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Interview Simon Triebel

(Bild: © Universal / Sven Sindt)
(Bild: © Universal / Sven Sindt)

Steckbrief

  • geboren 1982 in Gießen lebt seit 2007 in Hamburg
  • als Künstler aktiv als Gitarrist bei der Band Juli
  • als Komponist und Texter tätig für Juli (Perfekte Welle, Geile Zeit, Dieses Leben), Udo Lindenberg (Was hat die Zeit mit uns gemacht) Dennis Lisk (aka Denyo), Dave de Bourg und andere… für EMI Music Publishing

3 Lieblingsplatten
Cardigans – Long gone before daylight
Robyn – Robyn
William Fitzsimmons – Goodnight

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Interview

Mit welchem Teil beginnst du beim Songwriting meistens?
Bei mir ist es oft so, dass ich mit den Texten beginne. Gerade im Deutschen ist das ein sehr wichtiger Faktor, und viele Texte leiden meist auch darunter, dass man sie in ein Versmaß oder auf eine schon vorhandene Melodie pressen muss. Man kann die besten Playbacks haben, aber wenn der Text einen nicht abholt, ist das Lied für ’n A … Das ist bei englischen Texten etwas anders, zumindest hier im deutschsprachigen Raum, wo die wenigsten Hörer die Texte verstehen oder nicht sonderlich darauf achten. Nichtsdestotrotz muss man sich aber auch bei englischen Texten Mühe geben! Dann gibt es natürlich auch Musik, die mehr über den Beat funktioniert. Da ist es dann oft besser, vom Instrumental auszugehen, um eine gute Hookline zu finden.
Gibt es beim Textschreiben “Arbeitsschritte”, die typischerweise immer am längsten dauern?
Ja, die erste Strophe und den Refrain hat man meist sehr schnell zusammen. Der nächste Schritt ist es dann, die zweite Strophe zu schreiben. Dabei ist dann die Versuchung immer groß, sich am Schema der ersten Strophe zu orientieren, inhaltlich und auch rhythmisch. Das ist zwar immer die einfachste Möglichkeit, führt aber oft dazu, dass man den Spannungsbogen nicht halten kann. In der zweiten Strophe sollte man versuchen, etwas Unerwartetes zu schreiben. Etwas, dass vielleicht den Blickwinkel des Betrachters erweitert oder eine neue textliche Ebene auftut. Ab dem zweiten Refrain beginnt dann meist die größte Herausforderung, dass der Song nicht langweilig wird. Im sogenannten C-Teil macht es auf jeden Fall Sinn, den Song textlich als auch musikalisch auf die Spitze zu treiben. Man kann auch den Song erst in sich zusammenbrechen lassen und dann wieder Fahrt aufnehmen. Hauptsache, es wird nicht langweilig. Eine schlechte Lösung ist es meist, den letzten Refrain 3-4 mal durchzukopieren, was ja im Zeitalter der Sequenzerprogramme immer sehr verlockend ist.
Gibt es bei deiner Band Juli eine Arbeitsteilung beim Songwriting?
Bei uns schreiben ja hauptsächlich Jonas, Eva und ich. Wir entwickeln Ideen meist allein und arbeiten sie in der Regel erstmal soweit aus, dass wir sie den anderen zeigen können. Dann ist es oft so, dass die anderen die Songs noch mal in die Hand nehmen und Dinge ändern hier und da. Durch so eine Patchwork-Arbeitsweise profitieren die Songs von den Stärken der einzelnen Bandmitglieder.
Wie wichtig sind Reime in deinen Texten?
Das ist eine gute Frage! Grundsätzlich sind mir Reime sehr wichtig, Texte haben dann einfach einen besseren “Flow”. Es gibt aber auch ein paar wenige Künstler, bei denen ich es gut finde, wenn sich Texte nicht reimen. Bosse beispielsweise kriegt es immer gut hin. Generell finde ich es aber meistens zu plump, gerade wenn es zu oft vorkommt. Genauso plump sind aber auch Zeilen, die einfach zu voraussehbar sind, wie “Herz” auf “Schmerz” usw. Solche Standardreime kann man schon mal machen, sie müssen dann aber eine gewisse Berechtigung haben, warum man sie machen “darf”. Da muss dann das Drumherum schon echt was hergeben.
Ich benutze oft “Halb-Reime”. Ein Halbreim ist, wenn man beispielsweise nicht “Stern” auf “fern” reimt, sondern auf “gehen”. Wenn Texte gesungen sind, verschwimmt diese kleine Ungenauigkeit meist und gibt einem einfach viel mehr Möglichkeiten zu überraschen.
Benutzt du Hilfswerkzeuge beim Texten?
Ich habe mehrere Notizbücher, in die ich viel hineinschreibe, eigentlich in jeder Tasche eins. Ich schreib da echt alles rein, was mir einfällt. Vieles davon ist auch echt einfach Quatsch, aber ab und zu sind eben auch “Perlen” dabei. Notizbücher sind ein gutes Hilfsmittel, weil man sich viele Sachen, die einem so durch den Kopf schießen oder die man irgendwo aufschnappt, einfach nicht alle merken kann. Manchmal arbeite ich auch mit Zeilen aus meinen Notizbüchern, die schon einige Jahre alt sind. Damals, als ich sie schrieb, wusste ich noch nicht wirklich, wohin ich mit diesem Bild, dieser Aussage usw. wollte. Aber beim späteren Durchblättern können solche Zeilen auch wieder in einem ganz anderen Licht erscheinen.
Ich habe natürlich auch ein Reimwörterbuch herumliegen. Besonders bei Refrains sind oft bestimmte Zeilen sehr wichtig, man kann sie kaum umstellen und muss einen Reim für sie finden. Wenn ich dann stundenlang nicht weiterkomme, greife ich schon mal in letzter Instanz zum Reimwörterbuch. Man muss aber auch wissen, wie man so ein Hilfsmittel benutzt!  Wenn man einen genau passenden Reim nachschaut, findet man oft nur zehn Möglichkeiten und denkt, es gäbe nur diese Auswahl. Das kann einen dann sehr stark eingrenzen. Viel besser ist es, wenn man auch nach Halbreimen sucht, die dann natürlich in einer vielfachen Menge davon vorhanden sind. Wenn man Reimwörterbücher aber zuviel benutzt, bremst man damit auch seine Kreativität, man behindert unter Umständen sogar den eigenen Gedankenfluss. Für mich soll diese Hilfsmittel immer nur ein letztes Mittel sein.
Was hältst du von Platzhaltergesang auf “na na na”, Vocalizing und Ähnlichem?
Wenn ich auf Englisch texte, mache das häufiger. Aber auch im Deutschen hin und wieder. Zum Beispiel, wenn ich einen Refrain fertig habe und nach einer Strophe suche. Ich probiere dann gerne mit irgendwelchem Kauderwelsch so lange herum, bis es sich gut anfühlt. Das hört sich zwar nicht schön an, aber soll in diesem Moment einfach nur einen Zweck erfüllen: Ein Gefühl wiedergeben, das die Strophe haben wird. Bezüglich des Textes, der nun geschrieben werden muss, ist das eine sehr gute Hilfe. Vorspielen kann man solche Demos natürlich nur Leuten, die auch Musik machen (lacht). Fast jeder Songschreiber arbeitet eigentlich mit solchen Platzhaltern.
SimonTriebel
Gibt es mehrere Versionen eines Textes, bevor die endgültige Version feststeht?
Ja, bei manchen Songs auf jeden Fall. Es gibt immer wieder solche “Arbeitstier-Songs”, in die man extrem viel Zeit reinstecken muss. Für einen Titel auf dem neuen Juli-Album gab es zum Beispiel drei oder vier verschiedene Textvarianten. Und ich weiß auch von Eva, dass sie bei vielen Songs zwei bis drei Textvarianten hat.
Besonders, wenn verschiedene Textteile für sich genommen gut sind, aber noch nicht gut zusammenpassen, laboriert man viel herum am Text. So kann es schnell zu mehreren Versionen kommen.
Wie lange brauchst du ungefähr für einen Text?
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Texte, die entstehen an einem Tag, die fließen so raus. Und es gibt Texte, da beißt man sich wirklich drei Monate die Zähne aus. Manchmal wandern Problemfälle irgendwann auch einfach in den Papierkorb.
Schreibst du immer nur einen Text zur gleichen Zeit, oder arbeitest du auch an mehreren parallel?
Das kommt darauf an, ob wir gerade mit Juli im Studio oder auf Tour sind, oder ich viel Zeit in meinem eigenen Studio verbringe. Aber eigentlich gilt: Wenn ich mich an einem Song festgebissen habe, versuche ich schon, ihn so weit voranzutreiben wie möglich. Aber es kommt auch vor, dass ich einen Song, an dem ich nicht weiterkomme, mal drei Wochen liegen lasse. Danach höre ich ihn immer mit ganz anderen Ohren und weiß dann sofort, was zu tun ist. Das ist auch bei Demos (= Abmischungen, Anm. d. Red) super, weil man sie mit etwas Abstand viel besser bewerten kann. Zumindest bilde ich mir das ein … (lacht)
Verändern sich Texte inhaltlich, während du an ihnen arbeitest, weil du durch Umformulieren oder Anpassen an ein Metrum/Rhythmus auf andere inhaltliche Ideen kommst? Oder ist das Thema, die Grundaussage, die Geschichte “unantastbar”?
Nein, unantastbar ist für mich eigentlich nichts beim Texten. Bei mir ist es so: Ich beginne einen Text mit ein paar wenigen Zeilen, habe eine Stimmung, Assoziationen und Bilder im Kopf, ich weiß, wo es hingehen soll. Aber manchmal komme ich durch Ausprobieren von Varianten auf noch bessere Ideen. Dann werfe ich um, was ich eigentlich machen wollte. So offen zu sein ist auch wichtig, denke ich. Überhaupt, Reflektion und Ehrlichkeit zu sich selbst ist sehr wichtig beim Schreiben, gerade auch, wenn man das Gefühl hat, man investiert zu viel Zeit in einen Text, der am Ende doch nicht gut wird. Dann einfach weg damit und diese Zeit in einen neuen Text investieren.
Wie kommst du auf deine Themen, was inspiriert dich?
(Holt tief Luft) Einerseits, das wird wohl fast jeder antworten, der Alltag, was man so erlebt, auch Geschichten, die ich von Freunden höre. Man wird ja öfters mal gefragt, wie man so etwas Berührendes schreiben könne, dabei denke ich, ist das eigentlich gar keine so große Kunst. Man muss nur in sich hineinhorchen und es in ehrliche Worte verpacken. Am Ende des Tages haben wir alle die gleichen Probleme oder Sehnsüchte. Denke ich.
Schreibst du immer autobiografische Texte?
Ja und nein. Oft kommt zum Persönlichen noch die Fantasie dazu und macht die Geschichte, die ich erzähle, noch anders. Es ist wie im Kino: Eine Geschichte, die gut erzählt wird, muss nicht unbedingt selbst erlebt worden sein. Das ist ein Aspekt, den ich sehr an Popmusik mag. Es ist nicht so, dass ich mir Geschichten immer ausdenke, es sind meistens auch eigene.
simontriebel02
Was machst du, wenn du “festhängst” beim Schreiben?
Es ist besonders dann immer gut, Situationen aus anderen Blickwinkeln zu betrachten um seinen Kopf zu resetten. Es kann helfen, mehr auf kleine Details zu achten, die vielleicht gar nicht vordergründig die Geschichte erzählen. Vom Makrokosmos reinzoomen in den Mikrokosmos. Ein abstraktes Beispiel: Mal angenommen, die Geschichte spielt in einem Raum. Dann fallen einem erstmal die Standards ein wie: Man liegt auf dem Bett, der Fernseher läuft und so weiter. Ab einem gewissen Punkt ist es aber wichtig, tiefer zu gehen, genauere Details zu bringen, damit das Ganze anfängt zu leben. Zum Beispiel der knarrende Boden, beschlagene Scheiben, das Rauschen des Fernsehers, Bilder auf dem Tisch, irgendwelche Dosen, die auf dem Boden herumliegen. Hier kann man sich wirklich eine Kulisse ausmalen, auf die man dann beim eigentlichen Schreiben zurückgreifen kann. Das eben waren natürlich etwas ausgelutschte Beispiele, aber je echter die Details wirken, desto besser.
Beschäftigst du dich viel mit den Songtexten anderer Künstler?
Auf jeden Fall! Gerade im Deutschen, aber auch im Englischen. Aber im Deutschen natürlich noch viel intensiver, ich habe da viel eher eine konkrete Meinung dazu. Und dadurch, dass man das nun schon eine Weile macht, hört man auch oft sofort Füllzeilen. Ich höre einfach, da ist demjenigen jetzt gerade nichts Besseres eingefallen. So etwas fällt mir auf, weil ich es von mir selbst kenne. Auf der anderen Seite gibt es positive Beispiele wie “Anna” von Freundeskreis, wo mich einfach jeder Satz kriegt und dieses Kopfkino einsetzt, du siehst jedes Bild vor dir, auch “Der Weg” von Grönemeyer fand ich unfassbar berührend!
Wer schreibt aktuell gerade gute Texte? Hast du eine Empfehlung für unsere Leser?
Ein guter und auch ungewöhnlicher Texter ist Blumio. Er schreibt aus einem ganz anderen Blickwinkel, als man es aus dem aktuellen HipHop Bereich gewöhnt ist. Eher ein bisschen naiv und verspielt.
http://www.myspace.com/blumio
Was sind wichtige Merkmale, die einen guten Textschreiber ausmachen?
  • Ein gutes Gespür für Ehrlichkeit. Es ist sehr wichtig, dass die Musik 100%ig zum Text passt, mehr noch, dass sie mit ihm verschmilzt. So bekommt ein Lied Tiefe und Glaubhaftigkeit.
  • Mit ungewöhnlichen Bildern spielen zu können.
  • Gegensätze unter einen Hut zu bekommen.
  • Mit wenigen Worten viel zu sagen – das meiste passiert zwischen den Zeilen!
Vielen Dank für das Interview!
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