Latenz verbessern: Nicht nur dem Tontechniker bietet das digitale Zeitalter viele Vorteile – Mixszenen sind speicherbar, Total Recall ist obligatorisch. Schwere Multicores werden durch leichte Netzwerkkabel ersetzt, ein flexibler Signalfluss über Netzwerkprotokolle wie DANTE (zum Einsteiger-Workshop) und AVB erlaubt den Aufbau komplexer Systemen mit wenig Hardware. Allerdings lauert in der digitalen Welt auch ein tückischer Gegner namens Latenz, der etwa durch Kammfiltereffekte Ungemach bereiten kann.
3 Quick-Tipps gegen zu hohe Latenz
- Nutzt eine möglichst hohe Abtastrate. Wer mit 96 anstatt 48 kHz unterwegs ist, der halbiert im besten Fall die Systemlatenz.
- Wer seinen Live-Mix mit externen Plugins veredelt, der sollte stets ein Auge auf die Plugin Latenz werfen. Manche Plugins (z.B. Linear Phase EQs) erzeugen eine hohe Latenz, die dem Mix nicht gut bekommen.
- Vermeidet unnötige AD/DA Wandlungen. Jedesmal,wenn von der analogen in die digitale (und umgekehrt) Domäne gewandelt wird, erhört sich die Gesamtlatenz im System.
Was ist Latenz und wo kommt sie her?
Beträgt bei rein analogen Systemen die Signallaufzeit vom Ein- bis zum Ausgang grundsätzlich 0 Millisekunden – Strom fließt etwa mit Lichtgeschwindigkeit – entstehen bei der AD/DA-Wandlung und dem Einsatz von digitalen Signalprozessoren Verzögerungen im Millisekunden-Bereich, die sogenannten Latenzen und die gilt es zu optimieren.
Signallaufzeit und RTL
Die Latenz wird bei Digitalpulten meistens in Millisekunden angegeben. Dieser Wert beschreibt die Zeit, die ein Signal benötigt, um von einem analogen Eingang zum analogen Summenausgang zu gelangen. Dieser Vorgang wird auch Round Trip Latency genannt, kurz RTL. Hier ein paar RTLs gängiger Digimixer:
- Digico SD-7: 2 ms @ 48 kHz
- Behringer X32: 0,8 ms @ 48 kHz
- Yamaha PM05D-RH: 2,56 ms @ 96 kHz
- Yamaha CL5: 1,98 ms @ 48 kHz
Erhöht man übrigens die Abtastrate, verringert sich die Latenz: Bei verdoppelter Sample-Frequenz halbiert sich die RTL. Die dadurch deutlich erhöhte Datenmenge belastet allerdings die CPU respektive die DSPs erheblich, sodass häufig nur teurere Digitalmixer mit entsprechend leistungsfähigen Bauteilen ausgerüstet sind.
Latenz verbessern – Vorsicht Falle!
Betrachtet man die oben genannten Latenzzeiten aktueller Digitalmixer, sollte man eigentlich meinen, dass diese im Live-Betrieb keine wesentliche Rolle spielen. Bei einer theoretischen Schallgeschwindigkeit von 343 Metern pro Sekunde entsprechen 3 Millisekunden gerade einmal einem Abstand von einem Meter. Das Tückische daran: In digitalen Mischpulten sind Latenzen keineswegs statisch, sondern variieren je nach Routing und Effekteinsatz.
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Durch unterschiedliche Signallaufzeiten, gerade beim Einsatz von komplexeren Routings kann es dadurch zu hörbaren Verzögerungen und Kammfiltereffekten kommen. Ein erstes Beispiel: Die RTL eines Yamaha PM05D-RH beträgt 2,56 Millisekunden. Routet man das Signal nicht direkt auf den Summenausgang, sondern erst über eine Gruppe oder einen Matrix-Ausgang, erhöht sich die Laufzeit auf 3 Millisekunden.
Das ist kein Problem für die Gesamtlaufzeit. Allerdings: Lege ich den Kanal einmal direkt auf die Summe und zusätzlich über eine Gruppe auf die Summe, kommt es aufgrund der Laufzeitunterschiede zu Kammfiltereffekten. Der Klang wird plötzlich hohl, schlapp und in extremen Fälle klingt es, als wenn der Gitarrist einen Phaser oder Flanger in die Mischpultsumme insertiert hätte.
Ein weiteres Beispiel: Beim Behringer X32 erhöht der eingebaute Wave-Designer-Effekt die Latenz von 0,81 auf 2,23 Millisekunden. Möchte man etwa eine Bass-Drum doppelt mikrofonieren, um sie dann per Parallelkompression anzudicken, erhält man in diesem Fall einen Laufzeitunterschied zwischen beiden Kanälen von 1,42 Millisekunden. Die einfachste Lösung, diesen Lautzeitenunterschied zu vermeiden: Man lädt den Effekt ebenfalls in den ersten Kanal, belässt den Gain-Regler allerdings in der Nullstellung.
Externe Effekte via DANTE, AVB oder Soundgrid-Server
Besondere Vorsicht ist geboten, wenn externe Effekte via DANTE, AVB oder Soundgrid-Server eingebunden werden: Sowohl die Art der Einbindung selbst wie auch die externen Plugins können erhebliche Latenzen einführen. Das sollte man nicht erst während eines Gigs erkunden!
Der Autor hatte einmal die glorreiche Idee, in der Mischpultsumme einen Multiband-Kompressor von FabFilter zu verwenden. Beim Soundcheck war eine deutliche Latenz zwischen den Drums von der Bühne und aus der PA zu vernehmen. Das Problem war die Look-ahead-Funktion, welche das Eingangssignal um 20 Millisekunden verzögerte. Generelle Vorsicht gilt daher bei phasenlinearen EQs, Limitern und Multiband-Kompressoren mit Look-ahead.
Manche Profipulte, etwa die Avid-Profile-Serie oder die Midas-Pro-Pulte, bieten eine automatische Latenzkompensation, ganz ähnlich einer DAW. Dann werden etwa alle relevanten Kanäle auf die langsamere Subgruppe verzögert, sodass keine Klangartefakte das Mixergebnis stören. Allerdings: Eine automatische Latenzkompensation erhöht die Gesamtlatenz, was bei Monitoreinsätzen problematisch sein kann.
Latenz verbessern: Auf der Bühne
Auf der Bühne herrscht ein wahres Laufzeitengewusel: Der Gitarrist steht drei Meter von seinem Amp entfernt (ca. 10 Millisekunden Latenz), der Sänger hört sich über die Floorwedges (1,5 Meter = 3 – 4 Millisekunden Latenz), gleichzeitig auch noch ein wenig über die Haupt-PA und die Sidefills. Welchen Schaden können da die 3 Millisekunden eines Digitalmixers noch anrichten?
Nun, bei einem Live-Gig ist der Digitalmixer selten das einzige digitale Gerät. Digitale Funkstrecken, teils mit DANTE-Anbindung, digitale Stageboxen, digitale Speaker-Controller – all diese Geräte erzeugen Latenzen, die sich im schlechtesten Fall zu einer hörbaren Gesamtlatenz addieren.
Während beim Einsatz von Floorwedges Latenzen von 10 – 12 Millisekunden prinzipiell vertretbar sind, sieht das bei einem In-Ear-System ganz anders aus. Hier sind die Signallaufzeiten so gut wie identisch, weshalb ein guter In-Ear-Mix immer aufgeräumter und näher als ein klassischer Wedge-Mix klingt. Eine zu hohe Gesamtlatenz fällt daher bei In-Ears schneller auf.
- Dazu ein Tipp: Mit etwas Hall auf dem gesamten In-Ear-Mix vermittelt ihr eine Pseudo-Räumlichkeit, die zu hohe Signallaufzeiten gut kaschiert.
Grundsätzlich gilt: Ist man erstmal in der digitalen Welt, sollte man so lange wie möglich dort verweilen. Zu viele AD/DA-Wandlungen machen den Sound nicht besser und erhöhen zudem die Latenz. Die meisten Digitalpulte und Audiointerfaces besitzen zu diesem Zweck digitale Summenausgänge (S/PDIF oder AES/EBU), die sich mit den Digitaleingängen von PA-Controllern und Systemendstufen verbinden. Das spart eine AD/DA-Wandlung und Zeit bei der Signalverarbeitung.
Latenzen selbst messen
Wer die Latenz seines Live-Setups überprüfen möchte, greift zu Audioanalyser-Software wie Smaart oder SysTune. Für die Messung benötigt ihr nur noch ein zweikanaliges Audiointerface. Der Aufbau sieht folgendermaßen aus: Den Ausgang von Kanal A des Interfaces verbinden wir mit dem Eingang von Kanal A (Loopback). Das ist unsere Referenzverbindung.
Den Ausgang von Kanal B schließt ihr an einen Eingang des Pults an, während der Eingang von Kanal B mit dem Ausgang des Mixers verbunden wird. Nun kann die Messung beginnen. Bei Smaart lässt sich über den Delay Finder die genaue RTL ablesen. Kanal A sollte durch den Loopback keine Verzögerung anzeigen, Kanal B informiert über die Latenz des Mischpults. Eine kostenlose Alternative ist der Room EQ Wizard (REW).
Auch hier lassen sich zweikanalige Referenzmessungen vornehmen. Unter „Informationen“ gibt REW Latenzen in Millisekunden an – eine gute Basis für das professionelle Latenzmanagement.
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Sh sagt:
#1 - 05.09.2017 um 21:51 Uhr
Guter Artikel. Kleine Korrektur welche aber zum Inhalt nichts zur Sache tut. Die Signale breiten sich in Kabeln und Leiterplaten nicht in Lichtgeschwindigkeit aus wie das oft so angenommen und gehört wird. Sind ca. 5ns/m delay. Das ist aber im Audiobereich nicht weiter schlimm. Wer mit höheren Frequenzen zu tun hat, weiss aber nich genauer, was es heisst, mit Laufzeiten umzugehen.
Don sagt:
#1.1 - 26.07.2023 um 09:45 Uhr
Klar. Beim Leitplattenroutingmuss man darauf achten das die Leitung für Bussignale für Speicher, Prozessoren, etc. so gut wie gleich lang sind. Sonst kann es sein das manche Bits zu spät ankommen. Beim Audio Bereich macht sich das bei Boxen bemerkbar. Deswegen sollte man bei aufstellen von Boxen auf das Akustische Zentrum achten. Bei großen Basshörnern passiert das schnell das der Bass später als die höhen ankommen.
Antwort auf #1 von Sh
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenDon Promillo sagt:
#1.1.1 - 19.08.2024 um 10:16 Uhr
Mit den Laufzeitunterschieden bei Boxen kann man mit einem Lautsprecher Kontroller kompensieren.
Antwort auf #1.1 von Don
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenDon Promillo sagt:
#2 - 19.08.2024 um 11:15 Uhr
Ich finde die Leute lustig die mit einem Funk Mikrofon 5 - 10 Meter vor der PA rumturnen, Gitarristen mit Funk können das auch ganz gut. Und dann der Ansicht sind das die Latenzen von Out 1 -> In 1 -> Track B. Track B -> Out 2 -> In 2 -> Track C. Track A Spiel ein Peak Signal ab. Bei der Aufnahme in Track B macht sich die Latenz Kompensation bemerkbar. Da aber mit Track C aufgenommen wird ist die Latenzkompensation da nur einfach. Den Zusätzlichen Loop gleicht die aber nicht aus. Die Latenz eines Mischpults lässt sich natürlich mit einem Track messen, da die Verzögerung zwischen Out 1 und In 2 nicht kompensiert wird. Die Software die beschrieben ist werde ich mal testen. Aber auch da werden 4 Kanäle benötigt. Messsoftware Out -> DAW in und DAW Out -> Messsoftware In. Aber da man das Ergebnis ablesen kann ist es einfacher und man muss keine Samples zählen.