Bühnen-Outfits: Mit Kleidern die eigene Inszenierung gestalten

Authentizität

(Bild: © Jakob&Hannah)
(Bild: © Jakob&Hannah)

Optik spielt bei der Präsentation der eigenen Musik eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang ist oft von die Rede. Aber was passiert, wenn Du als private Person auf die Bühne und damit in die Öffentlichkeit gehst? Bist Du dann immer noch Du, nur nicht mehr auf Augenhöhe sondern, im übertragenen Sinn, 2-3 m höher? Oder einfach anders authentisch? Und wie lautet eigentlich die Definition von Authentizität?
Künstlerinnen und Künstler wie Bowie, Queen, Kiss, Björk, Madonna und Lady Gaga sind für ihre extremen Bühnenoutfits bekannt. Ein Teil von Lady Gagas Erfolg ist beispielsweise ihre enorme Wandlungsfähigkeit und optische Extravaganz. Bei Björk kollaboriert das jeweilige visuelle Konzept mit der Musik, wobei auch ein vorgegebener Rahmen immer Raum lässt, um Neues auszuprobieren. Alice Cooper ist als Person unverwechselbar, jedoch gleicht kein Bühnenbild einer Tour dem anderen. Zusammen mit der Bühnenshow bildet die visuelle Ebene demnach einen wichtigen Kern des Popgedankens. Die KünstlerInnen arbeiten eng mit DesignerInnen zusammen, die das große Ganze – alles rund um die Musik – nie aus den Augen verlieren: von Artwork und Layout über Musikvideo und Fotoshootings bis zu PR-Terminen: die visuelle Seite ist ein wichtiger und reißfester Abschnitt des roten Fadens. Das Gesamtpaket muss stimmen.

Als ein sehr gelungenes Beispiel dafür möchte ich euch die deutsche Komponistin,Sängerin, Texterin Produzentin und diesjährige Gema Musikautorenpreisträgerin Balbina vorstellen. Denn Balbina ist ein Gesamtkunstwerk: Die Bühnenoutfits sind seit Jahren ein fester Bestandteil ihrer Selbstdarstellung.

Fotos: Jakob&Hannah
Fotos: Jakob&Hannah

Auch andere deutsche Künstler sind bekannt für ihre Bühnenoutfits: Udo Lindenberg beispielsweise ist ein populäres Beispiel für markante Kleidungsstücke (Hut, Sonnenbrille), Nina Hagen für ihre exzentrischen Punk-Outfits – über die gesamte Karriere hinweg. Der Vorteil daran ist der hohe Wiedererkennungswert. David Bowie hat zu jedem neuem Album einen krassen Outfit- und Imagewechsel vollzogen und ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein beständiger Wechsel zum eigenen Markenzeichen werden kann.

Auf dem Weg zu Balbinas Gastspiel 2018 (dreiteilige Konzertreihe auf Theaterbühnen in Oldenburg, Lüneburg und Jena) in einer Scheune ländlich bei Lüneburg gingen mir Fragen über Fragen durch den Kopf:

  • Wirkt sie in ihrem Bühnenoutfit verkleidet?
  • Ist sie in ihrer Beweglichkeit und Bandinteraktion eingeschränkt?
  • Verschiebt sich der Fokus von der Musik zum Look?

Und dann geht es los. Die drei Musiker nehmen ihre Plätze ein und machen die Bühne frei für Balbina. Und direkt werden die Hälfte meiner Fragen hinfällig, denn ihr Outfit lenkt nicht ab oder wirkt verkleidet – auch ihre Bewegungen sind sehr natürlich: mal organisch und fließend, manchmal bewusst abgehackt und kantig.

Fotocredit: thepick
Fotocredit: thepick

Das scheinbar ablenkend-auffällige Optische schafft Aufmerksamkeit für das Essentielle.
Für das, worum es geht und es eigentlich immer primär gehen sollte: Die Musik.
Ihr Outfit ist klar und strukturiert: Ein knielanges, rotes Kleid mit 3/4-Ärmeln, dazu weiße Tennissocken und weiße Sneaker, ihre Haare trägt sie zu einem Dutt zusammen. Nachdem sich alle meine Beobachtungen von diesem Konzertabend gefestigt hatten, habe ich Balbina ein paar Fragen rund um das Thema Kleidung & Kunst gestellt.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Designerinnen?
Ich habe aktuell mit der Designerin Pia Schulz gearbeitet, weil ich auf Instagram auf interessante Designs von ihr gestoßen bin. Vieles hat mich total inspiriert und gleichzeitig habe ich ästhetische Parallelen zwischen uns gesehen. Da hab ich sie einfach angeschrieben und gefragt, ob sie Lust hat für den Gema-Autorenpreisauftritt etwas für mich zu konzipieren.
Wie kann man sich den kreativen Entstehungsprozess vorstellen? Hast du ein Projekt oder Thema und gibst ihr Impulse?
Kommt immer darauf an. Oftmals sehe ich irgendwo einen Stoff, kaufe ihn und nähe mir fix das, was mein Kopf draus macht. Das ist häufig so semi-gut verarbeitet und wenn Schneider es sehen, rollen sie meist mit den Augen (lacht). Auf der Bühne macht mir das aber nix. Dann gibt es jedoch genauso Projekte, wo ich zwar klar weiß, welche Parameter mein Outfit haben muss (also Form, Farbe, Textur), aber Fremdimpulse möchte! Da schaue ich, wer interessant ist und dann Lust auf eine Kooperation hat. Wie zum Beispiel eben Pia Schulz oder davor Maria Miottke
Und wer inspiriert wen?
Ich glaub das ist ein gleichwertiger Austausch.
Hattest du schon immer eine Affinität zu Kunst?
Kunst wäre zu weit gegriffen, ich interessiere mich für das, was ich interessant finde. Klingt bekloppt, ist aber so. Es kann eine Installation von Meese sein, aber auch eine komisch gewachsene Banane. Zweiteres ist nach Meese im Übrigen ja auch Kunst.
Hast du bestimmte Präferenzen hinsichtlich Material und Konturen?
Ja, ich mag harte und steife Stoffe.
Wie sehr hängt dein interdisziplinärer Ansatz mit deinem dich feiernden Feuilleton und deiner Hauptzielgruppe zusammen?
Ich muss ehrlich zugeben, ich beschäftige mich kaum mit Zielgruppen. Oder salopp gesagt: Sie sind mir Wurst, ich mach, wozu ich Lust hab.
Welche Rolle spielt dein äußerliches Erscheinungsbild in der Vermarktung und Platzierung deiner Musik auf dem deutschsprachigen Musikmarkt?
Gute Frage, da mich noch nie einer vermarktet hat und ich nicht wirklich im Mainstream stattfinde, ist es wahrscheinlich eher nachteilig.
Ist die Bandinteraktion in Alltagskleidung eine andere?
Wenn ich ein Kostüm anhabe, wird mir meistens die Ernsthaftigkeit bewusst: Oh es geht los! Ohne Kostüm sind die Proben. Die sind meist eine Mischung aus spielen und mit den Jungs überlegen, wann und wo die nächste Mahlzeit eingenommen wird.
Fühlst du dich in deinen Outfits weniger nackt und verletzlich? Bieten sie dir mehr Schutz?
Würde ich nicht sagen. Ich würde eher sagen, es macht mir Freude meine Inszenierungen in jeder Facette zu gestalten. Ob Licht oder Kulisse – oder eben auch Kostüm. Wenn dann alles stimmt, bin ich einfach nur zufrieden und glücklich.
Bei dem Konzert mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg hattest du ein opulentes, schwarzes Kleid an. Kommst Du mit dieser eingeschränkten Beweglichkeit gut zurecht? Kannst Du deine Energie trotzdem rauslassen?
Gute Frage! Ich hätte damit mal proben sollen, denn das erste, was mir passierte, war, dass ich die Wasserflasche mit dem Reifrock umwarf, weil sein Radius so groß war. (lacht) Aber sonst ist es einfach nur eine Sache von Konzentration.
Wie wichtig ist für dich der Tragekomfort der Outfits?
Gar nicht. Darüber fluche ich zwar meist später, aber Priorität hat einfach, dass die Inszenierung stimmt.
Wann ziehst du dich um? 15 Minuten vor Stagetime oder mit etwas mehr Vorlauf? Wie viel Zeit brauchst du?
Also Haare, Schminke und Klamotte dauern – wenn’s schnell geht – eine Stunde.
Deine Bewegungen auf der Bühne wirken sehr organisch und geerdet – ist das in kantigen, unförmigen und längeren Outfits genauso?
Ich bewege mich unterbewusst. Ich glaube, dass sich das oftmals schon sehr ähnelt. Unabhängig davon, was ich trage.
Deine Outfits liegen selten eng am Körper. Wie fühlt sich das an? So als wäre man in einem Kokon?
Es ist eher luftig, als hättest du ein Kleidungsfenster zum Durchlüften geöffnet. Meistens jedenfalls.
Hast du schon mal etwas getragen, worin du dich nicht wohlgefühlt hast, aber die Wirkung es wert war, es anzubehalten?
Definitiv und sehr oft. Aber das Unwohlsein bezog sich nur auf den Tragekomfort, also nichts, was ich trage, lässt mich vom Kopf her unwohl fühlen. Nichts. Es ist nur so: Wenn du zum Beispiel ein Holzkleid und eine Lakritzperücke anhast, ist beides extrem schwer und irgendwann schneidet das in deine Haut ein. Aber da muss ich durch. Gibt schlimmere Jobs! (lacht)

Balbina will sich nicht anpassen und wirkt dennoch nicht gezwungen aneckend, angestrengt anders oder auf Provokation getrimmt. Sie ist einfach sie selbst. Sie lässt sich nicht verbiegen. Warum auch, wenn sie alles selber machen kann?! Sie ist ihr eigener Boss – das ist weder zu überhören noch zu übersehen. Erstaunlich ist für mich noch die Tatsache, dass sie ab dem ersten Moment trotz konstruiert wirkendem Erscheinungsbild wirklich authentisch ist. In keinem Augenblick am Konzertabend wirkt sie aufgesetzt. Balbina will nicht überzeugen, sie überzeugt – mit einer großen Gesamtvision, die die musikalische, textliche (!!), visuelle und kommunikative Ebene miteinander verschmelzen lässt.

Im Folgenden möchte ich euch noch ein paar Tipps mit auf den Outfitweg geben.
1. Macht euch darüber Gedanken, was ihr auf der Bühne anziehen wollt und was bewusst nicht: Mit keinen Klamotten seht ihr so verkleidet aus wie mit einem zu dick aufgetragenen Szenelook, vor allem wenn ihr euch normalerweise sportlich und leger zeigt.
2. Wer sich für Mode wirklich interessiert und einen eigenen Style hat, sollte konsequent sein.
3. Wichtig ist ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Optik nicht zweitrangig ist! Diese Tatsache könnt ihr nicht ändern, aber lenken.
4. Wenn ihr also das T-Shirt anzieht, was gerade frisch aus der Wäsche kommt oder im Kleiderschrank auf dem T-Shirt-Stapel ganz oben liegt, macht es euch zu eigen.
5. Behaltet euren eigenen Kopf, auch wenn ihr es euch damit schwer(er) macht als andere.

Balina im Interview mit dem Vice Magazin 
Du brauchst aber dann eben auch einen Künstler, der das leistet. Gerade was Mainstream-Pop angeht, ist da ja sehr viel inszeniert: Wie soll das Image sein? Wie verkaufen wir diese Person jetzt?
“Absolut. Und das geht oft auch auf Kosten der Charaktere, die daran beteiligt sind, weil du zum Beispiel einem bestimmten Frauenbild entsprechen musst. Ich habe nicht viele Plattenfirmen gehabt, die sich so für mich interessiert haben, wie ich als Künstlerpersönlichkeit bin. Die haben alle gesagt: “Die kann gut singen, aber ihre Texte sind uns zu verschachtelt, zu konstruiert, eine zu große Herausforderung.” Dasselbe haben sie über die Kompositionen und meinen Look gesagt. “Sie sieht nicht zugänglich aus und hübsch ist sie auch nicht wirklich.” Im Endeffekt war ich nie diejenige, die man unter Vertrag nehmen wollte. Es hieß immer nur: “Mit der können wir kein Geld verdienen, die macht nur arty Shit und ist nicht formbar.” Wenn man eine klare Vision hat, ist man “nicht formbar” und das wird dann als negativ bewertet. Für mich war das eigentlich immer eher ein Kompliment. Ich meine, ist das nicht geil? Wenn ein Typ straight ist und weiß, was er will, dann finden das doch auch immer alle cool.”
Eine gute Unterhaltung,
Barbara

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