Beim Nashville Number System handelt es sich um eine Schreibweise für Akkordprogressionen, die mit einer ganz eigenen Methodik verbunden ist. Geübten Musikern erlaubt sie in Windeseile, Songs in allen Tonarten spielen zu können und diese auch losgelöst von einem Referenzton zu transkribieren.
Das flexibilisiert natürlich ungemein, denn unabhängig von der Tatsache, ob nun das Stück eher in einer männlichen oder weiblichen Gesangstonart vorgetragen werden soll, oder wenn es darum geht, im Tourbus oder unterwegs zum Job ohne Notenpapier ein Sheet aufzuschreiben: Wer das Nashville Number System beherrscht, hat ein extrem wertvolles Werkzeug zur Hand. Wie der Name schon verrät, wird diese Methode eher in den Staaten angewandt und findet in Deutschland kaum Gebrauch, daher sollten wir diese Herangehensweise mal stärker beleuchten.
Quickfacts:
Das Nashville Nummernsystem wurde vermutlich 1958 von Neal Matthews entwickelt und erwies sich schon bald als ein beliebtes Notationssystem in der Nashville-Studioszene.
Akkordstufen werden als arabische Zahlen notiert, sodass man, wenn man seine diatonischen Akkorde und Tonleitern parat hat, das Stück in allen Tonarten spielen kann. Die Bezeichnungen für Akkordgeschlechter und Optionen entsprechen der gängigen Akkordschreibweise.
Rhythmische Informationen können mithilfe von Strichen und Symbolen erfasst werden und Tonarten, Taktarten oder Formteile werden im Leadsheet kenntlich gemacht. Symbole wie Bindebögen, Akzente, Fermaten, Crescendi und Ritardandi, Klammern, Wiederholungszeichen, etc. werden wie in der Standardnotation verwendet
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1. Geschichte
Entstanden ist das Nashville Number System (im Folgenden NNS genannt) ca. 1957, als Neal Matthews, ein Mitglied des Gospelquartetts “Jordanaires”, ein System suchte, um das Lernen und auch das Verinnerlichen des Songmaterials effektiver zu gestalten.
Vorlage für sein System war das “Shape Note System”, das bereits im England des 18. Jahrhunderts eingesetzt wurde und schnell seinen Weg in die Gospel-Gesangstradition der Südstaaten fand. Hierbei wird jeder Note ein unterschiedlich aussehender Notenkopf angedacht, sodass, ähnlich wie beim Solfége-System, eine schnelle Assoziation zwischen Bild und relativer Tonhöhe entstehen kann und die Transposition in andere Tonarten leichtfällt.
Ab den 60ern setzte der Nashville-Studiomusiker Charlie McCoy das Nummernsystem auch verstärkt unter seinen Musikerkollegen ein und trieb damit die Verbreitung dieser Notationsmethodik in der dortigen Studioszene voran, die schnell zu einem Standard in Nashville wurde.
Auch wenn das NNS weltweit kein 100%ig einheitliches System ist und es kleine ortsübliche und individuelle Abweichungen in manchen Schreibweisen gibt, so überwiegen doch die Gemeinsamkeiten, die ihr in diesem Workshop auch antreffen werdet.
2. Theoretischer Unterbau
Obwohl nur ein rudimentäres Verständnis von Musiktheorie nötig ist, um das NNS zu begreifen, wird man um ein paar Kniffe nicht herumkommen. Wer sich hier noch etwas unsicher fühlt, dem möchte ich empfehlen, in unsere Harmonielehreseriezu schnuppern, wobei vor allem Folge 2 über die diatonischen Akkorde besonders relevant ist.
Betrachten wir zunächst die Stufenakkorde der C-Dur Tonleiter. Bilden wir auf jedem Ton der Durscale einen Dreiklang, landen wir bei den oben erwähnten “diatonischen Akkorden”:
In der Akkordanalyse sind wir nun gewohnt, Akkordstufen mit römischen Zahlen zu beziffern, also I, II, III, IV usw. Im Nashville-System weichen wir allerdings auf die arabischen Zahlen aus, sodass es zu folgender Chiffrierung kommt:
Wie auch in “Lagerfeuer”-Songbüchern, werden Durakkorde ohne weitere Bezeichnung notiert, Mollakkorde erhalten ein “- ” und verminderte eine hochgestellte Null. In Ausnahmefällen, wird der Durakkord zur Sicherheit manchmal als “maj” beziffert, z.B. falls in der Tonart C Dur auf der 2. Stufe ein D-Dur statt des üblichen Dm gespielt werden soll. Nötig wäre dies nicht, aber sicher ist sicher.
Hier findet ihr eine kleine Übersicht für alle gängigen Akkordtypen:
– : Moll
° : vermindert
+: übermäßig
Vierklänge:
Δ: Durakkord mit großer Septime
-7: Mollakkord mit großer Septime
°7: verminderter Vierklang
°M7: vermindert mit großer Septime
ø (auch: ø7): halbvermindert (m7b5)
+7: übermäßig mit kleiner Septime
+M7 (auch: +Δ) : übermäßig mit großer Septime
Üblicherweise beziffert nun die arabische Zahl die Akkordstufe einer Tonart, die entweder mündlich oder im Leadsheet schriftlich festgelegt wird. Wenn keine weitere Anmerkung bzw. Symbolik auftritt, werden die Akkorde nun für die Länge eines Taktes im 4/4 Takt gespielt. Hier ein Beispiel:
3. Rhythmik
Im oberen Beispiel hatten wir nun den Wechsel ganztaktig im 4/4tel Takt. Wie sieht es jedoch mit anderen Fällen aus?
Wenn wir im 4/4tel Takt bleiben, kann es natürlich auch zu halbtaktigen Wechseln kommen, oder aber auch zu Akkordwechseln auf verschiedenen Zählzeiten.
Eine Möglichkeit, einen halbtaktigen Wechsel zu symbolisieren, wäre das Zeichnen einer Linie unter den Akkorden, wie z.B. im folgenden Fall:
Haben wir die Situation, dass der erste Akkord auf Zählzeit 1 kommt, der letzte jedoch erst auf die 4, so können wir dies durch kleine Striche unter dem waagrechten Strich kennzeichnen, oder aber durch Punkte oder Striche darüber.
Neben der oben gezeigten Symbolik darf man natürlich bei komplexeren Rhythmen auch die Standard Rhythmik-Notation unterhalb der Stufen verwenden, indem man kleine Halbe, Viertel oder Achtelnoten unter die Zahlen notiert.
Im Unterschied zu den obigen Wechseln innerhalb eines Taktes, die man auch “Split Bars” nennt, kann natürlich auch eine neue Taktart eingeschoben werden, was man meist durch eingekastelte oder eingeklammerte Stufen anzeigt. Hier ein Beispiel für einen eingeschobenen 2/4tel Takt über der 5. Stufe:
..
1 4 5 5 1
Auch Synkopen (auch “Pushes” genannt), können in der Nashville-Schreibweise kommuniziert werden. Hierzu kann man einen gebogenen Pfeil einsetzen, der den synkopierten Akkord quasi “vorholt”:
Lang ausgehaltene Noten z.B. am Ende eines Songs werden mit einem Diamantsymbol oberhalb der Note ausgedrückt oder aber das Symbol umschließt die Ziffer.
Andere Taktarten sowie Tempoangaben oder stilistische Spielvorgaben finden sich in aller Regel oben im Leadsheet. Symbole wie Bindebögen, Akzente, Fermaten, Crescendi und Ritardandi, Klammern, Wiederholungszeichen, etc. werden wie in der Standardnotation verwendet
4. Tongeschlecht und abweichende Basstöne
Selbstverständlich bewegt sich nicht jedes Stück in einer Durtonart, auf die wir unseren Zahlencode übertragen können, und demnach muss man sich natürlich auch überlegen, wie es sich mit Stücken in Moll verhält. Hierzu kann man natürlich am Anfang des Leadsheets vermerken, dass es sich um eine Molltonart handelt, allerdings ist die Notation im parallelen Dur wesentlich verbreiteter, sprich, die Molltonika ist nicht 1- sondern vielmehr die 6- der parallelen Durtonart.
Demnach wäre ein Mollblues z.B. in Am, eine Tonart, die sich den gleich Vorzeichenbereich wie C-Dur teilt, folgendermaßen aufzunotieren:
Sogenannte “Slashchords”, sprich, Akkorde mit speziellen Bassnoten, werden ebenfalls mit Schrägstrichen (= slashes) notiert. Allerdings gilt hier zu beachten, dass die arabische Ziffer für den Basston nicht das Intervall in Bezug zum Akkord benennt, sondern in Bezug zur vorherrschenden Tonart.
Sind wir beispielsweise in C-Dur, so wird ein C/E mit 1/3 notiert, ein G/B hingegen mit 5/7, da B der siebte Ton der C-Durtonleiter ist. Statt des Schrägstriches kann man übrigens in manchen Büchern auch den klassischen Bruchstrich hierfür antreffen.
Hier ein Beispiel:
Eine weitere Möglichkeit, Bassdurchgänge abzukürzen, bietet ein “walkup” oder “walkdown”-Pfeil, der eine diatonische Auffüllung zweier Akkorde signalisiert. Möchte ich z.B. in einem Takt in Vierteln von C zu G gelangen:
|| C Dm Em F | G ||
Kann ich das im NNS folgendermaßen notieren
1 ↗ 5
5. Modulation
Um eine Modulation anzudeuten, bei der sich die Stufenbezeichnungen auf ein neues tonales Zentrum beziehen, muss ein Vermerk im Leadsheet angebracht werden, wie z.B. im folgenden Fall:
Key of C 1 4 5 1 Mod ↗ 2 Steps
Key of E 1 4 5
6. Form
Die Songstruktur mit ihren Formteilen kann ebenfalls kenntlich gemacht werden, wodurch die Sheets sehr übersichtlich wirken. Hier ein paar gängige Bezeichnungen:
I : Intro
V : Verse
Chnl : Channel bzw. Pre Chorus
C : Chorus
B : Bridge
7. Praxis
Kommen wir nun in die Praxis! Hier findet ihr ein Leadsheet in Nashville-Nummernschreibweise:
Wie würde man den Song in der Tonart G-Dur spielen?
Die Lösung findet ihr hier:
Dies war zugegebenermaßen nur ein sehr rudimentärer Grundkurs zu dieser Notationsweise. Falls euch das Nashville System jedoch noch stärker interessiert, kann ich euch folgende Bücher ans Herz legen:
Weiterführende Literatur:
- Chas Williams / The Nashville Number System (https://nashvillenumbersystem.com/)
- Trevor de Clercq / The Nashville Number System Fake Book