Der Millennia HV-35 ist ein Mikrofon-Vorverstärker für APIs 500-System – und bei uns im Test. Millennia-Preamps werden geschätzt für ihren klaren, neutralen Klang, weswegen sie sich überall dort zuhause fühlen, wo höchste Ansprüche an saubere Audiosignale gestellt werden. Hält auch der 500-Preamp, was der Name verspricht?
Der amerikanische Hersteller hat sich vor allem – aber nicht nur – im Klassik- und Jazz-Segment etabliert. Überall dort, wo es um feine, räumlich bestens aufgelöste Signalverstärkung geht, ohne die in der Pop-Produktion oftmals gewünschten harmonischen Verzerrungen, werden Millennia-Preamp heiß und innig geliebt. So setzen beispielsweise einige der großen Scoring-Stages bevorzugt auf Vorverstärker dieses Herstellers. Nur eine Handvoll von Preamp-Typen kommt hier in die engere Auswahl für die wichtigsten Signale, etwa die Mikrofone des sogenannten Decca-Trees, die das Fundament bilden für viele Orchester-Aufnahmen. In den wichtigen Scoring-Stages, etwa Abbey Road und AIR Lyndhurst in London, vor allem aber Fox und Sony in Los Angeles, kann man die Preamps, die für diesen Zweck als leistungsfähig genug angesehen werden, an einer Hand abzählen. Neben einigen Neve-Preamps wie der fernsteuerbaren 1081-Variante oder den bordeigenen Preamps der 88R-Konsole kommen hauptsächlich zwei Outboard-Marken zum Einsatz: Grace oder eben Millennia.
Der Millennia HV-35 ist eng verwandt mit den 19“-Flaggschiffen des kalifornischen Anbieters. Es gilt aber, die Frage zu klären, inwiefern in puncto Patzbedarf, Stromversorgung und dergleichen bei der 500-Adaption etwaige Abstriche gemacht werden mussten – hier sind die Hersteller ganz einfach auf die Vorgaben des Modulstandards angewiesen: Sie müssen sich in einem standardisierten Rahmen bewegen, den sie nicht selbst definiert haben.
Details
Keine Einzelwiderstände wie beim großen Bruder
Als einkanaliger Mikrofonvorverstärker beansprucht der HV-35 eine Slotbreite in der Lunchbox, gibt sich also angemessen bescheiden, was den Platzbedarf betrifft. Trotzdem verfügt er über eine ungemein praxistaugliche Ausstattung, bei der man nichts vermisst. Der Pegel wird über ein einziges Poti im Bereich von +15 bis +60 dB eingestellt – und das ist auch sinnvoll. Denn die Idee bei diesem Preamp ist größtmögliche Klarheit über den gesamten Verstärkungsbereich. Verschiedene Gain-Stufen, die mit Input- und Output-Potis in die Sättigung gefahren werden können, wären da nur kontraproduktiv, deswegen geht bei einem solchen Konzept ein einziges Poti für den gesamten Pegelbereich voll in Ordnung. Die 19“-Versionen setzten teilweise auf – in technischer und klanglicher Hinsicht vorteilhaftere – Drehschalter mit Einzelwiderständen, aber dafür war in der 500-Kassette vermutlich kein Platz. Das große Angebot an Preamps mit Potis beweist jedoch, dass auch mit diesen Bauteilen gutklingende Schaltungen möglich sind.
Standardfunktionen und Ribbon-Mode
Neben dem Poti verfügt der HV-35 über eine Reihe von sechs Schaltern, die allesamt mit LEDs beleuchtet werden, und die bestimmte Funktionen des Preamps aktivieren. Es lässt sich eine frontseitige Hi-Z-Instrumentenbuchse aktivieren, außerdem Phantomspeisung, eine Phaseninvertierung, ein 15-dB-Pad sowie ein Trittschallfilter bei 80 Hz. Dazu verfügt der HV-35 noch über den sogenannten Ribbon-Mic-Modus, der sich speziell für Bändchen- und andere dynamische Mikros eignet. Hier wird das Eingangssignal DC-gekoppelt auf die Verstärkungsstufe geführt. Der Verzicht auf einen Koppelkondensator in diesem Modus hat Vorteile im Frequenz- und Phasengang des Signals, und zudem stellt der HV-35 dann auch noch eine extra Gainreserve von 10 dB zur Verfügung, die Gesamtverstärkung erhöht sich also auf sehr ordentliche +70 dB.
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Keine Transformatoren – natürlich
Die Transistorschaltungen des HV-35 sind durchgehend symmetrisch aufgebaut und verzichten auf Ein- und Ausgangsübertrager, ganz im Sinne größtmöglicher Transparenz. Die Schaltfunktionen werden über Relais realisiert, der insgesamt sehr saubere Aufbau der Hauptplatine folgt modernen Kriterien, ohne jegliche Berührungsängste mit SMD-Bauteilen und integrierten Schaltungen. Wie wir wissen, lassen sich mit solch einer Topologie ungemein saubere und leistungsfähige Prozessoren mit großer Bandbreite herstellen, wofür der HV-35 wieder mal ein guter Beweis ist – das kann ich dem Praxisteil schon vorwegnehmen. Für Klangfärbungen sind Röhren, Übertrager, Spulen und dergleichen natürlich spitze, aber genau darum geht es hier eben genau nicht.
Schlichtheit
Die Fertigung des geschlossenen Ganzmetallgehäuses ist allererste Sahne, das Modul gibt sich durch und durch robust, langlebig und bei allem optischen Understatement durchaus wertig. Wenn ich mir an dieser Stelle eine persönliche Bemerkung erlauben darf: Ich stehe nicht so auf bonbonbunte Frontplatten – das klassische Schwarz des Millennia macht sich in jeder Umgebung hervorragend…
Das 500-Format legt die Grenzen fest
Nichtsdestotrotz gibt es konstruktiv zu den 19“-Varianten ein paar Unterschiede. Diese arbeiten mit einem ±24V-Netzteil, was sich in einem höheren Headroom niederschlägt. Eingangsseitig akzeptieren die 19“-Millennias satte +23 dBu, was eine schaltbare Eingangsdämpfung überflüssig macht. Diesen Wert erreicht der HV-35 nicht ganz, aber mit der Pad-Schaltung ist die Welt dann wieder in Ordnung. Mehr gibt das ±16V-Netzteil des 500-Standards nicht her, aber das ist eine Einschränkung, die natürlich alle Anbieter gleichermaßen betrifft. Mit einem Ausgangspegel von +28 dBu bei Klirrwerten im Promillebereich ist man mit dem HV-35 dennoch auch für kritischste Anwendungen bestens gerüstet.