Bachelor of Music in der Tasche – und jetzt? So schafft ihr den Übergang vom Studium zum Berufsmusiker

So schön es ist, sein Studium abzuschließen (für die vielen Langzeitstudierenden trifft das nicht ganz zu, ich weiß), so beängstigend können die Fragen zur Zukunft sein. Wer seinen Abschluss in der Tasche hat, muss sich – wenn nicht schon getan – überlegen, wie es danach weitergeht. Damit der Berufseinstieg gelingt, solltest du dir ganz grundlegende Fragen stellen: Was ist dir wichtiger, Sicherheit oder Freiheit? Ein geregelter Tagesablauf oder die freie Zeiteinteilung? Einen Chef haben oder selbst Chef sein? Selbstverwirklichung oder eher ein Leben in der Komfortzone? Wissen, was kommt – privat, beruflich und finanziell? Was macht dich glücklich?

(Bild: © Shutterstock, Foto von PrinceOfLove)
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Es gibt so viele Fragen, zu denen es keine pauschalen Antworten gibt, da sie sehr individuell sind. Jeder hat seine eigenen Wünsche, Pläne und Erwartungen, die sich im Laufe der Zeit nochmal völlig ändern können. Ich werde euch in diesem Feature die Arbeitsrealität von Musikerinnen und Musikern vorstellen und erklären, was sie mit den eingangs gestellten Fragen zu tun hat.

Willkommen in der Berufsrealität

Feiertage, Urlaubstage, Feierabend, Wochenende. Weihnachtsgeld, Beförderung, Gehaltserhöhung – wer selbstständig ist, kann sich davon verabschieden. Und um den immens hohen Beitrag zur Krankenkasse zu umgehen, muss man sich bei der Künstlersozialkasse (kurz KSK) anmelden, denn dort ist der Beitrag wesentlich geringer. Wenn du nach diesen Formalia anfängst, dich z. B. bei Musikschulen vorzustellen, wirst du feststellen, dass du nicht allzu viele Möglichkeiten hast, dich zu bewerben und von der Musik zu leben. Wenn du krank bist, verdienst du kein Geld. Unbefristete Arbeitsverträge, verbeamtet auf Lebenszeit? To-Dos abhaken und mal mit irgendwas fertig werden? Netter Gedanke, die Realität sieht allerdings ganz anders aus.

Zeiteinteilung

Niemand wird dich fragen, wann du als freiberuflicher Musiker (ohne pädagogische Lehrtätigkeit wie z. B. MFE, Musikschule, Band-AGs an Schulen) unter der Woche aufstehst und ob du deine “Hausaufgaben fürs Wochenende” schon gemacht hast. Sich seine Zeit realistisch einzuteilen ist etwas, dass auch nach jahrelanger Berufserfahrung sehr schwierig ist. Besonders, wenn man eine Portion zu viel Optimismus und Gelassenheit in sich hat. Mangelnde Selbstdisziplin kann einem da manchmal ganz schön viele Nerven kosten. Prokrastination, also das Aufschieben von anstehenden Aufgaben, ist ein großes Thema im Alltag eines Musikers und ist meiner Beobachtung nach im gewissen Maße auch gut und gesund: Künstlerisch-kreative Menschen brauchen mal Tage oder Phasen im Jahr, die nicht produktiv oder weniger effizient sind. Dieser permanente Nutzwahn, dass bei allem, was man tut, etwas herauskommen muss, ist nicht gut für Kreative. Diese Dynamik im Gleichgewicht zu halten, ist nicht einfach, da die Grenze zu einer psychischen und finanziellen Belastung leider oftmals sehr fließend ist. Da hilft etwas, wovon der Mensch heute zu wenig hat: Rituale. Rituale sind sehr wichtig für uns und unser alltägliches Leben. Sie sind dafür da, Tage ohne Termine zu strukturieren und über banale Dinge nicht ständig neu nachdenken zu müssen. Das spart Zeit und Gedanken.

Ein Wochentag wie kein anderer

Du unterrichtest beispielsweise immer dienstags von 13.30-19.00 Uhr Gitarre an einer Musikschule. Um 12.45 Uhr musst du los. Bis dahin solltest du für ein paar Schüler neue Stücke rausgesucht und aufgeschrieben haben, dir was vorkochen oder einpacken, dafür ggf. noch einkaufen, vielleicht noch Sport machen oder ein paar Mails beantworten und die sozialen Medien bedienen. Vielleicht spielst du abends ein Covergig. Hast du das Set drauf? Je nachdem, wann du die Songs das letzte Mal gespielt hast, musst du welche auffrischen oder neu einstudieren. Oder du steckst gerade in einer intensiven Theaterproduktion und in Rücksprache mit dem Regisseur sind ein paar Anschlüsse und Übergänge noch unklar. Bei der nächsten Probe muss das sitzen. Viele von uns arbeiten intensiv im Bereich Songwriting oder Studio. Du hast demnächst wieder eine Songwriting-Session und das Briefing dazu ist nicht gut. Mit ein paar Mal Ping-Pong-Mailverkehr einkalkuliert musst du rechtzeitig nachfragen, damit du dich noch vorbereiten kannst. Das Gleiche gilt, wenn du eine Solokünstlerin oder Band bei dir im Studio hast und zusammen an der neuen Platte gearbeitet wird. Du als Produzent musst gut vorbereitet sein, wenn die Sängerin jedes Mal aus Hamburg nach Berlin anreist und die geblockten Studiotage rar sind. Vielleicht leitest du auch den Popchor der Musikschule und das letzte Arrangement war nicht ideal für die Größe der Stimmgruppen und zu schwierig. Was auch immer du zu tun hast: Schreibe dir immer auf, was bis wann erledigt sein muss und wie dringend oder wichtig dieser Punkt auf deiner heutigen To-Do-Liste ist! Tausche dich mit anderen Musikerinnen und Musikern aus, wie diese sich organisieren. Es gibt eine Vielzahl an Plattformen und Tools, die speziell für das Thema “Selbstorganisation” konzipiert wurden.

Das Musikerleben in Phasen

Der Alltag der meisten Musikerinnen und Musiker ist schon abwechslungsreich und abenteuerlich genug: Wie gerade exemplarisch beschrieben, ist fast jeder Tag anders. Mal arbeitest du allein von zuhause aus – wahlweise am Rechner oder Instrument – mal bist du nonstop unter Menschen in der Musikschule, im Studio oder auf Tour. Musikerinnen und Musiker leben in Phasen oder es wechseln sich die Tage ab, an denen man allein oder mit Menschen Musik macht. Die Tätigkeitsfelder und Aufgabenbereiche, die als Selbstständige/r auf dich zukommen, sind berufsübergreifend: Im Laufe der Jahre eignen sich die meisten ein passables Halbwissen aus den Branchen Medien, Jura, BWL, Marketing, Rechnungswesen, Öffentlichkeitsarbeit, Journalismus, Social Media, Marketing, Pädagogik und Didaktik, Tonmeister usw. an. Und ich habe bestimmt noch Bereiche vergessen – ganz bestimmt!
Es ist eine große Herausforderung, all diese Anforderungen tagtäglich zu meistern. Und wenn man ohne jegliche Unterstützung aus der Musikbranche alles selbst und allein macht, ist man permanent unter Strom und (Zeit-) Druck. Daher ist es wichtig, langfristig auf eine Arbeitsaufteilung hinzuarbeiten, die einen wirklich entlastet und einzelne Bereiche wie Booking oder Promotion abnimmt, womit wir beim nächsten wichtigen Punkt wären.

Connecten & Co.

Vitamin B ist das A und O. Du musst dich zeigen und netzwerken. Leute kennenlernen, die wiederum gut vernetzt sind – am besten branchenübergreifend. Die dich subben lassen bei der nächsten Tour, dir gut bezahlte Jobs z. B. in der Schlagerszene oder auf dem Kreuzfahrtschiff anbieten oder eine Unterrichtsvertretung machen lassen. Musikerinnen und Musiker kennenlernen, die an einem anderen Punkt stehen und eine (viel) höhere und vielseitigere Jobdichte haben als du nach dem Studium. Wenn du einmal einen Fuß in der Tür hast, ist das die halbe Miete. Dann liegt es “nur noch” an dir, dass du zuverlässig und sympathisch deinen Job machst. An deinem Know-how oder Handwerk liegt es an den wenigsten Jobs auf dem freien Musikmarkt und erst recht nicht an deinem Abschluss, da fragt nämlich ehrlich gesagt (fast) keiner nach – außer der oder die Studiengangsleitung eines Masterstudienganges oder vereinzelt MusikschulleiterInnen.
Unterschätze diesen Austausch nicht. Er ist der wichtigste und gleichzeitig kostet er dich vielleicht die größte Überwindung und viel Energie. Mit den Jahren wirst du weniger steif sein oder es fühlt sich weniger nach “anbiedern” an, auf unbekannte Leute zuzugehen und sich vorzustellen. Die meisten Musikerinnen und Musiker sind vor allem durch ihr berufliches und soziales Umfeld dahin gekommen, wo sie heute stehen, oder sie haben tatsächlich à la Musikbranchenmärchen diesen einen Menschen getroffen, glücklicherweise natürlich zur richtigen Zeit an dem richtigen Ort, der genau die Türen geöffnet hat, bei denen man mit seinem “Do-It-Yourself-Survival-Kit” immer nur die Türklinke berührt.

Machen und immer weitermachen

Setze dir realistische Ziele und arbeite darauf hin! Um Missverständnisse zu vermeiden: Mit “warten” wird oftmals ein passiver Zustand assoziiert. In diesem Zusammenhang verbinde ich es mit einem aktiven Lebensstil, der auf ein bestimmtes, von mir persönlich definiertes Ziel hinarbeitet: Wann komme ich an den Punkt, an dem ich mehr ernte, als ich sähe und meine Lebenssituation für mich zufriedenstellend ist? Das Arbeitspensum ins Verhältnis zum Kontostand zu setzen, kann man machen, solltest du aber – besonders in den ersten Jahren der Selbstständigkeit – nicht zu oft machen. Das ist eben der Kompromiss, den du eingehst. Damit möchte ich dieses Missverhältnis nicht rechtfertigen, aber dass du weniger Geld verdienst als die meisten Berufseinsteiger nach dem Studium im Angestelltenverhältnis ist nun mal eine Tatsache, die du in Kauf nehmen musst. Es braucht einfach seine Zeit, bis man Jobs hat, bei denen man gut und wirklich effizient Geld verdient und genug Zeit für sein Projekt und seine Band hat. Ein erfolgreicher Bassist aus Hamburg sagte mal, dass man ca. zehn Jahre ab Studienbeginn rechnen kann, bis die eigene Selbstständigkeit so aufgebaut ist, dass es inhaltlich, finanziell und gesundheitlich (mental und körperlich) cool ist. Wie immer und bei allem gilt natürlich: Eigeninitiative lohnt sich und mit einem langen Atem und gesunden Lebensumständen ist das schneller erreicht, als man erwartet. Wenn Glück dazukommt und du wie gesagt schnell die “richtigen” Leute kennenlernst und dich in Kreisen bewegst, die musikalisch gut laufen, kannst du also durchaus schon nach zwei bis drei Jahren an diesem besagten Punkt sein.

Schwerpunkte anpassen

Manchmal liegt die Ursache einer beruflichen oder finanziellen “Plateauphase” aber auch ganz woanders: Was passiert, wenn du mal an anderen Schrauben drehst und deine Schwerpunkte anders setzt. Prioritäten zu bestimmen kann in Phasen, in denen man unzufrieden ist, sehr hilfreich sein. Dich ärgert, dass du gerade so wenig spielst? Vielleicht steht gerade die Phase Songwriting an. Dann versuche dich darauf zu fokussieren und die Tatsache zu akzeptieren, dass es ein paar Wochen oder Monate ruhiger bei dir und auf deinen Seiten in den sozialen Medien ist.

Alles zu seiner Zeit

Es gibt nicht für alles und jeden einen richtigen Zeitpunkt – manchmal ist eine Menge Geduld gefragt. Wichtig ist hierbei ein ehrliches Gefühl dafür, ob man vielleicht doch schon zu lange auf etwas wartet, das möglicherweise nicht mehr oder in der gewünschten Größenordnung eintrifft.
Oder du versuchst mal, dein Jobportfolio zu erweitern und dich breiter aufzustellen, um weiter zu kommen.

Es gibt so unglaublich viele erfolgreiche Musikerinnen und Musiker, die während des Studiums faul und verplant waren. So großartig sie an ihrem Instrument waren, so schlecht funktionierte ihre Selbstorganisation. Viele von denen sind mittlerweile sehr erfolgreich im freien Musikmarkt tätig. Sie haben sich im Laufe der Jahre stark weiterentwickelt – musikalisch und vor allem menschlich.
Leider gibt es auch die gegenteilige Entwicklung: Musikerinnen und Musiker, die im Studium die “Macher” waren, immer genau wussten, wer sie sind, was sie darstellen wollen und wo sie musikalisch hinwollen. Durch Lebensumstände oder schlichtweg die harte Musikbranche mit Mechanismen, mit denen sie nicht umgehen konnten, haben sie genau das nicht erreicht. Du brauchst eine hohe soziale und emotionale Intelligenz, die dich vor dem Konkurrenzdenken schützt, den privaten und digitalen Vergleichen, der Leistungsgesellschaft, dem immer größer werdenden Anspruch an dich selbst und dein Leben.

Pause auf Knopf- und Zeitdruck

Kannst du abschalten, wenn du weißt, das andere gerade im Studio sind, Konzerte spielen oder im kleinen Kämmerlein Großes planen? Kannst du das aushalten und entspannen, wenn du im Urlaub bist und es genau jetzt an der Zeit ist, das Gehirn durchzupusten und Abstand vom Alltag zu gewinnen? Ich kenne so viele, die es nicht können, nicht in der nötigen Intensität und Konsequenz oder sich sehr schwer damit tun, die nach zwei Wochen auf Reisen wieder zurück wollen, weil sie sich nicht länger auf dieses “Nichtstun für meine Band oder den Stillstand fürs Soloprojekt” einlassen können. So schwer es dir fallen mag: Jeder braucht Pausen, und zwar regelmäßig und mal für einen längeren Zeitraum. Wir sind keine Maschinen, sondern Menschen, sonst würden wir ja nicht so geile Songs schreiben, arrangieren und produzieren, Texte verfassen und Tourneen spielen. Nimm deinen Urlaub als wichtige Pause wahr (und buche frühzeitig, damit nichts dazwischenkommen kann) und gib dir die Chance, Abstand zu gewinnen – so kann sich sogar eine ganz neue Inspiration ergeben.
Und noch was: Warum es cool oder erstrebenswert erscheint, zu sagen, dass man vor drei Jahren zuletzt im Urlaub war (nicht aus finanziellen Gründen), habe ich bis heute nicht verstanden.

Allein unter allen:

Vorbereitung auf hohem Niveau
Viele streben nach Zuneigung, nach Anerkennung und Erfolg. Sie fühlen sich besser, wenn sie mehr arbeiten als andere. Dank der Sozialen Medien wird uns das tagtäglich unter die Nase gerieben. Einige wollen wirklich berühmt werden – wenn es sein muss auch mit Ellenbogen raus. Neben Narzissten und Egoisten gibt es aber auch eine Menge unter uns, die sich gegenseitig unterstützen und helfen, füreinander da sind, sich motivieren und gemeinsam Pläne schmieden.

All diese selbstverliebten, selbstlosen und “gemäßigten” Menschen kommen in der Musikbranche zusammen. Das muss einem klar sein. Jeder, der selbstständig arbeitet, weiß das. Mit diesen Leuten konkurriert man natürlich und wenn man sich stetig weiterentwickeln möchte, darf man nicht nachlassen. Wenn du für einen Job nicht gut genug vorbereitet warst (und du das nicht unbemerkt weg improvisieren konntest), wirst du mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht noch mal gefragt oder weiterempfohlen.
Verliere niemals deine Leidenschaft und die Freude an dem, was du tust und erarbeite dir auf diese Weise deine Chancen und nutze sie. Alles andere regelt schon dein Gefühl.
Barbara

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(Bild: © Shutterstock, Foto von PrinceOfLove)

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