Diese Folge richtet sich konkret an diejenigen unter euch, die sich besonders für Jazz, Jazzrock und Fusion interessieren. In den letzten beiden Episoden haben wir Drop 2 und 3 Akkorde behandelt, uns dabei allerdings auf die vier Basisvierklänge maj7, 7, m7 und m7/b5beschränkt. Selbstverständlich sind auch andere Septakkorde möglich, und ganz abgesehen davongibt es auch Akkorde mit 9, 11 oder 13! All das und vieles mehr an Spiel, Spaß und Schokolade soll Bestandteil der aktuellen Folge sein.
Betrachten wir zunächst noch ein paar weitere Septakkorde, die über unsere vier Basisvierklänge hinausgehen, wie beispielsweise 7#5, dim7, mmaj7 und maj7/b5.
All diesen Akkorden ist gemein, dass sie sich gegenüber einem Basisvierklang nur in einem Ton unterscheiden. Um vom Dom7 Akkord zum Dom7#5 Akkord zu gelangen, müssen wir lediglich die Quinte um einen Halbton erhöhen und erhalten den neuen Akkordtypus. Bevor ihr euch das Griffdiagramm anschaut, würde ich euch empfehlen, diesen Gedankenschritt an der Gitarre selbst durchzuexerzieren – und zwar für Drop 2 und Drop 3 Voicings. So lernt ihr eure Intervalle und Akkorde am besten kennen. Hier alle Dom7#5 als Drop 2 Voicing.
Unterhalb des Bildes findet ihr übrigens einen Link, der euch den Download der Giffbilder als PDF ermöglicht!
Und als Drop 3:
Um vom Moll7 zum Mollmaj7 zu gelangen, verwandeln wir die kleine Septime in eine große Septime.
MollMaj7 als Drop 2:
MollMaj7 als Drop 3:
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Und ganz besonders bequem wird es bei den vollverminderten Vierklängen, da sich pro Saitenset ein und dasselbe Griffbild für alle vier Positionen herauskristallisiert. Ausgehend vom Basisvierklang m7/b5 müssten wir nur aus der kleinen Septime eine verminderte Septime basteln, was technisch gesehen für uns mit der Sexte identisch wäre.
Hier die Dim7 als Drop 2 Akkorde:
Und als Drop 3:
Der letzte Akkordtyp in dieser Reihe ist der maj7b5, also ein maj7 Akkord, bei dem die Quinte um einen Halbton erniedrigt wird. Dieser Akkordtypus wird auch gerne “lydische Zelle” genannt, da man die b5 auch als eine #11 deuten kann und ein maj7 Akkord mit #11 den typisch lydischen Sound wiedergibt.
Später in dieser Folge werden wir noch erfahren, warum dieser Akkordtypus für uns so wichtig ist.
Hier alle lydischen Zellen als Drop 2:
Und als Drop 3:
Aus diesem Grund wollen wir noch einen Schritt weitergehen.
Unsere Basisvierklänge kamen bis dato mit vier Akkordfunktionen blendend zurecht, nämlich dem Grundton, der Terz, der Quinte und der Septime. Um neue Akkorde zu gewinnen, haben wir also lediglich an diesen Stellschrauben Veränderungen vorgenommen. Daran soll sich jetzt auch weiter nichts ändern, außer, dass wir diesmal den einen oder anderen Ton des Vierklangs durch einen Optionston ersetzen.
Hierzu müssen wir erst einmal ein paar Regeln aufstellen: Unser Grundton ist schön und gut, aber wenn wir mit einem Bassisten spielen, eigentlich überflüssig.
Aus diesem Grund darf er in unserem Akkord gerne auch mal einem anderen Ton zum Opfer fallen, z. B. der None, die ja nur unweit vom Grundton entfernt liegt. Die Regel könnte also lauten: None ersetzt Grundton.
Die Quinte ist in ihrer Funktion als reine Quinte nicht zwangsläufig nötig, um bei mehrstimmigen Akkorden den Akkordklang zu definieren, das heißt, wir können gegebenenfalls auch sie opfern, um z.B. die Sexte (bzw. 13) oder auch die #11 in den Akkord zu integrieren. Die Terz ist ein sehr wichtiger Akkordton und wir sollten sie weitestgehend unangetastet lassen. Es sei denn, wir wollen einen “sus”-Sound erzeugen (sus 2 bzw. sus 4), dann darf sie selbstverständlich aus dem Akkordbild gepfeffert werden. Bleibt noch die Septime, die ebenfalls ein sehr wichtiger Akkordton ist. Es sei denn, wir wollen Sextakkorde erzeugen (Dur 6, Moll 6). In diesem Fall wird die Septime zur Sexte.
Schauen wir doch mal, was passiert, wenn wir bei einem maj7 Akkord den Grundton gegen die None austauschen. Repräsentativ wird das jetzt mit den Drop 2 Voicings auf den höchsten vier Saitensets durchexerziert, den “ehemaligen” Grundton im Nonengriffbild habe ich”durchsichtig” markiert:
Das klingt dann so (wenn man sich den Grundton, hier C, von einem Bassisten spielen lässt):
Vielleicht fällt euch auf, dass das Griffbild, das wir erhalten, identisch ist mit dem Griffbild eines m7 Vierklangs. Das bedeutet wiederum, dass man an dieser Stelle keine neuen Akkorde lernen muss, sondern einen bereits vertrauten Griff erhält und sich folgende Regel merkenkann:
Ein m7 Akkord auf der großen Terz eines Grundtons ergibt einen maj9 Akkord. (Cmaj9 = Em7 mit C im Bass) Natürlich klingt dieser Akkord, wenn wir den Grundton des angedachten maj Akkordes im Bass liegen haben, auch nicht nach einem Moll 7, sondern tatsächlich wie ein maj9 Voicing. Aber warum ist das so? Nun, dadurch, dass unsere Vierklänge durch Terzschichtung entstanden sind und wir sie sehr häufig um Töne erweitern, die in einem Terzabstand zu einem bereits enthaltenen Akkordton stehen (die None liegt eine Terz über der Septime, die Sexte liegt eine Terz unter dem Grundton usw.), ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass wir eine bekannte Struktur wiedergewinnen. Man spricht von diesen “Akkorden im Akkord” auch von den sogenannten “Lower Structures”, wenn sie sich Akkordtöne mit dem Basisvierklang teilen oder auch von “Upper Structures”, wenn sie sich in den ganz hohen Akkordstockwerken bewegen. Im folgenden Notenbild soll das anhand eines Dm11 verdeutlicht werden:
Übrigens gilt dieses Prinzip nicht nur harmonisch beim Akkordspiel, sondern natürlich auch melodisch beim Spiel von Arpeggios: Ein Em7 Arpeggio erzeugt einen Super-Sound, wenn man es über einem Cmaj7 Akkord verwendet.
Wollen wir doch mal sehen, ob tatsächlich nicht noch mehr Verwandtschaften dieser Art bei unseren Griffen vorliegen. Verändern wir unseren maj7 Vierklang zu einem Dur 6 Akkord, wie wir das in den vergangenen beiden Folgen ja auch bereits stellenweise getan haben:
Auch hier erhalten wir ein m7 Akkordbild, diesmal jedoch auf der großen Sexte des Grundtons (C6 ist eine Umkehrung vom Am7). Betrachten wir jetzt einige Dominantseptakkorde: Beginnen wollen wir mit einem Dominant 7/9 Akkord. Auch hier wird der Grundton zur None erhöht:
Ein vertrautes Bild, denn was bleibt, ist ein m7/b5 Akkord auf der Terz (C7/9 = Em7/b5 mit C im Bass).
Auch der Dominant 7/b9 kann uns das eine oder andere Mal über den Weg laufen. Hier passiert etwas sehr Interessantes, wenn wir den Grundton zur b9 erhöhen:
Es entsteht für jeden (!) Akkord ein vollverminderter Vierklang. Um zu einem 7/b9 Akkord zu gelangen, können wir uns dementsprechend merken: Spiele einen verminderten Vierklang einen Halbton über dem Grundton oder spiele einen verminderten Vierklang auf der Terz, der Quinte oder der Septime. Es macht keinen Unterschied, da alle diese Varianten demselben verminderten Vierklang entsprechen, den man bekanntermaßen in kleinen Terzen verschieben kann.
Und welche Variationengeben unsere m7 Akkorde her? Beginnen wir mit einem m7/9 Akkord:
Durch das Erhöhen des Grundtons zur None erhalten wir einen maj7- Akkord auf der kleinen Terz des Mollakkordes (Cm7/9 = Ebmaj7 mit C im Bass).
Betrachten wir nun einen m6 Akkord, den wir durch Erniedrigen der Septime zur Sexte erhalten:
Hier begegnet uns ein m7/b5 Voicing auf der großen Sexte des Grundtons (Cm6 = Am7/b5 mit C im Bass).
Zu Beginn der Workshopfolge habe ich euch bereits einen Akkord vorgestellt, der auf den illustren Namen “lydische Zelle” hört und auf den ich an dieser Stelle noch einmal besonders eingehen möchte. Diese kleine Akkordstruktur ist so eine Art Wunderwaffe, da sie als “Lower Structure” oder “Upper Structure” über diverse Grundtöne einsetzbar ist. Je nach Grundtonverknüpfung ergeben sich sehr interessante Akkordgebilde, die in verschiedenen Kontexten einsetzbar sind:
Im Griffbild sieht das folgendermaßen aus:
Für eine bessere Übersicht habe ich die wichtigsten Verknüpfungsvarianten tabellarisch aufgezeichnet:
Oberstruktur | Auf Stufe: | Ergibt: |
---|---|---|
m7 | 3 | Maj 9 |
m7 | 6 | Dur 6 |
maj7 | b3 | m7 |
m7/b5 | 6 | M 6 |
m7/b5 | 3 | Dom 7/9 |
m7/b5 | 7 | Dom 7/#5/b9 |
dim7 | b9,3,5,7 | Dom7/b9 |
Lydische Zelle | 1 | maj7/#11 |
Lydische Zelle | 3 | Dom7/#5/b9 |
Lydische Zelle | 7 | Dom7/9/13 |
Lydische Zelle | b5 | m7/b5/11 (no 3) |
Ich könnte an dieser Stelle sicherlich noch einige Beispiele anführen, wie man durch Veränderungen des Basisvierklangs auf neue Akkorde stößt, bei denen viele Varianten bereits vertrauten Griffbildern entsprechen.
Probiert selbst ein paar Akkordvariationen aus und bedenkt dabei, dass wir jeden Akkordtyp auf allen möglichen Saitensets für Drop2 und Drop 3 Akkorde verwenden könnten.
Die Übungen, wie man neue Akkorde vertieft, sind euch bereits vertraut:
a) Die Zwölftonreihen bieten ein hervorragendes Übungsschlachtfeld:
- Ihr wählt einen Akkordtyp. 2.
- Ihr wählt eine Lage (+/- einen Bund).
- Ihr wählt eine Akkordvariante (Drop2 oder 3, welches Saitenset?).
- Ihr spielt die Reihe durch, wobei jeder Ton in der Reihe euer Grundton sein soll
b) Ihr wählt ein Übungsstück, bei dem verstärkt mehrstimmige Akkorde erscheinen, wie z. B. ein Jazzstandard aus dem Realbook oder jedes Bluesschema (Standard Blues, Jazzblues, Dur oder Moll). Als Beispiel habe ich euch einen Mollblues in C vorbereitet, das Akkordschema ist:
Betrachten wir die Akkorde genauer:
- Die Tonika ist Cm7, das heißt, wir können ihn begreifen alsCm7, Cm9, Cm6, Cm6/9, Cmmaj7 usw., ebenso die Subdominante Fm7.
- Der Ab7 ist ein nichtalterierter Dominantseptakkord, den wir als Ab7, Ab7/9, Ab7/9/13 oder auch Ab7/#11 verarzten können.
- Der G7 ist eine Dominante nach Moll und demnach mit allen alterierten Optionen versehen: #5,b9,#9 usw.
Dann mal los, hier ein Beispiel von mir. Ich verwende darin die Drop2 Voicings auf den höchsten vier Saiten, und das klingt folgendermaßen:
Hier die Tabs zu meinem Beispiel als PDF-Download:
Und das Playback zum Austoben für euch:
So viel zum aktuellen Thema.
Ich weiß, dass es in dieser Folge viel zu verdauen gilt, aber die großen Vorreiter der Jazz- und Fusiongitarre haben uns bewiesen, dass es möglich ist, soviel an Material und Theorie zu verinnerlichen und trotzdem musikalisch und überhaupt nicht analytisch oder verkopft zu klingen. Nähert euch diesen ganzen Akkordtypen sehr langsam an und versucht, sie so früh wie möglich in einen musikalischen Kontext zu bringen. Sei es durch das Spielen vieler Stücke, die verschiedene Akkorde benötigen, oder aber über Steady Grooves über einen Akkord, wobei ihr verschiedene Akkordoptionen und Umkehrungen kombiniert. Vergesst nicht, dass es in erster Linie darum gehen soll, euer Spiel musikalisch zu bereichern und facettenreicher zu gestalten. In der nächsten Folge wird es wieder bedeutend minimalistischer – versprochen!
Bis dahin viel Erfolg, Haiko