Herbie Hancock gehört zweifellos zu den größten Musikern des 20. und 21. Jahrhunderts. Er war und ist nicht nur als virtuoser Pianist, sondern auch als Komponist in den verschiedensten Genres überaus erfolgreich. Dazu zählen natürlich Jazz, Latin, Fusion, Funk, aber auch elektronische Musik. Für unsere Zunft ist vor allem die Schaffensperiode mit seiner Band The Headhunters in den 1970er-Jahren eine Inspiration. Die geniale Rhythmusgruppe mit Paul Jackson am Bass und Mike Clark am Schlagzeug sorgte für einen komplett neuen Sound. Spielt man als Bassist oder Bassistin gerne gelegentlich auf Sessions, so wird man zwangsläufig mit verschiedenen Klassikern von Herbie Hancock konfrontiert werden. Einer davon ist „Chameleon“: Der Song wird durch eine prägnante Bassline dominiert und das interessante Zusammenspiel mit den Drums ist ebenfalls einen genauen Blick wert. „Chameleon“ gehört definitiv zum Rüstzeug für jede Jam-Session – und in diesem Bass-Workshop lernst du alles, was du über den Song wissen musst!
„Chameleon“ – Video
Hier das Video zum Song:
Eine kurze Anmerkung zu diesem Funk-Klassiker gleich vorneweg: In der Originalaufnahme hört man gegen Mitte des Songs noch einen weiteren Teil, bei dem aber mehr oder weniger gejammt wird.
Ich habe offen gestanden in meiner bisherigen Karriere noch nie erlebt, dass dieser Part tatsächlich auf einer Jam-Session gespielt wurde. Daher konzentriere ich mich heute lieber auf das, was in der realen Welt tatsächlich vorkommt. Paul Jacksons Basis-Groove im Jam-Part findet ihr aber dennoch in der Notation.
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„Chameleon“ – Rhythmik
Rhythmisch gesehen haben wir es mit einem eintaktigen Pattern zu tun. Dessen erste Hälfte ist mithilfe einer Überlagerung (Gruppe von drei Sechzehnteln) synkopiert. Die Akzente liegen auf den Zählzeiten 1, 1te und der 2+.
Interessant ist, dass die Drums den Backbeat ebenfalls auf die 1te antizipieren. Die Snare wird sozusagen eine Sechzehntel nach vorne verschoben. Dadurch entsteht eine Art kleiner „Schluckauf“, der kurz für Verwirrung sorgt. Die zweite Hälfte des Taktes beruhigt die Sache dann wieder und führt zurück zu nächsten 1.
Das Ende des B-Teils, in dessen Verlauf die Bassline gleich bleibt, mündet dann in einen Unisono-Break mit Akzenten auf der 2, der 3+ und der 2+ des folgenden Taktes. Hier muss man unbedingt den Takt sauber zu Ende zählen bzw. empfinden. Der Bass beginnt nämlich wieder mit dem bekannten Auftakt und führt den Rest der Band zurück in den A-Teil.
„Chameleon“ – Tonmaterial
„Chameleon“ kann man der Skala Bb-dorisch (Bb, C, Db, Eb, F, G, Ab) zuordnen. Die Akkorde Bbm7 und Eb7 sind zwar zweite und vierte Stufe von Ab-Dur, zur ersten Stufe Ab wird aber nie aufgelöst. Gleichbleibende Tonalitäten dieser Art nennt man im Fachbegriff „modal“. Es wird also eher ein gewisser Sound erzeugt als eine Kadenz bzw. Akkordfolge einer bestimmter Tonart.
Das melodische Motiv der Bassline besteht beim Bbm7-Akkord aus Grundton, Quinte und Oktave. Beim Eb7-Akkord hingegen besteht sie aus Grundton, Quinte und Septime: Kleiner Trick, große Wirkung! Zum Grundton beider Akkorde leitet Paul Jackson jeweils mit drei chromatischen Leittönen hin.
„Chameleon“ – Basssound
Auf der Studioaufnahme hört man hauptsächlich einen Keyboard-Bass. Dies lässt uns zwei Optionen: Entweder lösen wir uns komplett vom Original und spielen „Chameleon“ mit einem „normalen“ Basssound, oder wir versuchen, diesen Synthie-Sound zu imitieren.
Hier ist in erster Linie ein Envelope Filter (Auto Wah) hilfreich. Das macht natürlich richtig Laune, ist aber auch ganz sicher kein Muss. Gerade auf einer Session hat man aber natürlich eher selten sein Pedalboard dabei – erlaubt ist also, was Spaß macht und im betreffenden Moment gut funktioniert!
„Chameleon“ – Transkription
Hier findet ihr die Noten, TABs und die von mir eingespielten Klangbeispiele.
Viel Spaß und bis zum nächsten Mal, euer Thomas Meinlschmidt