Uns Gitarristen hängt ja der (schlechte) Ruf an, dass wir grundsätzlich zu laut sind. Zwar prügelt der Schlagzeuger mit mächtigem Pegel auf seine Töpfe ein, aber der kann sich damit herausreden, dass es bei ihm keinen Regler zum Leiserdrehen gibt. Den gibt es bei unseren Amps wohl, aber nicht selten wird die drohend vorgetragene Frage des Veranstalters, ob es denn nicht leiser gehe, von uns ignoriert. Als Grund dafür geben wir gerne an, dass nur ein lauter Verstärker ein guter Verstärker sei und dass nur ein glücklicher Gitarrist einen guten Gig abliefern kann.
Alles also im Sinne des Veranstalters, oder doch nicht? Denn auch die Bandkollegen verdrehen genervt die Augen, wenn ein entrückter Gitarrist drei Minuten nach dem moderaten Soundcheck sein Röhrentop 100 hemmungslose Watt in den leeren Saal föhnen lässt. Und die Frage, ob man die Gitarre nicht etwas leiser haben könne, beantwortet am Abend der Tonmann völlig resigniert mit einem Fingerzeig zum Pult und merkt an, dass der entsprechende Kanal schon seit einer Stunde abgeschaltet ist.
Die Problematik ist also ernst, aber Rettung naht, und die ist eigentlich wie geschaffen dafür, alle glücklich zu machen. Natürlich handelt es sich dabei um einen Kompromiss, aber mit dem kann man leben. Dazu gleich mehr.
Aber zuerst einmal kommt die Erklärung, warum man einen Röhrenamp aufdrehen soll.
Endstufenverzerrung
Einen Zerrsound zu erzeugen ist prinzipiell nicht schwer: Entweder dreht man den Gainregler der Vorstufe weit auf oder schaltet ein Verzerrerpedal vor den Amp. Aber das, was wir als fetten Zerrsound mit guter Reaktion und dynamischem Verhalten empfinden, das ist mit der Arbeit der Endstufe gekoppelt. Wenn man einen Verstärker weit aufdreht, dann werden auch die Endstufenröhren belastet und geben eine dynamische, mit harmonischen Obertönen angereicherte Verzerrung von sich. Dabei spricht man von Endstufensättigung oder Endstufenkompression. Bei Verstärkern mit einer Leistung von 15 Watt ist das prinzipiell kein Problem, denn dreht man ein solches Modell voll auf, um die Endstufenzerre zu erhalten, ist das noch relativ harmlos. Macht man das aber mit einem 100-Watt-Amp, dann geht das Ergebnis schnell an die Schmerzgrenze. Ganz schwierig wird es, hat man einen Verstärker ohne Master-Volume, der erst bei einer hohen Einstellung des Lautstärkereglers zu verzerren beginnt – alte Fender- und Marshall-Amps sind so aufgebaut. Kein Wunder also, dass viele alte Rockmusiker mehr oder weniger taub sind.
Im Studio ist das Problem ähnlich: Zum einen benötigt man einen extrem gut isolierten Aufnahmeraum, um niemanden zu stören oder Übersprechungen auf andere Mikrofone bei der Aufnahme einer kompletten Band zu vermeiden. Steht man gemeinsam in einem Raum, dann kann ein leiser Verstärker mit einer guten Trennwand akustisch abgeriegelt und von den Mikros des Drummers ferngehalten werden. Gegen ein lautes 100 Watt Topteil hilft nur ein gut isolierter zweiter Raum. Außerdem sind einige Abnahmemikrofone für Gitarrenboxen, besonders die teuren und beliebten Bändchen-Mikros, sehr anfällig für hohe Schallpegel. Man tut also auch hier gut daran, nicht bis an die Grenzen zu gehen.
Leistungsreduzierung (Power Soak, Power Attenuator)
In den Achtzigern war Tom Scholz, der Gitarrist der Band ´Boston´, einer der innovativen Geister der Szene, wenn es um Zusatzgeräte für die Gitarre ging. Auch er wollte den satten Sound seines Marshall-Amps genießen, allerdings in einer dauerhaft erträglichen Lautstärke. Ergebnis war der Power Soak, ein Gerät, das zwischen Verstärker und Box geschaltet wurde und dort einen Teil der Leistung des Amps in Wärme umwandelte. Und das ist genau der Kompromiss, den wir vorhin angesprochen haben, und der eigentlich für gute Laune bei allen Beteiligten sorgen sollte. Der Amp ist also voll aufgedreht, die Endstufenröhren müssen hart arbeiten und erzeugen einen satten Sound, während sich aus den Lautsprechern ein reduzierter Schalldruck den Weg ins Ohr bahnt. Sozusagen ein zusätzlicher Master-Volumenregler für die Box. Dieses Prinzip wird auch als Power Attenuator bezeichnet.
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Und genau diese Helfer sind heute zum Test angetreten, bei dem ein sehr wichtiges Kriterium die Klangstabilität sein wird. Der Sound soll sich beim Absenken der Leistung also nicht zu stark verändern. Aber eines ist klar: Je mehr die Leistung durch einen Power Soak reduziert wird, desto größer wird auch der Klangunterschied zum voll aufgedrehten Signal. Das liegt zum einen an der Psychoakustik, denn laut klingt nun einmal druckvoller (und besser) als leise, aber natürlich tragen auch die Lautsprecher zum vollen Klang bei. Je kräftiger die Membran schwingt, desto mehr Druck wird aufgebaut. Dies wird bei der Beurteilung selbstverständlich berücksichtigt.
Übrigens hat der Power Soak von Tom Scholz der gesamten Gattung ihren Namen gegeben, und wenn heute – und auch in diesem Test – vom Power Soak die Rede ist, dann ebenfalls als Oberbegriff, denn das legendäre Original wird nicht mehr hergestellt.
Load Box
Einen Röhrenverstärker sollte man nie ohne angeschlossene Box betreiben. Tut man das trotzdem über einen längeren Zeitraum, kann der Amp beschädigt werden. Sollte unser Power Soak allerdings mit einer Load-Funktion ausgestattet sein, dann ist dies trotzdem möglich, denn diese Funktion wandelt die komplette Leistung des Amps per Lastwiderstand in Wärme um. Deshalb kann in dieser Einstellung der Röhrenamp auch ohne Lautsprecherbox betrieben werden, ohne dass dem guten Stück etwas passiert. Hat man jetzt auch noch eine Speakersimulation zur Hand, kann auch ohne Lärm direkt ins Mischpult gespielt werden.
Speaker Simulator
Bei manchen Power Soaks ist neben der Load -Funktion auch gleich noch ein Speakersimulator mit an Bord. Im Gegensatz zu den Modeling-Simulationen, bei denen die Reaktion von Amp und Box per DSP-Technologie nachempfunden wird, ist man hier auf analoger Basis in der Gestaltungsmöglichkeit etwas eingeschränkt. Die höheren Frequenzen werden mehr oder weniger linear abgeschnitten, um den Klang der Lautsprecherbox zu simulieren. Dadurch werden aber die für einen echten Röhrensound so wichtige Obertöne ebenfalls reduziert und der Klang über den Speakersimulator wirkt meist etwas blasser und eindimensionaler als ein Mikrofonsignal. Ich habe zwar beim Test immer das Mikrofonsignal als Anhaltspunkt vorangeschickt, aber das war nicht unbedingt das Ziel. Es sollte aber zumindest ein akzeptabler Sound erreicht werden, der genügend Mitten hat, um sich im Bandkontext oder im Mix bei der Aufnahme durchzusetzen. Und dieser Sound sollte sich nicht zu weit vom voreingestellten Amp entfernen. Es sollte immer noch nach Röhrenamp und nicht nach Transistor-Fuzz klingen.
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