziser, repetitiver Stil am Schlagzeug, der die „kosmische Musik“ von CAN für gemeine Ohren erst zugänglich machte. Jaki war seiner Zeit voraus und seine Beats zu Songs wie „Halleluwah“ oder „Vitamin C“ klingen noch heute, nach 50 Jahren, so frisch wie nie!
Stil und Einflüsse von Jaki Liebezeit: Von absoluter Freiheit zur bewussten Reduktion
Hans „Jaki“ Liebezeit wurde 1938 in Dresden geboren und verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Kassel. Sein erstes Instrument war die Trompete, doch wechselte er bald darauf zum Schlagzeug. Er erspielte sich schnell den Ruf eines ausgezeichneten Jazztrommlers und jammte sogar mit Legenden wie Chet Baker. 1965 trat er der Band des Trompeters Manfred Schoof bei, die als erste Free-Jazz-Band Europas gilt.
Im Jahr 1968 gründete Jaki schließlich mit Holger Czukay, Irmin Schmidt und Michael Karoli die Band CAN, die sich schnell neben Bands wie Kraftwerk und NEU! zum internationalen Aushängeschild der deutschen Musikszene etablieren sollte. Politisch sahen sie sich als Teil der Studentenbewegung, so steht ihr Bandname für: Communism, Anarchism und Nihilism. Musikalisch setzten sich CAN zum Ziel, konventionelle Songstrukturen aufzubrechen und abseits des Mainstreams neue Ausdrucksformen in der Musik zu suchen – eine der bekanntesten Krautrock-Bands war geboren!
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You must play monotonous!
Als versierter Jazztrommler wäre es Jaki nicht schwer gefallen, die ausufernden Jams von CAN mit freien, ausladenden Improvisationen am Schlagzeug zu untermalen. Umso spannender ist, dass er genau das Gegenteil machte. Die Initialzündung hierfür beschreibt er in der BBC-Dokumentation „Krautrock – The Rebirth of Germany“ folgendermaßen:
„A guy came to me and said ‚you must play monotonous‘ (…) So I started to repeat things.“ (Jaki Liebezeit)
Jaki kultivierte fortan einen exakten, für damalige Ohren gar monotonen Stil. Gepaart mit dem bewussten Verzicht auf ausladende Fill-ins, wurden seine „human loops“ schnell zum Markenzeichen von CAN.
„Jaki spielt wie eine Maschine, nur besser.“ (Holger Czukay, Bassist bei CAN)
Welchen Einfluss Jakis Schlagzeugspiel nicht nur auf den Sound von CAN, sondern bis heute auf die gesamte Popularmusik hat, lässt sich allein anhand der unzähligen Produktionen erahnen, bei denen Samples von CAN benutzt wurden. Mit ihrer einzigartigen Mischung aus Hippie-Klangwelten und Jakis gestochen scharfen Beats wird CAN mittlerweile als eine der einflussreichsten deutschen Bands und als Wegbereiter für spätere Stile wie Hip-Hop, Techno, Drum & Bass oder Post-Punk gesehen. Nicht zuletzt nennen Bands wie Sonic Youth, Radiohead und The Mars Volta ihre Musik als großen Einfluss. Unter den vielen Alben zählen „Tago Mago“ von 1971 und „Ege Bamyasi“ von 1972 sicherlich zu den bekanntesten Veröffentlichungen der Band.
CAN: Das Studio wird zum Instrument
Das „Ege Bamyasi“ Album von 1972 ist ein gutes Beispiel für CANs Arbeitsweise und war die erste Produktion, die die Band im eigenen Tonstudio, einem umfunktionierten Kinosaal in Köln, aufnahm. Als selbsternannte „Anti-Rockband“ verzichteten sie dabei konsequent auf auskomponierte Songstrukturen und zelebrierten vielmehr ausufernde Jams, die sie mit jeglichen Effekten der damaligen Studiotechnik anreicherten. So kommt auf „Ege Bamyasi“ unter anderem eine, zum damaligen Zeitpunkt soeben erst auf dem Markt erschienene, Roland TR-77 Drum Machine zum Einsatz, mit der Jakis Drumming bei Songs wie „Spoon“ oder „One More Night“ angereichert wurde – damals eine noch recht ungewöhnliche Technik, die heute bei Studioproduktionen allgegenwärtig ist.
Jaki Liebezeit und die Zeit nach CAN
Nachdem sich CAN nach zehn Jahren schließlich 1978 auflösten (es sollten nur wenige kleine gemeinsame Projekte folgen), wirkte Jaki zunächst als Studiomusiker an verschiedenen Produktionen, unter anderem von Gianna Nannini, Depeche Mode und Brian Eno, mit. So ist er etwa auch auf Joachim Witts „Goldener Reiter“ am Schlagzeug zu hören. Anfang der Achtzigerjahre startete er zudem verschiedene Projekte, von denen Club Off Chaos wohl die meiste Aufmerksamkeit bekam.
“So I’ve given up the foot pedals” (Jaki Liebezeit)
Zuletzt war Jaki besonders mit dem Soundtüftler Burnt Friedman aktiv, mit dem er einige Alben herausbrachte. Ein gutes Beispiel für die recht spezielle Musik des Duos ist beispielsweise die Albumreihe „Secret Rhythms“. Ihre instrumentale Musik war unter anderem davon gekennzeichnet, dass sich Jaki auf das Spielen mit den Händen konzentrierte, folglich ein Drumset ohne ein einziges Fußpedal benutzte. Im Modern Drummer Magazin findet man dazu das folgende Statement:
“I play standing up, using a modified 16″ floor tom for a ‘bass drum’ sound. By striking with my hand, I can make a much bigger impact. And with the sequencers we use, I don’t have to play a hi-hat rhythm all the time. I can play more tom-oriented beats. I also use timpani, gongs, a 10″ snare, and smaller toms, which cause less problems when recording. I’m really happy with this setup. It requires a different technique.” (Jaki Liebezeit, Modern Drummer Magazin)
Jaki Liebzeit / Can Workshop
Pa-ra-did-dle Pa-ra-did-dle…
Oh ja, es gibt ihn, den typischen Jaki Liebezeit Beat! Zwar gibt es nicht das Pattern, das er immer wieder gleich spielte, aber immerhin liegt einigen Songs auf einflussreichen CAN-Alben wie „Soundtracks“, „Tago Mago“ und „Ege Bamyasi“ dasselbe Beat-Schema zugrunde. Dabei handelt es sich um das bekannte Rudiment „Paradiddle“ (RLRR LRLL), das zwischen Bassdrum und Snare verteilt wird. Die Hi-Hat markiert dabei den Viertelpuls, was das Ganze charmant zusammenhält. Daraus ergibt sich folgende Phrase:
Zwar spielt Jaki in keinem der folgenden Beispiele exakt den obigen Beat, jedoch eindeutige Variationen daraus:
„Halleluwah“
Das erste Beispiel aus Jakis Feder, das dem oben beschriebenen Beat-Schema unterliegt, ist dem Song „Halleluwah“ vom Album „Tago Mago“ entnommen. Gemeinsam mit der Bassgitarre entsteht hier ein hypnotischer Loop, der aus gutem Grund später unzählige Male gesampled wurde.
Hier könnt ihr euch eine Liveperformance von „Halleluwah“ anschauen:
„Mushroom“
Ebenfalls auf „Tago Mago“ zu finden ist „Mushroom“, ein Song, dessen Groove ebenfalls auf den oben beschriebenen Paradiddle-Beat als Grundmuster zurückgeführt werden kann. Hier erfordert das höhere Tempo ein gewisses Maß an Hand- und Fußtechnik, um die Ghostnotes und die Bassdrum-Schläge wirklich sauber klingen zu lassen. Hier seht ihr die ersten Takte des Songs:
„Vitamin C“
Wie „Mushroom“ liegt auch „Vitamin C“ weit oberhalb der 100 bpm. In diesem Beispiel ergänzt Jaki den gebrochenen Paradiddle-Beat mit kurzen Fill-ins auf der Snare und dem Racktom.
„Tango Whiskeyman“
Ein älteres Beispiel für Jakis Affinität zu Paradiddle-Beats findet man auf der 1970er Compilation „Soundtracks“. Der Song „Tango Whiskeyman“ startet zunächst mit einem mysteriös-getragenen Tango-Beat, geht jedoch nach kurzer Zeit in eine erneute Variation des Paradiddle-Beats über. Klanglich ist hierbei zu erwähnen, dass Jaki die Snare mit gelöstem Snareteppich spielt, was dem Beat einen trockenen und perkussiven Sound verleiht.
„Mother Sky“
Natürlich gibt es auch unzählige Jaki Liebezeit Beats ohne jegliche Anleihen eines Paradiddles! Einen davon finden wir im Song „Mother Sky“ auf dem „Soundtracks“-Album. Hier spielt Jaki einen treibenden Achtelbeat, der stark an den einflussreichen „Motorik-Beat“ von Klaus Dinger (Kraftwerk, NEU!) erinnert. Im Verlauf des Songs variiert Jaki durchgehend das Bassdrum-Pattern und wechselt immer mal wieder von der Hi-Hat zum Ridebecken, während er grundsätzlich über die gesamte Dauer des Songs (etwa 15 Minuten!) den treibenden Achtelpuls hält.
Weitere Infos zum Motorik-Beat:
„I’m So Green“
„I’m So Green“ ist ein für Liebezeit-Verhältnisse recht entspannter Beat, der mit den leicht geshuffleten Ghostnotes an Beispiele von James Brown erinnert.
„One More Night“
Zuletzt schauen wir uns noch den Song „One More Night“ an, der sich allein aufgrund seines ungeraden Taktmaßes von den vorherigen Beispielen unterscheidet. In der Albumversion kommt bei diesem Song die bereits angesprochene Roland TR-77 Drum Machine zum Einsatz, mit der Jakis Drumming angereichert wurde und dadurch den ultimativen Loop-Charakter bekam.
Im weiteren Verlauf von „One More Night“ spielt Jaki spannende Variationen, indem er die Bassdrum-Schläge teils um eine Sechzehntel versetzt.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Anhören und Nachspielen der Soundfiles. Bis zum nächsten Mal!
Jonas
Knecht ruprecht sagt:
#1 - 04.04.2023 um 06:48 Uhr
Der Artikel war längst überfällig!Sehr nett von euch,mal die schlagzeuger vorzustellen,die nicht so häufig genannt werden. Allerdings spielt liebezeit auf "mother sky" (Aufnahme:1969)eine durchlaufende 8tel bassdrum,die Dinger zwei Jahre später für neu! übernommen hat.