Heute widmen wir uns dem Boss OD-1, einem Pedal, das aus einer Zeit stammt, als es noch alles andere als selbstverständlich war, aus einer großen Vielzahl an Overdrive Pedalen auswählen zu können. Wir gehen zurück in das Jahr 1977, das Jahr des Boss OD-1. Mitte bis Ende der 70er Jahre gab es einige Verzerrermodelle, die auf den Namen “Overdrive” hörten. Dazu zählten z.B. der Ibanez OD850 bzw. 855 oder der Color Sound Overdriver, allerdings waren diese vom Typus her eher Fuzz- oder Distortionpedale, die mit dem warmen, natürlichen Sound eines übersteuerten Röhrenamps nur wenig zu tun hatten. Ein Grund, warum sie von den damaligen Gitarristen auch eher zurückhaltend aufgenommen wurden.
1977 sollte sich das durch die japanische Firma Boss ändern, die nach dem legendären CE-1 Chorus aus dem Jahre 1976 gleich sechs Pedale auf den Markt brachte, darunter den OD-1, einen der ersten echten Overdrives überhaupt. Damit war die Manege frei für die unterschiedlichsten Hersteller von Bodenpedalen, und auch der bekannte, grüne Klassiker von Ibanez zeigt bei allen Unterschieden erstaunliche Parallelen zum gelben Urvater aller Overdrives.
History:
Die Bezeichnung der diversen Boss Overdrive-Modellen ist auf den ersten Blick nicht ganz leicht zu durchschauen und sorgt immer wieder für Verwirrung, da hier mit der OD- und SD-Linie zwei unterschiedliche Reihen aufgemacht werden.
Schaltungs- oder stellenweise soundtechnisch haben der OD-2 und OD-3 nicht mehr viel mit dem Ursprungstyp OD-1 gemein, wohingegen der SD-1 noch am ehesten in die Fußstapfen des Ursprungsmodells tritt und heute eigentlich den OD-1 von damals ersetzt.
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OD-1
Der erste OD-1 erblickte 1977 im japanischen Boss-Werk das Licht der Welt und besaß einen Level und einen Overdrive-Regler. Verglichen mit anderen Bodentretern war es bei den Bosspedalen ein Novum, dass FET-Schaltungen benutzt wurden, um ein knackfreies Schalten zu ermöglichen. Eine große Gummiplatte auf dem Fußtaster und die Poti-Anordnung, die eine Etage tiefer gelegt wurde, war damals ebenfalls eher unüblich und Boss setzte damit auch im Design neue Akzente und schuf einen hohen Wiedererkennungswert.
Die ersten OD-Ausführungen hatten eine silberne Batteriefachschraube und waren mit einem RC3403D Quad Op Amp Chip (z.B. aus dem Hause Raytheon) versehen, wobei stellenweise auch der uPC4741C von NEC verbaut wurde. Diese frühen Modelle gelten aufgrund des RC3403 Chips als die bestklingenden und gehen zu horrenden Sammlerpreisen über die Theke.
Spätere Exemplare wechselten dann zum JRC4558D Op Amp, der auch im Tubescreamer zu finden ist, da die alten Chips mit den 14 Kontakten angeblich häufig fehlerhaft waren. Anderen Spekulationen zufolge war die Ursache jedoch schlichtweg die Ersparnis durch den Einsatz japanischer Produkte.
Technisch gesprochen wurden alle OD-1 in Japan hergestellt, auch wenn die letzten Platinen bereits “Made in Taiwan”, dem zukünftigen Produktionsort vieler Bosspedale, aufgedruckt hatten.
Unterschiedliche Batchreihen erkennt man auch an dem Endbuchstaben der Platinenaufschrift, die mit A,B,D und E beziffert und jeweils mit verschiedenen Op-Amps unterschiedlicher Hersteller ausgestattet wurden. 1985 wurde die Produktion des OD-1 eingestellt.
SD-1
Auch wenn der Super Overdrive SD-1 seit 1981 im Programm von Boss ist und dadurch eine vierjährige Überschneidungsphase mit dem OD-1 hat, kann dieses Modell als der rechtmäßige Nachfolger des Overdrive-Erstlings betrachtet werden, obwohl der Name “SD” erstmal nicht darauf schließen lässt.
Das Besondere des SD-1 ist mit Sicherheit der zusätzliche Tone-Regler, der dem OD-1 fehlt. Von diesem und verschiedenen Bauteilwerten abgesehen sind die Pedale jedoch mehr oder weniger identisch, wenn man die späteren OD-1-Reihen als Vergleich heranzieht und den Tone-Regler knapp unter den Mittelwert stellt.
Da sich beide Bodentreter den 4558 Dual-Op-Amp teilen, kann es durchaus möglich sein, dass OD-1-Modelle mit RC3403D Chip verglichen mit späteren Exemplaren klanglich weiter auseinanderliegen als ein SD-1 zu einem späteren OD-1. Da Boss seine Pedalproduktion 1986 nach Taiwan verlegte, sind die SD-1 gebraucht als Made in Japan- oder Made in Taiwan-Varianten zu erwerben.
Dieses Pedal ist auch heute noch erhältlich und durch seinen extrem günstigen Preis ein allseits beliebtes Modell, das, wie der Tubescreamer, eigentlich Referenzcharakter hat.
OD-2 / OD-2R
Der OD2, auch Turbo Overdrive genannt, löste 1985 schließlich den OD-1 ab.
Bei ihm handelt es sich um ein eigenständiges Overdrive-Modell mit zusätzlichem schaltbarem Gainboost, wobei der OD-2 bei deaktiviertem Turbo weniger Zerre bereitstellt als der SD-1, im Turbomode jedoch deutlich mehr.
Die Verzerrung wird hier nicht wie beim SD-1der OD-1 über ICs, sondern diskrete Komponenten erzeugt, in diesem Fall Transistoren.
Dieses Pedal wurde 1985 – 1994 hergestellt und dann bis 1999 vom OD-2R abgelöst, wobei das R für Remote steht, denn hier kann der Turbo mit einem optionalen Fußschalter aktiviert werden. Der R-Variante sagt man stellenweise auch einen höheren Output und stärkere Höhenanteile nach.
Der SD-2 Dual Overdrive verfügt über zwei unterschiedliche Zerrstufen, denen auch eine getrennte Regelung in Level, Tone und Gain angedacht wurde. Per externem Fußschalter konnte hier zwischen den Modes hin- und hergeschaltet und auch der eigene Schalter so konfiguriert werden, dass er nicht Pedal-On/Off, sondern Lead- und Crunch-Mode schaltet. Der SD-2 war von 1993 bis 1999 erhältlich.
OD-3
Mit dem OD-3 stellte Boss 1997 erneut ein eigenständiges OD-Modell vor, das mit dem Erstling OD-1 hinsichtlich Sound und Schaltung nur noch wenig gemeinsam hatte. Bei diesem Modell wird ein symmetrisches Clipping (im Gegensatz zum asymmetrischen des OD-1) über Feldeffekttransistoren (2SK 184) erzeugt und ein Mitsubishi M5218 Dual-Op-Amp kommt zum Einsatz.
Der OD-3 verfügt über mehr Level-Reserven, hat ein stärkeres Low-End als OD-1 oder SD-1 und ist auch heute noch erhältlich.
SD-1w
Seit 2014 ist der SD-1 auch in der “Waza Craft”-Ausführung erhältlich, die neben dem Standard- auch den Custom-Modus umschaltbar anbietet. Grundsätzlich wurden diese Waza-Pedale akribisch überarbeitet und sind nebengeräuschärmer. Im Custom-Modus wirkt der SD-1w etwas fetter, ausbalancierter und besitzt mehr Dreidimensionalität. Diese Qualitäten sind für den Standalone-Betrieb sicherlich sehr sinnvoll, doch auch der Standardmodus hat seine Existenzberechtigung, da dieser die Eigenschaften liefert, die man möglicherweise im Einsatz als Booster vor einem Amp benötigen und bevorzugen würde.
Eigenarten: Spricht man vom klassischen Boss-Overdrive, so meint man damit primär den OD-1 oder den SD-1 und auf diese beiden Modelle soll sich auch der folgende Abschnitt beziehen.
Der OD-1/SD-1 gewinnt seine Verzerrung, wie viele Overdrive-Pedale, durch asymmetrisches Softclipping. “Hardclipping” hingegen war den Distortion-Pedalen der damaligen Zeit vorbehalten, wie z.B. der ProCo Rat oder dem MXR Distortion+.
Bei der asymmetrischen Schaltung wird die positive und die negative Hälfte der Wellenform unterschiedlich verzerrt. Dadurch wird der Originalsound anteilig stärker unterstützt, aber Verzerrung hinzugefügt. Das unterscheidet den OD-1 auch vom nur kurze Zeit später entwickelten Tubescreamer, der eine symmetrische Verzerrung aufweist, obwohl man der asymmetrischen eigentlich einen stärkeren Amp-Charakter mit mehr Wärme und Weichheit nachsagt.
Aus praktischer Spielersicht kennzeichnen den OD-1 ein paar hörbare Trademarks, über die man informiert sein sollte, denn wie bei vielen Verzerrern gilt auch hier: Die Vorteile des einen Users sind die Nachteile des anderen.
1. Bassklau und Mittenbetonung
Wie bei einigen Overdrives dieser Generation findet auch beim OD-1 ein wahrnehmbarer Cut der Bassfrequenzen statt. Gleichzeitig werden die Mittenfrequenzen deutlich angehoben und geben dem Pedal einen vokalen bis nasalen Charakter. Diese beiden Eigenschaften, vor allem die erste, werden nicht von jedem Player goutiert und stellen oft die Weichen dafür, ob man sich für dieses Modell entscheidet oder nicht. In der Funktion als Lead-Pedal oder Gainboost, sorgen Mittenanhebung und Lowcut natürlich auch für eine stärkere Durchsetzungsfähigkeit und Aufgeräumtheit im Bandgefüge, Charakteristiken, die sehr vorteilhaft sein können.
2. Geringe Pegelreserven
So gut sich der Boss-Overdrive als Gainbooster eignet und aus jedem Plexi ein wahres Gainmonster machen kann, so eingeschränkt eignet er sich als Cleanboost, da das Pedal bei zurückgenommenem Drive und voll aufgedrehtem Level maximal 1-2 dB Pegelanhebung realisieren kann. Generell liefert der Boss-Overdrive weniger Pegelreserven als andere Pedale, die in dieser Kategorie mitspielen, wenn es jedoch darum geht, die Gainstruktur eines angezerrten Amps etwas zu “verdichten” und mit Midboost und Lowcut den Sound etwas hervorzuheben und aufzuklaren, findet man hier ein erstklassiges Werkzeug. Nicht umsonst werden auch einige Modifikationen angeboten, die dem OD-1/SD-1 etwas mehr Pegel abringen können. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass die neuen Modelle deutlich mehr Pegel anbieten, als das beim OD-1 noch der Fall war.
3. Unterschiede zum Tubescreamer
Auch wenn der SD-1 nicht zu knappe Gemeinsamkeiten mit dem Tubescreamer hat, so gibt es doch ein paar kleine und feine Unterschiede zwischen den beiden Overdrive-Pionieren, die überhaupt nicht wertend sind, sondern eher jedem Pedal einen bestimmten Aufgabenbereich zuordnen. Gemeinsam ist beiden Pedalen der oben erwähnte Bassklau und die Betonung der Mitten. Nichtsdestotrotz hat man den Eindruck, dass der angehobene Mittenanteil grundsätzlich etwas höher angesiedelt ist als beim Ibanez-Pedal. Insgesamt zeigt sich der OD/SD etwas aggressiver und harscher, aber auch offener, wohingegen der Tubescreamer einen Hauch cremiger und weicher daherkommt und sogar etwas komprimierter wirkt. Vereinfacht und auch ganz subjektiv ausgedrückt klingt für mich persönlich der SD mehr nach “Rock und Hardrock” und der TS mehr nach “Blues”, doch das unterliegt auch sehr dem eingesetzten Equipment. Dadurch bietet sich der SD auch sehr gut für Humbuckergitarren an, zumal auch das “Durchschimmern” eines cleaneren Signals längst nicht so stark ausgeprägt ist wie dies beim TS der Fall ist, wohingegen Letzterer sich tendenziell eher mit Singlecoil-Gitarren wohlfühlt. Die Pegelreserven sind beim Tubescreamer auch erkennbar höher als beim Boss-Pendant, die Nebengeräusche bei aufgerissenem Drive-Regler sind dagegen beim SD-1 stärker ausgeprägt, auch wenn der SD-1w einen Hauch weniger rauscht.
4. Buffer
Wie alle Boss-Pedale besitzt auch der OD-1/SD-1 einen Buffer und keinen True-Bypass. Über die Einschätzung, wie Boss-Buffer klingen, entbrennen spätestens seit dem TU-2 hitzige und kontrovers geführte Diskussionen. Der wurde von sehr vielen als Tuner und Anfangsbuffer gleichzeitig eingesetzt, obwohl es einige prominente Nutzer von Boss-Buffer gibt und die Marke nicht umsonst einen exzellenten Ruf genießt.
Modifikationen
Da die meisten SD-1 und OD-1 Modelle “through hole” (Durchsteckmontage) statt SMD-Technologie verwenden, werden für den SD-1 diverse Modifikationen angeboten, die von einigen Hobbylötern auch in Heimarbeit ausgeführt werden, wie z.B. den Wechsel auf symmetrische Verzerrung, True Bypass oder den Wechsel des OP-Amps auf NOS-Teile.
Ebenfalls populär sind bestimmte “C”, “D” und “R” Mods, benannt nach der Bezeichnung auf der Platine. So wird z.B. sehr gerne der sogenannte “C6-Mod” durchgeführt, der dem SD-1 mehr Höhenanteile und Offenheit bereitstellt und durch Entfernen des Kondensators C6 realisiert wird. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht immer gewünscht und kann beim Einsatz mit cleanen Amps möglicherweise zu unerwünschten Ergebnissen führen. Daher am besten den Fachmann ranlassen, wenn es um Operationen geht, die man selbst schwer rückgängig machen kann.
Player
Prominente Benutzer der OD- und SD-Serie finden sich natürlich wie Sand am Meer und das quer durch alle Stilrichtungen. Frühere User des SD-1 waren z.B. die beiden Eagles Gitarristen Joe Walsh und Don Felder.
Interessanterweise stammen die meisten bekannteren Anwender jedoch aus der 80er Jahre Hardrock/Metalszene, da das Overdrive-Modell aus obigen Gründen gerne zum Anblasen der Amps verwendet wurde. Darunter sind z.B. Warren deMartini von Ratt, Richie Sambora von Bon Jovi, Reb Beach, Eddie Van Halen in den 90ern, Steve Vai zur David Lee Roth- und “Passion and Warfare”-Zeit und allen voran natürlich Zakk Wylde, der die Kombination 800er Marshall plus SD-1 erst so richtig populär gemacht hat.
John 5 von Marilyn Manson sieht man ebenfalls gerne mit dem SD-1 auf dem Pedalboard und U2s The Edge setzte, bevor er zum Tubescreamer wechselte, den SD-1 und OD-2 ein.
Sounds
Zum Abschluss möchte ich euch noch ein paar Beispiele zu den gängigen OD-Modellen im Vergleich präsentieren, sowie den Sound des SD-1 als Booster vor einem 800er Marshall.
Wundert euch nicht über die Reihenfolge der Pedale im Vergleich, denn diese wurde hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit angeordnet. Da der OD-2 im Normal Mode weniger Gain liefert als die anderen Modelle, wurde dieses etwas nach oben korrigiert.
Der Tone-Regler der Pedale wurde kurz vor der 12-Uhr-Stellung geparkt, da diese dem OD-1 Grundsound am nächsten kommt, der in meinem Fall übrigens mit einem 4558 Chip ausgestattet ist. Ganz klar zu erkennen ist, dass OD-1 und OD-2 bei gleichem Setting deutlich weniger Output haben als die Vergleichsmodelle, weshalb die Lautstärke der besseren Vergleichbarkeit halber angepasst wurde.
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Mehr InformationenBeispiel 1:
Beispiel 2:
Beispiel 3:
Quellen und weiterführende Links zum Boss OD findet ihr hier:
Dino Haldimann sagt:
#1 - 06.01.2022 um 08:10 Uhr
Mir gefällt der Artikel als gute Zusammenfassung der gelben Boss-Pedale, mit teilweise in die Tiefe gehenden technischen Details. Dankeschön.
Thompson sagt:
#2 - 01.08.2023 um 00:07 Uhr
Excellent article and sound clips!