Ein FOH-Techniker läuft bei seinen Jobs auf mehreren Drahtseilen gleichzeitig. Die Erwartungen an ihn erweisen sich bisweilen vielmehr als Fallstricke, die die Arbeit und das Verhältnis aller Beteiligten vollkommen unnötig belasten können. Er soll prophetische Fähigkeiten haben und jeden Break vorhersehen. Er soll den Muckern jeden winzigen Wunsch von den Fingern ablesen, den kompletten Equipment-Park mit dem kleinen Finger bedienen können und vieles mehr. Und dann wird auch noch behauptet, nur Musiker hätten das Zeug zum guten FOH. Nur die könnten das umsetzen, was die Band erwartet. Ist das wirklich so?
Überzeugtes Statement: FOH-Techniker sind automatisch Musiker
Diese Debatte kann man vermutlich nur mit einer Portion Stage- und Event-Philosophie im Gepäck eröffnen. Die überzeugte Behauptung: FOH-Techniker sind per se automatisch Musiker. Lasst uns das Thema mal auf den analytischen Kopf stellen und kräftig durchschütteln. Denn erst im Umkehrschluss wird ein passender Schuh daraus. Ist es in der Bühnenrealität nicht so, dass Musiker zu einem gewissen Teil auch FoH-Techniker sein müssen? Schlichtweg undenkbar ist es für einen Keyboarder, die interne Sound-Library seines Instruments mitsamt Expandern und Co. nicht zu kennen. Der Saitenquäler hat sich in mühevoller Filigranarbeit sein Setup zusammengestellt und den eigenständigen Sound komponiert. Das Instrument musikalisch zu beherrschen, wird ab einem gewissen Niveau zum selbstverständlichen Handwerkszeug. Er kommt gar nicht umhin, sich – in Maßen – mit der Technik zu beschäftigen.
Technik
Das Thema ist allgegenwärtig.Noch weitaus deutlicher wird das, wenn wir unser interessiertes Auge auf die Art und Weise setzen, wie im heutigen Crossover Technik von Musikern eingesetzt wird. Was noch vor wenigen Jahren geradezu undenkbar schien, ist längst zur Realität geworden. Zahlreiche Bands verschmelzen das Spiel der „traditionellen“ Instrumentalisten mit Samples, Grooves und mehr direkt vom DJ-Pult. Und das ist gut so. Immerhin bewahrt jeder neue Trend die Kreativität vor Stillstand. Unter dem Strich steht, dass Musiker ihr individuelles Equipment beherrschen, weil sie es müssen. Nicht anders der FOH-Techniker. Sein „Instrument“ ist eben nur eine gehörige Portion größer und umfangreicher.
Vor diesem Hintergrund stelle ich die These auf, Musiker sind Equipment- und themenorientierte Techniker. FOHs sind Equipment- und themenbezogene Musiker.
FOH-Technikern hilft das musikalische Verständnis
Bewegen wir uns von diesem pseudomoralischen Erbsenzählen weg und werfen einen Blick auf den Road-Alltag. Manche Musiker trifft das schmerzhaft, aber es zeigt sich immer wieder: Oftmals sind die Sound-Spezialisten am FOH-Pult sogar die besseren, weil erfahreneren Musiker als die Protagonisten auf der Bühne. Erstens haben sie – meistens – eine Ausbildung, die ihr musikalisches Können mit faktischem Wissen untermauert. Außerdem sind viele von ihnen extrem routiniert.
Und drittens ist es doch heutzutage so, dass bei jeder musikalischen Produktion der Sound zu einem beträchtlichen Teil über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Nur wer weiß wie Sound funktioniert, kann das auch entsprechend professionell umsetzen.
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Dem Routinier mit musikalischer Vergangenheit (oder Gegenwart) kommt natürlich entgegen, dass er weiß, wie sich Klang anfühlt. Und dieses Wort „anfühlt“, ist an dieser Stelle ganz bewusst gewählt. Häufig ist er in Personalunion für den Monitormix verantwortlich. Er weiß aus eigener Erfahrung, dass zu komprimierter Klang – beispielsweise der Klampfe – im Monitor dazu führt, dass die Musiker nicht auf und mit ihren Instrumenten schweben, sondern stattdessen mit ihnen kämpfen müssen.
Ihm ist auch vollkommen bewusst, dass er eine Band nicht aufgrund falsch verstandener oder grundsätzlich verkehrter Musikerwünsche im Bühnenmix auseinanderreißen darf. Nicht zu vergessen, dass der Tech im Laufe der Zeit ein intuitives Verständnis dafür entwickelt hat, an welchen Stellen er mit seinen Fadern und EQ-Einstellungen konsequent auf die Bremse treten muss, um das Gesamtergebnis im Main-Mix nicht zu gefährden. Und das kann er auch noch logisch erklären. Dass er vor seinem musikalischen Background und der eigenen Bühnenerfahrung die Zeichen und Körpersprache der Band sehr schnell und geradezu instinktiv deuten kann, kommt hinzu.
Einfühlungsvermögen
Kaum eine Situation, die er nicht irgendwann einmal am eigenen Leib erfahren hätte. Mit ein wenig psychologischem oder einfach menschlichem Einfühlungsvermögen erkennt der Techniker, ob jemand auf der Bühne unsicher wird und exakt jetzt eine Suppenkelle voll Hilfe vertragen könnte. Sei das, da greift sich jemand mehrmals nacheinander an die In-Ear-Kopfhörer, er hält sich ungewohnt statisch an seinem Platz oder fummelt mit nervösen Füßen mitten im Song an der Effektleiste rum. Da ist schnelles Eingreifen gefragt. Wer nicht selbst in der Musikerhaut gesteckt hat, könnte solche Signale leicht falsch interpretieren oder gar nicht erst wahrnehmen.
Auf der Kehrseite der Medaille schwingt oftmals eine vollkommen menschliche Komponente mit. Je mehr und intensiver man selbst erfahrener Musiker ist, umso konsequenter entwickeln sich auch ganz persönliche Musik- und Soundpräferenzen. Ein tiefenpsychologischer Automatismus, der – obschon einfach nur gut gemeint – leicht zum besserwisserischem Allroundstempel in der Sound-Suppe sorgen kann. All das, was in der Vergangenheit an musikalischen Zusammenhängen, Reizen, Signalen, Klangfacetten und mehr einmal aufgesogen wurde, fließt plötzlich in die Arbeitsweise am Pult mit ein.
Da gehört schon ein gehöriges Maß Selbstbeherrschung dazu, den individuellen Sound der Band nicht durch eigene Vorlieben zu verkorksen. Manchmal kann zu viel Wissen eben auch schädlich und kontraproduktiv sein.
Gegenthese: Musikalischen Eigenanspruch hintenanstellen
An eben dieser Stelle spielen die (vermeintlichen) Nichtmusiker unter den FOHs ihre Vorzüge aus. Ihnen wird es weitaus leichter fallen, ihr technisches Know-how unvoreingenommen in den Dienst der Sache zu stellen. Klar, jeder Mensch hat seine Hörgewohnheiten und Hörwünsche. Daran wird auch der ausschließlich technikaffine FOH nicht vorbeikommen. Vermutlich aber wird es ihm gefühlt leichter fallen, einfach das möglichst linear weiterzureichen, was von ihm gefordert wird. Eben die Band pur, ohne dickköpfigen Soundfetischismus aus eigener Klangschmiede. Er wird sich – wahrscheinlich – eher auf darauf konzentrieren, die Facetten der Band eins zu eins rüberzubringen, ohne hier noch mal einen Fussel und dort noch mal eine Nuance zu justieren, ohne dem eigentlich bereits perfekten Ergebnis noch eine soundtechnische Sahnekrone aufsetzen zu wollen. Allerdings, das sollte für alle Beteiligten ohnehin das Grundprinzip sein. Und mal ganz ehrlich, unter uns sozusagen:
Ein FOH, der überhaupt nichts mit Musik zu tun hat, ist mir in all den Jahren noch nicht über die Füße gelaufen.
Das Vorurteil gegen FOH-Techniker aus Musikerhälsen
Übrigens: Immer wieder hört man das provokante Statement, FOH-Techniker seien verhinderte Musiker, die es eben nicht auf die Bühne geschafft haben. Manchmal ist das frotzelnd kollegial gemeint. Man greift ja gerne mal in die Mottenkiste der Mucker-Witze, auch wenn die noch so verstaubt ist und gähnende Langeweile aus ihr quillt. Dann wiederum kommt der Spruch wirklich im wahrsten Sinne des Wortes von oben herab und hat mit Kollegialität nichts mehr zu tun, zeigt vielmehr eine gewisse Respektlosigkeit vor der Leistung des Sound-Engineers.
Sorry, aber ab welchem Zeitpunkt und Status darf man sich bitteschön als Musiker bezeichnen?
Ist der Einsteiger mit der Wanderklampfe, der immerhin schon vier Akkorde beherrscht und fleißig übt, etwa kein Musiker?
Beginnt das erst bei instrumentaler Virtuosität, für die es ohnehin keine festgelegte Höchstmarke geben kann?
Was ist mit der gesamten Grauzone zwischen musikalischen Novizen und den begnadeten Helden?
Was muss man können, um sich das Prädikat Musiker auf die eigene Fahnenstange heften zu dürfen?
Schon merken wir betroffen, wie peinlich unsinniges Schubkastendenken sein kann.
Jan-Friedrich Conrad sagt:
#1 - 07.11.2023 um 21:28 Uhr
Alle Beteiligten spielen gemeinsam ein Instrument: die PA. Insofern verbindet alle gemeinsam eine Bande, eine „Band“ im Wortsinne. Dazu gehört, dass jeder die Sprache des anderen versteht: Monitor-Wünsche von Musikern sollten in dB verbalisiert werden können, zumindest sollte man wissen, dass -6dB „die Hälfte“ und +6 dB das Doppelte (vom Pegel, nicht der „Lautstärke”) bedeutet. Man sollte als Musiker wissen, dass es keinen individuellen EQ für jedes einzelne Instrument auf jedem einzelnen Weg gibt (und entsprechende Forderungen unterlassen), und dass die Frage immer lautet, was weniger kann – nicht, was lauter muss. Auf der anderen Seite ist vom Engineer zu erwarten, dass er etwa bei Resonanzfrequenzen (Rückkopplungen) etwa Große Terzen, Quinten und Oktaven hören kann und sofort erkennt, dass ein Pfiff eine Quinte über dem „Eingestrichenen A“ eben 440 Hz x 3/2 = 660 Hz ist, so wie ein Gitarrist wissen muss, dass die tiefe E-Saite auf E mit etwa 82,5 Hz schwingt, also 80 Hz der korrekt gesetzte Hochpass ist. Respektive 40 Hz beim Viersaiter-Bass. Jede MusikerIn muss wissen, dass man beim Einpegeln sofort forte zu spielen hat, anstatt fragend zu gucken. Und wichtiger noch: Die Engineers sind nicht „die Technik“, sondern die „Technikerinnen und Techniker“, weil sie Menschen sind. Das kann man hoch gegriffen finden. Aber das wäre ein Anhaltspunkt für seriöses Arbeiten.