Ein paar Mikros, Computer, Audiointerface – schon kann man im Proberaum, in einer Schulaula oder beim Konzert aufnehmen.
Doch so einfach ist es nicht, es gibt eine Reihe Anforderungen. Wenn ihr diese Tipps beachtet, werdet ihr sicher mehr Spaß bei der Sache haben und bessere Ergebnisse einfahren.
Planung für Location-Recording: Gesegnet sei der Spießer
Zieht euch ein Karohemd an, setzt die Brille auf die Nase und erstellt eine Excel-Tabelle! Glaubt mir, ihr werdet sie brauchen. Zumindest eine handschriftliche Liste.
Plant das Recording! Dazu gehört nicht nur eine Packliste, auf der nach der Lektüre dieser Zeilen vielleicht auch Dinge stehen werden, die ihr nicht auf dem Radar hattet, sondern auch viele weitere Sachen mehr. So ist es sinnvoll, möglichst viel vorab zu klären. Dann habt ihr nämlich vor Ort die Zeit, euch um die Tontechnik zu kümmern anstatt um Dinge, die auch vorher hätten passieren können.
Recherchiert also. Wie viele Menschen spielen? Wie viele Instrumente gleichzeitig, gibt es Instrumentenwechsel? Seid nicht überrumpelt, wenn plötzlich jemand sagt „Der nächste Song ist doch der mit der Sitar.“ Ihr habt gut vorgeplant, wenn es einen Kanalzug in der DAW gibt, der schon „Sitar“ heißt, das richtige Input-Routing besitzt und ihr sofort wisst, welches Mikrofon ihr als erstes an dem indischen Instrument ausprobieren wollt. Sehr wichtig ist, dass ihr Informationen über den Raum und seine akustischen Eigenschaften habt, denn nur dann könnt ihr entscheiden, welche Mikrofone ihr mitnehmen müsst und welche Mikrofonierungsarten sich eignen. Sehr gut ist ein Stellplan, vor allem bei größeren Klangkörpern wie Big Bands und Orchestern. Könnt oder müsst ihr vorverarbeitete Signale nutzen, etwa aus einem FOH-Pult? Welche Ausgänge hat dieses, wie viele, welche Kabel sind dafür nötig, wie ist das Routing? Wo gibt es Strom, den ihr benutzen könnt? Ist vor Ort ein Tisch mit Stuhl für euch und euer Equipment, oder bekommt ihr sogar eine kleine provisorische Regie? Bei Aufnahmen in großen Räumen: Gibt es eine Haushaltsleiter, habt ihr Zugang zur Empore und dergleichen, um mikrofonieren zu können? Wer ist bei technischen oder organisatorischen Problemen euer Ansprechpartner, der bei der Aufnahme auch wirklich verfüg- oder zumindest erreichbar ist? Und wer unter den Musikern ist euer direkter Ansprechpartner? Manchmal ist es auch der Dirigent oder musikalische Leiter, mit dem ihr kommuniziert. Tipp: Versucht, eine Person festzulegen, mit der ihr im Vorfeld und bei der Aufnahme wichtige Dinge besprecht. Nicht selten weiß nämlich der Kopf nicht, was der Hintern tut. Manchmal muss man auch Erwartungen dämpfen: Dass die Berliner Symphoniker so klingen wie sie klingen, das liegt an vielen Faktoren: Am Raum, an Instrumenten, an der Qualitätsstufe der Technik, an zeitlichem Aufwand, am Mixing und Editing und natürlich auch an den Musikern.
Ein zeitlicher Ablaufplan ist ebenfalls Gold wert, den bespreche ich aber wie das nötige Equipment separat.
Wird komplett live aufgenommen oder im Overdub- oder Step-by-Step-Verfahren? Was muss wie mikrofoniert werden? Ihr habt noch nie Oboe und Fagott aufgenommen? Dann belest euch, lernt vorher etwas über die Abstrahlcharakteristiken und typische Mikrofonierungspositionen. Welches Hauptmikrosystem ist geeignet in diesem Raum, für den Klangkörper, für die Musikauswahl? Womit habt ihr im Mix die größte Flexibilität? Was sind Signale, die besonders gestützt werden müssen?
Besitzt ihr einen Kopfhörer zum Abhören? Wenn ihr im gleichen Raum sitzt, helfen auch geschlossene nicht viel. Oder habt ihr sogar transportable Lautsprecher? Müssen die Musiker ein Monitoring haben? Oder nur einer? Hier ist natürlich die Frage, was euer System diesbezüglich überhaupt leisten kann. Genauso eingangsseitig: Habt ihr genug Inputs und Preamps? Habt ihr genügend Mikros? Wenn ihr Leihmaterial verwendet, nehmt euch die Zeit, es zuvor zu testen, auszuprobieren und kennenzulernen.
Für dich ausgesucht
Manchmal ist auch Technik vor Ort, die ihr mitbenutzen könnt. Mikrofone beispielsweise, Stative, Kabel, Mischpulte, Preamps. Ich würde jedoch dringend dazu raten, soweit wie möglich eigenes Material zu verwenden. Wichtig ist wie immer, dass ihr eure Werkzeuge kennt. Sich vor Ort in ein neues Audio-Interface einzuarbeiten („Wie geht denn hier das Direct Monitoring?“) ist genauso unpraktisch wie zu erfahren, dass sich mit dem Update der DAW doch mehr geändert hat als gedacht.
In jedem Fall: Macht einen Testlauf! Nehmt die Spurenzahl in der notwendigen Länge auf. Manchmal stellt man fest, dass die Phantomspeisung einbricht, wenn wirklich an allen Preamps Mikrofone angeschlossen sind. Arbeitet auch ruhig mal mit 50-Meter-Kabeln beim Testlauf und versucht zu erkennen, ob sich klanglich etwas anders verhält als ihr es gewohnt seid.
Und dann gibt es noch ganz alltägliche Sachen: Wie kommt ihr zum Aufnahmeort? Wo könnt ihr parken? Ist jemand da, der beim Transport mit anpacken kann? Gibt es einen Zeitpunkt, zu dem ihr raus sein müsst? Könnt ihr bei längeren Sessions das Equipment sicher lagern? Ist das Material versichert? Wo könnt ihr da überhaupt etwas zu essen oder zu trinken holen?
Natürlich: Was wird eigentlich gespielt? Versucht, euch so gut wie möglich zu informieren, was die Eigenheiten von Stücken sind. Besonders bei Orchestern, Chören, Big Bands und Coverbands ist die Chance für euch gut, viel zu erfahren. Lasst euch aber in jedem Fall eine Probeaufnahme schicken, und sei es eine, die mit dem Mobiltelefon mitgeschnitten wurde. Und hört euch Vergleichsproduktionen an, vielleicht bekommt ihr sogar Infos über die dabei verwendete Tontechnik.
Recording vor Ort: Ich packe meinen Koffer und nehme mit…
Mikros, Interface, Rechner, das war’s doch eigentlich, oder? Ok, vielleicht noch ein paar Kabel. Und Stative, klar, die sollte man sicher auch mitnehmen. Aber so einfach ist es nicht…
Mikrofone: Nehmt viele Mikros mit, wenn ihr sie habt. Damit habt ihr ein hohes Maß an Flexibilität. Vielleicht passt ein Mikrofon vom Klangcharakter nicht, vielleicht ist eine andere Richtcharakteristik notwendig als gedacht. Es ist Gold wert, schnell umplanen zu können und nicht aufgrund des Materials schlechtere Ergebnisse zu bekommen. Gerade Problemlöser wie umschaltbare Großmembran-Kondenser, stark richtende oder sehr übersteuerungsfeste Mikrofone sollten in größerer Anzahl mit von der Partie sein, als sich in der Planung als absolut notwendig zeigten.
Kabel: Unterschätzt niemals die Dimensionen eines Raums. Deswegen und weil Kabel gerne einmal Defekte bekommen, solltet ihr bei Anzahl und Länge deutlich über den Planungen liegen. Nichts ist schlimmer, als festzustellen, dass die Kabel nicht ausreichen. Wenn ihr mehrere identische Kabel habt (auch unterschiedlicher Längen), dann nutzt eine Farbkodierung oder ein anderes System, damit ihr nicht versehentlich falsch steckt oder bei der Fehlersuche Probleme bekommt. Und vergesst auch nicht alle anderen Kabel. Für die Stromversorgung ist eine Kabeltrommel ideal, denkt an Mehrfachsteckdosen. Einem einzigen USB-Kabel das Gelingen einer Aufnahme anzuvertrauen ist sicher auch keine gute Lösung, nehmt Ersatz mit! Sind die Kopfhörerkabel lang genug?
Plant Defekte mit ein! Sicher könnt ihr nicht alles redundant ausführen, aber oftmals ist es sinnvoll, ein kleines Havariesystem zu haben, um einmalige Ereignisse wie Konzerte vielleicht in schlechterer Qualität mitschneiden zu können, aber das ist besser als mit leeren Händen dazustehen. Euer Computersystem muss in jedem Fall ein Backupsystem besitzen, das ihr direkt nach der Aufnahme nutzen solltet. Verlasst euch dabei nicht auf das Internet, denn der Upload riesiger Datenmengen dauert oft einfach viel zu lang.
Natürlich gibt es diese Dinge, die man schnell mal vergisst. Die Packliste muss mit, alle Informationen, die ihr zusammengetragen habt, also auch Telefonnummern, Beispielproduktionen und dergleichen. Auch wichtig: Stift und Zettel, Gaffa und Edding, eventuell Absperrband, um zu verhindern, dass Musiker zwischen den Stativen mit den teuren Mikrofonen herlaufen. Sehr gut sind Kabelmatten oder sogar Kabelkanäle! Eventuell ist eine Transportunterlage (Möbelrollbrett oder Rock’n’Roller) für die schweren Kisten nötig. Kleines Werkzeug ist ebenfalls unverzichtbar. Schraubendreher, Inbus, Multitool à la Letherman, vielleicht sogar die kleine Lötstation – nehmt mit, was nicht zu viel Platz beansprucht und gut unterzubringen ist. Auch genug Geld, um eventuell vor Ort einen Ersatz für ein Gerätchen zu beschaffen, sollte dabei sein. Klassiker: Adapter! Wenn ihr nur einen Kopfhöreradapter mit dabei habt, dann findet ihr ihn eine Woche später in der Jackentasche oder in irgendeiner Transportbox, in die er gefallen ist. Adapter kann man nie zu viele dabeihaben!
Die liebe Zeit: Es dauert immer alles länger
– Alleine das Packen dauert seine Zeit. Baut Buffer ein, denn wenn ihr überstürzt abreist, vergesst ihr womöglich wichtige Dinge.
– Es gibt zu viele Autos. Und Züge kommen auch nicht pünktlich. Also plant vor allem die Reise entsprechend großzügig.
– Parken, „ankommen“, ausladen: All diese Dinge sind nicht immer in zehn Minuten getan.
– Aufbau: Nicht immer kann man sofort alles vor Ort aufbauen, es kann auch passieren, dass jemand kommt und sagt: „Tschuldigung, der Tisch mit dem Kram kann da nicht bleiben, weil…“ – und schon habt ihr eine halbe Stunde mehr an der Backe. In jedem Fall freut ihr euch beim Aufbau, wenn ihr nichts suchen müsst, weil ihr alles so fein beschriftet und organisiert habt. Lasst euch die Zeit, Kabel ordentlich zu verlegen und alles kippsicher und ohne Stolperfallen aufzubauen.
– Recording: Bei Liverecordings mit Publikum seid ihr gebunden, aber bei freien Aufnahmen gilt: Lieber noch mal einen Take mitnehmen, ein anderes Mikrofon oder eine andere Position ausprobieren, als „fix it in the mix“ zu versuchen. Die Gelegenheit ist da, der Aufwand bis zu diesem Punkt enorm, da sollten sich die Beteiligten die zusätzliche Zeit noch leisten. Habt einen Blick für die Energie und die Stimmung der Musiker. Es ist besser, zwei richtig gute Songs im Kasten zu haben als zehn mittelmäßige.
– Abbau: Nehmt euch die Zeit und sortiert Dinge richtig ein, nutzt auch hier wieder die Packliste. Nichts ist fieser, als auf der Rückfahrt zu überlegen „Wo ist eigentlich der teure Kopfhörer?“ und ihn dann selbst beim Auspacken erst nach einer Stunde wiederzusehen (nachdem man in Panik schon herumtelefoniert hat…).
Location-Recording: Los geht`s!
Ganz wichtig: Bevor ihr einpackt, macht einen letzten kurzen Probelauf mit dem wichtigsten Equipment.
Nehmt die Packliste, sucht euch vielleicht seinen freien Platz auf Tisch oder Boden, auf dem ihr alles im Überblick habt. Macht ihr das nicht, vergesst ihr etwas, versprochen. Sucht euch gute Transportbehältnisse, die euer Equipment sicher aufnehmen können. Idealerweise könnt ihr das stapeln. Beim Transport im PKW müssen es nicht große, schwere Flightcases sein, oft tun es auch Aluminiumboxen und Plastik-Transportkisten mit Deckel. Geeignet sind auch besondere Transportsysteme, wie etwa der d’Addario Backline Gear Transport Pack. Teures Equipment ist im Idealfall verschließbar aufbewahrt. Beschriftet alles, damit ihr nicht in vier gleich aussehenden Kisten kramen müsst, wenn ihr vor Ort etwas sucht.
Macht möglichst einen Packcheck, denn so ein Auto ist vielleicht kleiner, als ihr das zunächst bedenkt. Besonders mit vielen Stativen kann es durchaus mal eng werden. Packt in jedem Fall sicher und gemäß geltender Regeln, damit nicht ein kleiner Unfall schon zu vermeidbaren Verletzungen führt. Investiert in Gurte und Netze! Schaut auch in den Kraftfahrzeugschein und haltet euch an die maximale Zuladung. Nichts ist ärgerlicher, als wenn einem vom um die Sicherheit um Straßenverkehr fürchtenden Polizisten die Weiterfahrt mit dem mit teurem Equipment beladenen Auto auf der Landstraße zwischen „Kleinbütteleiche“ und „Neu-Beekdorf“ untersagt wird.
Wichtig: Viel Spaß!
Vergesst bei aller Planerei nicht, dass es um Musik geht – und die muss Spaß machen. Es kann auch nicht immer alles wie geschmiert laufen, aber es ist tatsächlich so, dass ein gründliches Überlegen schon die halbe Miete ist. Nehmt spontane Planänderungen („Hatten wir das nicht gesagt? Ups. Sorry.“) als Herausforderung. Seid vorbereitet, ausgeschlafen, freundlich und kollegial. Also: Viel Spaß und Erfolg!