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Stereo mit verschiedenen Mikros

ORTF, XY, NOS, AB, Blumlein… für alle* Stereoverfahren werden identische Mikrofone vorgeschrieben. Wer Stereo anders als mit MS aufnehmen will, sei es am Drumkit, als Hauptmikrofonsystem vor Chor oder Orchester, für den Raum, die Akustikgitarre, den Bläsersatz oder das Piano, der muss zwingend zwei identische Mikrofone verwenden, im Idealfall sogar möglichst gut gematchte. Aber stimmt das wirklich so?

(*MS bildet dort die einzige Ausnahme, weil die Stereoinformation „S“ zwingend mit einer Acht aufgenommen werden muss, das „M“-Mikrofon jegliche Charakteristik haben darf.)

Mikrofonierung: Stereo mit verschiedenen Mikros

Matched Pairs

Zunächst: Matching von zwei Mikrofonen ist nicht unbedingt etwas, das dafür sorgt, dass die beiden Mikrofone sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Als Beispiel: Ich nutze ein sehr edles Stereoset von DPA. Den beiden 130V-Mikrofonen 4009 liegt ein individueller Frequenzschrieb bei. Dieser offenbart, dass es kleinere Unterschiede im Pegelfrequenzgang gibt. Diese sind mit maximal 0,5 dB äußerst gering und liegen deutlich unter dem, was manche andere Hersteller liefern. Dennoch kann man die beiden Mikros klanglich auseinanderhalten, wenn man genau weiß, wo man hinhören muss.

„Schlimm“ war das bisher nicht. Von vielen Top-Herstellern, etwa von Schoeps, kann man recht getrost zwei Mikrofone unterschiedlicher Produktionsdaten zusammenwürfeln, ohne sich Gedanken um die Funktion des Stereobildes machen zu müssen. Und so manches „Matching“ bedeutet anscheinend einfach nur, dass die Mikrofone bei 1 kHz ungefähr den gleichen Pegel ausgeben oder sogar nur aufeinanderfolgende Seriennummern haben. Wichtiger ist sicherlich, dass bei der Produktion vorher die Bauteile in engen Toleranzbereichen selektiert werden.

Besonders Kleinmembran-Kondensatormikrofone werden als Stereopaare angeboten.
Besonders Kleinmembran-Kondensatormikrofone werden als Stereopaare angeboten.

Symmetrie?

Symmetrie wovon? Dass man sich von identischen Mikrofonen nicht in erster Linie eine möglichst symmetrische Abbildung von Links und Rechts versprechen wird, sollte klar sein. Räume sind meist nur im Falle von Konzerthäusern und Kirchen symmetrisch, Klangkörper nur in den wenigsten Fällen. So sind die Werke von Kirchenorgel oftmals quasi symmetrisch aufgebaut, indem die Halbtöne um die Raumachse herum verteilt werden.

Aber wenn eine Seite einer Gitarre, eines Klaviers, ja auch eines Chors oder eines Orchesters irgendwo im Spektrum etwas stärker oder schwächer ist, mehr oder weniger Obertöne liefert oder nicht – das erscheint erst einmal nicht sonderlich ausschlaggebend. Und nicht vergessen: „Symmetrie ist die Ästhetik des kleinen Mannes.“

Eine Akustikgitarre gemäß ihrer Symmetrieachse zu mikrofonieren, also links und rechts der Saiten, wäre reichlich witzlos. Stattdessen wird natürlich die Ausdehnung dargestellt, wie sie hier zu sehen ist. Und damit ist das Klangbild schon sehr unsymmetrisch.
Eine Akustikgitarre gemäß ihrer Symmetrieachse zu mikrofonieren, also links und rechts der Saiten, wäre reichlich witzlos. Stattdessen wird natürlich die Ausdehnung dargestellt, wie sie hier zu sehen ist. Und damit ist das Klangbild schon sehr unsymmetrisch.

Alle Signale landen auf beiden Mikrofonen

Es gibt kein Stereosystem, bei welchem ein Mikrofon die eine Hälfte des Klanggeschehens und das weitere Mikro die andere abbildet. Somit werden beide Mikrofone immer auch alle Signale mit aufnehmen. Dies tun sie zum Teil mit einem Zeitunterschied (AB und andere Spaced-Pair-Systeme), einem Pegelunterschied (One-Point-Stereo wie XY) oder beidem (z.B. ORTF, NOS, Faulkner). Dazu kommen bei den meisten Systemen noch Klangfarbenunterschiede bei unterschiedlichen Eintreffwinkeln des Schalls und Entfernungen der Schallquelle. Einige Signale auf dem „anderen“ Mikrofon sind vernachlässigbar gering, so verfügen viele Achten über eine sehr starke seitliche Dämpfung.

Wenn aber nun Signale auf beiden Mikrofonen landen, dann werden sie auf unterschiedlichen Mikrofonen auch verschieden klingen. Das weiß jeder, der einmal zwei verschiedene Mikrofone am selben Ort platziert hat, etwa in einem Shoot-Out für Vocals oder zur Doppelmikrofonierung am Gitarrenverstärer. Das bedeutet automatisch, dass sich die Klangcharakter der beiden Mikrofone mischen werden. Das ist allerdings kein Weltuntergang: Mit einem Doppelmembranmikrofon, das beide Kapselseiten separat herausführen kann, etwa dem Austrian Audio OC818, kann man schön erkennen, wie unterschiedlich ein eintreffendes Signal schon auf der Vorder- und Rückseite eines Mikrofons klingen kann – obwohl wohlgemerkt die Kapselseiten prinzipiell identisch sind! Und selbst bei Matched Pairs klingen die Signale sehr verschieden, wenn sie mit 0 Grad, 45 Grad oder gar mehr als 90 Grad auf das Mikrofon treffen.

Unterschiede von Mikrofonen

Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, denn Mikrofone unterscheiden sich bekanntlich nicht nur anhand ihres Frequenzgangs und ihres Polar Patterns. Besonders das dynamische Verhalten kann himmelweite Unterschiede zeigen. Da wäre einmal die Feindynamik: Wie ein Mikrofon mit Transienten umgeht, kann sehr unterschiedlich sein, wie es Details auflöst, ebenfalls. Einige Mikrofone bleiben bei höheren Pegeln noch linear, während andere schon in die Kompression gehen und das Signal stark mit Obertönen anreichern (Das ist ja manchmal durchaus erwünscht!). Auch technisch gibt es gravierende Unterschiede, etwa beim Rauschen. Die unterschiedlichen, nennen wir sie „Signalprägungen“ mischen sich also nun zwangsweise. So kann es also sein, dass Diskantsaiten eines Pianos auf einem Mikrofon frisch, agil und breitbandig erscheinen, auf dem anderen aber angedickt etwas wollig, gemütlich und leicht belegt. Und diese Signale werden dann natürlich zusammengemischt. So etwas ist nicht per se schlimm und oftmals arbeitet man bei der Mikrofonierung mit genau diesen Differenzen.

Notgedrungener oder bewusster Einsatz an Instrumenten

Gerade schon genannt wurde der Gitarrenverstärker, aber auch an einer Akustikgitarre kann man sich die Eigenschaften unterschiedlicher Mikrofone und Mikrofontypen durchaus zunutze machen. Nicht selten sieht man dort Großmembraner, Kleinmembraner, Bändchen und andere Mikros gemischt. Das liegt natürlich vor allem daran, dass man sehr verschieden klingende Komponenten an diesem Instrument hat, das am Schallloch, am Hals-Korpus-Übergang und am Hals jeweils unterschiedliche Klangbestandteile erzeugt, die man mit den Mikrofonen, ob nun im Spaced oder One-Point-Aufbau, gezielt hervorheben, beeinflussen und im Stereopanorama aufgefächert zu einem Gesamtbild nach Wunsch zusammenfügt. Dieses entspricht dann natürlich grob dem physikalischen Aufbau des Instruments.

Audio Samples
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Linkes Mikrofon (Großmembran-Kondensator) Rechtes Mikrofon (Kleinmembran-Kondensator) Hartes Panning Mittleres Panning Mono-Mix

Schon beim genannten Klavier/Flügel ist allerdings so, dass man dort im Regelfall eine Panoramaverteilung nach Tonhöhe erzielen will. Nutzt man hier verschiedene Mikrofone, ist das auch alles andere als ein Beinbruch. Der Klangcharkater verändert sich über das Panorama. Je nach Stereoverfahren halten sich diese Effekte aber in Grenzen, das Gesamtbild wird charakterlich sehr ähnlich sein wie wenn beide Mikrofone im Monobetrieb am gleichen Ort aufgebaut sind.

Fotostrecke: 3 Bilder Dieses Klavier ist mit einem Großmembran-Kondensatormikrofon (AT5045) mit Nierencharakteristik und einem Kleinmembran-Kondensatormikrofon (CMC68xt) mit Achtercharakteristik aufgenommen worden.
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Piano mit zwei verschiedenen Bändchen

Ein Drumkit ist bekanntlich nicht symmetrisch (was bei der Stereoabbildung wegen der oft gewünschten Zentrierung von Snare und Bassdrum so seine Probleme mit sich bringen kann), weshalb es auch dort gut möglich ist, die unterschiedlichen Eigenschaften verschiedener Mikrofone nicht nur zu dulden, sondern gezielt zu nutzen. Mittlerweile sind viele Engineers dazu übergegangen, statt klassischer Äquivalenzstereophonie-Overheadverfahren auch Shoulderheads, Underheads und andere Verfahren zu nutzen, die gar nicht so sehr auf Symmetrie und möglichst breite Abbildung setzen. Hier ist es oftmals sogar gar keine Einschränkung, sondern eine Chance, verschiedene Mikrofone zu gebrauchen.

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Drumkit mit Beyerdynamic M130 und Coles 4038

Bei großen Klangkörpern, etwa einem Orchester, einem Chor oder einer Orgel, gibt es allerdings kaum welche der genannten positiven Eigenschaften. Will man klanglich etwas ausgleichen, verändern, hervorheben oder sonstwie verändern, ist es oftmals sinnvoller, Ausrichtung und Position eines Stereopaares zu verändern oder schlicht und einfach einen Equalizer auf einem Kanal anzuwenden. Aber auch hier heißt es lange nicht, dass ohne Stereopaar keine Stereomikrofonierung möglich wäre. Allerdings ist es durchaus förderlich, zumindest ähnliche Mikrofone zu verwenden, wenn sie denn vorhanden sind. Es zeigt sich, dass eine XY-Mikrofonierung bei eher gleichmäßigem, symmetrischem Klangkörper (also Orchester, Chor…) weniger anfällig dafür ist, dass das Signal „hängt“, als wenn ein NOS, ORTF oder gar AB damit aufgebaut wird.

Worauf ist zu achten bei Stereo-Mikrofonierung mit unterschiedlichen Mikros?


  • Gibt es einen gezielt nutzbaren Vorteil durch die Benutzung unterschiedlicher Mikrofone?

  • Sind zwei möglichst ähnliche Mikrofone sinnvoller oder gezielt sehr unterschiedliche?

  • Welche unterschiedlichen Eigenschaften besitzen die zwei Mikrofone? Nicht nur Frequenzgang und Richtcharakteristik, besonders dynamische und harmonische Eigenschaften haben großen Einfluss.

  • Wie klingt das zusammengemischte Signal beider Mikrofone bzw. die Phantomschallquelle?

  • Ist es wirklich notwendig, stereo abzubilden oder weit zu pannen?

  • Entstehen starke Ungleichgewichte durch unterschiedlichen Proximity Effect, unterschiedliche Richtwirkungen?

  • Reagieren die Mikrofone dynamisch so unterschiedlich, dass das Stereobild z.B. bei Attacks kippt oder sehr unscharf wird?

  • Lassen sich die Signale bei Bedarf mit Frequenzgang- und Dynamikbearbeitung ausreichend gut aneinander angleichen?

Fazit

Die Kernaussage sollte deutlich geworden sein: Identische und besonders gematchte Mikrofone sind durchaus sinnvoll – sonst würde es sie nicht geben. Essentiell ist das jedoch nicht. Wer also zwei unterschiedliche Mikrofone zur Verfügung hat, der sollte eine Stereoaufnahme nicht als Ding der Unmöglichkeit betrachten, sondern einem „Mixed Pair“ schlichtweg eine Chance geben. Mehr noch: Manchmal ist es von Vorteil, mit unterschiedlichen Mikrofonen gewisse Bestandteile eines Instrumenten- oder Raumteils besonders unterstreichen oder „verstecken“ zu können. Und weitergedacht: Das hier dargestellte Thema kann man natürlich auch auf Mikrofon-Vorverstärker beziehen…

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