Lewitt DGT 650 im Test bei bonedo – Um besondere Konzepte ist man beim österreichischen Mikrofonhersteller Lewitt nicht verlegen. Unter dem mittlerweile stattlichen Arsenal an Schallwandlern ist das DGT 650 eines mit dem vielleicht interessantesten Konzept:
Bislang gab der Markt entweder die Möglichkeit her, eine ganz klassische Signalkette zu bewerkstelligen, also mit Mikrofon, Preamp und Audio-Interface, oder eines der verfügbaren USB-Mikrofone anzuschaffen. Diese spielen üblicherweise nicht gerade in der Profi-Liga, außerdem ist bei vielen kein vernünftiges Monitoring möglich und die Flexibilität recht eingeschränkt – so steht man eher ratlos mit dem Instrumentenkabel in der Hand vor dieser Art von Mikros und wünscht sich, eben doch ein ganz normales Audio-Interface mit DI-Input gekauft zu haben, denn USB-Mikrofone können derartige Signale nicht aufnehmen.
Das DGT beschreitet andere Wege und positioniert sich zwischen diesen beiden Möglichkeiten, ist also ein Mikrofon mit deutlich umfangreicheren Audio-Interface-Fähigkeiten als üblicherweise. Ich darf vorwegnehmen: Das ist schlau gelöst.
Details
Ein Mikro und so’ne kleine Box
Aus der Produktverpackung fällt einem neben dem eigentlichen Mikrofon eine Menge entgegen. Besonders auffällig ist eine kleine Box mit ein paar frontseitigen Buchsen. Die kleine Kiste wird per 18-Pin-Kabel in den Fuß des DGT 650 gesteckt, an die Stelle, bei der „normale“ Mikrofone die XLRm-Buchse haben. Frontseitig verfügt diese Breakout-Box über einen 3,5mm-Kopfhörerausgang sowie eine fünfpolige DIN- und eine 6,3mm-Klinkenbuchse. Diese werde ich nach der gerade erfolgten Nennung nicht ignorant links liegen lassen, sondern mich erst einmal des vierten Anschlusses widmen: Die 18-Pin-Buchse kann mit einem der vielen mitgelieferten Kabel gefüttert werden. Diese unterscheiden sich lediglich durch die Steckernorm auf der anderen Seite. Damit allerdings machen sie deutlich, mit welcher Art von Gerätschaften das Lewitt-System betrieben werden kann: USB A ermöglicht die Verwendung des DGT an einer DAW, die auf einem Windows- oder OS-X-Rechner läuft. Ist das eine Überraschung? Wahrscheinlich nicht. Folgendes eher: Mit Micro-USB-B, Apple 30-Pin und Lightning kann das DGT 650 auch an Mobilgeräten betrieben werden und ermöglicht somit, Android-Telefone, iPads, iPhones und dergleichen zu benutzen, um damit fröhlich herumzuproduzieren. Feine Sache!
Mikrofon mit MIDI?
Die weiteren drei Buchsen (Versprochen ist versprochen!) machen das Lewitt-Mikrofonsystem schön flexibel: Zunächst einmal befindet sich auf dem kleinen Panel eine Kopfhörerbuchse. Und ja, das DGT 650 beherrscht Direktmonitoring auf Analogebene, also ohne Delay. Zudem wartet eine TRS-Buchse auf Anschluss. Die Eingangsimpedanz beträgt ein Megaohm, sodass man auch mit E-Gitarren-, E-Bass- oder Rhodes-Signalen keine Probleme bekommt. Auch ja: Der Input ist stereo! Außerdem gibt es eine MIDI-In-Buchse. Natürlich ist diese nicht dazu da, Settings des Mikrofons per Control-Change-Messages zu steuern, sondern um ein MIDI-Gerät wie ein Einspielkeyboard anzuschließen. In Anbetracht der Tatsache, dass sogar aktuelle Moog-Synthesizer einen USB-Anschluss haben und die Verfügbarkeit von USB-Keyboards sehr gut ist, ist es sehr schade, dass es nicht ein MIDI-Out ist (oder dieser zusätzlich vorhanden ist oder sich umschalten ließe). Sei’s drum: Bei Geräten wie dem DGT 650 gibt es sicherlich sehr viele weitergehende Ausstattungswünsche – je nach User und Anwendungsfall.
Kleinmembran
Auch wenn es nicht so aussieht: Das Lewitt DGT 650 ist kein Großmembran-, sondern ein Kleinmembran-Kondensatormikrofon. Genauer: Ein Stereo-Kleinmembran-Kondensatormikrofon. Die beiden richtenden und vorpolarisierten Kapseln sind vertikal im rechten Winkel übereinander angeordnet. Wer stereofone Aufzeichnungsverfahren ein wenig kennt, der weiß: Das ist das XY-Prinzip. Dieses zeichnet sich durch eine besonders scharfe Abbildung und eine hohe Monokompatibilität aus, es lassen sich also beide Kapselsignale recht problemlos zu einem Channel zusammenmischen. Dies wiederum ist eine positive Eigenschaft, wenn man das 650 wie ein „normales“ Mikrofon besprechen möchte, also frontal.
2 aus 4
Hat jemand mitgezählt? Das Lewitt DT 650 kann vier verschiedene Signalquellen aufnehmen – zwei Kapselsignale und zwei über die Klinkenbuchse. Allerdings ist das Audio-Interface des Systems nur stereo. Dieser Engpass ist jedoch sehr schlau und praxisnah gelöst, denn es gibt verschiedene Recordingmodi. Es kann gewählt werden zwischen einem Stereo-Mikrofonsignal, einem mono zusammengemischten der beiden Kapseln, dem Stereo-Input und einem Monosignal aus den beiden Kapseln auf dem linken sowie einem ebensolchen Line-/DI-Signal auf dem rechten Kanal. Niedlich: Dieser Modus nennt sich „Singer-Songwriter-Mode“.
Vorne ist hinten, weil hinten vorne ist
Nun stellt sich vielleicht die Frage, wie man diese Modi denn nun umschalten kann. Ein Blick auf die Vorderseite erklärt einiges. Dabei gibt es zunächst einmal etwas anderes zu erklären, nämlich was bei diesem Mikrofon überhaupt „vorne“ ist. Entgegen der ungeschriebenen Gesetze ist vorne nämlich eben nicht dort, wo das Firmenemblem zu sehen ist, denn das ist beim 650 die Rückseite. Um Missverständnissen vorzubeugen, ist auf jedem jungfräulichen DGT 650 eine Banderole angebracht, die die „Front“ kennzeichnet. Wenn man sie abnimmt, ist sie aber nicht mehr da (ach!), deshalb wäre es keine falsche Idee gewesen, wie beim Heil PR-30 diese nicht unwichtige Information auch aufzudrucken – schließlich fallen in die Zielgruppe auch in Sachen Recording unerfahrene User. Von der Bedienlogik her ist das Panel aber sinnvoll an dem Ort, an dem es sich befindet. Schließlich wird man das Lewitt meist als „Selbstfahrer“ verwenden – und nicht mit einem separaten Tontechniker, der bei Bedarf aufspringt und auf der Rückseite des Mikrofons herumnestelt, während die Gesangsdiva schnell noch ein Selfie von sich macht.
Am Rad drehen
Die einzelnen Elemente des Trapezes unter dem Mikrofonkorb können weiß beleuchtet werden. In der oberen Reihe sind Piktogramme für die einzelnen Modi zu sehen, darunter lassen sich verschiedene Funktionen an- und ausschalten. Navigiert und geregelt wird mittels im unteren Bereich eingelassenen Rades, welches über die Drehfunktion auch über eine Push-Funktionalität verfügt. Über dem Rädchen sind Segmente angebracht, welche zum Beispiel bei Aufleuchten des Kopfhörersymbols… klar: das Headphone-Level regelt. Leuchten die Begriffe „Return“ und „Direct“, kann mit einem kleinen leuchtenden Klötzchen auf der Segmentanzeige das Verhältnis von Playbacksignal aus der Software und dem aufzunehmenden Signal eingestellt werden. Sollte das Signal vor dem Mikrofon zu viel Pegel haben, kann mit einer der beiden Vordämpfungen das Zerren verhindert werden. Um tieffrequente Signale zurückzunehmen, gibt es die Möglichkeit, ein Hochpassfilter zu aktivieren, welches innerhalb einer Oktave 12 dB dämpft (also zweipolig ist). Mögliche Grenzfrequenzen sind 80 und 160 Hz.
Zwanzig-zwanzig bedeutet nicht viel
Einen grafischen Pegel-Frequenzgang enthält Lewitt dem Käufer eines DGT im Manual vor und beschränkt sich lediglich auf die typische Angabe „20 Hz – 20 kHz“, welche ohne die Angabe von Dämpfungswerten und Abweichungen von der Linearität reichlich aussagelos ist. Nun, ein Mikrofonklang ist auch nicht einfach mit einer Grafik erklärt. In den Höhen hat das Lewitt das zumindest theoretische Potenzial, deutlich besser wiederzugeben als Großmembraner. Allerdings ist die Membran so richtig „klein“ auch nicht: Mit 0,67“ kann man getrost von Mittelmembran sprechen. Bei voll aufgerissenem Gain beträgt das A-bewertete Eigenrauschen 18 Dezibel, es wird eine Dynamik von 110 dB(A) erreicht.
Seltene Angabe für ein Mikrofon: 950 mAh
„mAh“ steht für „Milliampèrestunden“ und somit für die Kapazität von Akkus. Und genau ein solcher ist im DGT eingebaut. Warum? Weil sicher niemand will, dass das Lewitt den Akku eines iPhones im Betrieb leerschlürft wie ich als Sechsjähriger meinen Kakao mit dem Strohhalm. Preamp, Wandler und Kopfhörerverstärker sind schließlich Verbraucher. Wo ich gerade die mikrofonunüblichen Daten hervorkrame: Das Lewitt arbeitet mit maximal 96 kHz Samplerate, die Wortbreite beträgt 24 Bit. Ein Control Center für Windows ist bereits verfügbar, für alle anderen Systeme kann man noch keine Software downloaden.
Studio für unter’n Arm
„The Mobile Recording Studio“ prangt auf der Produktverpackung. Das ist sicher etwas übertrieben, aber Lewitt tun ihr Bestes, vieles mitzuliefern, was man so gebrauchen könnte. So befindet sich etwa die Lewitt-Spinne mit im Lieferumfang. Diese könnte auf ein handelsübliches Mikrofonstativ gepfropft werden – oder eben auf den Tisch-Dreifuß. Auch an einen Windschutz wurde gedacht. Logisch: Ein mobiles Studio ist eben nicht immer in geschlossenen Räumen.