Boss-Präsident Yoshihiro Ikegami im bonedo-Interview – Wer sich mit dem Namen Boss schmückt, der lässt in der Regel auch keine Zweifel an seiner Stellung aufkommen. Dass dieses selbstbewusste Statement durchaus seine Existenzberechtigung hat, zeigt die Geschichte des japanischen Effektgeräteherstellers: Schon seit 1977 beschert uns Boss in schöner Regelmäßigkeit Innovationen für Gitarristen, und das nicht nur in Form der beliebten und weltweit verbreiteten Effektpedale. Nach dieser langen und anhaltenden Erfolgsgeschichte könnte man sich das Leben etwas einfacher machen und den attraktiven Vintage-Markt mit Reissues und Sondermodellen der hauseigenen Klassiker fluten, denn davon gibt es eine Menge. Aber das ist nicht die Philosophie des Unternehmens. Boss versteht sich vielmehr als der „Sound-Innovator“ für die Zukunft.
Über dieses Thema und die Zukunft der Effektbranche konnten wir uns mit dem Boss-Präsidenten Yoshihiro Ikegami bei seinem Besuch in Deutschland unterhalten und erfuhren bei dieser Gelegenheit einige interessante Neuigkeiten aus erster Hand.
Die Zahlen sprechen für sich: 2013 wurde mit dem Terra Echo das 100. Boss-Pedal vorgestellt, gefolgt vom Multi Overtone MO-2 und dem Distortionpedal DA-2, eine beachtliche Leistung! Noch beachtlicher sind die Zahlen, wenn es um den Verkauf geht. Bei unserem Treffen hatten die verkauften Compact-Pedale die 13 Millionengrenze überschritten. Ein weiterer Topseller sind die Cube Amps, die zwar unter dem Roland-Logo vermarktet werden, aber aus der Boss-Entwicklungsabteilung stammen. Auch hier hat der Verkauf die Zwei-Millionen-Marke geschafft, eine stattliche Zahl, wenn man bedenkt, dass die Cube-Serie der dritten Generation mit integrierten Effekten und COSM-Technologie erst seit 2002 auf dem Markt ist. Das sagt einiges über die Beliebtheit der Übungsamps aus, und die Retour-Rate von weit unter einem Prozent über ihre Zuverlässigkeit.
Spricht man Yoshihiro auf diese immensen Verkaufszahlen an, kommt eher Bescheidenheit zum Vorschein:
Yoshihiro Ikegami: “Natürlich sind die Zahlen sehr positiv, aber uns geht es in erster Linie um gute, innovative Produkte. Wir wollen auch keine “Legend-Company” sein, Boss war und ist bis heute der Sound-Innovator.”
Und an innovativen Produkten mangelte es im Laufe der Zeit in der Tat nicht. Nach den legendären Pedalen der Siebziger Jahre folgten in den goldenen 80ern die Multi-Effekte, die zum Teil unter dem Roland-Logo auf den Markt kamen. Eine bahnbrechende Entwicklung war damals das GP-8, eines der ersten Multi-Effekte für Gitarristen im 19″ Format.
Bereits 1995 präsentierte man als einer der ersten Hersteller Produkte mit Amp-Modeling. Das Zauberwort hieß COSM (Composite Object Sound Modeling), und das erste Effektgerät mit dieser Technologie war das GP-100, ein Modeling-Preamp mit Effekten im 19″ Format. Ein weiteres spektakuläres Produkt war das im selben Jahr veröffentlichte VG-8 (Virtual Guitar System), das außer Amps gleich auch noch Gitarren simulieren konnte. Und das bei Bedarf auch mit Open Tunings, ohne dass dafür die Gitarre verstimmt werden musste – damals eine absolut revolutionäre Technologie. Manche Gitarristen ließen ab sofort ihren kompletten Fuhrpark an Amps und Gitarren zu Hause, andere widmeten sich den jetzt möglichen neuen und ziemlich abgedrehten Sounds (z.B. Reeves Gabrels bei David Bowie). Die COSM-Technologie wird heute immer noch eingesetzt, allerdings nicht mehr in der ursprünglichen Form.
YI: “Auch wenn viele meinen, unsere COSM-Technologie (Composite Object Sound Modeling) sei veraltet, stimmt das ganz und gar nicht. COSM analysiert Schaltkreise in allen Details und nicht nur einzelne Teile, sondern auch das Reaktionsverhalten von Röhren, Trafos, etc. Damit steht es auf einer höheren Modeling-Stufe, weil es auch die Lebendigkeit eines Systems analysiert und nachbildet. Tatsächlich ist COSM auf dem neuesten Stand, denn wir arbeiten konstant daran, Analyse und Modeling zu verbessern. Dass wir es nicht an die große Glocke hängen, ist für uns selbstverständlich. Die COSM-Technologie von gestern, heute oder morgen verändert sich permanent und wird immer fortschrittlicher, auch wenn wir nicht jeden Fortschritt sofort bekanntgeben. Dass die COSM-Technologie vor zehn Jahren nicht so ausgereift war wie heute, ist der logischen Entwicklung der Elektronik-Branche geschuldet. Wer ´COSM´ liest und glaubt, dass in einem Gerät die Sounds der 90er stecken, der liegt falsch.”
Es folgten bis zum heutigen Tag eine Menge (Multi)-Effekte, die dank besserer Prozessoren auch in Sachen Klangqualität erheblich zulegen konnten. 2001 erschienen die Twin-Pedale, und mit dabei war ein kleines rotes Kästchen, das im Grunde genommen eine neue Musiker-Generation generierte. Die erste Loop-Station mit dem Namen RC-20 war geboren und Leute wie Rico Loop oder andere Loop-Station-Artists, vom Singer- Songwriter bis zum Beatboxer, erhielten ihr ultimatives Performance-Tool. Ein Genre, das es ohne diese Erfindung nicht gäbe, denn in diesem Fall war es die Technik, die den Musiker zu Neuem inspiriert.
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In diesem Zusammenhang ist es natürlich interessant zu erfahren, wer eigentlich hinter diesen Entwicklungen steckt und wie das Ganze von der Idee bis zum fertigen Produkt abläuft.
Y.I.: “In unserem Unternehmen ist nicht eine Person für etwas zuständig, wir arbeiten immer als Team. Es dauert etwa ein Jahr von der Idee bis zum fertigen Produkt. Bei Compact-Pedalen sind meistens zwei bis drei, bei Multi-Effekten vier bis fünf Entwickler involviert. Unsere Techniker sind immer auf der Suche, der Markt wird analysiert, Musiker, die uns als Berater zur Verfügung stehen, werden gefragt, alles wird gesammelt und schließlich setzen wir uns zusammen, diskutieren und dann geht die Reise los. Auch die Leute vom Marketing sind einbezogen, die das Ganze schließlich verkaufen müssen. So entstand zum Beispiel auch die Idee, drei Pedale mit MDP-Technologie herzustellen. Aber außer dem einen eben aufgezeigten Weg gibt es noch viele weitere. Jedenfalls steht am Anfang immer die Idee oder ein Hinweis, und dann versuchen wir, es umzusetzen. Dabei geht es uns in dieser Phase nicht um den Markt oder Bedürfnisse, sondern zuerst einmal darum, eine Innovation wachsen zu lassen. Business ist Business, aber unsere Techniker denken primär nicht ans Geschäft. Sie denken eher wie Musiker und sind immer leidenschaftlich auf der Suche nach neuen Sounds und wie sie diese in einem Gerät umsetzen können.”
Bei den drei neuen Compact-Pedalen, die bis September 2013 erschienen und die auch etwas speziellere Sounds erzeugen können, kommt der Name einer neuen Technologie ins Spiel, MDP (Multi Dimensional Processing).
Y.I.: “MDP hat mit Modeling nichts zu tun, es ist eine Technologie, die uns hilft, andere, nicht herkömmliche Sounds zu erzeugen. Ich hatte meine Techniker gefragt, ob ich die neuen Pedale antesten kann. Beim DA-2 war ich sofort davon begeistert, wie fein das Pedal auf den Anschlag reagiert und auch bei hohen Verzerrungen noch klar klingt. Obwohl es kein Analogpedal ist, spricht es sehr gut an und erzeugt für mein Empfinden einen fast noch breiteren Klang. Für mich ist es eine Art moderner DS-1 Distortion. Beim Terra Echo war mein erster Eindruck ‘Oh, very funny sound…’ und ich wusste nicht, ob ich so etwas einsetzen kann. Nach etwa zehn Minuten war das schon anders. Das Terra Echo Pedal hat einen sehr spacigen Klang und mit ihm generiert selbst ein normaler Mono-Amp einen sehr breiten Sound. Bei diesen neuartigen Sounds sollte man sich etwas mehr Zeit zum Antesten nehmen.”
Viele Hersteller bringen aufgrund der großen Nachfrage nach Vintage-Equipment Reissues ihrer legendären Pedale heraus, bei Boss passiert das nicht allzu oft. Warum?
Y.I.: “Im Moment ist es in, Boutique-Style-Effektpedale zu bauen. Viele fragen uns, warum wir keine Custom-Pedale herstellen oder das Reissue eines Klassikers aus unseren Anfangstagen. Ich kann das zwar verstehen, aber das ist nicht unsere Intention. Boss ist der Sound-Innovator und deshalb geht unser Blick in die Zukunft. Wir sind konstant auf der Suche nach Möglichkeiten, neue Klänge zu erzeugen, und nicht, alte aufzuwärmen. In diesem Sinn sind Terra Echo und Multi Overtone sehr einzigartige Geräte, die eben diesen neuen, innovativen Sound erzeugen, an den man sich erst einmal gewöhnen muss – auch mir ging es so. Was die Klassiker anbetrifft, haben wir manche analoge Pedale aus dem Sortiment nehmen müssen, weil man bestimmte Originalteile auf dem Markt nicht mehr bekommt. Wenn wir trotzdem ein klassisches Produkt wieder ins Programm aufnehmen wollten, könnte es aus diesem Grund auch nicht mehr das beliebte alte Pedal sein. Und schließlich stellt sich die Frage, warum wir nicht unsere “neue” Technologie nutzen und das Ganze kombinieren. Beim Space Echo (RE-20) hat das sehr gut funktioniert und der DA-2 ist in etwa ein moderner DS-1. Diese Symbiose ist es, was ich als “Modern Vintage” bezeichnen möchte. Und das ist der Weg von Boss.”
Bei einem Hersteller, der seit 1977 nach vorne schaut und immer mit etwas Besonderem aufwarten kann, ist es natürlich interessant zu erfahren, was in Zukunft zu erwarten sein wird und wie er das Effekt-Business einschätzt.
Y.I.: “Komplexe Produkte sind nicht gefragt, und wir legen deshalb großen Wert darauf, dass unsere Geräte sehr einfach zu bedienen sind. Auch sind meines Erachtens die Zeiten vorbei, in denen man möglichst viele Sounds in ein einzelnes Gerät packte. Ein Sound reicht, wenn er qualitativ gut ist. Was die Ausführung anbelangt, ist mittlerweile die Nachfrage nach Multi-Effekten geringer geworden, es geht mehr in Richtung Stompbox, weil sie einfacher zu bedienen ist. Auch die Cube-Amps haben wir bei Boss konzipiert und ihnen einige Effekte mit wirklich einfacher Bedienung eingebaut. Mit Chorus, Reverb oder Delay lassen sich so sehr schnell gute Sounds einstellen. Und wenn ich jetzt noch ein Overdrive-Pedal davorschalte, dann ist das eigentlich schon alles, was ich brauche. Viele Gitarristen sind mit dieser Kombination von Effekt-Amp und Pedal zufrieden, was den Markt für Multi-Effekte recht schwierig macht. Und weil die meisten ihre Zeit nicht damit verbringen wollen, für ihren Sound an Parametern zu schrauben, sind vorgefertigte, gute Patches für Songs oder Styles gefragt, damit es schnell geht. Das ist eines unserer Ziele, mit dem auch ein Multi-Effekt wieder interessanter werden kann. In den Anfangstagen der Multi-Effekte war die Nachfrage nach noch mehr Einstellmöglichkeiten und Parametern sehr groß, je mehr, desto besser. Heute geht der Weg weg von der Masse, viele können die zahllosen Parameter nicht mehr kontrollieren, deshalb ist ein Schritt zurück wahrscheinlich das Beste. Der Vorteil eines Multi-Effekts liegt auf der Hand, man kann ein Setting für einen Song einstellen und per Knopfdruck die unterschiedlichsten Sounds abrufen, was mit einzelnen Pedalen so nicht möglich ist. In dieser Hinsicht unterscheiden sich auch unsere Multi-Effekt-Serien ME und GT. Die Geräte der ME-Serie sind eher wie eine Reihe von Pedalen aufgebaut, es gibt Regler und weniger Parameter zum Editieren. Die GT-Serie ist wesentlich komplexer. Sie bietet mehr Möglichkeiten, ist dafür aber auch etwas schwieriger zu bedienen, vergleicht man sie mit Effektpedalen.”
Vielen Dank für das Interview.
Wir sind natürlich gespannt, mit welchen Sounds uns das Boss-Pedal Nummer 103 überraschen wird und welche innovativen Geräte uns im nächsten Jahr auf der Messe in Frankfurt vorgestellt werden.