Native Instruments Traktor ist neben Serato die wichtigste professionelle DJ-Software. Ob nun Mixen nur mit dem Laptop, mit DVS-Unterstützung oder den eigenen hochspezialisierten Controllern: Traktor hat entscheidend das Bild des digitalen DJs geprägt, gefördert und Innovationen wie Loops, Beatjump, Remixdecks, Stemdecks und nicht zuletzt den berühmt-berüchtigten Sync-Button in die DJ-Kultur eingeführt. Anlässlich der Veröffentlichung von Traktor Pro 3 und den ebenfalls brandneuen Controllern Kontrol S4 MK3 und Kontrol S2 MK3 traf Bonedo die Person bei NI, die Traktor von Anfang an begleitet hat: Traktor Product Owner Friedemann Becker.
Nach einem Rückblick auf zwei Jahrzehnte digitales DJing schaut Becker nun nach vorn, erklärt Traktor Pro 3, wie es dazu kam und was sonst noch kommt.
Neuer Controller, neues Glück
Traktor Pro 3 ist da. Und kommt nicht allein: es gibt einen neuen innovativen Hardwarecontroller: den Kontrol S4 MK3 mit motorisierten Jogwheels, den sogenannten „Haptic Drives“, die ein authentisches Vinyl-Gefühl vermitteln sollen. Ich durfte in den NI-Headquarters bereits vor der Veröffentlichung Hand an einen Kontrol S4 MK3 mit der Firmware-Version 0.4.5 legen.
Dem Bonedo-Test will ich hier gar nicht vorgreifen, aber meine ersten Eindrücke, nachdem ich das Gerät auspacken konnte, nicht vorenthalten, denn der neue Traktor-Controller macht schon richtig Spaß. Er fühlt sich schön wertig an und meine Skepsis gegenüber den motorisierten Jogwheels war sehr schnell verflogen. Die drehen sich tatsächlich und haben ordentlich Kraft dahinter – Magnetkraft macht es möglich.
Dabei ist der Controller nicht besonders schwer, aber größer als seine Vorgänger S4 und S5 und wirkt viel wertiger. Das NI-Faible für Materialien-Mix zwischen glänzend und matt teile ich nicht unbedingt, aber der S4 MK3 macht designmäßig und haptisch einen soliden, nüchternen und professionellen Eindruck, auch weil die bunten RGB-Pads dezenter beleuchtet sind. Solide Qualität! Die neue Anordnung der Bedienelemente nickt ein wenig in Richtung Pioneer, aber nachdem sich die Japaner schon so viel von den Berlinern abgeschaut haben, dürfen die jetzt auch einmal.
Von den großen Displays hat NI Abstand genommen und das zu Recht, denn wer sowieso schon seinen Laptop mitschleppt, kann dann gefälligst auch drauf schauen und braucht nicht zwingend ein zusätzliches Mäusekino. Die nun verbauten kleineren Displays dagegen stellen wichtige Infos zum Spielstatus des Tracks klar und deutlich dort bereit, wo DJ sie braucht: direkt vor der Nase. Eine gute Entscheidung.
Richtig viel Spaß hat mir der kleine feine Step-Sequenzer gemacht. Ohne großes Brimborium mit Version 2.11 vorgestellt blieb der Step-Sequenzer immer etwas unter dem Radar. Bei meinem kurzen Test Mix lagen vier 808-Drums auf dem Step-Sequenzer an, Bassdrum, Snare und Hi-Hats und ruckzuck war ein schlichter unterstützender Beat Loop programmiert. Das kann in manchen DJ-Situationen Gold wert sein. Alles weitere folgt im Test
Diskussionen wird es darüber geben, dass NI anders als bei den S4-Vorläufern die Pitchfader und Browse-Funktionen rechts auf den Decks platziert hat. Der linke und der rechte „Player“ sind jetzt identisch und wirken wie zwei autarke Einheiten. Womöglich ein Zugeständnis an CDJ-Jocks und Turntablisten, die das nicht anders gewohnt sind? Denn gerade auf die Turntable-Fraktion hat es NI mit dem S4 MK3 und seinen beeindruckenden Haptic-Drive-Jogwheels womöglich abgesehen. Die Haptik der Wheels ist näher dran am Technics 1210 als so mancher Billig-DJ-Plattenspieler und sorgt für verlässliches „nudgen“, also das manuelle Angleichen minimaler Geschwindigkeitsunterschiede.
Wer auch mal handgemachte Musik wie Soul und Funk mit Traktor auflegt, wo die Beats eben nicht geradegebügelt daherkommen und deshalb das Beatgrid versagt, der weiß um die Wichtigkeit vernünftiger Jogwheels.
Mit den herkömmlichen Wheels der letzten Generation ist das Nachpitchen solcher Tracks oft ein Himmelfahrtskommando. Die neuen „Teller“ dagegen schreien fast schon danach, den Rhythmus zu reiten und die Beats aneinander reiben zu lassen. Ein bisschen pushen, ein wenig draggen, das geht mit dem S4 MK3 besser als mit jedem anderen real-existierenden Controller. Aber wie viel Zuspruch die Jogwheels letztlich finden werden und ob sie dann so lange halten, wie meine Wheels of Steel von 1992 (26 Jahre!), das muss die Zukunft zeigen.
Vorerst bleibt zu prognostizieren, dass Native Instruments einen beeindruckenden Controller vorgelegt haben, der alles hat, was DJ braucht: Decks, FX und ne Drum-Machine. Und einen Booth-Out. Und einen USB-Hub. Und einen wirklich lauten Kopfhörerausgang dank dem verbesserten Audio-Interface, das endlich auch in Sachen Ausgangslautstärke den CDJs Paroli bieten soll.
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Innere Werte
Die Software wurde ebenfalls überarbeitet, es gibt Mixer-Effects (ähnlich wie die Pioneer Color-FX), ein überarbeitetes, dunkleres User-Interface und einen verbesserten Timestretching- und Pitchshifting-Algorithmus, den élastiquePro V3, lizensiert von zplane.
Ist das also schon das versprochene, runderneuerte Traktor? Nein, denn wie wir schon vor einem halben Jahr berichteten, wird der Traktor zweigleisig in die Zukunft fahren. Und Traktor Pro 3 ist noch nicht die runderneuerte Traktor-Version, sondern der Nachfolger von Traktor 2.11. Aber dennoch die Profi-Version, denn der „neue“ Traktor wird noch etwas Zeit brauchen …
Interview mit Friedemann Becker (NI)
Friedemann Becker: „Wir arbeiten gerade parallel an zwei verschiedenen Traktor-Versionen. Wir haben vor ca. einem Jahr angefangen, Traktor komplett neu aufzusetzen. Das ist aber nicht das Traktor Pro 3, was jetzt auf den Markt kommt, sondern es ist eine Parallelentwicklung. So etwas kostet Zeit und wir werden diese neue Software Schritt für Schritt in enger Abstimmung mit den Usern größer machen. Deshalb werden wir das aktuelle Traktor Pro für mehrere Jahre weiter pflegen.“
Was hat es mit der neuen Hardware auf sich?
Friedemann Becker: „Wir haben viel Zeit damit verbracht, die neue Hardware vernünftig zu unterstützen. Das Besondere am neuen Kontrol S4 MK3 ist der „Haptic Drive“, eine revolutionäre neue Technik, die es in dieser Weise vorher nicht gab. Es gibt statische Jogwheels wie bei den CDJs, es gibt diese „Turntable-artigen“ Controller mit Turntable-Motor und einer Scheibe mit einer Spindel, während der Haptic Drive ein Jogwheel mit einem intelligenten Motor ist, der in Abhängigkeit davon, wo du es berührst ein komplett unterschiedliches Verhalten zeigen kann.
Nudged man außen am Rand, baut das Haptic Drive einen sehr starken Torque auf. Wenn man seine Hand in der Mitte des Jogwheels drauflegt, dann ist das Haptic Drive auf einmal ganz leicht anzuhalten, so wie eine Schallplatte auf der Slipmat. Man kann mit dem Motor aber auch Cue-Punkte spürbar machen. Man fühlt sie beim suchen und scratchen, wie Kerben auf der Platte. Wir erwarten uns durch diese Neuerungen eine ganz neue Nähe zur Musik, ähnlich wie bei einer echten Schallplatte. Das Jogwheel dreht sich tatsächlich wie ein Turntable und aufgrund der sehr hohen Auflösung des Haptic Drives kann man damit auch sehr gut händisch beatmatchen.
Ist denn DVS nun zum Aussterben verdammt?
Friedemann Becker: „Im Vergleich zu heute war die Situation im Club ja früher völlig anders: jeder Club hatte einen Mixer und zwei Plattenspieler und manche hatten vielleicht auch noch CD-Player. Die beiden Traktor Scratch Vinyl in der Tasche ersetzten zusammen mit dem Laptop deinen ganzen Plattenkoffer. Heutzutage ist es fast schon eine Rarität, wenn ein Club noch zwei Turntables auf den Tisch stellt. Ich denke deshalb, dass die Zeit von DVS-Systemen so langsam zu Ende geht.“
Ist manuelles Pitchen ein Relikt aus der Vergangenheit?
Friedemann Becker: „Gerade neulich habe ich mit Chris Liebing darüber gesprochen und meinte, dass er inzwischen wieder viel mehr von Hand pitcht. Zum Beispiel, wenn er mit Speedy J also Collabs 3000 auf die Bühne geht, sind ihre Setups nicht gelinkt, sondern sie syncen sich gegenseitig von Hand ein. Aber auch wenn er allein auf vier Decks spielt nutzt er Sync nur dafür die Tempi der Tracks initial anzugleichen, aber nudged danach immer noch nach, weil er mit unterschiedlichen Offsets ganz unterschiedliche Spannungen in den Mix bringen kann.
Noch besser ist es, meinte er, wenn der Track wie früher immer wieder leicht rauswandert und man nachjustieren muss, weil dann eine viel größere Dynamik im Set entsteht. Insofern meine ich, dass manuelles Pitchen kein Relikt ist, sondern zum Wesen des DJings gehört.
Also ist das Main Feature von Traktor Pro 3 tatsächlich die Unterstützung des Kontrol S4 MK3?
Friedemann Becker: „Das kann man so sagen. Es gibt noch ein paar andere Features, die für den Pro-User interessant sind. Durch die Trennung von Traktor Pro und dem neuen Traktor legen wir bei Traktor Pro mehr Wert auf den professionellen User. Wir haben das Metering komplett überarbeitet, wir haben das Master-Meter sehr lang gemacht, wir haben einen neuen transparenteren und sehr neutralen Limiter eingebaut, der aus Maschine kommt. Es gibt jetzt auch eine Anzeige, wie stark der Limiter eingreift.
Wir reagieren damit auf die Kritik mancher Anwender, dass Traktor im Vergleich zu den CDJs nicht laut genug sei und das ist eigentlich immer der nicht richtigen Einstellung von Traktor geschuldet, weil Traktor als All-in-One-System praktisch ohne großen Headroom mit bis zu 16 Stereo-Tracks gegen ein reines Stereogerät konkurrieren musste. Da haben wir nun enorm viel nachgelegt.
Es gibt einen neuen Keylock-Algorithmus, mit dem man bis zu vier Halbtöne rauf und runter pitchen kann, ohne etwas Störendes zu hören. Außerdem haben wir jetzt auch Channel-Effekte eingeführt. In jedem Kanal gibt es jetzt zusätzlich zum Filter acht verschiedene Effekte. Die sind so parametrisiert, dass es in der Mitte neutral ist, nach rechts wird ein Highpass-ähnlicher Build-Up ausgelöst, nach links gedreht wird es dumpfer und eignet sich gut zum rausmixen. Dieses Kanaleffekte sind bereits so konfiguriert, dass du nur noch einen Knopf drehen musst, um beeindruckende Effekte zu erzeugen.”
Sind die Clubs ein Markt, aus dem sich NI nun langsam verabschiedet oder wollt ihr versuchen – ähnlich wie Denon – an das Pioneer-Biotop anzudocken oder euer eigenes Biotop zu etablieren?
Friedemann Becker: „Wenn wir sagen: Traktor is back!, dann meinen wir das durchaus breiter, als das es nur eine neue Software gibt. Gerade durch die Connection zum produzierenden DJ haben wir ein Alleinstellungsmerkmal. Traktor wird zukünftig in der DJ-Booth wieder häufiger zu sehen sind, auf welche Art auch immer. Lasst Euch überraschen!
PlanNine sagt:
#1 - 30.01.2019 um 10:00 Uhr
Die neue Optik von Traktor Pro 3 hat doch ein paar Schwächen.
Traktor ist kontrastärmer geworden und die Scrollbars sind nur noch ein paar Flusen. Etwas schwerer zu treffen. Auch halte es für notwendig das man die Optik anpassen kann. In etwa wie bei Ableton. Es gibt DJs die nicht nur im Dunkeln auflegen. Tagsüber sollte Traktor auch noch gut zu bedienen sein, Meines Erachtens waren da Designer/Entscheider am Werk die die ganze Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten von Traktor nicht überblicken bzw. diese nicht ausreichend gewürdigt haben.