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Kolumne: Daniel Wants To Talk To You About Your Future! #5

Das Luftschloss MySpace oder: Die Hoffnung stirbt zuletzt!

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Für mich existiert MySpace exakt seit dem 03.05.2006 – zum zweijährigen Geburtstag meines Labels Tiefduck schenkten mir die Kollegen ein schön designtes Profil. Genau einen Tag später war ich bekennender MySpace-Hasser!!!

Man versprach mir das gelobte Land, doch was ich bekam war ein Auffrischungskurs in HTML Programmierung. Solange ich denken kann, wird der Musikbranche vorgeworfen, sie habe diesen oder jenen Zug verpasst. Also machten auch wir uns daran zu verstehen, wie man mit MySpace seine Musik vermarkten kann. Ich stieß jedoch schnell an meine Grenzen: “Mistverdammter, irgendwie muss die verdammte Sch#!?$” doch funktionieren!”, war de facto mein meist gefluchter Satz des Jahres. Na klar, auch ich wollte dabei sein und so ein “Fancy” MySpace Profil haben. Leider Gottes verbot mir mein eigener Stolz auf einen der diversen Profildesigner zurück zu greifen, also belegte ich tatsächlich den zuvor benannten Auffrischungskurs in HTML und wälzte bändeweise CSS Programmierung.

Bücher wälzen statt Musik promoten ... (Foto: Daniel)
Bücher wälzen statt Musik promoten … (Foto: Daniel)

Meine Mitarbeiter und ich verbrachten Stunden mit dem Designen des Profils, und wir luden fleissig neue Tracks hoch. Hier war sie endlich, DIE Chance all unsere Bands auf einmal zu bewerben! “Crosspromotion” war unsere Devise. Auch Bands erkannten schnell die Wichtigkeit von MySpace, so dass sogar der Satz:“Die Band darf auf MYSPACE ganze Songs zum Streamen, jedoch nicht zum Download anbieten.”, Einzug in unsere Plattenverträge hielt. MySpace regierte quasi über Nacht mein Leben. Fast jede freie – und eben auch manchmal nicht so freie – Stunde wurde damit verbracht neue “Friends” zu “adden”, News auf den Profilen unserer  “Friends” zu posten und uns über jeden “Danke für den Add” Kommentar auf unserer Myspace-Seite zu freuen.

Ich erinnere mich noch lebhaft an die Diskussion mit meinem Freund und DJ-Kollegen Thore, der mir in bierseliger Laune erzählte, für wie schwachsinnig er MySpace doch hielt. Schließlich würde doch niemand wegen eines “Bulletins” (noch ein neues Wort) zu einem Konzert von einer Band gehen, die er nicht kennt. Damals glaubte ich noch, dass der ewig gestrige Thore wohl auch den Zug verpasst habe…
Social Media regierte unsere Arbeitszeit!!! Zum Glück habe ich keine Uhr, die mir anzeigt, wie viel Zeit wir bei Tiefdruck insgesamt auf MySpace verbracht haben – sonst würde ich sicherlich vor Scham im Erdboden versinken. Ich habe garantiert mehr Zeit im Kampf mit MySpace verbraucht, als auf meiner Gitarre zu spielen oder mal wieder die Schwiegermutter zu besuchen. Doch die Übergänge waren fließend… “Oh, da ist ja ein Kommentar von Klaus, was der wohl gerade so macht!”, und schwuppdiwupp war ich schon wieder auf dem Profil eines Freundes und verbrachte die nächsten 10min damit, Fotos seiner schlafenden Katze oder seines letzten Athen-Urlaubs zu betrachten. Das Ende vom Lied waren lange Arbeitstage und kurze Nächte – denn irgendwie musste ich ja trotz Katzenfotos mein Soll schaffen.
Die Bandprofile schossen wie Pilze aus dem Boden.
Schon bald schrieben mir die Partner nicht mehr “schick mal eine CD”, sondern es hieß nur noch “schick mal ‘nen MySpace-Link”, und ich dachte immer “Alter, die Band heißt Limbogott… Was denkst du, wie deren MySpace-Link wohl ist…!?”.
Gleichzeitig wurde auch die Anzahl der Demos stetig weniger. Ich glaube, die meistens Bands sind ohnehin zu faul, um ihren Job als Musiker ernst zu nehmen – und da schien diesen Freizeit-Gitarristen MySpace gerade recht zu kommen.

“Schau doch mal auf unserer MySpace-Seite vorbei”, war eine Zeitlang in fast jeder E-Mail zu lesen, die ich bekam. Und für ein paar Wochen versuchte ich dieser Masse auch noch Herr zu werden… Die Bands dachten alle, ihnen wäre ebenfalls der Heiland geboren worden, schließlich hatte man auf einmal 500 “Plays” am Tag – und checkte schon mal vorsorglich die Preise von Privatinseln in der DomRep… tss…

Die Die So Fluid Kampagne auf Myspace
Die Die So Fluid Kampagne auf Myspace

Aber MySpace gab mir auch ein paar mal was zurück: Ende 2008 veröffentlichten wir das Album von der Band DIE SO FLUID aus England. So rief ich zum eintausendsten mal den guten Julian von MySpace in Berlin an, um ihm zu verklickern, wie wichtig die Band für die Welt sei, und dass genau diese Band auf MySpace gerockt gehört: “Weißt du was Daniel, die sind echt richtig gut – und ich könnte mir auch ehrlich vorstellen, mit denen was zu machen! Ich brauche aber irgendeinen Aufhänger von dir, irgendwas, das ich meinen Kids und Usern anbieten kann. Du weißt doch – die stehen eigentlich eher auf Bushido & Co.”, sagte Julian.
“Ach du Scheiße!!! Was mache ich denn jetzt ?”, dachte ich und saugte mir spontan irgendwelchen Nonsens aus den Fingern: “Ääähhh, die Band spielt im Dezember eine Showcasetour… wir könnten doch einfach jeden Tag ‘ne Band von MySpace als Support spielen lassen. Die können sich auf dem Die So Fluid Profil bewerben, und wir suchen dann jeweils eine aus! Die können auch noch jeweils 50 Leute mitbringen…” Ich dachte, ich sei total clever – so hätten wir wenigstens jeden Tag garantiert ein volles Haus….
“Alter, genauso machen wir das”, sagte Julian, “und ich spendiere einfach noch ein paar Bannerschaltungen bei uns, um das ganze zu pushen….”
Fett, Fett, Fett. Bei Julian hieß “ein paar Bannerschaltungen” schnell ein Werbepaket im Wert von mehreren Zehntausend Gegenwert…. Shit, ich war ein gemachter Mann. Das Problem war nur: es gab noch gar keine Showcasetour…
Ich musste dann wohl oder Übel zügig auf Gigsuche gehen. “Hey Chris, ich habe da ein echt verschi#+enes Problem, ich brauche UNBEDINGT eine Show im Logo am 15ten Dezember!” Chris ist einer der zwei Booker in dem Hamburger Club, und ein echter Freund und Retter in der Not. “Klar Diggie (bei Chris ist jeder ein “Diggie”), du weißt doch, wenn ich helfen kann…”
“Alter mir fällt ein Megastein vom Herzen. Berlin kann nur am 16ten und ich habe da einfach schon mal auf Risiko zugesagt.” War ich erleichtert – weil ich so inklusive Köln und München nicht nur meine vier Showcases gebucht, sondern auch noch die vier wichtigsten Medienstädte für die Band in der Tasche hatte. Mann, wenn das jetzt nicht ein Triumphzug wird, was dann!!??
Wir bekamen ein Werbepaket mit 180 Millionen Bannereinblendungen. Was für eine Zahl!!! Eine 180 mit sechs Nullen. Wenn ich so was mit Geld bezahlen müsste, würde ich bestimmt bis zum Rest meines Lebens Briefumschläge falten. Aber nö – wir hatten uns in einem Bieterwahn immer weiter hoch geschaukelt und als bonedo dann auch noch als Präsentator einen Bass zum Verlosen beisteuerte, war der Deal perfekt: Vier Werbebanner an jeder erdenklichen Platzierung auf MySpace. Ein Geschenk der Götter… Sag mal – waren die Clubs eigentlich groß genug für die zu erwartenden Massen?
Wir hatten die fetteste Werbung überhaupt: Die Band war MySpace-Band der Woche! Das brachte uns sage und schreibe fünf Titelseiten in fünf guten Magazinen und ein paar fette Festivals ein. Und die Aktion auf MySpace??? Jeder – ich meine wirklich jeder – den ich kannte, rief mich an, um mir zu sagen, wie genervt er von den Werbebannern der Band war (Juhu!). Wir hatten knapp 380.000 Besuche auf der Profil-Seite und über 1.000 Bands machten bei der Aktion mit. Wirklich jeder in der Republik schien Bock auf unsere Band zu haben. Doch natürlich ging die Nummer komplett den Bach runter….

Flyer, Einladungen ... alles parat für den Megaerfolg.
Flyer, Einladungen … alles parat für den Megaerfolg.

“24 Leute gestern inklusive Gästeliste, man war das peinlich”, erklärte mir meine Promoterin Melle am Handy nach der letzten Show in München. Die Tour war mit nicht mal 200 zahlenden Gästen sicherlich der teuerste pro Kopf-Verlust, den wir je gemacht haben. Schließlich hatten wir nicht nur Flüge, Hotel und Bus auf der Uhr, sondern auch noch jeden Tag 50 Tickets für MySpace angekauft…
Ja – auch ich war endgültig dem Luftschloss MySpace erlegen und musste dafür bitter bezahlen.
Ihr fragt euch sicherlich alle, warum ich hier so rumheule – aufgrund der Werbung habe ich doch tausende von Schallplatten verkauft, oder? Pustekuchen: 186 Stück haben wir von dem guten Album verkauft! Am Ende zählt eben doch nur die Musik, und wenn die niemand kaufen will, helfen auch 180 Millionen MySpace-Banner nix!
Was kann man nun aus meinen Fehlern lernen? Ziemlich genau zwei Monate nach der Tour traf ich eine befreundete Band aus Düsseldorf und unterhielt mich mit deren Trommler Holger lange über MySpace – und dass er der Meinung sei, MySpace wäre die beste Möglichkeit für eine Band Musik selbst zu vermarkten.
“Warum habt ihr eigentlich keine eigene Internetseite?”, fragt ich Holger damals.
“Na, weil die Leute sowieso immer nur zu MySpace gehen, da wissen sie, was sie bekommen, wo sie Musik finden, wo Fotos und wo Videos. Außerdem können wir da super unsere T-Shirts und CDs an die Fans bringen!”, sagte Holger. “Dann sag’ mir doch mal, wie viele Leute euch wirklich bei MySpace entdeckt haben, so beim Rumstöbern, dann dort gehört und eine CD oder ein Shirt von euch gekauft haben? Ohne eure Fans, die ihr eh schon vorher hattet und die auch auf eurer eigenen Website von euch gekauft hätten?”, bohrte ich weiter. “Wahrscheinlich niemand!”, war seine Antwort.
Was treibt uns eigentlich, uns in Muster pressen zu lassen, so dass wir ein “uniformiertes Profil” auf MySpace attraktiver finden, als uns auf unsere eigene Art und Weise zu präsentieren? Glauben wir wirklich, dass wir nur deswegen nicht reich und berühmt werden, weil wir nicht auf diesem oder jenem Portal vertreten sind??? Ich erinnere mich, dass eine meiner Lieblingsbands Slipknot manchmal monatelang gar keine Internetseite hatte (bzw. einen “under construction” Platzhalter) – aber hat das die Band daran gehindert, vor abertausenden Leuten ihr neues Nummer 1 Album abzufeiern? Nein.
“Ehrlich Leute, wir müssen damit aufhören, sonst muss ich das ganze verdammte Internet abstellen!”, sagte ich kürzlich mal zu den Kollegen im Büro. “Hey, aber ich poste doch gerade die News bei unseren Friends”, bekam ich dann zu hören. Und meine Wut auf die Social Media Networks wurde immer, immer größer. Wir haben jahrelang einen Stamm von über 23.000 “Friends” aufgebaut und damit letztendlich für die Katz’ gearbeitet. Denn inzwischen geht niemand mehr auf unser MySpace-Profil… nicht mal ich. Der MySpace-Hype ist vorbei. Hätten wir doch lieber all die Zeit und Mühe in Bäume pflanzen oder Kinder machen investiert – aber was bleibt jetzt eigentlich vom Luftschloss MySpace dreieinhalb Jahre später? Eine interessante Frage, deren Beantwortung ich aber leider vertagen muss, weil ich gerade dringend neue Freunde auf Facebook und Twitter adden muss.

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ToM sagt:

#1 - 09.07.2011 um 02:08 Uhr

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