Mit dem 1176 von Universal Audio ist es wie mit den klassischen Gitarrendesigns: vor Jahrzehnten entwickelt, auch heute noch leuchtendes Vorbild. Der Vergleich ist gar nicht schlecht: Vielleicht mag es in der Zwischenzeit einen gewissen technischen Fortschritt gegeben haben und ganz neue musikalische Genres ließen auch auf Seiten des Equipments ganz andere Notwendigkeiten entstehen, aber auch heute noch erfreuen sich die klassischen Entwicklungen – beispielsweie von Leo Fender – allerhöchster Beliebtheit, auch heute noch sind sie in Form, Funktion und nicht zuletzt Klang eine Referenz, auf die Spieler wie Instrumentenbauer immer wieder zurückkommen. In diesen Gründungstagen der Popmusik in den 50er und 60er-Jahren muss ein Geist durch die Straßen geweht sein, der Erstaunliches zu Tage brachte. Damals wurde an allen Fronten Neuland betreten, findige Ingenieure steckten Claims ab, und es wurden viele Dinge, die wir heute in der Musikproduktion für selbstverständlich halten, zum allerersten Mal gemacht.
Den Schwung diese Zeitgeistes nahm auch das Multitalent Bill Putnam mit, seines Zeichens Universal-Audio-Mastermind, Studiokonstrukteur und Lieblings-Engineer von Größen wie Frank Sinatra, als er den 1176-Kompressor auf den Markt brachte. Dies geschah um 1967/68, gerade noch rechtzeitig, um den 1176 als „ersten kommerziell erhältlichen Transistorkompressor“ anpreisen zu können. Das ist nur fast richtig, wenn man den Blick auf die Errungenschaften der deutschen Tonstudiotechnik der damaligen Zeit wirft, aber aus amerikanischer Perspektive hatte es allemal Gültigkeit – und aus britischer ohnehin.
Details
Ein findiger Geist mit tontechnischem Sachverstand
Bill Putnams Aufzeichnungen, die sich noch heute im Besitz von der von seinen Söhnen geführten Firma Universal Audio befinden, belegen, dass der amerikanische Unternehmer unter Hochdruck Wege suchte, wie man sich die in den 60er-Jahren noch frische Transistortechnik in der Musikproduktion zunutze machen konnte. Der 1176 ist dabei nicht aus dem Nichts heraus entstanden: Im grundsätzlichen Layout ähnelt er den 175/176-Vari-Mu-Limitern von Universal Audio. Der Feldeffektransistor (FET) als Regelelement wird an der selben Stelle im Schaltkreis eingesetzt wie der Optokoppler beim LA-2A (Bill Putnam hatte dessen Hersteller Teletronix Mitte der 60er kurzerhand aufgekauft), und die Transistorausgangsstufe basiert auf dem hauseigenen 1108-Transistorvorverstärker. Kurzum: Die Zutaten lagen bereit, und es bedurfte eines findigen Geistes, um sie adäquat zusammenzufügen.
Augenscheinlich zahlte es sich aus, dass Bill Putnam dies mit seinem tontechnischen Sachverstand tat. Denn mehr als vier Jahrzehnte, dreizehn Revisionen und eine fünfstellige Anzahl von Vintage-Geräten später dürfte klar sein, dass Putnam hier einen wahren Klassiker geschaffen hatte, vielleicht den bekanntesten und beliebtesten Studiokompressor aller Zeiten. Ein Gerät, über das der Stones- und Led-Zeppelin-Engineer Andy Johns einmal sagte: „Wenn ich in ein Studio komme, in dem ich arbeiten soll, dann frage ich als erstes danach, wieviele 1176 sie haben. Ich brauche mindestens sechs, weil es meine absoluten Arbeitspferde sind. Für Gesang gibt es wirklich keinen besseren Kompressor, es gibt kein anderes Gerät, das so gut klingt. Wenn du dich um deinen Garten kümmerst, dann brauchst du einen Spaten; wenn du Auto fahren willst, solltest du etwas Benzin im Tank haben; und wenn du eine Platte machst, dann brauchst du ein paar 1176.“
Umdenken ist bei den Attack- und Release-Potis Pflicht
Werfen wir doch einmal einen Blick auf die Einzelheiten, die den 1176 definieren und solch ein besonderes Gerät aus ihm machen. Zunächst einmal ist die Bedienung dieses „Arbeitspferdes“ denkbar einfach, wenn auch vielleicht etwas ungewöhmlich, wenn man vor allem gängige VCA-Designs gewohnt ist. Zunächst einmal verfügt der Kompressor über einen festen Threshold. Das bedeutet: Mit dem Input-Poti wird der Eingangspegel definiert und damit auch, wie weit das Signal die Ansprechschwelle des Regelkreises überschreitet. Je mehr man aufdreht, desto mehr kommt hinten wieder raus, abzüglich der zunehmenden Pegelreduktion. Für den Ausgangspegel ist dann schließlich das Output-Poti zuständig. Dieses Konzept erlaubt ein sehr intuitives, musikalisches Arbeiten, denn im Eifer des Gefechts will man ja meistens „mehr“, und genau diese Denkweise unterstützt das 1176-Layout. Die Kompression lässt sich ferner feintunen mit den Attack- und Release-Potis (welche, das dürfte mittlerweile allgemein bekannt sein, „falsch herum“ laufen, mit den kürzesten Zeiten am Rechtsanschlag), sowie mit vier Schaltern für die Ratios 4:1, 8:1, 12:2 sowie 20:1.
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Begrenzungsverstärker
So weit, so gut! Den Charakter des Kompressors bestimmen jedoch ein paar Aspekte, die man ihm nicht unbedingt an der Nasenspitze ansieht. Von Haus aus heißt das Gerät „Limiting Amplifier“, also zu deutsch „Begrenzungsverstärker“, und das trifft den Kern eigentlich viel mehr als die Bezeichnung „Kompressor“. Und das hat mehrere Gründe. Zum einen sind die Zeitkonstanten des 1176 sauschnell abgestimmt. Es handelt sich hier sogar um den zweitschnellsten mir bekannten Kompressor. Mit einer Attack-Zeit von 20 bis maximal 800 Mikro(!)sekunden kann der 1176 seine nominelle Pegelreduktion innerhalb einer 5000stel-Sekunde erreichen. Und selbst der langsamste Wert ist immer noch schneller als der schnellste Wert manch anderen Kompressors. Auch die Release-Phase kann mit 50 Mikrosekunden bis 1,1 Sekunden das Signal ziemlich fix wieder loslassen. Das heißt, der 1176 ist durch diese Abstimmung prädestiniert für den Einsatz als Peaklimiter, der Transienten zuverlässig abfangen oder spgar völlig plätten kann. Auch die Kompressionsraten starten mit 4:1 mit einem recht robusten Wert, ab 12:1 kann man guten Gewissens von Limiting sprechen. Unterm Strich: was auch immer man vorne reinschiebt, der 1176 hält es zuverlässig fest! Abgemildert wird diese beinharte Abstimmung durch die Tatsache, dass es sich bei diesem Gerät – für diese Zeit typisch – um einen Feedback-Kompressor handelt, bei dem das Sidechain-Signal hinter dem Regelelement abgegriffen wird. Das lässt das Gerät in der Praxis etwas weicher agieren, als die knackigen Werte auf dem Papier es vermuten lassen.
Die einfache Lösung ist oft die bessere!
Das große VU-Meter zeigt auf Wunsch die Pegelreduktion sowie den Ausgangspegel bezogen auf +4 oder +8 dB an, daneben liegt noch der OFF-Schalter; ansonsten birgt die Frontplatte wenig Geheimnisse. Unerwähnt geblieben sind bislang lediglich das kleine Trimmpoti zur Kalibrierung des VU-Meters sowie der Schalter am Linksanschlag des Attack-Potis. Damit wird die Kompression deaktiviert, während das Signal trotzdem noch die Ein- und Ausgangsstufen des Gerätes durchläuft. Und das ist super, denn das Innenleben des 1176 verdient gesonderte Beachtung, kann es doch mit tollen klangfärbenden Eifgenschaften glänzen. Das voll diskret aufgebaute Gerät verfügt über Ein- und Ausgangsübertrager und ebenso durchgehend über Class-A-Schaltkreise. In diesen werkelt der Feldeffekttransitor des Regel-Elementes als variabler Widerstand im Massezweig eines Spannungsteilers. In weniger technische Worte übersetzt bedeutet dies: Im Prinzip arbeitet die Kompression des 1176 wie ein Poti, nur dass nicht eine Hand daran „dreht“, sondern dass eine aus dem Audiosignal gewonnene Steuerspannung für die Pegelreduktion sorgt. Das ist ein genial einfacher Kniff, typisch für die damalige Zeit, in der aus vergleichsweise simplen Mitteln viel gemacht wurde. Und in der Tat gilt bei der Audiobearbeitung ja oft, dass die einfachere Lösung auch die bessere ist – für den 1176 trifft es jedenfalls absolut zu! Wichtig für den Klang ist auch der Ausgangsübertrager mit seinen zusätzlichen Wicklungen, welche über ein Gegenkopplungsnetzwerk helfen, die Ausgangsstufe zu stabilisieren.
LN für “Low Noise”
Die aktuelle 1176-Wiederauflage von Universal Audio wurde übrigens nach den Original-Units der Serien D und E designt. Diese verfügen nämlich noch über diese spezielle Class-A-Ausgangsstufe (ab Revision F wurde eine Class-A/B-Stufe verbaut), allerdings tragen sie bereits den Namenszusatz „LN“. Dies ist kurz für „Low Noise“ und steht für eine Weiterentwicklung des UREI-Ingenieurs Brad Plunkett, die half, das Nebengeräuschverhalten des Gerätes um einige dB zu optimieren. Alles Gründe, warum die Serie D/E auf dem Gebrauchtmarkt lange am höchsten gehandelt wurde; erst kürzlich begann ein allgemeiner Run auf die allerersten „Blue Stripe“-Revisionen, vermutlich hauptsächlich, weil diese in Relation so selten sind.
Auf der Rückseite verfügt der 1176LN nicht nur über heute gebräuchliche XLR-Anschlüsse, sondern auch über die „Barrier Strip“-Schraubklemmen der Vintage-Vorbilder. Ersteres ist natürlich praktischer, Letzteres aus audiophilen Gründen (ein Steckkontakt im Signalweg weniger) eigentlich sogar vorzuziehen.
Mittels einer RCA-Buchse (und eines separat zu erwerbenden Adapters) lassen sich zwei Einheiten verkoppeln: Ein Verfahren, dass so fummelig ist, dass wir lieber den Mantel des Schweigens darüber decken…