Rupert Neve Designs Portico 543 im Test: Neves Kompressoren genießen kaum weniger Legendenstatus als die Preamps/EQs aus der Feder des britischen Designers. In technischer Hinsicht ist der Portico 543 von Rupert Neve Designs jedoch ganz anders aufgebaut als seine Vintage-Urahnen. Ist der jüngste Spross trotzdem ein würdiger Thronfolger?
Als Rupert Neve in den 60er-Jahren den 2254 und damit den Urvater all seiner Dynamikmodule entwickelte, setzte er beim Regelelement auf eine Diodenbrücke. Dabei handelt es sich um ein eher exotisches Verfahren, das zwar in England zu dieser Zeit recht populär war (auch die hauseigenen EMI-Kompressoren arbeiten mit diesem Prinzip), das sich andernorts aber nicht wirklich durchsetzen konnte. Nichtsdestotrotz sind dem Audio-Pionier, der heute in Texas lebt und die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hat, auf Basis der Diodenbrücke Kompressordesigns gelungen, die Studiotechnikgeschichte geschrieben haben. Kompressoren wie der 2254, 2264 und der 33609 zählen zu den am meisten gesuchten Vintage-Klassikern, und das, obwohl ihre Schaltung durchaus einige Nachteile hat, wie etwa ein etwas ungünstiges Nebengeräuschverhalten.
Wir können also nicht genau sagen, was Rupert Neve dazu bewogen hat, bei dem Dynamikmodul der Portico-Reihe einen Paradigmenwechsel einzuleuten. Jedenfalls arbeitet dieser Kompressor/Limiter mit einem VCA als Regelelement, bewegt sich also eher in der API/SSL/DBX-Tradition. Man kann sicherlich behaupten, dass sich mit VCA-Designs besonders flexible Dynamikprozessoren realisieren lassen, und vielleicht ist dies der Grund, warum Neve beim 543 auf ein VCA-Regelelement setzt. Auch andere Parameter seiner aktuellen Entwicklungen verraten, dass Rupert Neve auch als Urgestein der Schaltungstechnologie keine Berührungsängste mit modernen Design-Ansätzen hat. Wie auch immer: Der RND Portico 543 ist auch mit VCA ein „echter Neve“ – das werden wir im folgenden genauer beleuchten.
Details
Viel Aufholverstärkung
Als klassischer VCA-Kompressor verfügt der 543 über alle fünf Parameter, die gemeinhin als Standard bei solch einem Gerät gelten – und all diese Parameter lassen sich auch stufenlos mit Potenziometern einstellen. Zunächst sind Threshold (-30 bis + 20 dB) und Make-Up-Gain (-6 bis +20 dB) für die Pegelstruktur zuständig. Damit lässt sich die Eingangsschwelle des Regelelements in einem sehr weiten Bereich anpassen, mit maximal 20 dB Verstärkung am Ausgang lässt sich auch ausgesprochen heftige Pegeleduktion kompensieren.
Merkwürdige Paarung der Zeitparameter
Die Kompressionsrate lässt sich zwischen 1:1 und 40:1 (was ein Quasi-Brickwall-Effekt ist) einstellen, wobei der Poti-Regelweg zwischen 1:1 und 8:1 besonders fein aufgelöst ist. Dieser so wichtige Einstellbereich umfasst in etwa drei Viertel des Regelwegs. Die Parameter Attack und Release können zwischen den Werten 20-75 ms beziehungsweise 0,1-2,5 s justiert werden. Das ist ungewöhnlich: Während der Release-Parameter praktisch den gesamten üblichen Bereich abdeckt, stehen Attackzeiten nur in dem Bereich zur Verfügung, der gewöhnlich für Drumbus- und Summenkompression herangezogen wird: von 20 mS an aufwärts. In der Theorie müssten damit einige Anwendungsbereiche ausfallen, wie z.B. eine extrem schnelle Kompression, die beim Tracking Transienten sicher abfängt, doch so viel sei schon an dieser Stelle verraten: Auch wenn es „auf dem Papier“ nicht so aussieht (und wie auch immer das technisch funktioniert): Der RND 543 arbeitet zackiger als man denken sollte. Mehr dazu weiter unten!
Sidechain-Filter aktivierbar
Neben diesen fünf Potenziometern stellt der 543 noch einige Schaltfunktionen bereit, mit denen man die Arbeitsweise und das Regelverhalten des Kompressors weiter beeinflussen kann. Relativ simpel erklärt ist das Sidechain-Hochpassfilter: Dieses greift bereits recht hoch bei 250 Hz ein und filtert die tiefen Signaleinteile heraus, so dass der Detektor sie nicht „sehen“ kann. Das sorgt dafür, dass der Komprtessor weniger stark auf Bässe und Tiefmitten reagiert und diese demnach weniger stark komprimiert werden – die Folge ist ein runderes, wärmeres Ausgangssignal, das in den Tiefen auch bei heftiger Kompression mehr „atmet“.
Peak/RMS
Zusätzlich kann der 543 zwischen Peak- und RMS-Detektion umgeschaltet werden. Im Peak-Modus reagiert der VCA stärker auf die Signalspitzen beziehungsweise die Spannungsspitzen des Detektorsignals, welche somit zuverlässiger abgefangen werden können. Der RMS-Modus ist mehr dem menschlichen Lautheitsempfinden angepasst. Der Kompressor glättet dann das Sidechain-Signal bis zu einem gewissen Grad, was dazu führt, dass vielleicht Peaks nicht ganz so exakt „betreut“ werden, die Kompression aber weicher und runder wird, was beispielsweise für die Vocal-Kompression von Vorteil sein kann.
Abgreifpunkt des Detektors wählbar
Um das Feature-Set komplett zu machen (mehr kann man sich von eine VCA-Comp praktisch nicht wünschen…) kann der 543 auch noch zwischen Feedback- und Feed-Forward-Kompression umgeschaltet werden. Im letzteren Fall wird das Detektorsignal direkt am Eingang abgegriffen, im ersteren erst hinter dem VCA. Während der Feed-Forward-Modus exakter arbeitet, sorgt der Feedback-Modus dafür, dass die Kompression weicher wird und sich stärker dem Charakter des Eingangssignals anpasst. Viele Vintage-Kompressoren arbeiten von Haus aus im Feedback-Modus, während die Feed-Forward-Kompression sich beispielsweise für knallige 80ties-Drums anbietet. Schließlich verfügt der 543 noch über einen Link-Modus, der ebenfalls mit einem frontseitigen Schalter aktiviert wird. Zu verkoppelnde Einheiten können zu diesem Zweck mit einem Link-Kabel verbunden werden, das in eine Buchse oberhalb der Modul-Messerleiste gesteckt wird. Auch in Punkto Metering ist der 543 gut bestückt: Er verfügt über zwei LED-Ketten mit jeweils acht Segmenten für die Anzeige von Pegelreduktion und Ausgangspegel. Damit behält man in jeder Betriebssituation die volle optische Kontrolle.
Nicht an wesentlichen Punkten gespart
In technischer Hinsicht macht das Modul einen ebenso guten Eindruck wie die anderen Geräte aus dem Programm des Herstelles. Das optische Erscheinungsbild ist ausgesprochen wertig, und dies liegt gleichermaßen am Design und an der Konstruktion. Es kommen innerlich und äußerlich hochwertige Ingredienzien zum Einsatz, von den aus Aluminium hergestellten Potikappen bis hin zu den beiden Audio-Übertragern (Eingang und Ausgang), die von Rupert Neve höchstpersönlich spezifiziert wurden. Mit einem Mix aus konventionellen und SMD-Bauteilen gefertigt, wird der 543 auf der Höhe der Zeit produziert – sicherlich ein Aspekt der hilft, in der Produktion Kosten zu sparen, ohne dass bei wirklich entscheidenden Ressourcen, wie etwa der Qualität der Audio-Übertrager, der Rotstift angesetzt werden muss.
Karl Valentine sagt:
#1 - 16.12.2016 um 23:23 Uhr
This is really excellent journalism. I will probably make a buying decision based on this excellent review. Thank you! Karl Valentine