1980 ging ich häufig in einen Frankfurter Club namens “Funkadelic”, der den Ruf hatte, immer die aktuellste Funk-, Soul- und R&B-Musik zu spielen. In der Tat hatte der DJ dort immer wieder mal einen absoluten Knaller auf dem Teller. Naturgemäß war der Laden eine Fundgrube für die heißesten Bassgrooves dieses Genres. Eines Abends brüllte jedoch ein Song aus den Lautsprechern, der mich schier aus den Socken haute und geradezu wie eine Offenbarung daherkam! Der Bass war unglaublich weit in den Vordergrund gemischt und die Bassline war eine Mischung aus Groovegewicht, Slapgewitter und Soundgewalt. Die Rede ist von dem Song “Glide” von der Band Pleasure und ihrem Bassisten Nathaniel (Nate) Phillips!
Durch Nachfrage beim DJ erfuhr ich zwar schnell, um welche Band und um welches Album es sich handelte, aber es dauerte noch Wochen, bis ich die Scheibe dank eines pfiffigen kleinen Importhändlers auftreiben konnte. Weitere Wochen verbrachte ich damit, den Basspart herauszuhören, was enorm schwierig war, weil ich erstens noch ziemlich unerfahren war und zweitens damals noch keine externen Hilfsmittel existierten: Es gab weder Loop-Player noch Pitch-Programme. Die einzige Möglichkeit, die rhythmisch schnellen Passagen zu entschlüsseln, war, den Song auf ein Tonband zu überspielen und dessen Bandgeschwindigkeit zu reduzieren – mit dem Nachteil, dass sich dadurch auch die Tonhöhe veränderte. Es dauerte folglich eine gefühlte Ewigkeit, bis ich dem Riff auf die Schliche kam – und dennoch habe ich es wahrscheinlich nie 100% korrekt gespielt. Mit den heutigen Möglichkeiten hoffe ich, dass mir dies nun gelungen ist!
“Glide” – Originalvideo
Wie immer wollen wir zunächst in das offizielle Video zum Song hineinhören und -sehen!
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Mehr InformationenPleasure – die Band
Die U.S.-amerikanische Band Pleasure wurde 1972 in Portland/Oregon gegründet. Sie produzierten sieben LPs bis zum Jahr 1982, danach löste sich die Band auf. Seit 2018 ist die Gruppe allerdings wieder aktiv mit einem neuen Album namens “Now Is The Time”. Das erfolgreichste Album von Pleasure erschien 1979 unter dem Titel “Future Now”. Die aus diesem Album ausgekoppelte Single erreichte Platz 10 der amerikanischen R&B-Charts und die Basslinie, gespielt von Nate Phillips, wurde “oft kopiert und doch nie erreicht”, wie es so schön heißt.
On bass: Nathaniel “Nate” Phillips
Nathaniel “Nate” Phillips zählt ohne Frage zu einem der versiertesten Funk&Soul-Bassisten seit der Entstehung des Genres. Er steht damit auf einer Linie mit Legenden wie z.B. Larry Graham, Verdine White, Bernard Edwards, Louis Johnson oder Bootsy Collins. Wer sich näher mit seinem Stil befassen möchte, dem lege ich dringend sein Soloalbum “Reset” aus dem Jahr 2012 ans Herz. Ungewöhnlich an Nathans Stil, dass er viele Basslinien mit dem Plektrum spielt – “Glide” allerdings nicht, denn es wird durchweg im Slapstyle gespielt.
“Glide” – Song-Aufbau
“Glide” besteht aus zwei Teilen. Intro und Refrain bilden ca. 75% der Struktur und es gibt witzigerweise nur eine einzige Strophe, nach wechler dann ungefähr fünf Minuten lang der Refrain in typischer Jam-Manier läuft. Im späteren Verlauf ist auch der Bass nur mit den Drums zu hören, jedoch ohne auszuschweifen und den Groove zu unterbrechen. Das Arrangement von “Glide” wurde also ganz eindeutig für den Dancefloor ersonnen!
“Glide” – Intro/Refrain
Der Song beginnt direkt mit dem Intro-Riff, das aus sich wiederholenden sechs Takten besteht und identisch mit dem später auftauchenden Refrain-Riff ist. Gleichzeitig ist darin auch bereits das Jam-Riff enthalten. Dieses ist lediglich zwei Takte lang (im Notenbeispiel die Takte 3 und 4 bzw. 9 und10) und läuft stoisch durch den ausladenden Jam-Teil in der zweiten Hälfte des Songs, stets minimal variiert. Die Harmoniefolge lautet: C | Bdim9 C/F | G/E G
Das war der “einfache” Teil der Nummer. Was nach einer viermaligen Wiederholung des Intro-Loops kommt, ist jener Teil, der “Glide” für immer in die “funk hall of famous bassriffs” emporgehoben hat!
“Glide” – Vers
Das Vers- bzw. Strophen-Riff von “Glide” beginnt mit einer vorgezogenen Synkope (Takt 22) und einer folgenden Reihe von sogenannten “Doublestops”, womit Dezimen-Zweiklänge gemeint sind. Dabei wird auf der E-Saite der Grundton gegriffen und simultan dazu die Dezime auf der G-Saite. Eine Dezime ist die oktavierte Terz des gespielten Akkordes. Wird eine große Dezime gespielt, erhalten wir einen Dur-Klang, spielen wir eine kleine Dezime, so erfolgt ein Moll-Klang. Die Chord Progression dieses Parts lautet: E, D, c-, c#-, D.
Das nachfolgende Riff solltet ihr euch in aller Ruhe in den Noten/der Tabulatur zu Gemüte führen. Hier gilt: Übung macht den Meister! Es erfordert einige Geduld, um hier die erforderliche Präzision zu erlangen, bis es einigermaßen rund läuft. Besonders trickreich ist der Übergang vom End-Triller (Takt 26 oder 30) zurück in den ersten Doublestop zum Start des nächsten Durchgangs, denn hier muss die Greifhand einen weiten Weg zurücklegen und dann gleich mit einem Dezimen-Griff neu ansetzen. Nicht verzweifeln – ich verspreche: die Mühe lohnt sich, denn am Ende der Prozedur spielt ihr ein erhellend frisch klingendes Funkriff, das auch mehr als 40 Jahre nach seiner Geburt nichts von seiner Faszination verloren hat!
“Glide” – Bass-Sound
Leider stand mir zum Zeitpunkt der Aufnahme kein Viersaiter zur Verfügung, so dass ich mich mein Workshop-Klangbeispiel mit einem Fünfsaiter einspielen musste. Von all den Bässen, die ich dabei ausprobiert habe, klang tatsächlich der Günstigste am passendsten (!): ein Sire Marcus Miller V7 aus Südkorea. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es zahlreiche ausufernde Diskussionen und Spekulationen im Netz darüber, welchen Bass Nathaniel Phillips damals im Studio verwendet hat. Angeblich soll es ein Fender Jazz Bass mit Rotosound-Roundwound-Saiten gewesen sein.
“Glide” – TABs, Noten und Audiobeispiele
Hier findet ihr die Bassstimme in Noten und als TABs und das Audiobeispiele, das ich für euch aufgenommen habe. Außerdem findet sich eine Drumspur zum Mitjammen. Ein Video von mir beim Einspielen des Bass-Takes findet ihr oben rechts auf dieser Seite!
In diesem Sinne: Let the Funk out, viel Spaß und bis bald, euer Oliver