Hip-Hop-DJing und Turntablism #2

Turntablism: Dieser Begriff steht für die Verwendung von Plattenspielern, Schallplatten und Mixern als Musikinstrument. Diese Kunstform entsprang der New Yorker Hip-Hop-Bewegung der frühen siebziger Jahre und hat in der aktuellen Pop-Kultur deutliche Spuren hinterlassen. Der erste Teil unseres Bonedo-Specials handelt von der Entstehung des Hip-Hop-DJings in der New Yorker Bronx der frühen siebziger Jahre sowie der Erfindung des Scratchings durch Grandwizard Theodore.

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Im zweiten Teil des Artikels berichten wir über die wichtigsten Innovationen der Neuzeit, die Geschichte der diversen DJ-Wettbewerbe und der Battle-Szene im Allgemeinen. Und natürlich geht es auch um den Einfluss des Turntablism auf die moderne Pop-Kultur.

New Music Seminar und die ersten DJ Competitions

Das erste New Music Seminar (NMS), eine Art Treffen der im Dancemusic-Bereich tätigen Personen in New York City, fand im Jahre 1980 statt. In diesem Rahmen fanden unter anderem die MC (Rap) und DJ-Battles um die „World Supremacy“ (Weltherrschaft) statt. Diese Wettbewerbe waren also eigentlich als eine Weltmeisterschaft angedacht, bei denen in den ersten Jahren allerdings ausschließlich US-Teilnehmer antraten. So fand im Rahmen des NMS im Jahr 1981 das erste offizielle DJ-Battle statt. Der Gewinner und somit erste DJ-Weltmeister war der mittlerweile verstorbene DJ Whiz Kid aus der New Yorker Bronx.

Bis zum vorläufigen Ende des New Music Seminars im Jahre 1994 wurde jeden August in NYC der neue DJ-Champion ausgerufen. Neben den Veranstaltungen des DMC (Disco Mix Club) galten die Battles im Rahmen des Seminars weltweit als der wichtigste DJ-Wettbewerb. Eines der bedeutendsten Ereignisse der NMS DJ-Battles war 1990 die Gewinner-Performance von DJ Steve D (X-Men, später in X-Ecutioners umbenannt) aus Brooklyn, New York. Zum ersten Mal stellte er dort eine neuartige Technik vor, bei der er mit zwei identischen Platten Beats verlangsamte und gleichzeitig völlig neue Rhythmus-Pattern erstellte. Er selbst nannte diese Technik „The Funk“. Heute ist uns diese revolutionäre Methode als Beatjuggling bekannt.

Fotostrecke: 2 Bilder Im Rahmen des New Music Seminar (NMS) in New York, fand im Jahr 1981 der erste professionelle DJ-Wettbewerb statt. (Foto/Artwork: New Music Seminar/ NYC)

DMC (Disco Mix Club)

Der DMC (Disco Mix Club) wurde 1983 in England gegründet und ist eine Art „Berufsverband“ der Club- und Dancemusic-DJs weltweit. Bereits seit 1985 veranstaltet der DMC jährlich und weltweit in zahlreichen Ländern DJ-Wettbewerbe. Da Hip-Hop-DJing, inklusive Techniken wie Scratching und Backspinning, zu dieser Zeit noch etwas Brandneues war, fand das Kräftemessen zunächst einmal nur unter denjenigen Club-DJs statt, die Tracks sanft ineinander mischten. Einzelne Routines oder DJ-Sets mit einer Länge von bis zu 15 Minuten waren dabei keine Seltenheit.

So war der erste DMC Weltmeister 1985, nämlich der Engländer Roger Johnson, ein „regulärer“ Club-DJ. Doch das änderte sich bereits im Folgejahr 1986. Der New Yorker DJ Cheese führte dem Londoner Publikum neben Scratching bereits sehr simple One-Hand-Beatjuggles vor und steckte sich somit den Weltmeistertitel in die Tasche. Ein weiteres wichtiges Ereignis war die Gewinner-Performance von DJ Cash Money im Jahre 1988. Neben einer absolut atemberaubenden Performance verwendete er als Erster einen kleinen, symmetrisch aufgebauten DJ-Mixer (Gemini MX-2200). Er „erfand“ so das Konzept des heute zum absoluten Standard gewordenen Battlemixer-Formats. Mehr zum Thema findet ihr in unserem DJ-Mixer Special.

Noch Bedeutsamer für die Turntablist-Szene und den DMC-Wettbewerb war allerdings der unaufhaltsame Siegeszug einer DJ-Crew aus San Francisco/USA. So gewannen die Invisible Skratch Piklz, Mixmaster Mike, DJ Q-Bert und DJ Apollo), welche zu dieser Zeit unter dem Namen „Rock Steady DJs“ von 1992 bis 1994 gleich dreimal hintereinander den DMC WM-Titel. Bei ihren DJ-Sets liefen die Platten oft nicht mehr als eine halbe Umdrehung. Alles in ihren Performances basierte auf Beatjuggling und Scratching. Das war absolut neu und es beförderte die weltweite Szene der Turntable-Akrobaten auf ein völlig neues Niveau. In der Folge führte der DMC im Jahre 1999 eine spezielle Kategorie für DJ-Crews ein. Erste Weltmeister in dieser Sparte wurden damals die Scratch Perverts (Prime Cuts, Tony Vegas, Mr Thing, First Rate) aus England.

DMC, Turntablism und YouTube

Seit 2011 gibt es zusätzlich zur eigentlichen Kategorie der Solo-DJs, eine spezielle Online-Variante via YouTube. Dabei gewinnt derjenige, der für seine Performance die meisten „Likes“ bekommt. Erster DMC Online-Weltmeister wurde DJ Unkut aus Deutschland. Allgemein waren die Deutschen in den letzten dreißig Jahren beim DMC durchaus erfolgreich. So gewann DJ David aus Hamburg in den Jahren 1990 und 1991 gleich zweimal den DMC WM-Titel, während DJ Rafik aus Düsseldorf gar sechsmal die Weltmeisterschaft gewann.

Fotostrecke: 6 Bilder Der Disco Mix Club wurde 1983 in England gegründet und veranstaltet seit 1985 jedes Jahr eine DJ-Weltmeisterschaft.( Foto/Artwork: Disco Mix Club)

Von ITF zu IDA

Mitte der neunziger Jahre äußerten zahlreiche Turntablisten ihren Unmut über das ursprünglich für klassische Club-DJs ausgelegte Reglement des DMC. Man wollte mehr auf Hip-Hop-DJs und Turntablists spezialisierte Wettbewerbe und gründete daher Mitte der neunziger Jahre im US-Staat Kalifornien, die „International Turntablist Federation“ (ITF). Im Jahre 1996 organisierte die ITF zum ersten Mal eine Weltmeisterschaft mit den verschiedenen Disziplinen, wie Scratching, Beatjuggling, Team und so weiter. Dabei dauerten manche der Performances teilweise nur dreißig Sekunden! Dank vieler Prominenter Unterstützer der Federation, so etwa der Beat Junkies (DJ Babu, DJ Melo-D., DJ Rettmatic, J-Rocc, DJ Shortkut, u.v.m.), gewann die Federation schnell großes Ansehen in der weltweiten DJ-Gemeinde.

Auch deutsche Crews, wie die Lordz of Fitness, oder das Kölner DJ-Kollektiv Noisy Stylus waren in den Wettbewerben des ITF erfolgreich. Nach den europäischen Meisterschaften von 2006 kam allerdings das Aus für die International Turntablist Federation und als Nachfolger wurde die „International Deejay Association“ (IDA) ins Leben gerufen. Die Zentralstelle der Organisation liegt nun nicht mehr in den USA, sondern in der polnischen Stadt Krakau

Die IDA ist zurzeit mit Chaptern in den Ländern Australien, Belgien, Brasilien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Indien, Indonesien, Irland, Italien, den Philippinen, Polen, Portugal, Russland und England vertreten. Um den aktuellen technischen Entwicklung im DJ-Bereich gerecht zu werden, gibt es zurzeit auch eine Show-Kategorie. In dieser Disziplin werden Sets mit einer Länge von sechs Minuten performt. Ein Turntable ist Pflicht! Darüber hinaus ist mehr oder weniger alles erlaubt, was gefällt. So kommen Keyboards, MIDI-Controller, Sample-Player und sonstige Geräte zum Einsatz. Fertigkeiten wie Beatjuggling oder One-Hand-Juggles kommen in der Technik-Kategorie zum Einsatz. Hier dauern die einzelnen Performances, mit denen die DJs gegeneinander antreten, zwei bis drei Minuten.

Und natürlich gibt es auch eine Scratching-Disziplin. Die Sets dauern ebenfalls zwischen zwei und drei Minuten. Wohl aus Kostengründen werden viele der Vorentscheidungen mittlerweile online per Video-Upload abgehalten. Obwohl die IDA gut strukturiert ist und genau, wie die Vorgänger-Organisation von kompetenten Leuten geführt wird, konnte sie bisher nicht ganz die Bedeutung erlangen, die einst die ITF hatte. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. 

Fotostrecke: 4 Bilder Die International Turntablist Federation wurde 1996 gegründet um spezielle Wettbewerbe zu veranstalten, welche speziell für diese Art des DJings zugeschnitten waren. (Foto/ Artwork: ITF)

Scratch Innovationen

Seit Theodore Levingston (DJ Grandwizard Theodore) 1975 das Konzept des Scratchings in das Hip-Hop-DJing einführte, hat sich auf dem Gebiet sehr viel getan. Denn diese Urform bestand im Wesentlichen aus relativ simplen Baby-Scratches, bei denen mehr oder weniger durchgehende Viertel-, Achtel- oder Sechszehntelnoten erzeugt wurden. Auch langsamere Forward-Scratches gehörten in den ersten Jahren zum Repertoire der Bronx-DJs. Nicht grundsätzliche neue Techniken, aber wesentlich komplexere Rhythmen beim Scratchen, brachten Innovatoren wie der bereits erwähnte Grandmixer D.ST (heute „DXT“), Anfang der achtziger Jahre ins Spiel.

Einen richtigen Schub bekam die Entwicklung, als sich Scratch-Parts in Rap-Songs häuften. So waren bei Veröffentlichungen von New Yorker DJs wie Howie Tee (DJ und Produzent für „The Real Roxanne“) und Mixmaster Ice (DJ von „UTFO“) ab circa 1984 zum ersten Mal Chirp-Scratches zu hören. Und auch schnelle Forward-Scratches kamen durch diese beiden wegweisenden DJs „in Mode“. By the way: Wem all diese Begriffe eher wie die Namen böhmischer Dörfer erscheinen, dem empfehlen wir unseren DJing Video-WorkshopTeil1 und Teil2. Hier bekommt ihr viele der in diesem Artikel genannten Fachbegriffe erklärt und könnt im besten Fall die Techniken auch gleich noch erlernen!

Tear-Scratches habe ich zum ersten Mal im Jahr 1985 auf einem Rap-Song namens „Just Say Stet“ gehört. Der DJ der Formation, nämlich DJ Prince Paul, wurde Jahre später als Produzent der Gruppe De La Soul weltweit bekannt. 1986 entwickelte DJ Spinbad aus der US-Stadt Philadelphia den Transformer-Scratch. Andere, zu dieser Zeit aufstrebende Philadelphia-DJs wie Cash Money, DJ Jazzy Jeff und Tat Money adaptierten diesen Stil und entwickelten ihn weiter. Zur gleichen Zeit setzten sich – ebenfalls dank der innovativen Philly-DJs – schnellere, durchgängige Chirp-Scratches durch. Doch die Ideengeber kamen nicht nur aus den USA. In den Jahren zwischen 1988 und 1992 kreierten DJ Supreme und DJ Undercover von der englischen Hip-Hop-Gruppe Hijack sowie DJ Renegade (Band „Son of Noise“ – ebenfalls UK) zahlreiche, neue Scratch-Techniken.

Die bekannteste Innovation aus diesem DJ-Kollektiv ist der von der amerikanischen DJ-Szene als „Drill“ bezeichnete Scratch. Teil dieser Gemeinschaft waren auch die Bremerhavener DJs Michael Whitelov, besser bekannt als DJ Stylewarz und sein Kollege DJ Kaoz von der Band „No Remorze“. Viele der damals von europäischen DJs entwickelten Scratch-Techniken werden fälschlicherweise dem Umfeld DJ Q-Berts zugeordnet. Q-Bert selbst bestätigte in zahlreichen Interviews, dass er und seine Freunde stark durch die europäischen DJs beeinflusst wurden. Anspieltipps sind unter anderem die Songs „Style Wars“ von Hijack aus dem Jahr 1988, „The Mighty Son of Noise“ der Band Son Of Noise von 1992 sowie das Lied „Condemned To Death“ von No Remorze aus ´94.

Fotostrecke: 4 Bilder DJ-Innovator Mixmaster Ice (Mitte) mit seiner Band U.T.F.O. (Foto/Artwork: Select Records)

Ein weiterer Scratch-Innovator ist DJ Flare aus Kalifornien. Als dieser im Jahr 1992 dem DJ Q-Bert seinen neuen, mittlerweile nach ihm benannten „Flare-Scratch“ vorführte, löste er damit eine Art Kettenreaktion aus. Ein Flare-Scratch basiert auf dem umgekehrten Prinzip eines Transformer-Scratch. So lässt sich mit nur der Hälfte der Fader-Bewegungen die gleiche Anzahl an Unterbrechungen des Signals (sogenannte Clicks) performen.

DJ Disk (aus dem Skratch  Piklz Umfeld) kreierte aus dieser Technik den sogenannten „Two-Click-Flare“ (auch “Orbit” genannt), während Q-Berts DJ-Partner D-Styles später den „One-Click-Flare” daraus entwickelte. Parallel zur Entwicklung des Flare-Scratch setzte sich das Prinzip der DJ-Bands immer weiter durch.

Im Jahre 1995 folgte dann eine weitere wichtige Erfindung: der Crab-Scratch. Dessen Rhythmik erinnert an die von Kastagnetten. Im Folgejahr kamen sogenannte „Combo-Scratches“ in Mode. Dabei wurden beliebig Crabs, Flares, Chirps und Transformer-Scratches kombiniert. DJ Q-Bert stellte im Jahr 1997 die sogenannten „Fades“ vor. Dabei handelt es sich um nicht um eine eigentliche Scratch-Technik, sondern um das gezielte Ein- und Ausblenden dieser.

Turntablism und Scratching auf dem Höhepunkt

Man kann sagen, dass im Jahre 1999 Turntablism und Scratch-DJing an ihrem vorläufigen Höhepunkt angekommen waren: Neue Scratches und sonstige Innovationen werden zwar immer wieder mal vorgestellt, aber wie man so schön sagt, erfindet niemand das Rad wirklich neu.

In den letzten fünfzig Jahren Turntable-Geschichte gab es unzählige DJs, die durch ihre Kreativität und Ideen einen Beitrag zu dieser Kultur geleistet haben. So gerne ich euch alle in diesem Artikel erwähnen würde, es würde leider den Rahmen sprengen. Aber keine Sorge: “real recognize real”! 

Fotostrecke: 3 Bilder Turntable-Guru Q-Bert zusammen mit dem deutschen Musiker Funkmaster Ozone, Mitte der neunziger Jahre in seinem Studio in San Francisco. (Foto: Johann Wagner)

DJ Solo-Songs & Scratch-Hooks

Während Anfang der achtziger Jahre die DJs amerikanischer Rap-Gruppen ihre Turntables und Platten während der Produktion eher zuhause lassen mussten, waren gegen Ende der Dekade vermehrt Scratch-Parts auf den veröffentlichten Rap-Songs zu hören. Das lag unter anderem daran, dass die Bands nun dank günstigerer Produktionstechniken (Sampler und Co …) plötzlich autark arbeiten konnten. Nun war plötzlich oftmals der DJ der jeweiligen Rap-Gruppe für die Produktion der Beats zuständig.

Da war es nur selbstverständlich, dass der Anteil der Scratches in den veröffentlichten Rap-Songs stieg. Einer dieser DJs, die nun plötzlich für Produktion der Beats verantwortlich waren, ist DJ Premier von der Formation Gang Starr. Auf ihrem Debüt-Album „No more Mr. Nice Guy“ aus dem Jahr 1989 bestanden die Refrains der meisten Songs erstmals nicht aus Gesang oder wiederholten Rap-Zeilen, sondern aus gescratchten Phrasen anderer Hip-Hop Songs. Die „Word-Cuts“ waren geboren. DJ Premier manipulierte und kombinierte Satzteile verschiedener Rap-Songs per Scratching so, dass sich völlig neue Rhythmen und Sinnzusammenhänge ergaben. Dieser Stil wurde zum Markenzeichen der Gruppe Gang Starr und er ist auf allen sechs Alben, die zwischen 1989 und 2003 erschienen, zu hören. Ein gutes Songbeispiel für diesen Stil ist die Single „Step In The Arena“ aus dem Jahr 1991.

Der „Word-Cut“ Scratching-Stil fand auch in der Battle-Szene seinen Platz. Der Däne DJ Static war Mitte der neunziger Jahre berüchtigt für seine gezielten „Disses“ seiner DJ-Konkurrenz. Durch die geschickte Kombination bestimmter Phrasen verschiedener Rap-Songs kreierte er Punchlines, um seine Konkurrenten auszustechen. Ganz ähnlich, wie man das von Rap-Battles kennt. Ein weiterer Trend, welcher sich Ende der achtziger Jahre durchsetzte, waren Solo-Songs von Plattendrehern. Endlich konnten die DJs auch mal allein auf einem Song „glänzen“. Dabei sind einige wirkliche Meisterwerke entstanden. Anhören solltet ihr euch „A Touch of Jazz“ von DJ Jazzy Jeff (erschienen unter DJ Jazzy Jeff & The Fresh Prince) aus dem Jahr 1987. Aus 1989 stammen die beiden Songs „Behold the Detonator“ von DJ Too Tuff (erschien unter „Tuff Crew“) sowie einer der besten DJ-Solo-Tracks überhaupt: „DJ Premier in Deep Concentration“ von Gang Starr. 

Fotostrecke: 4 Bilder DJ Premier (links) zusammen mit seinem Band-Partner Guru auf deren Debüt-Album „No more Mr Nice Guy“ von 1989. „Word-Cut“ Refrains sind bis heute sein Markenzeichen.

Scratch Piklz und die Ära der DJ-Crews

Die DJ-Crew Invisible Skratch Piklz, die sich um Scratch-Mastermind Q-Bert in der US-Stadt San Francisco gebildet hatte, war Wegbereiter für die Turntablist-Szene, wie wir sie heute kennen. Weitere Mitglieder sind auch D-Styles, DJ Flare, Mixmaster Mike, Shortkut oder Yogafrog. Obwohl die Piklz unter dem Namen „Rock Steady DJs“ bereits 1992 den DMC Weltmeistertitel kassierten, kamen die Begriffe „Turntablism“ und „Turntablist“ erst um 1995 ins Spiel.

Für einige war es DJ Babu von der DJ-Crew Beat Junkies, der die neuen Schlagworte zuerst verwendete. Andere wiederum machen DJ Disk von den Invisible Skratch Piklz für die Wortkreation „verantwortlich“. Aber vielleicht lagen sie auch einfach „in der Luft“ und warteten nur darauf, endlich auch zum Einsatz zu kommen.

Mit dem Begriff „Turntablism“

…ist die Manipulation von Klängen von Schallplatten mithilfe von Plattenspielern gemeint, sodass völlig neue Kompositionen entstehen. Bereits Ende der 1940 experimentieren Künstler und Komponisten wie Marcel Duchamp, John Cage oder Edgar Varese unabhängig vom Hip-Hop Movement mit Plattenspielern als Musikinstrument.

Doch eine kreative Bewegung entstand im Gegensatz zur heutigen Bewegung der Turntablisten damals noch nicht. Die Anhänger dieser Bewegung agieren oft ganz unabhängig von Rap-Gruppen und verstehen sich mehr als Solo-Musiker. Ein Umstand, welcher dieser Subkultur vermutlich einen weiteren Schub gegeben hat, war die Tatsache, dass Rapper gegen Ende der achtziger Jahre vermehrt auf DJs und deren Skills bei Live-Gigs verzichteten. Stattdessen kam das Playback von damals neuartigen DAT-Playern (Digital Audio Tape).Es entstand zudem eine neue Generation von DJs, welche sich nicht auf die Performance mit Rappern, sondern mehr auf Scratching, eigene Show-Routines und DJ-Battles konzentrierte.

Nach Aussage von Mixmaster Mike performte er bereits 1989 zusammen mit Q-Bert und DJ Apollo als „DJ-Band“. Der wirkliche Durchbruch der Piklz begann mit dem Gewinn des NMS Battle 1992 durch Mixmaster Mike. Als sie als Team dann im gleichen Jahr den DMC Titel gewannen, waren weltweit alle DJ-Augen auf sie gerichtet. Als sie 1993 und 1994 insgesamt dreimal hintereinander die DMC Weltmeisterschaft gewannen, waren die Invisibl Skratch Piklz bereits zu Legenden geworden. Neue DJ-Crews wuchsen wie Pilze aus dem Boden und der Turntablisten-Motor lief auf Hochtouren.

Die bekanntesten US-Crews neben den  Piklz waren die Beat Junkies, The Allies sowie die New Yorker Crew The X-Ecutioners (Roc Raida, Rob Swift, Total Eclipse), in deren Ur-Formation bereits der legendäre DJ Steve D vertreten war. Neue Labels entstanden und die DJ-Crews begannen vermehrt, ihre eigens zusammengestellten Beats und Scratch-Effekte auf Vinyl zu pressen und diese auch zu verkaufen. Einige von diesen DJ-Break-Alben, wie die “Bionic BoogerBooger Breaks“ von 1993, sowie die „Super Duck Breaks“ aus dem Jahr 1996 wurden zu echten Kassenschlagern.

Außerdem begannen Turntablists ganze Alben, die ausschließlich Mithilfe von Plattenspielern und Mixern entstanden, zu veröffentlichen. Gute Beispiele für die neue Art von Musik auf einem Tonträger sind die Alben „Wave Twister“ von DJ Q-Bert (1998) sowie „Table Manners“ aus dem Jahr 2005 der Kölner Crew Noisy Stylus. 

Fotostrecke: 5 Bilder Mixmaster Mike ist Gründungsmitglied der Invisible Skratch Piklz und war lange Jahre fester Tour-DJ der Beastie Boys. (Foto: Detlef Rick)

Q-Berts „Kinder“ & das digitale Zeitalter

Im Jahre 2008 stellte der Amerikaner John Carluccio seine TTM-Methode (Turntable Transcription Method) vor. Dabei handelt es sich um ein ausgeklügeltes Notations-System, bei dem zum ersten Mal die Bewegungsabläufe der Hände auf der Schallplatte, aber auch die der Fader grafisch dargestellt und Scratch-Partituren so „vom Blatt“ reproduziert werden können. Auf der Website (http://www.ttmethod.com) finden sich zahlreiche Sound- und Notations-Beispiele sowie ausführliche Tutorials zum Thema. Die Page kann ich allen Scratch-DJs und Turntable-Freaks wärmstens empfehlen.

Bedeutende Turntablism-Crews der heutigen Zeit

Bedeutende Turntablism-Crews der heutigen Zeit sind zum Beispiel Ned Hoddings, Birdy Nam Nam, C2C oder Lordz of Fitness. Der Einsatz von DVS-Systemen wie Rane Serato Scratch Live oder Traktor Scratch von Native Instruments und spezielle DJ-Controller wie der Dicer von Novation haben die Szene der Turntablist und Battle-DJs sehr beeinflusst. Diese Technik hat die Riege der Vinyl-Only-Hardliner beinahe völlig verdrängt. Außerdem kommen auch visuelle Tools a´la Serato Video bei den Showcases der Plattenakrobaten vermehrt zum Einsatz und DJs werden zu VJs (Video Jockeys).

Die französische DJ-Crew C2C, die 2006 den DMC Team-Weltmeistertitel mit nach Hause nahm, arbeitet bei ihren Liveshows verstärkt mit Visuals, wie man bei ihrer Performance auf dem Frauenfeld-Festival (Schweiz) im Jahr 2013 beobachten konnte. Bei DJ Shiftee, dem 2009er DMC Weltmeister aus New York, kommt bei seinen Performances ebenfalls relativ viel Technik zum Einsatz. Er ist bekannt dafür, bei seinen Routines oft Controller wie die Maschine oder den Kontrol F1 von Native Instruments einzusetzen. 

Fotostrecke: 3 Bilder Auf der TTM-Website (Turntable Transcription Method), stehen Tutorials in verschiedenen Sprachen zur Erlernung der neuen Scratch-Notation bereit. (Abbildung: http://www.ttmethod.com)

Der Einfluss des Hip-Hop-DJings auf die aktuelle Technik und die Popmusik

Die Kunst des Hip-Hop-DJings, welches in den frühen Siebzigern durch Pioniere wie DJ Kool Herc, Grandmaster Flash und Disco King Mario entstand, hat ihre Spuren hinterlassen. Das gilt sowohl für DJ-Tools und Studiotechnik als auch für die Popmusik. So finden sich heutzutage in jedem Effekt-Tool (Hard- oder Software) zahlreiche Presets, die ihre Ursprünge bei den frühen Hip-Hop-DJs der New Yorker Bronx haben.

Egal, ob es sich dabei um Backspin-, Transform- oder Beatmash-Effekte handelt. Das gleiche gilt für Sampler wie die Maschine von Native Instruments oder die MPC von Akai. Schon allein deren Grundprinzip, nämlich Stücke von bestehenden Songs zu verwenden, diese auseinanderzuschneiden und anschließend wieder neu zusammen zusetzten, entstammt dem Hip-Hop-DJing.

Und auch in den zahlreichen, für virtuelle Instrumente, erhältlichen Libraries, dürfen Dinge wie Scratch-Effekte und Hip-Hop-Drums nicht fehlen. So ist es auch keine Überraschung, wenn in regulären Pop-Songs von Künstlern wie Robby Williams, Lady Gaga, Justin Timberlake und anderen immer mal wieder Scratching oder ähnliche Turntablism-Stilmittel zu hören sind. Hersteller wie Vestax und Rane richten den Großteil ihrer Produkte nun schon seit fast zwanzig Jahren an den Bedürfnissen der Turntablisten aus. Turntablisten finden sich mittlerweile in den verschiedensten Musik-Genres wieder. Während Performance-DJs wie Kid Koala oder DJ Shadow sich mit ihrem Trip-Hop Sound musikalisch noch in der Nähe der Rap-Musik bewegen, gibt es mittlerweile DJs in Musikarten, in denen man sie eigentlich nicht vermuten würde.

Gute Beispiele für das Nu-Metal Genre sind die US-Bands Slipknot mit ihrem DJ Sid Wilson und Linkin Park mit dem Gründungsmitglied der Band Joe Hahn. Die heutige, weite Verbreitung des Phänomen Turntablism lässt erahnen, dass diese Kunstform nicht so bald verschwinden wird. In diesem Sinne: Scratch that Itch!

Ein spezielles Dankeschön für das zur Verfügung stellen des Fotomaterials geht an: Martin Welzer a.k.a. DJ Friction, Micha Speh, DJ Shiftee & Luigi Comito a.k.a. Sir Cut

Fotostrecke: 4 Bilder Die heutige Sampling-Technologie beruht zu großen Teilen auf dem Prinzip des Hip-Hop-DJings. Beispiel: MPC Renaissance. (Foto: Detlef Rick)

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