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Raumforschung – Reverb professionell einsetzen: Teil 2

“Eine Platte hört sich erst dann richtig gut an, wenn man sich in verschiedene Räume versetzt fühlt.” Ob ihr diesem Zitat von Phil Ramone nun zustimmt oder nicht – die Bedeutung der akustischen Tiefe und des Halls lässt sich nur schwer leugnen.

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Die meisten Artikel zum Thema Reverb befassen sich mit der Verwendung von Hallgeräten beim Mixdown. Das ist natürlich eine wichtige Technik, aber auf vielen erfolgreichen Alben wurde der Raumeindruck mit anderen Mitteln erzeugt, manchmal ganz ohne künstlichen Reverb.
Für dieses Feature habe ich über 70 bekannte Mixing-Engineers und Produzenten nach ihren Techniken und Ansichten zum Thema Reverb befragt, um euch einen breiten und praktischen Überblick zu geben, wie in den verschiedenen Stadien einer Produktion mit Hall umgegangen wird.

Original oder Fälschung?

Eine der wichtigsten Fragen, die sich jeder Produzent stellen muss, ist: An welchem Punkt bekommt eine Aufnahme die Räumlichkeit, die sie braucht? Butch Vig hat dazu eine klare Meinung: “Ich fing an, alles sehr trocken aufzunehmen und mich von Raummikros zu verabschieden. So ist alles immer erstmal sehr weit vorn – wenn ich später Hall oder Echo hinzufügen möchte, ist das aber natürlich auch kein Problem. Ich kann Dinge im Mix nach hinten rücken, aber wenn ich sie wirklich direkt vorne brauche, dann geht das auch.”
Trotz der offensichtlichen, praktischen Vorteile trockener Aufnahmen finden die meisten Produzenten, dass echter, natürlicher Nachhall immer noch von großer Bedeutung für das Gefühl von Realismus und Räumlichkeit ist – selbst in Zeiten von Faltungshall. Also wird oft beides gemacht und trockene Close-Mikes werden mit Raummikrofonen kombiniert. Dadurch bekommt man das beste beider Welten: echten Raumklang, aber dennoch absolute Kontrolle im Mix. Mit Abstand am häufigsten wird dieses Verfahren bei Drums eingesetzt, selbst Butch Vig gibt zu: “Ich benutze Raummikrofone auf Drums. Aber ich mag es auch gern trocken.”

In den meisten Fällen wird ein Stereopärchen verwendet, aber es gibt jede Menge Variationen. Bei Aufnahmen mit den Pixies benutzte Gil Norton ein einzelnes Mikro, das hoch über dem Drumkit aufgehängt war, ähnlich macht es die Band Athlete. Anders bei Joe Barresi, Dave Eringa, Eddie Kramer und Dave Tickle, die alle gern ein drittes Mono-Mikro zusätzlich zu einem Stereopaar verwenden. “Ich mag es, mit einer Kombination aus einem Stereo- und einem Mono-Raummikro zu arbeiten”, sagt Barresi, “in neun von zehn Fällen habe ich drei Spuren mit Raummikrofonen.” Noch weiter gehen Chris Thomas, Bill Price und Ian Little, die zwei Stereopaare an verschiedenen Positionen einsetzen. Das ist aber immer noch gar nichts gegen Roy Thomas Baker: “Das Drumset war im Coach House Live Room aufgebaut, auf der Bühne, die die Band “The Darkness” auf Tour benutzt. Die Bassdrum befand sich auf halber Höhe zwischen Boden und Decke und in gleicher Entfernung zu allen vier Ecken des Raums, in denen jeweils Raummikrofone standen. Dazu hatten wir Close-Mics und Overheads. Typischerweise haben wir die Drums mit 36 Mikrofonen aufgenommen, aber es waren ungefähr doppelt so viele aufgebaut.”

Das "Reverb", welches man manchmal auf Musikproduktionen hören kann, entstammt keinem Prozessor oder Plug-In, sondern ist auf Raummikrofone zurückzuführen. Weit verbreitet ist es, Türen zu Fluren oder ähnlichen Räumen zu öffnen.
Das “Reverb”, welches man manchmal auf Musikproduktionen hören kann, entstammt keinem Prozessor oder Plug-In, sondern ist auf Raummikrofone zurückzuführen. Weit verbreitet ist es, Türen zu Fluren oder ähnlichen Räumen zu öffnen.

Bei Schlagzeugaufnahmen mag der Einsatz von Raummikrofonen für viele ein alter Hut sein, aber das gleiche Prinzip wird auch gern für andere Instrumente verwendet. Zum Beispiel benutzt Ken Nelson ein separates Raummikro für Akustikgitarren: “Manchmal nehme ich zum Beispiel ein Neumann KM84 mit Nierencharakteristik und dazu vielleicht ein AKG C414 auf Acht gestellt als Raummikro. So fängt man ein bisschen vom Raumklang mit ein.” Auch E-Gitarren werden oft mit einem zusätzlichen Raummikrofon aufgenommen, unter anderem von Al Schmitt, Chris Tsangarides und Tony Visconti. “Bei Rock-Gitarren mit Powerchords und Crunches und so weiter nehme ich immer den Raumklang mit auf”, so Visconti. “Ich laufe im Raum herum, klatsche in die Hände und sage, ‘Stellt das Mikro hierhin, das ist gut.’ Oft richte ich das Raummikro auf ein Fenster aus und bekomme eine Reflexion des Gitarrensounds. Jedenfalls nicht direkt auf den Gitarrenamp, weil ich ja Reflexionen möchte.”
Auch elektronische Instrumente sind nicht ausgenommen. Gareth Jones und Joe Chiccarelli haben verstärkte Synthesizer mit Raummikrofonen aufgenommen und Andy Grassi bediente sich eines ähnlichen Tricks für MPC-programmierte Tracks, als er mit Wyclef Jean zusammenarbeitete. Mit seinen Worten: “Ich will immer etwas in den Tracks haben, das wirklich die Luft bewegt.”

Für einige Projekte ist der Raumklang so wichtig für den Gesamtsound, dass es Sinn macht, mehrere Raummikrofone während der gesamten Produktion aufgebaut zu lassen – eine Möglichkeit Zeit zu sparen, die sowohl von Roy Thomas Baker und Joe Chiccarelli beschrieben wird. “The White Stripes arbeiten extrem schnell”, sagt Chiccarelli, “und erwarteten von mir, dass ich jederzeit aufnahmebereit war. Also hatte ich mehrere Raummikrofone im Studio aufgebaut. Wenn sie anfingen einen Song zu spielen, konnte ich schnell die Fader hochziehen und die besten Mikros auswählen.”
Selbst wenn man es im finalen Mix letztlich doch nicht verwendet hat, kann sich ein Raummikro später auszahlen, wie Tony Visconti feststellte, als er zu seinen Aufnahmen für T-Rex’ Electric Warrior zurückkehrte: “In den Sechzigern sagte mir mein Mentor Denny Cordell, dass es immer nützlich wäre, ein “offenes” Mikrofon im Aufnahmeraum zu haben. Ich glaube aber nicht, dass ihm klar war, wie wertvoll das im Jahr 2003 sein würde, wenn man von den alten Aufnahmen einen 5.1-Mix macht. Das Raummikro zeigt einem, wie groß das Studio war, in dem die Band spielte. Man bekommt dadurch mehr Echtheit.”

Wenn man sich sicher ist, den Raumanteil schon während der Aufnahme richtig einschätzen zu können, geht es schneller, einfach ein einzelnes Mikrofon in etwas größerem Abstand zur Schallquelle zu verwenden. So macht es Bob Bullock zum Beispiel mit Fiedlern (“Man möchte den Raum hören, nicht das Geigenharz!”), und Ben Hillier und Alan Parsons nehmen E-Gitarren auf diese Weise auf. “Ich fand schon immer, dass die meisten Leute Gitarrenamps zu nah aufnehmen”, sagt Parsons. “Dann nehmen sie noch ein Raummikro hinzu. Ich suche mir lieber eine Mikrofonposition, die funktioniert, und bleibe dabei, statt nachher den Raumklang hinzu zu mischen.”
Wenn man sich für die Methode mit einem Mikrofon entscheidet, sollte man im Zweifel lieber etwas zu trocken aufnehmen als zu räumlich. “Es ist wie mit Kompression”, sagt Scott Kieklak. “Man kann später immer noch Raum hinzufügen, aber wenn er einmal aufgenommen ist, bekommt man ihn nicht mehr heraus.” Eine gute Strategie ist auch das Verfahren, mit dem Johnny Dollar die live aufgenommenen Instrumente in Gabrielles Hit “Rise” an einen Loop von Bob Dylan anpasste: “Wir setzten die Musiker in den Raum und gingen mit den Mikros umher, bis es sich so anhörte, als wäre es ein Teil der Platte.”

John Leckie: "Die unterschiedlichen Regieräume in den Studios lassen den Nachhall sehr verschieden klingen. Der Trend zu immer größeren und dadurch weniger trockenen Regien sorgt dafür, dass wir heute immer trockenere Produktionen haben."
John Leckie: “Die unterschiedlichen Regieräume in den Studios lassen den Nachhall sehr verschieden klingen. Der Trend zu immer größeren und dadurch weniger trockenen Regien sorgt dafür, dass wir heute immer trockenere Produktionen haben.”

Der Nutzen von Übersprechungen

Auch bei der Aufnahme von Ensembles kann man Raumklang einfangen. Obwohl viele große Studios spezielle Einrichtungen zur akustisch getrennten Aufnahme mehrerer Musiker bieten, meiden viele bekannte Produzenten dies und setzen die Übersprechungen kreativ als eine Art Raum ein. Mit diesem Recording-Stil gewann Al Schmitt mehrere Grammys: “Viele haben Angst vor Übersprechungen. Wenn man gute Mikrofone benutzt, können sie aber dein bester Freund sein und Dinge größer klingen lassen, als sie sind.”
“Man muss einfach auf Draht sein und genau hinhören”, fügt Mike Thorne hinzu, “dann kann man die Übersprechungen als Raumklang einsetzen. Wir haben bis zu sieben Leute ohne jede Trennung aufgenommen, auch ungewöhnliche Kombinationen wie Fagott, Gong und Kontrabass, sodass wir keine Trennwände aufstellen konnten. Durch sorgfältige Platzierung der Musiker und der Mikrofone kann man die Übersprechungen so optimieren, dass es sich ganz ohne künstlichen Hall realistisch anhört.”

Auch Tony Platt empfiehlt dieses Vorgehen und erklärt, worauf man achten sollte: “Am wichtigsten ist, dass die Übersprechung von einem Instrument auf ein anderes im Zusammenhang steht mit dem Instrument, das sie empfängt. Wenn die Gitarre auf den Drum-Mikrofonen zu hören ist, sollte dieser Raumklang den eigentlich gewünschten Gitarrensound nicht beeinträchtigen. Wenn die Gitarre auf den Drum-Mikros nasal klingt, obwohl man eigentlich eine große, warme Gitarre haben möchte, passt das nicht zusammen. Man muss also nicht nur die primären Sounds zusammenfügen, sondern auch die Übersprechungen und Raumklänge dieser Sounds.”
“Ich räume viel um, um aus den Übersprechungen das Beste herauszuholen”, fügt S. Husky Höskulds hinzu. “Wenn ich zum Beispiel Drums, Piano und Akustikgitarre aufnehme, laufe ich während des Soundchecks hinaus und bewege das Mikro etwas weiter vom Klavier weg, damit es zum Raumklang auf dem Gitarrenmikro passt, und panne sie dann nach links und rechts. Auf diese Weise enthalten die Mikrofone für Klavier und Gitarre die Hälfte des Drumsounds. Viele der Orgeln auf Solomon Burkes “Don’t Give Up On Me” sitzen im Mix ziemlich weit hinten – dieser Sound stammt vom Akustikgitarren-Mikro im Nebenraum. Wenn man die Mikros auf eine bestimmte Weise pannt, bekommt man eine Art Ausdehnung des Stereofelds. Auf dem Track ist kein Reverb außer dem Nachhall des Aufnahmeraums.”

Man könnte meinen, dass diese Vorgehensweise zu einem verwaschenen Sound führen würde. Steve Hodges Aufnahmen für das Debutalbum der Wild Magnolias zeigen, wie man auch ohne Trennung einen tighten Sound erzielen kann, wenn man einen gut gedämpften Aufnahmeraum zur Verfügung hat. “Der Raum war ziemlich tot”, sagt Hodge. “Der Raumklang, den man hört, kommt daher, dass so viele Mikrofone offen waren. Die Wände haben kaum reflektiert, dadurch gab es keine stehenden Wellen oder Raummoden. Der Sound ist unglaublich tight und punchy. So sehr, dass wir mit Lou Rawls genauso aufgenommen haben, als er darauf bestand, die Lead Vocals zusammen mit der Band im gleichen Raum aufzunehmen. Wir haben ihm ein C12 hingestellt und ihn machen lassen, und man würde nie glauben, dass es keine Trennung zwischen ihm und der Band gab.”

Natürlichen Nachhall kontrollieren

Ein potenzielles Problem bei der Aufnahme von Raumklang ist es, den gewünschten Charakter zu erreichen – schließlich bieten Aufnahmeräume keine einstellbaren Parameter wie Hallgeräte. Craig Leon bringt es auf den Punkt: “Wenn man auf einen organischen Drumsound aus ist, ist der Raum viel wichtiger als welche Mikros man benutzt.”
Aus diesem Grund sind viele Engineers, die auf natürlichen Nachhall schwören, ziemlich erfindungsreich und nutzen alle ihnen zur Verfügung stehenden Räume, um den besten Sound für den Track zu finden. Wie etwa Ben Hillier bei den Aufnahmen zum Album “Think Tank” von Blur: “Der Hall im Hauptaufnahmeraum war zu krass und wir wollten einen viel trockeneren Sound. Der einzige Ort, wo wir das machen konnten, war draußen – trockener geht es nicht. Das waren die Optionen – entweder total räumlich oder knochentrocken. Es gab dort noch einige kleinere Räume, zum Beispiel eine ehemalige Toilette, die toll für Vocals war.”

Eine bewährte Technik ist es, die Nahmikrofone in einem trockenen Raum aufzunehmen, während man gleichzeitig einen reflektierenderen Raum für die Raummikros verwendet. Flure scheinen sich dafür ganz besonders zu eignen – Rich Costey, Simon Dawson und Ben Hillier schwören alle darauf. Letzterer nahm auf diese Weise die Drums für ein Album von Tom McRae in seinem kleinen Editing-Raum auf: “Wenn ich mehr Raumklang brauchte, machte ich einfach die Tür zum Flur auf und stellte ein Mikro hinein. Das ergab eine schöne Farbe im Sound.” Auch Treppenhäuser haben sich bewährt und sorgen auf Hit-Alben von Engineers wie Bob Clearmountain (Roxy Music – “Avalon”), Jason Corsaro (Madonna – “Like A Virgin”), Don Smith (The Rolling Stones – “Voodoo Lounge”) und Al Stone (Jamiroquai – “Supersonic”) für den Raumklang. Badezimmer sind ebenfalls sehr beliebt; der unverwechselbare Charakter der gekachelten Wände steht unter anderem bei Joe Barresi, Jason Corsaro, Jack Douglas und Ben Hillier hoch im Kurs. Hier hört man oft, dass sie sich besonders gut für Vocals eignen sollen, was von Steve Bushs Erfahrungen mit Kelly Jones von den Stereophonics im “Small Stone Room” der Real World Studios untermauert wird: “Die Vocals klangen einfach satt und angereichert. In diesem Raum haben wir den besten Gesang aufgenommen. Durch den Klang des Raums fügten sich die Vocals gut in den Mix ein, das Gefühl stimmte einfach.”

Wenn der richtige Raum nicht sofort zur Verfügung steht, nehmen die Profis gern auf die Schnelle ein paar improvisierte Veränderungen vor. So schuf Bob Clearmountain den Rock-Drumsound von Bryan Adams’ “Reckless” trotz eines toten Aufnahmeraums: “Ich schaute mich um und fand eine Tür an der Seite. Sie führte zu einer Laderampe, die einen unglaublichen Sound hatte. Wir fanden es aber etwas ungünstig, den Drummer Mickey in einen ganz anderen Raum zu setzen. Also bauten wir das Schlagzeug direkt vor der Tür auf. Dann nahmen wir ein paar Stellwände, die auf einer Seite eine harte Holzoberfläche hatten, und bauten daraus einen großen Trichter, der den Schall durch die Tür in die Laderampe leitete. Ich stellte einige Raummikrofone hinein, und heraus kam der große Rock-Drumsound. Dann fand ich große Bleche, vielleicht 1,20 x 2,50 Meter groß, die wir rund um das Drumset an die Wände hängten, um noch mehr Raumklang zu bekommen. Es war interessant zu sehen, dass man praktisch überall fast alles erreichen kann.”

Das ist natürlich kein Einzelfall. Chris Tsangarides benutzte Trennwände, um seine “Vortex-Technik” für Gitarrenaufnahmen zu realisieren. Hugh Padgham verwendete verschiedenste improvisierte und kommerzielle Akustikmaßnahmen, um den Raumklang auf den Aufnahmen für The Police unter Kontrolle zu halten: “Neben den normalen Geschichten wie Vorhänge zuziehen, Teppich auslegen und Teppichstücke mit Gaffa an die Wand kleben, benutzten wir auch Trennwände und Tube Traps. Wenn zum Beispiel jemand in einem stark hallenden Raum Akustikgitarre spielt, kann man ein paar von diesen Röhren rund um das Mikro, den Spieler und das Instrument verteilen und sie verändern den Charakter des Raums drastisch.”



In Teil drei geht es bald weiter – unter anderem mit konkreten Geräten wie dem 480L!

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