Gute deutsche Texte – Warum sie mitten ins Herz treffen

Viele Songwriter, die auf Englisch texten, haben großen Respekt und Bewunderung für Texterinnen und Texter deutscher Songs übrig. Laut der Online Plattform Musikindustrie.de liegt der Anteil deutschsprachiger Produktionen an den Album-Charts 2017 bei 40,9 Prozent, was den zweithöchsten Wert in 40 Erhebungsjahren macht. Ich habe mich gefragt, warum das so ist.

Foto: Shutterstock, Thomas Quack, Deichkind, Ferropolis, Melt Festival 17.Juli.2016
Foto: Shutterstock, Thomas Quack, Deichkind, Ferropolis, Melt Festival 17.Juli.2016

Die deutsche Popmusik hat sich etabliert und emanzipiert

Auf Deutsch zu singen ist heutzutage eine selbstverständliche Möglichkeit. Im Ausland werden deutsche Texte als cool angesehen. Viele AmerikanerInnen beispielsweise lieben es, deutsche Worte in die englische Sprache zu integrieren. Denkt nur an das beliebte Wort “Über…”, oder die Tokiohotelzeile “She only wants to go tanzen”. Die oft herangezogene Begründung, auf Deutsch zu singen, nur weil es die eigene Muttersprache ist, empfinde ich als unreflektiert und zu zeitgeistig gedacht. Zweifelsohne gibt es sehr viele Bands, die auf Deutsch singen, weil sie etwas zu sagen haben. Sie fühlen sich mit der deutschen Sprache mehr verbunden und können sich in ihr textlich freier ausdrücken.

Maximale Direktheit

Auf Deutsch zu singen bedeutet viel von sich preiszugeben. Man macht sich noch nackter, verletzlicher und angreifbarer als man es als Songwriter und Sänger*in eh schon ist. Wenn man das Erlebte in der Sprache, in der man es erlebt, ganz frei und direkt schreibt und singt, ist dass das Maximum an Frontalität, die man zum Publikum erreichen kannst.
Und in dieser Unmittelbarkeit liegt eine große Chance, der wiederum eine starke Identifikationskraft innewohnt: Das Innerste wird nach außen getragen (ich mag das Wort “Seelenstriptease” nicht, aber das trifft es hier ganz gut) und überträgt sich auf die Zuhörerinnen und Zuhörer – egal ob im Konzert oder zu Hause. Alle fühlen mit, auch in feinsten Nuancen. Auch weil der Text im Kopf nicht übersetzt werden muss. Zu englischen Texten hingegen kann mehr Distanz und Abstand aufgebaut werden – es lässt sich einfacher und schonender Verstecken spielen. Sowohl für die Sängerinnen und Sänger als auch für das Publikum.

Hamburger Schule

Der deutschsprachige Musikraum ist heute flächendeckend mit deutschsprachigen Künstlerinnen und Künstlern gefüllt, die Popmusik machen. Das ist schon lange nicht mehr nur eine Bewegung aus den Zeiten der neuen deutschen Welle und der Hamburger Schule, die in den 80er Jahren ein “neues Selbstverständnis für den Gebrauch der deutschen Sprache” (Wikipedia) mit sich gebracht haben. Einen “Standortnachteil”, wie es ihn früher mal gegeben haben soll, existiert mittlerweile nicht mehr. Deutschsprachige Musik ist nicht stadtbezogen – auch in Berlin, Köln, Mannheim sind mittlerweile viele populäre Musiker mit guten deutschen Texten zu Hause.

Nicht nur erfolgreich weil der Text verstanden wird

Man wird in seinem musikalischen Werdegang früher unter Vertrag genommen, wenn man auf Deutsch singt. Woran liegt das? Und warum hören sich die Leute in den Jahren nicht mal satt, sondern konsumieren stattdessen immer mehr davon? Reicht die Begründung “Sie hören es, weil sie es verstehen”? Vielleicht. Aber das wäre zu einfach. Bei vielen Bands steckt mehr dahinter als der Wunsch nach einem Plattenvertrag, einer schnelleren und besser funktionierenden Platzierung und Vermarktung in der Musikbranche: Sie haben etwas zu sagen; schreiben und singen in ihrer eigenen Sprache. Und weil sie das so gut können, begeistern sie ihr Publikum. Ich habe mal eine Liste an Liedern zusammengestellt, die in ihrer Komposition, Aussage und Botschaft so klar und stark sind, dass sie es schaffen (werden) auch bei jeder neu dazukommenden Generation Gefühle auszulösen.

  • Zarah Leander “Kann denn Liebe Sünde sein?”
  • Ton Steine Scherben “Halt dich an deiner Liebe fest”, “Keine Macht für Niemand”
  • Rio Reiser “Junimond”, “Für Immer und Dich”, “König von Deutschland”
  • Selig “Ohne Dich”
  • Fettes Brot “Jein”
  • Söhne Mannheims “Und wenn ein Lied”
  • Sportfreunde Stiller “Ein Kompliment”
  • Juli “Die perfekte Welle”
  • Udo Jürgens “Ich war noch niemals in New York”
  • Namika “Lieblingsmensch”
  • Tim Bendzko “Nur noch kurz die Welt retten”
  • Herbert Grönemeyer “Mensch”
  • Wir sind Helden “Denkmal”
  • Freundeskreis “Anna”
  • Echt “Du trägst keine Liebe in dir”
  • Andreas Bourani “Auf Uns” (WM 2014)
  • Kettcar “Der Tag wird kommen”
  • Peter Fox “Schwarz zu blau”
  • Deichkind “RemmiDemmi”
  • Die Toten Hosen “Bayern”

Woran ich das festmache?
Jeden dieser Songs verbinden viele Menschen mit einem ganz besonderen und intensiven Gefühl. Vielleicht aber auch mit einer bestimmten Lebensphase, Begegnungen und Momente, die einen berühren, oder mal berührt haben. Manchmal ist es nur ein einziges Bild in unserem Kopf, welches der Song in uns aufblitzen lässt.

Beispiel: Mensch von Herbert Grönemeyer

Thees Uhlmann bringt es in einem Interview* auf den Punkt:
“Aber wir können ja mal Herbert Grönemeyer heranziehen: Der singt wirklich über seine Trauer. Er könnte auch Englisch singen und alle würden sagen: “Okay, das ist die Platte über seine Frau”. Aber wenn es auf Deutsch gesungen wird, hat es diese Wuchtigkeit der Aussage. Jeder Mensch kennt jemanden, der tot ist. Und der erinnert sich genau daran, was er deswegen durchgemacht hat. Wenn er singt: “Es ist okay, alles auf dem Weg”, dann ist das natürlich viel näher an einem selbst dran, als wenn er singen würde: “It´s okay, it´s all on the way.”
Das wäre so: Way, my Way, Frank Sinatra, it´s okay, ja, aha… Aber wenn er das auf Deutsch singt, ist das eben sofort präsent und viel emotionaler.
*Quelle: Schwarzkopf & Schwarzkopf: Du und viele von deinen Freunden; 34 deutsche Bands und Solo-Künstler im Interview, Astrid Vits

Vermarktung durch die Musikindustrie

Leider wird heutzutage ein Großteil der deutschsprachigen Musik zu imagebehaftet oder zu zielgruppenorientiert vermarktet – in musikalischer und textlicher Hinsicht. Zu oft öffnet die Musikindustrie dieselbe Schublade, wenn es um deutschsprachige Künstlerinnen und Künstler geht. Das funktioniert erstaunlich einfach und gut. Anscheinend ist der Markt noch nicht übersättigt. Es gibt genug Leute da draußen, die man als deutschsprachiger Künstler erreichen kann. Und das weiß die Musikindustrie. Eine Marketingstrategie, bei der sich aus Künstlersicht viel zu viel angepasst und zu wenig abgegrenzt wird. Sich abgrenzen meine ich dabei nicht im negativen Sinne à la “Ich möchte mit denen (den Industriekünstlern) nichts zu tun haben”, sondern den Mut zu haben, die Eigenständigkeit zu bewahren, um nicht im gerade modernen ähnlich klingenden Vornamenswust gleich klingender Künstlerinnen unterzugehen.

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Foto: Shutterstock, Thomas Quack, Deichkind, Ferropolis, Melt Festival 17.Juli.2016

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