Pro Tools hat sich gemausert und in einigen Punkten Alleinstellungsmerkmale erarbeitet. Welche das sind und wo die Stärken und Schwächen der aktuellen Version 2020.11 liegen, zeigt der folgende Test.
Vor drei Jahren gab es noch klassische Versionsnummern (12.8), heute setzt sich die Nummerierung aus dem Jahr und dem Veröffentlichungsmonat zusammen, im diesem Fall also die 2020.11. Die neue Nummerierung bietet für Avid den Vorteil, nicht schon durch die Benennung (als Beispiel: 12.8.1 oder 12.9 oder 13) zu verraten, ob es sich um ein größeres oder kleineres Update handelt. Seit dieses Vorgehen 2018 Einzug gehalten hat, war vom Bugfix-Update bis zum großen Versionssprung alles dabei. Im folgenden Test werde ich die wesentlichen neuen Merkmale erläutern und nach den fünf Jahren des Abonnementmodells außerdem ein Kosten-Nutzen-Fazit ziehen.
Details
Von Pro Tools 2018 bis 2020 – die Fortschritte zusammengefasst
Im Jahr 2018 gab es zwar insgesamt sechs Updates für Pro Tools, von denen aber nur zwei neue Funktionen mitbrachten, während die anderen sich auf Bugfixes konzentrierten. 2019 gab es insgesamt vier Pro-Tools-Versionen – und auch hier waren darunter nur zwei mit neuen Funktionen. Die aktuelle Version 2020.11 ist im Jahr 2020 nun die vierte (streng genommen die fünfte) Iteration von Pro Tools, von denen immerhin drei neue Funktionen beinhalteten.
Die Updates alleine dahingehend zu betrachten, wie oft sie neue Funktionen mitbringen, beleuchtet den Fortschritt der Software aber nur unzureichend. Am Ende kommt es darauf an, wie stark sich der eigene Anwendungsbereich dadurch erweitert. Trotzdem zeigt der Verlauf der letzten drei Jahre, dass sich die Update-Geschwindigkeit im Vergleich zu 2015 und 2016 mit jeweils sechs bis sieben Versionen inklusive neuer Features insgesamt deutlich verringert hat. Der Update-Zyklus ist vergleichbar mit anderen DAWs wie Cubase, Logic oder Studio One. Das Abonnementsystem bringt Avid zwar ein sicheres Einkommen, Vorteile auf der Nutzerseite kann ich bisher aber leider nicht erkennen.
Pro Tools 2018
Gleich im Januar 2018 kam Avid mit einem Update (2018.1), das viele Hoffnungen weckte: Pro Tools unterstützt seitdem iLok auch über die Cloud und führte Track Presets und Target Playlists ein. Mit «Retrospective MIDI» werden spontane Einspielungen festgehalten, noch bevor man in die Aufnahme geht und das «Arrow key MIDI Editing» macht beim Editieren von MIDI-Daten fleißig Gebrauch von den Cursor-Tasten. Außerdem lassen sich seitdem EQ-Kurven im Mix-Fenster einblenden und die Möglichkeiten zum Import von Daten aus anderen Sessions wurden verbessert.
Im Sommer folgte die zweite Version mit funktionalem Fortschritt (2018.7), die sich überwiegend einem besseren Workflow widmete. Dank integrierter Suchfunktion ist es seitdem einfacher, in Plugin-, I/O- und Bus-Listen den gewünschten Eintrag zu finden, mehrere Einträge eines Menüs gleichzeitig auszuwählen, komfortabler in Playlisten zu navigieren, von verbessertem «Low Latency Monitoring» zu profitieren und mit zahlreichen neuen Tastaturkommandos Edit-Bereiche auszuwählen. So sinnvoll die Fortschritte in 2018.7 auch sind, eine richtig spektakuläre neue Funktion fehlte. Herauszuheben sind im Jahr 2018 vor allen Dingen die Track Presets, die Retrospective MIDI Funktion und mit Einschränkungen auch die Target Playlists.
Pro Tools 2019
Die erste Pro-Tools-Version in 2019 ist die 2019.5, deren wesentliche Verbesserung sich hinter dem Begriff «Continuous Creation» verbirgt: Während in der Vergangenheit das Insertieren eines Plugins oder eines Sends bei der Wiedergabe für eine kurze Unterbrechung und unangenehme Übergänge sorgte, lässt Pro Tools sich jetzt nicht mehr durch solche und andere Aktionen stören. Die übrigen Verbesserungen haben überwiegend mit der Anzahl der Spuren zu tun: Pro Tools erlaubt jetzt stolze 1024 MIDI-Spuren und bietet für Pro Tools | Ultimate (die ehemals HD genannte Premiumversion des Programms) mit nativen Systemen bis zu 384 gleichzeitig aktive Mono-Audio-Tracks (vorher 256) und Erweiterungen um sogenannte Voice Packs an. Unter macOS wird erstmals 10.14 Mojave unterstützt.
Im Oktober erscheint das zweite funktionale Update, das sich überwiegend an Post-Pro-Nutzer wendet: Es gibt eine neue Avid Video Engine (AVE), die vor allen Dingen eine verbesserte Performance bei H.264-Quicktime-Filmen verspricht, Verbesserungen für die Dolby Audio Bridge, das Verpacken mehrerer Stems in ein Multikanal-WAV-File sowie die Möglichkeit, in der Timeline nicht verwendete Clips beim AAF-Import auszuschließen.
«Continuous Creation» ist das Highlight 2019, von dem alle Nutzer profitieren. Die neue Video Engine betrifft auch viele Pro-Tools-Nutzer, insgesamt muss sich aber jeder selbst überlegen, ob er für den gezahlten Miet/Abonnement-Preis 2019 gut bedient wurde. Für meine Ultimate-Dauerlizenz zahlte ich 2019 428,40 Euro brutto und habe das subjektive Gefühl, keine ausreichende Gegenleistung erhalten zu haben.
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Pro Tools 2020
Mit der Version 2020.3 bekam Pro Tools endlich wieder einen richtigen Funktionsschub: die Folder Tracks sowie den vollständigen Support von macOS 10.15 Catalina.
Der nächste Schritt erfolgte im September (2020.9.1) und brachte im wesentlichen Ableton Link in Pro Tools. Damit ist es möglich, zwei musikalische Devices, die den Link-Standard unterstützen, über ein lokales Netzwerk zu synchronisieren. Das Taktraster, das Tempo und die Start/Stopp-Kommandos werden dabei berücksichtigt.
Mit der aktuellen Version 2020.11 gibt es nun «Audio to MIDI» dank Celemonys ARA-Technologie, «Space Clips», dem «Dark Theme», «Bounce to Mix», bis zu 512 Master Fader und QuickTime-Export als Public Beta.
Auch ohne genauere Betrachtung der wichtigsten Funktionen im folgenden Abschnitt kann für mich ich persönlich konstatieren, dass ich für meinen Update/Support-Plan im Jahr 2020 deutlich mehr bekommen habe als im Jahr 2019.