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Die Geschichte der elektronischen Musik #9

Nachdem wir in Folge 8 dieser Serie unerwarteter Weise zunächst über digitale Musik statt über analoge Synthesizer gesprochen haben, könnte man sich ja fragen, wieso man üblicherweise genau die umgekehrte Reihenfolge im Kopf hat. Das liegt an zwei Dingen: zum einen waren die Computer, an denen damals musikalisch geforscht wurde, Geräte, die in Forschungslaboren von Telekommunikationsfirmen oder Universitäten standen, und damit nicht an Orten, die man normalerweise mit Musik in Verbindung bringt. Zum anderen aber waren die Computer auch noch so langsam, dass damit nicht live gespielt werden konnte. Wenn man ein Musikinstrument so definiert, dass man damit direkt Töne machen kann, dann waren die Computer damals keine Musikinstrumente, sondern Gerätschaften, mit denen man auch Musik machen konnte. In Echtzeit konnte man – von ein paar Vorgängern abgesehen – erst mit dem von Robert Moog populär gemachten analogen Synthesizer elektronische Musik machen. Aber hierfür mussten erst einmal bestimmte Voraussetzungen vorhanden sein, weshalb wir uns zunächst einmal anschauen, wie es überhaupt zum analogen Synthesizer kam.

Die Geschichte der elektronischen Musik #9
Die Geschichte der elektronischen Musik #9


Vor allem zwei Dinge waren für die Entwicklung wichtig: die im letzten Teil angesprochene Miniaturisierung der Elektronik durch die Erfindung des Transistors 1947 und die Erfindung der Spannungssteuerung. Die Spannungssteuerung ist so wichtig, dass sie bis heute Namensbestandteil von Oszillatoren und Filtern ist, denn das VC in VCO und VCF steht ja für “voltage controlled”, was nichts anderes heißt als „spannungsgesteuert“.
Elektrische Spannung erlaubt die einfache Verbindung elektrischer Geräte untereinander: Bei modularen Synthesizern sind es die Kabel, welche die einzelnen Module verbinden, bei analogen Synthesizern wie dem Minimoog oder den Propheten, sind die Verbindungen schon vorverkabelt, was manchmal auch „normalisiert“ („normalized“) genannt wird. Dabei ist es zunächst einmal egal, ob durch das Kabel ein Audio- oder ein Steuersignal läuft, der Informationsträger ist immer die elektrische Spannung. Wie wichtig und universell elektrische Spannung ist, kann man sich klar machen, wenn man bedenkt, dass der Plattenspieler, das Mikrofon, der Lautsprecher, das Audiointerface, der Synthesizer, die E-Gitarre und nicht zuletzt unser Gehirn sämtliche Audioinformationen über elektrische Spannung verarbeiten. Es ist genau diese elektrische Spannung, die das analoge Element in analogem Audio ausmacht.
Das Prinzip der Spannungssteuerung, so normal sie uns heute erscheint, musste erst einmal erfunden werden. So konnten die schrankgroßen Synthesizer und ihre Oszillatoren der 1950er Jahre zwar in der Tonhöhe verändert werden, aber eben nur von Hand zum Beispiel über Coarse- und Fine-Regler. Eine Fremdansteuerung über einen LFO oder gar über eine Tastatur war noch nicht möglich. Die Steuerung von Hand war natürlich weder besonders exakt noch besonders schnell, weshalb die elektronische Musik dieser Zeit nicht nur zum Aufzeichnen das Tonband benutzte, sondern zum Beispiel über das Tonband auch die Tonhöhen organisierte. Die Bandmaschine und die Möglichkeit, das Tonband schneller und langsamer laufen zu lassen und somit die Tonhöhe zu regeln, war integraler Bestandteil des Aufnahmeprozesses.

Synthesizer und Audio-Konsole am Studio di fonologia musicale di Radio Milano, 1955 (Foto: By Stefano Stabile (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons)
Synthesizer und Audio-Konsole am Studio di fonologia musicale di Radio Milano, 1955 (Foto: By Stefano Stabile (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons)

Oft wird erzählt, dass Robert Moog oder Donald Buchla die Spannungssteuerung erfunden hätten. Tatsächlich war es aber keiner von beiden, sondern der Kanadier Hugh Le Caine (1914-1977), der noch eine ganze Anzahl andere, relativ unbekannte, aber nichts desto trotz bahnbrechende elektronische Musikinstrumente erfand. Er baute schon Mitte der 1940er Jahre einen spannungsgesteuerten Synthesizer, den er “Electronic Sackbutt” nannte. Le Caines “Electronic Sackbutt”, was übrigens auf Deutsch “elektronische Posaune” heisst, besaß schon so gut wie alle Eigenschaften heutiger Synthesizer: eine Tastatur, ein Modulationsrad und Schalter und Hebel für Klangfarbe, Lautstärke und Tonhöhe. Kein Minimoog, aber eben auch schon 25 Jahre früher.

Electronic Sackbut (Bild: By David Carroll (originally posted to Flickr as image0243) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons)
Electronic Sackbut (Bild: By David Carroll (originally posted to Flickr as image0243) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons)

Hugh Le Caines Instrumente wurden bei öffentlichen Vorführungen vom Publikum und vor allem auch von den Fachleuten hervorragend angenommen. Andererseits konnte er so gut wie keine Komponisten für seine Geräte interessieren und auch die Hersteller winkten ab. Vielleicht lag das daran, dass seine Instrumente wenig professionell aussahen: der „Electronic Sackbut“ sieht mit seinen schiefen Holzlatten ein bisschen aus wie eine Bruchbude auf welche die Funktionen der Controller mit Bleistift aufgemalt waren. Wie dem auch sei, über Anerkennung im akademisches Fachpublikum kam Le Caine nicht heraus und er forschte die meiste Zeit abgeschlossen an Universitäten in Kanada. Allerdings darf man natürlich nicht vergessen, dass Leute wie Robert Moog, Donald Buchla, Herb Deutsch oder Harald Bode, auf die wir alle gleich zu sprechen kommen, natürlich genau dieses akademische Fachpublikum waren und man kann davon ausgehen, dass sie genau wussten, was ein paar hundert Kilometer nördlich in Ottawa vor sich ging.
Aber der Electronic Sackbut und weitere durchaus erfolgreiche Vorgänger des modernen Synthesizers wie das Novachord von Laurens Hammond aus den 1930er Jahren (über 1000 Stück gebaut) oder die französiche Clavioline von Constant Martin aus den 1950ern (die Clavioline und ihre Geschwister, die alle auf “-line” enden, wurden ein paar 10.000 Mal verkauft!) arbeiteten alle noch vollständig mit Elektronenröhren. Und davon brauchte man viele: im Novachord zum Beispiel arbeiteten fast 170 Röhren, die natürlich auch gerne mal kaputt gingen. Und nicht zuletzt waren diese Röhren auch einfach sehr groß und schwer im Gegensatz zum Transistor. Erst nachdem dieser 1947 erfunden wurde, konnte es also richtig losgehen.

Schaltplan der Clavioline (Bild: Constant Martin [Public domain], via Wikimedia Commons)
Schaltplan der Clavioline (Bild: Constant Martin [Public domain], via Wikimedia Commons)

Und es ging los: Mehr oder weniger zeitgleich entstanden Ende der 1950er Jahre in Italien und den USA zwei Vorläufer des Synthesizers auf Transistorbasis. In Italien baute der Chef-Toningenieur der Cinecittà Filmstudios Paul Ketoffeher 1958 den heute eher unbekannten “Fonosynth”, der Röhre und Transistortechnik vereinte und durch seine seitlich angebrachten Lautsprecher ein bisschen an den ARP 2500 erinnert. Und in den USA arbeitete der deutsch-amerikanische Ingenieur Harald Bode an seinem Prototyp, dessen theoretische Beschreibung zur musikalischen Anwendung von Transistoren in seinem Artikel “A New Tool for the Exploration of Unknown Electronic Music Instrument Performances” von 1961 sowohl für Robert Moog als auch Donald Buchla der Anstoß war, ihre Synthesizer zu entwickeln.
Mit Harald Bode sind wir bei einem der großen Erfinder elektronischer Musikinstrumente des letzten Jahrhunderts, der mit Fug und Recht in einer Reihe mit Größen wie Laurens Hammond oder Robert Moog genannt werden muss. Bode, 1909 in Hamburg geboren, erfand noch in Deutschland eine ganze Reihe elektronischer Orgeln, zum Beispiel 1937 die vierstimmige Warbo Formant Orgel mit zwei Formantfiltern, die als ein Vorgänger des polyphonen Synthesizers gelten kann. 1947-49 entwickelte er das Melochord, das im Kölner Studio für elektronischen Musik eingesetzt wurde. Ganz nebenbei erfand er 1947 den Ringmodulator und arbeitete an weiteren Instrumenten wie dem “Cembaphon” und dem “Tuttivox”, das eine Weiterentwickelung der oben erwähnten erfolgreichen “Clavioline” war. 1954 emigrierte er in die USA, wo er für eine amerikanische Firma elektronische Orgeln baute, aber auch zum Beispiel ein neues elektromechanisches Klavier für Wurlitzer entwarf. Harald Bode war also schon eine ziemlich große Nummer, als er 1959-60 zwei Gedanken zusammen brachte: die Verwendung der neuen und kleinen Transistoren für die Erzeugung von Musik und die spannungsgesteuerte und völlig beliebige Verbindung einzelner Module zu einem tragbaren Instrument. Die praktische Ausführung dieser Idee wurde sein “Sound Synthesizer” oder auch “Audio System Synthesizer” genanntes Instrument, das er 1960 bei der Konferenz der Audio Engineering Society (AES) vorführte. Im Publikum saß dabei ein gewisser Robert Moog, der seine Selbstbau-Theremine an den Mann bringen wollte.

Frequency Shifter von Harald Bode (Bild: By Redblueblood (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons)
Frequency Shifter von Harald Bode (Bild: By Redblueblood (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons)

Moog und Bode arbeiteten in der Folge zusammen und Bode lizensierte einige seiner Erfindungen an die R.A. Moog Co., die dann zum Beispiel Bodes Frequency Shifter oder seinen Vocoder als Teil ihres Modularsystems anbieten konnte. Bode, der Anfang der 1970er Jahre auch an der frühen Entwicklung integrierter Schaltkreise in der Luftfahrtforschung tätig war, entwickelte auch nach seiner Pensionierung 1974 bis zu seinem Tod 1987 in New York hochwertiges Studioequipment auch unter eigenem Namen, zuletzt 1981 den Bode Barperpole Phaser. Harald Bode erhielt im Laufe seine Lebens über 50 Patente und wer mehr über diese faszinierende Persönlichkeit erfahren möchte: eine Ausgabe von eContact! – das ist das kostenlose E-Journal der Canadian Electroacoustic Society – ist allein ihm gewidmet: http://econtact.ca/13_4/index.html. Wieviel Anteil Harald Bode am Erfolg von Moog hatte, lässt sich natürlich schwer abschätzen. Und Bode war ja auch nicht der einzige große Persönlichkeit, mit der Moog zusammen gearbeitet hat. Zeit zu fragen, wer dieser Robert Arthur Moog, genannt Bob, eigentlich war?
Robert A. Moog, 1934 in New York City geboren, ist der Sohn eines Elektrotechnikers und wurde von ihm in die Elektronik eingeführt. Bob ist ein Musterschüler, lötet schon als 15-jähriger sein erstes Theremin zusammen und spielt in der Folge auf seiner “Moogatron” genannten, selbstgebauten elektronischen Orgel im Schulorchester. Nach der Schulzeit studiert er Physik, Elektrotechnik und physikalische Technik an verschiedenen New Yorker Universitäten. Während seines Studiums baut er zusammen mit seinem Vater in dessen Keller Theremine und verkauft diese unter dem Firmennamen “Ramco”. Nachdem Bob Moog einen Artikel in einem Do-it-yourself-Magazin über seine Theremine veröffentlicht, explodiert die Nachfrage und er gründet mit 20 seine erste richtige Firma, die R.A. Moog Company. In der Folgezeit verbessert er seine Theremine immer weiter und, nachdem er bei einem Praktikum die Transistortechnik kennen gelernt hat, baut er Ende der 1950er Jahre auch die ersten Theremine mit Transistortechnik. 1960 sieht er Bodes Vorführung seines Synthesizers bei der AES und 1962 dessen Artikel darüber. 1963 zieht die Firma in das kleine Städtchen Trumansburg, knapp 400 km von New York entfernt. Im selben Jahr trifft Moog den Komponisten Herb Deutsch und entwickelt mit ihm die ersten Module für seinen späteren modularen Synthesizer. Als er diese Module 1964 bei der AES-Konferenz in New York vorstellt, trifft er zum einen Wendy Carlos, zum anderen wird von Paul Ketoff der Nachfolger des schon erwähnten italienischen “Fonosynth”, das “Syn-ket” (Synthesizer-Ketoff) vorgestellt. Das Syn-ket war ein portabler Synthesizer und umfasste drei einzelne Einheiten, die aus je einem Rechteckoszillator mit Frequenzteiler, drei Filtern, einer Lautstärkekontrolle und einem LFO bestanden. Daran angeschlossen war eine sehr interessante, anschlagdynamische (!), dreimanualige Tastatur, die auf Seitwärtsbewegungen reagieren konnte und bei der jedes einzelne Manual anders gestimmt werden konnte. Das Syn-ket war also wie Harald Bodes “Sound Synthesizer” auf Transportabilität ausgerichtet. Und obwohl das Syn-ket nie in Serie ging, wurden über 1000 Konzerte auf diesem ersten portablen Synthesizer gespielt, übrigens von dem amerikanischen Komponisten John Eaton, mit dem Moog später an einem Keyboard arbeiten sollte. Moogs neuer Synthesizer dagegen war zu jener Zeit noch eher ein Studiogerät und weniger ein portables Instrument und wurde von Moog auch gar nicht als solches angesehen. Dafür sorgte natürlich auch, dass es schon ziemlich schnell aus vielen verschiedenen Modulen bestand, die einen ganzen Tisch ausfüllten. Im Gegensatz zur Sperrholzästhetik von Hugh Le Caines „Electronic Sackbut“ wies es schon Ende 1964 das legendäre schwarz-silberne Design auf.

Robert Moog (Bild: By Finnianhughes101 (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons)
Robert Moog (Bild: By Finnianhughes101 (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons)

Moogs frühe Module muss man aus heutiger Sicht als ziemlich krude bezeichnen, und Robert Moog war sich auch nicht zu gut, das später selber zuzugeben. Das lag aber auch in der Natur der Sache, denn zum einen war es eine relativ neue Technik mit neuen Bausteinen, und da mussten auch einfach zunächst einmal Erfahrung gesammelt werden. Zum anderen gab es auch noch keine spezialisierte Industrie, welche vorkonfigurierte Bauteile lieferte wie später zum Beispiel die Curtis Chips. Und nicht zuletzt musste Moog natürlich auf das Geld schauen, denn sein Synthesizer war ohnehin schon nicht gerade billig. So wurde also verbaut, was man bekommen konnte, und einige Bauteile wurden auch schlicht zweckentfremdet, oder sagen wir lieber: dem Zweck angepasst.
Aber Moog schaffte es, die ersten Aufträge an Land zu ziehen, und es scheint, dass er kein schlechter Verkäufer war. So ist zum Beispiel überliefert, dass er sich bei Universitäten vorstellte mit der Aussage, dass er der einzige Mann in den USA sei, der ausschließlich elektronische Musikinstrumente baut. Das war vielleicht etwas übertrieben, half aber sicher beim Aufbau der Marke “Moog” – die, irgendwann muss es ja kommen, “Moug” ausgesprochen wird. “Moog” ist ursprünglich niederländischen Ursprungs, wo man es “Mooch” (mit langem „o“) aussprechen würde. Auf Englisch würde man eigentlich “Muug” (mit langem „u“) sagen, aber Robert Moog hat sich für etwas in der Mitte entschieden, weshalb es “Moug” heisst (was man sich vielleicht am besten mit dem “Moog Rogue” merken kann, der “Moug Roug” ausgesprochen wird, was sich natürlich besonders “rogue”, also gefährlich, anhört! Es gibt übrigens ein Interview mit Bob Moog, wo er erklärt, wie sein Name auf Niederländisch und auf Deutsch ausgesprochen wird. Witzigerweise macht er es beidesmal falsch:

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1965 beendet Moog sein Studium mit einem Doktortitel und arbeitet mit Merce Cunningham, John Cage und Nam June Paik zusammen. Was sich harmlos anhört, ist insofern bemerkenswert, als dass Merce Cunningham einer der bedeutendsten avantgardistischen Tänzer, John Cage einer der bedeutendsten avantgardistischen Komponisten und Nam June Paik einer der bedeutendsten avantgardistischen Künstler des 20. Jahrhunderts waren und man sich eigentlich nur fragen kann, wie der 32-jährige Bob Moog es geschafft hat, mit diesen Leuten zusammen zu arbeiten – oder anders herum: wie die ihn gefunden haben. Für die Produktion baute Moog zwölf Antennen, ein Forscher der Bell Labs Photozellen und das Ganze wurde auf eine 50-kanaliges Mischpult übertragen, an das eine Unmenge von Tonbandgeräten und Radios angeschlossen war. Das Ganze wurde übrigens vom NDR aufgezeichnet und man kann sich über diese Ansammlung von Namen und Plätzen eigentlich nur wundern. 1966 schließlich bekommt Moog die Lizenzen von Harald Bode für einige seiner Module und ebenso 1966 fragen die Beach Boys Bob Moog nach einem Ribbon Controller.
Das muss man sich also einmal vorstellen: Moog hat noch nicht einmal ein richtiges System fertig und arbeitet schon mit Bode, Cunningham, Cage, Paik und den Beach Boys zusammen. Er versammelt so ein Spektrum von führenden Entwicklern, Avant-Garde-Künstlern und Popmusikern um sich, von dem andere davon träumen, nur einem von ihnen überhaupt einmal die Hand zu geben. Und ganz nebenbei hat er dann auch noch ein Händchen für aufkommende Musiker wie die schon erwähnte Wendy Carlos. Inzwischen ist es nämlich 1967, John Chowning entdeckt gerade die FM-Synthese, und Bob Moog hat seine ersten Komplettsysteme fertig, die er “System I, II & III” nennt. Weil der Synthesizer aber ein ganz neues Instrument ist und modulare Synthese noch nie ganz einfach war, liegt den Systemen eine LP bei, auf der Wendy Carlos – damals noch unter ihrem Geburtsnamen Walter – den Synthesizer vorstellt. Wendy Carlos war es auch, welche die neuen Module ausprobierte und in ihren Sessions wohl auch manche von ihnen zerstörte, weil das System einfach noch nicht ganz ausgereift war und es bei mancher Verbindung dann doch einen Kurzschluss gab. Der geniale Zug von Bob Moog war es dann wohl, dass er genau zugehört hat, was Carlos machen wollte, und den Kurzschluss dann nicht als Bedienungsfehler sondern als einen Fehler seiner Module realisiert hat und sie so konstant weiter entwickelte.
Aber Moog war nicht nur Entwickler, sondern er war auch Geschäftsmann. Und als solcher hatte er inzwischen auch ein Marketing- und Verkaufsteam um sich geschart, aus dem später einige andere Synthesizerfirmen hervor gingen. Dazu gehörten Leute wie David Van Koevering, dessen Verkaufsmethoden geradezu legendär wurden und in Handbüchern zum Thema Verkauf aufgeführt werden. Es wurden sehr eifrig Klinken geputzt und Käufer für das neue Instrument gesucht. Und während es in Hollywood bei der Filmindustrie nicht gleich geklappt hat, so war ein Ausstellungsstand backstage beim Monterey International Pop Festival 1967 außerordentlich erfolgreich. Hier sahen große Acts wie The Byrds und Simon & Garfunkel zum ersten Mal den neuen Moog Synthesizer und noch im gleichen Jahr war der Moog auf Platten von Diana Ross, The Doors, The Monkees und anderen zu hören. Allerdings: auf den meisten Songs ist der Synthesizer nur als Effektgerät eingesetzt. So richtig als Instrument wurde er noch immer nicht gesehen, was sich schlagartig änderte, als 1968 Wendy Carlos ihre Adaptionen von Kompositionen von Johann Sebastian Bach unter dem Namen “Switched-On Bach” heraus brachte. Diese Platte, angeblich in Wendy Carlos’ Küche mit einem einfachen Tonbandgerät aufgenommen, hielt sich ein geschlagenes ganzes Jahr in den Billboard 200 und in den Klassik-Charts blieb sie angeblich geschlagene drei Jahre am Stück auf Platz 1. Damit war der endgültige Durchbruch geschafft und der Moog Synthesizer wurde nicht mehr eine Ansammlung von Modulen für den Studiobetrieb, sondern als echtes Musikinstrument angesehen. Und auch für Wendy Carlos ging es weiter, denn sie produzierte in den folgenden Jahren noch weitere bahnbrechende Musiken, wie zum Beispiel der unglaubliche Soundtrack zu “A Clockwork Orange”, aber auch zu “Shining” und später “Tron”.  

Der erste kommerzielle Moog Synthesizer, 1964 (Bild: By Chad (Moog.) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons)
Der erste kommerzielle Moog Synthesizer, 1964 (Bild: By Chad (Moog.) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons)

Nach dem Erfolg von “Switched-On Bach” gab es viele Platten, die den Erfolg nachahmen wollten und zum Beispiel Country Music auf Moog Synthesizern verewigten. Der Name “Moog” war zu der Zeit gleichbedeutend mit “Synthesizer” und so hießen die Platten dann auch “Country Moog Classics” oder “Music to Moog by”, was die Marken-Bekanntheit von Moog natürlich noch steigerte. Die meisten dieser Platten kann man heute getrost ignorieren, aber “Switched-on Bach” hatte und hat eine so große Ausstrahlungskraft, dass noch heute neue Videos von Bach-Bearbeitungen bei YouTube eingestellt werden. “Switched-On Bach” bekam schließlich auch ein gewisser Keith Emerson aus England zu hören, dessen bombastische Bühnenshows mit Emerson, Lake & Palmer von da an ein Moog Modularsystem inkludierten und der dessen typischen Sound er auf den frühen Platten von ELP definierte und verewigte. “Typischer” Moog Sound ist hierbei im übrigen wörtlich zu nehmen, denn Keith Emerson, der zunächst mal gar nicht patchen konnte, hatte ein Modularsystem gekauft, bei dem einige Sounds vorprogrammiert waren. Und genau diese Sounds sind auf der ersten LP von Emerson, Lake & Palmer zu hören, quasi die Factory Bank des Moog Modular. 

Keith Emerson trug viel zur Bekanntheit des Moog Modularsystems bei. (Bild: By Surka (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons)
Keith Emerson trug viel zur Bekanntheit des Moog Modularsystems bei. (Bild: By Surka (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons)

Nach dem Erfolg von Wendy Carlos waren die Auftragsbücher voll: Sowohl Popmusiker als auch Universitäten rissen Moog die Module aus den Händen und die R.A. Moog Co. kam mit dem Produzieren nicht mehr hinterher. Teilweise waren das richtig große Aufträge, wie zum Beispiel die komplette Ausstattung des elektronischen Studios der State University of New York at Albany. 1969 wurde dann auch noch der berühmte Tiefpassfilter patentiert, eines von zehn Patenten, das Robert Moog im Laufe seines Lebens anmeldete. Moog selber beschreibt seine Anfangsjahre allerdings mit großem Understatement: dass man gar nicht so richtig gewusst hätte, was man machte, dass man keine echte Vorstellung davon gehabt hätte, was der Synthesizer sein könnte und dass man vor allem von geschäftlichen Dingen keine Ahnung gehabt hätte. Dem steht entgegen, dass Moog noch bevor er anfing zu studieren seine erste Firma aufbaute, sehr geschickt darin war, seinen Namen zu vermarkten, ein ausgezeichneter Techniker mit einer exzellenten Ausbildung war und nicht zuletzt, dass er so schnell so viele wichtige Leute kennen gelernt hat. Und auch musikalisch hatte Moog Anschluss an die neuesten Entwicklungen, denn Wendy Carlos war selber eine Absolventin des Columbia-Princeton Electronic Music Center, Herbert Deutsch ohnehin ein Komponist von E-Musik und danach kamen die Popstars, die Moog aber ein wenig aus der Ferne betrachtete, denn „Hippies“ waren nicht so seine Welt. Gleichwohl stimmt es sicherlich, dass Moog von seinem Erfolg überrannt wurde und das Geschäftsleben und die Suche nach neuen Ideen mit Venture Kapital waren sicherlich noch nicht so ausgereift wie heute. Die Firma kam mit dem Bauen von Modulen nicht mehr hinter her, gleichzeitig erschien aber auch Konkurrenz auf dem Plan. Diese Konkurrenz bestand hauptsächlich in der Firma von Robert R. Pearlman, der 1970 den ARP 2500 und den ARP Soloist heraus brachte. ARPs Instrumente waren nicht nur billiger als die Moogs, sie waren teilweise auch besser – auch das etwas, was Moog selbst anerkannte. So hatten die frühen Moogs ein wirklich großes Problem mit der Stabilität ihrer Oszillatoren und auch spätere Geräte wie der Polymoog waren außerordentlich fehleranfällig.
Aber ARP hatte auch den Vorteil, dass ihre (halb-)modularen Synthesizer in fester Konfiguration leichter zu verstehen waren als Moogs komplett modulare Systeme, die man sich erst einmal zusammen stellen musste. Und schließlich erkannten die Popmusiker, dass man mit einem Moog Modularsystem nicht einfach loslegen und einen Hit schreiben konnte, sondern sich erst einmal in die modulare Synthese einarbeiten musste. Und zuletzt gab es dann auch noch eine Rezession und der Markt war, laut Aussage von Bob Moog, gesättigt. In Zahlen drückt sich der Niedergang der R.A. Moog Co. so aus, dass Moog 1969 noch 99 Modularsysteme verkaufte, 1970 mit 54 nur noch die Hälfte und 1971 dann gerade noch 18 Stück. Mit anderen Worten: Moog war Pleite und musste gerettet werden. Ironie des Schicksals ist es aber wohl, dass der Markt nicht nur nicht gesättigt war, er war im Gegenteil noch gar nicht angezapft. Im Nachhinein ist es natürlich leicht zu sagen, aber eigentlich war schon Ende der 1960er Jahre klar, dass der giggende Musiker einen kompakteren Synthesizer brauchte: keine Schrankwand zum Angeben im Spandexanzug sondern ein portables kleines Gerät, das man leicht auf die Bühne tragen konnte. So ein Gerät hatte Moog aber nicht im Sortiment und ab hier wird es schwierig, denn es gibt so viele verschiedene Geschichten über die Entstehung des Minimoog wie es Beteiligte gab. Eine der Geschichten lautet also so, dass Moog strikt dagegen war, so ein portables Instrument überhaupt herzustellen. Einige seiner Ingenieure wollten aber genau das und ein gewisser Gene Zumchak verließ schließlich die Firma, um dieses Projekt selbst zu verwirklichen.  

Der Idee eines kompakten Synthesizers wie dem Minimoog stand Bob Moog anfangs skeptisch gegenüber. (Bild: By Alex Harden from Harrisburg, PA, USA (DSC01255 Uploaded by shoulder-synth) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons)
Der Idee eines kompakten Synthesizers wie dem Minimoog stand Bob Moog anfangs skeptisch gegenüber. (Bild: By Alex Harden from Harrisburg, PA, USA (DSC01255 Uploaded by shoulder-synth) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons)

Zumchak heuerte bei einer kleinen Firma namens muSonic an, wo er seinen Traum eines Kompaktsynthesizers in Form des “muSonic Sonic V” verwirklichen konnte. Aber der “Sonic V”, obwohl er ein guter Synthesizer war, verkaufte sich nicht, und der Chef der Firma muSonics, ein gewisser Bill Waytona, wusste auch warum: der Name muSonic war einfach zu unbekannt. Das Moog Label dagegen hatte einen Ruf wie ein Donnerhall und so trafen Faust auf Auge: Moog war pleite, Waytona brauchte den Namen und aus der R.A. Moog Co. unter der Leitung von Dr. Robert Moog wurde Moog Music mit ihrem neuen Chef Bill Waytona. Die neue Firma zog nach Williamsville in eine alte Gelatinfabrik und Bob Moog selbst war nur noch ein Mitarbeiter. Der “muSonic Sonic V”, der im übrigen ganz anders aussah als die anderen Produkte von Moog, wurde fortan als “Moog Sonic V” verkauft und erst danach kam der von Moog missachtete Kompaktsynthesizer auf den Markt. Und das war der Minimoog, der nach den Prototypen A, B und C ab dem vierten Quartal 1971 als Moog Minimoog Model D verkauft wurde und allein in diesem Quartal über 200 Mal verkauft wurde. Bis zum Ende der Produktion 1981 sollten es um die 13.000 Stück werden, aber da war Robert Moog schon längst wo anders und die goldenen 1970er Jahre der analogen Synthesizer waren vorbei. Und um die wird es in der nächsten Folge unserer Geschichte der Musikelektronik gehen.  

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BadTicket sagt:

#1 - 21.10.2016 um 06:02 Uhr

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Ganz starker Artikel, wie schon die Vorgänger. Ich kann es kaum abwarten die Fortsetzung zu lesen! Besten Dank für die super Arbeit :-)

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Fritz sagt:

#2 - 23.05.2023 um 15:56 Uhr

0

Leider sehr enttäuschend:( Sehr unverständlich formuliert und das meiste habe ich schon vorher gewusst. Vielleicht spannenderer Inhalte hinzufügen und nicht nur Allgemeinwissen.

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