Einer der innovativsten FM-Synthesizer der Geschichte ist zugleich einer der obskursten: der Buchla 700. Das zwölfstimmige digitale Instrument wurde 1987 veröffentlicht und stellte selbst für den experimentierfreudigen Don Buchla ein gewagtes Unterfangen dar. Der Buchla 700 war bis oben hin vollgestopft mit komplexen Funktionen, die ausschließlich über ein externes Display, den sogenannten „Instrument Designer“ programmiert werden konnten. Fiel es einmal aus, war der Synth mehr oder weniger unbrauchbar. Und so wurde der Buchla 700 kein wirklicher Kassenschlager: Gerade einmal 14 Stück wurden gebaut.
Heute, 35 Jahre später, sind Displays deutlich besser und langlebiger als damals, weshalb der kalifornische Programmierer Jonathan Schatz den Instrument Designer unter dem Namen ID700 in Softwareform nun wieder aufleben lässt. Nach einer iPad-Version mit AUv3-Support ist vor kurzem auch eine für macOS erschienen – mit MPE, Presets und der von iOS bekannten, schicken Bedienoberfläche. Zugegeben, intuitiv läuft das Sounddesign am Synth nach wie vor nicht ab. Aber dafür ist er unheimlich mächtig und klanglich außerdem sehr modern.
Details
Klangerzeugung und Bedienung
Um so schnell wie möglich mit dem ID700 klarzukommen, müssen zwei Dinge verstanden werden: das Layout und die Klangerzeugung. Grundlage der Sounds, die auf dem iPad bequem über eine Display-Klaviatur getriggert werden können, sind vier Sinus-Oszillatoren. Sie werden in klassischer FM-Manier mittels Algorithmen für die Frequenzmodulation verschaltet, um Obertöne zu produzieren. In jedem der 12 Algorithmen stehen bis zu sechs verschiedene FM-Indizes zur Verfügung. Sie können im oberen Drittel der Ansicht konfiguriert werden, sofern dort „Algorithm“ aktiviert ist.
So weit so verwirrend – oder auch nicht, wenn man ein wenig FM-Erfahrung hat. Wirklich kompliziert wird es erst danach. Bevor die FM-Oszillatoren in ein Lowpass-Filter und dann in den VCA-Output gehen, werden sie noch durch die Waves- und Morph-Sektion geschickt. Deren Parameter befinden sich im mittleren Drittel des Displays, und zwar in Form von drei Modulen, die über Buttons in der Seitenleiste aktiviert werden können.
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Hüllkurven bis zum Umfallen
Ach ja und dann sind da noch die 14 (!) Hüllkurven. Sie bilden den restlichen Teil der mittleren Sektion und können die vier Oszillatoren, die sechs Indizes sowie die Amplitude, das Filter, das Wavemorphing und die „Location“, also das Stereo-Panning des Outputs, beeinflussen.
Sound
Und so kann man sich bald nach der Installation auf den Sound des ID700 konzentrieren. Ein Vergleich zum Vorbild ist für dessen Charakterisierung weder möglich noch nötig, dafür war der Buchla 700 schon damals ein zu großer Exot. Die einzig wichtige Frage ist: Wie schlägt sich der ID700 in der heutigen Synth-Landschaft?
Timbral statt bloß funktional
Antwort: sehr gut! Jonathan Schatz hat aus Liebe zu einem alten Synthesizer mit dieser Software etwas Neues geschaffen, das die Stärken des Originals kennt und desseb Schwächen nicht verleugnet. Der ID700 ist keine umfassende Workstation wie Massive X, Serum und Co. Die 200 Presets, die Schatz für die digitale Version entwickelt hat, sind dabei aber nicht redundant – der „echte“ Buchla 700 hatte übrigens gar keine.
Sie haben einiges an Komplexität zu bieten. Ihre Konzeption fördern die Experimentierfreudigkeit, sie wollen modifiziert und klanglich erkundet werden. Das erkennt man bereits an der Kategoriegestaltung des Preset-Bereichs. Es gibt nicht nur „Bass“- oder „Drum“-Sounds, sondern auch Ordner mit Titeln wie „Adagio“ oder „Sound Design“. Die Presets sind „ab Werk“ in detaillierter Weise timbral geordnet und bilden ab, was der ID700 kann und was nicht.
Und was kann er? Erwartet habe ich persönlich einen komplexen, aber dennoch klassischen FM-Synth mit Bells, Pads und hellen Leads. Die gibt es im ID700 auch, aber sie haben immer irgendwie einen kleinen Twist. Mal verstimmen sich bestimmte harmonische Elemente auf ungewohnte Weise oder es sind im Fundament des Sounds modulierende Texturen zu hören. Manche Presets stehen genau auf der Schwelle zwischen Pad- und Atmo-Sounds, manche scheinen zunächst bloß Krach zu machen, lösen sich dann aber in angenehme tonale Klänge auf. Der Synth ist vielseitig und immer etwas experimentell, wofür vor allem die vielen Hüllkurven-Modulationen sorgen. Wer besondere Touches für seine Produktionen sucht, ist hier absolut richtig.
Noch ein paar Tipps…
Der ID700 ist, das dürfte klar geworden sein, ein Synth, der von jedem Sounddesigner eine eigene Herangehensweise fordert. Beim Testen haben sich für mich ein paar Optionen als besonders nützlich herauskristallisiert, vor allem die „Randomize“-Buttons. Einer davon ist als Würfel-Icon neben dem Preset-Menü zu finden und stellt alle Parameter des Patches auf zufällige Werte. Dadurch entsteht oft ein absolutes Chaos – das man trotzdem unbedingt aufnehmen sollte! Eigene Sample-Packs sind mit dem ID700 leicht erstellt.
Und auch einzelne Elemente wie Hüllkurven können auf Zufallsbasis eingestellt werden, was Patches bereits mit einem Tipp bzw. Klick aufmotzen kann. Und falls das Ergebnis doch nicht brauchbar ist, macht das auch nichts: Alle Einstellungen können leicht wieder rückgängig gemacht werden.
MPE für noch mehr Detailreichtum
Dann ist da abschließend noch die MPE-Integration zu nennen, mit der ich viel anfangen konnte. Für sie werden natürlich DAWs wie Ableton Live oder Bitwig bzw. Controller, die es unterstützen, vorausgesetzt.
Fazit
Mich begeistert das Projekt ID700 ja allein schon deshalb, weil es ohne nostalgisch zu werden ein Stück Synthesizergeschichte in die heutige Zeit transportiert und zugänglich macht. Und auch aus objektiver Sicht, liefert ID700 einen Grund, sich mit dem Synth auseinanderzusetzen: Das Programm wirft keine Retro-Sounds aus, sondern es stellt ein modern gestaltetes Experimentierfeld dar, das mit wenigen Schritten ungewöhnliche Klänge von sich gibt. Besonders die direkte Interaktion mit den Parametern auf dem iPad lädt zum Herumprobieren ein. Mit der Mac-Version stellt sich dieses Gefühl aber leider nicht ganz ein – zudem ist die mit 79,99 Euro durchaus teuer. Die mit 9,99 Euro geradezu günstige iPad-Version hingegen kann ich allen iOS-Nutzern mit Synth-Begeisterung uneingeschränkt empfehlen. Für den Preis bietet der ID700 enorm viel. Beim Einstieg hilft sein exzellentes Handbuch, das nicht nur alle Parameter gut erklärt, sondern auch Interessantes über die Geschichte des Buchla 700 zu erzählen hat. Kurzum: ID700 bringt komplexe Sounds, eine intuitive Bedienung und viel Potential für Experimente aller Art – ein rundes Paket!
PRO
- Kreative Synth-Engine
- Endlose Optionen für Sound Design
- Logisch aufgebautes Interface
- Hochwertige Presets
- Moderne Features wie MPE und AUv3
CONTRA
- Hoher Preis für die Mac-Version
- Keine Windows-Version
FEATURES
- 4-Operator-FM-Synthesizer, 12-stimmig
- 14 Hüllkurven und 2 Waveshaper pro Stimme
- 40 Standardwellenformen
- Wellenformen-Editor
- Standalone- und AUv3-Versionen für macOS und iOS
- VST-Wrapper für den DAW-Einsatz
- Support für Scala-Tonleitern und MPE
- 200 Factory-Presets
- Preset-Randomizer
PREIS
- Mac-Version: 79,99 EUR
- iPad-Version: 9,99 EUR
- Kreative Synth-Engine
- Endlose Optionen für Sound Design
- Logisch aufgebautes Interface
- Hochwertige Presets
- Moderne Features wie MPE und AUv3
- Hoher Preis für die Mac-Version
- Keine Windows-Version