Mit einem Zwitterwesen aus Hollowbody- und Solidbody–Gitarre schlug Ted McCartney gemeinsam mit dem Gibson R&D Department im Jahr 1958 ein neues Kapitel des modernen Gitarrenbaus auf. Der Korpus der ES-335 besaß sowohl die Merkmale einer klassischen Archtop-Gitarre als auch Charakterzüge der damals neuen und sehr beliebten Solidbody-Instrumente und vereinte damit die besten Eigenschaften aus beiden Welten.
Besonderer Clou der ES-335 war ein durchgehend mittig im Korpus platzierter massiver Sustainblock. Er verlieh der Konstruktion Eigenschaften einer Solidbody-Gitarre und sorgte dafür, dass Rückkopplungen auch bei hohen Lautstärken kein Thema mehr waren – eines der Hauptprobleme von Archtops war damit so gut wie ausgemerzt. Trotz dieses Solid-Anteils boten die hohlen „Flügel“ des Korpus einen unüberhörbaren akustischen Anteil, der wiederum Jazz- und Bluesmusiker in seinen Bann zog. So wurde die ES–335 ein spontaner Erfolg, der damals für symbolträchtig schlanke 335 Dollar zu haben war.
Mit der uns zum Test vorliegenden Midtown Custom erweitert Gibson sein ES-Portfolio um ein weiteres Modell, bei dem im Vergleich zur ES-335 der Korpus allerdings etwas kleiner ausfällt. Die Gitarre ist also grundsätzlich ein wenig handlicher. Was sie sonst noch so alles zu bieten hat und wie sie sich klanglich vom Urmodell unterscheidet, haben wir für euch herausgefunden.
DETAILS
Trotz des etwas kleineren Bodys ist die Ähnlichkeit mit einer ES-335 zumindest auf den ersten Blick nicht von der Hand zu weisen. Aber spätestens beim misslungenen Versuch, meine alte 335 in den Koffer der Midtown Custom zu legen, wurde klar, dass die abgespeckte Korpusform optisch kaschiert wird, indem man die Proportionen des Vorbildes erhalten hat. Beim Handling ist das Ganze aber sofort spürbar: Das Instrument liegt etwas komfortabler in der Hand als meine alte 335, was sich besonders an der oberen Zarge bemerkbar macht.
Aber nicht nur die Größe ist eine andere, sondern auch die Machart. Im Gegensatz zur klassisch semiakustisch aufgebauten 335 hat Gibson hier einen massiven Mahagoni-Korpus mit Tonkammern verwendet. Eine Ahorndecke verleiht dem Sound zusätzlich Brillanz und Attack, die allerdings nicht wie beim legendären Vorbild gewölbt, sondern wie auch der Boden flach gehalten ist. Diese eingesparten aufwendigen Arbeitsschritte kommen nicht zuletzt dem günstigen Preis der Midtown zugute.
Die Hardware ist „Standard“ und besteht aus der klassischen Kombination Tune-o-matic Bridge und Stopbar-Saitenhalter.
HALS
Gitarrenhälse bestehen in der Regel aus einer Kombination mehrerer Hölzer, wobei das Griffbrett aufgeleimt wird. Bei den meisten Gibson-Modellen wie der Les Paul, der klassischen ES -335 und auch unserer Testgitarre bestehen die Hälse aus Mahagoni. Das Griffbrett der Midtown Custom ist jedoch nicht aus Holz gefertigt, sondern aus Richlite, einem Baustoff, den ich bisher eher mit Schneidebrettern in Verbindung gebracht habe. Richlite, noch nie gehört? Richlite ist ein sehr stabiler Verbundstoff, der aus Papier und Phenolharz besteht. Dieses Material ist unglaublich hart und widerstandsfähig und wird deshalb auch für den Bau von Skateboardrampen verwendet. Übrigens setzt nicht nur Gibson Richlite für die Konstruktion von Griffbrettern ein, auch Martin arbeitet bei einigen Instrumenten mit diesem Werkstoff. Allerdings handelt es sich dabei nicht um die Topmodelle, sondern eher um Instrumente im mittleren bis unteren Preissegment. Es ist natürlich müßig darüber zu diskutieren, ob und wie die Gitarre mit einem Ebenholz- oder Ahorngriffbrett klingen würde. Dieses Instrument ist nun einmal genau so, wie es ist, und muss als „Gesamtkunstwerk“ unter Beweis stellen, ob die Konzeption und Konstruktion die Anforderungen erfüllt, die der Gitarrist an eine solche Gitarre stellt.
Das mit Block-Inlays aus Acryl verzierte Griffbrett jedenfalls besitzt 22 perfekt abgerichtete Medium-Bünde, der Hals insgesamt bietet einen Gibson-typisch guten Spielkomfort und man fühlt sich dank des schnellen 60er Profils auf ihm sofort wie zu Hause. Ach ja: Gestimmt wird mit sechs Grover Kidney-Mechaniken. Mit einer Übersetzung von 14:1 lässt sich die Midtown präzise und leichtgängig in Stimmung bringen.
ELEKTRONIK
In unserer Kandidatin kommen zwei Burstbucker-Humbucker aus Gibson-Fertigung zum Einsatz. In der Halsposition kauert in einem schwarzen Einbaurahmen ein Burstbucker 1, der einen warmen und leicht kehligen Blues- und Jazzsound mit viel Klarheit liefert, der heißere Burstbucker 2 in der Brücke ist eher für fette Rockriffs zuständig. Die Burstbucker sind eine Weiterentwicklung des Classic 57, der für mich einer der besten Vintage-Pickups von der Stange ist. Die beiden Spulen der Burstbucker sind verschieden stark gewickelt, um dem Sound der alten PAF-Pickups näherzukommen, deren Fertigung bekanntlich ohne Computersteuerung auskommen musste und die ebenfalls unterschiedliche Wicklungsstärken hatten.
Die Verschaltung der beiden Triebwerke entspricht dem, was man von Les Paul und Co. gewohnt ist. Die Tonabnehmer werden mittels Toggleswitch angewählt, in der mittleren Position sind beide Pickups gemeinsam am Start und erzeugen einen an eine fette Telecaster erinnernden Gitarrensound. Jeder Tonabnehmer besitzt einen eigenen Volume- und Tone-Regler. Im Gegensatz zur klassischen 335 ist die Ausgangsbuchse in der unteren Zarge angebracht, sodass auf der Vorderseite kein Stecker heraussteht.
Olerabbit sagt:
#1 - 29.05.2012 um 13:58 Uhr
Prima Review, die Gitarre steht ab sofort auf meiner Anspielliste.Darf ich noch um einen vertiefenden Kommtar zum Ritchlite-Griffbett bitten? Das ist ja für Gibson einzigartig und super-innovativ.Wie ist denn die Soundentfaltung und das Spielgefühl im Vergleich zu Rosewood?Klingt alles so spitz, wie von anderer Seite kritisiert, also fehlt die Wärme im Ton? Ähnliches kann man man ja aus dem Text interpretieren.Und stimmt es, daß man von Ritchlite schwarze Fingekuppen bekommt?Vielen Dank schon mal im voraus für die Unterstützung.
Robby sagt:
#2 - 29.05.2012 um 19:34 Uhr
Hallo Olerabbit,
beim greifen bemerkt man keinen Unterschied zu einem Holzgriffbrett. Was den Spielkomfort betrifft, so habe ich mich auf der Gitarre sofort pudelwohl gefühlt und nach dem einspielen der Audios hatte ich keine schwarzen Fingerkuppen. Die Gitarre hat Höhen, keine Frage, aber der Ton ist nicht dünn, sondern schön unterfüttert.VG Robby
Azriel sagt:
#3 - 30.05.2012 um 21:38 Uhr
Bei der Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, dass im Musikerboard schon seit letztem Jahr Dezember über die Midtown diskutiert wird. Ich hab mir dann auch eine zugelegt und kann dem Fazit hier 100% zustimmen. Allerdings wurde der BB2 gegen einen heisseren BB3 am Steg ausgetauscht, um mehr schmackes in die Riffs zu bekommen. Ist aber Geschmackssache.
Hier gab es dann auch kurz nach eintreffen ein paar Samples (noch mit BB2).http://www.musiker-board.de...
Roland G sagt:
#4 - 12.06.2012 um 00:26 Uhr
Hi Robby,
ich hab die Midtown ja schon seit einem halben Jahr, aber den Sound den Du beim Picking hin bekommst hab ich noch nicht hin gekriegt.
Ansonsten gibt Dein Artikel die Midtown so wieder wie ich sie kenne. Das mit den schwarzen Fingern hat ein Dilletant auf der Thomann-Seite verzapft - absoluter Unsinn, ich spiele tägich und habe zwar wunde Fingerkuppen von den geschliffenen Saiten aber da war noch nie was schwazr. Sinnvoll ist es vielleicht zu erwähnen dass etwas dickere Saiten der Midtown mehr Fülle geben - ich würde eher 10er/11er empfehlen mit den 9er´n klingt sie nicht so besonders. Aber sie ist kein Vergleich zu einer Es355 und daher für Jazzer eher nicht geeignet wie Du schon erwähnt hast eher was für die High Gain Fraktion oder diese Richtung, macht aber auch beim Blues und Lead Spaß und spielt sich wie eine LP aber ist etwas leichter. Zum Einstieg eine gelungene Fabrikware made in USA - leider keine wirkliche Custom.
Mischa sagt:
#5 - 16.11.2012 um 18:26 Uhr
Seit gestern gibt es die Gitarre für 999,00 Euro auf Thomann.de !! Allerdings nur für kurze Zeit. Ich hab mir nun eine bestellt und warte schon sehnsüchtig :)