Die Geschichte der elektrisch verstärkten Gitarre beginnt bereits in den 1920er-Jahren. Waren in den Anfängen und bis in die 50er-Jahre Gitarrenamps noch mehr oder weniger spartanisch ausgestattete Einkanaler mit nur einem Speaker, so kam ab den 60er-Jahren im Rockbereich das Fullstack immer mehr in Mode. Der Gipfel der Komplexität wurde jedoch sicherlich in den 80ern erreicht, als Gitarristen neben ihren Amps noch kühlschrankgroße Racks mit 19“ Gear und komplexen Schaltsystemen im Einsatz hatten. Aber zeitgleich gab es auch schon die ersten Überlegungen, ob diese Materialschlachten denn überhaupt nötig seien, um sowohl live als auch im Studio brauchbare Ergebnisse abzuliefern. Vom Homerecording im heutigen Sinn war man noch recht weit entfernt und handliche Geräte fürs Gigbag wären ein Segen gewesen.
Also begab man sich auf die Suche nach Alternativen zu den schweren, großen Röhrenamps und den extrem unhandlichen Cabinets. Bald war die Idee geboren, Verstärker und deren Sound entweder in Transistor- oder später in digitaler Bauweise nachzubilden und die Speakersimulation entweder durch fixe Equalizer oder ebenfalls digital umzusetzen. Da die letztgenannte Technik noch weitestgehend in den Kinderschuhen steckte, waren frühe Versuche noch komplett analog. Aber schon bald gesellten sich die ersten digitalen Zeitgenossen hinzu, die mittlerweile auch längst den Markt dominieren. Wir wollen euch hier auf eine kleine Zeitreise zu den Ursprüngen des Amp-Modelings
mitnehmen und den inzwischen digital belegten Begriff etwas weiter auslegen und auch die frühen analogen Lösungen mit einbeziehen.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Weitere InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen1. Tom Scholz – Rockman (1982)
Tom Scholz ist den meisten Lesern sicherlich als Gitarrist der amerikanischen Rockband “Boston” ein Begriff. Was viele jedoch nicht wissen ist die Tatsache, dass er auch einen Masterabschluss am MIT in Ingenieurwesen besitzt und demnach handfeste elektrotechnische Kenntnisse vorzuweisen hat. Diese machte er sich im Jahre 1982 zunutze und entwickelte, inspiriert vom gerade aufkommenden Sony Walkman, den “Rockman”, der in Größe und Format sehr große Ähnlichkeit mit dem portablen Kopfhörer-Kassettenrekorder besitzt. Die ersten Ausführungen kamen mit den typischen Kompaktkopfhörern und hatten einen Echo- und Choruseffekt sowie vier schaltbare Grundsounds. Später gab es mehrere Modelle wie den X100, den Soloist, den Metal Ace oder mittlerweile das Guitar Ace. Besonders beliebt für Studio-Recordings war auch die 9,5“ Version, der sogenannte „Sustainor“, der zwar keine Effekte besaß, aber dafür mit einem Kompressor, Noise Gate, EQ und Treble-Booster dennoch relativ üppig ausgestattet war. Auch der Sustainor zog verschiedene Nachfolger und Facelifts nach sich, die mit den Bezeichnungen 100, 100A und 200 erhältlich waren. Wer sich dazu Effekte gönnen wollte, hatte die Option, diese ebenfalls als 9,5″ Einheiten hinzuzukaufen. Im Zuge der Rockman-Entwicklung sprangen auch andere Hersteller auf die handliche Produktkonzeption auf, darunter Nobels mit der SST-Reihe oder Ross mit der Rock Box.
Die Liste der Rockman-User ist lang und reicht von David Gilmour über Def Leppard und natürlich bis zu Boston. Besonders deutlich ist der Sound des Kästchens auf dem Def Leppard Album “Hysteria”, dem Michael Sembello Hit “Maniac” und dem Boston-Klassiker “Amanda” zu hören.
Für dich ausgesucht
2. Tech 21 – SansAmp (1989)
1989 gründete Andrew Barta Tech 21 in New York. Der SansAmp war das erste Produkt der Firma und wurde von Barta, der ebenfalls Musiker war, ursprünglich nur für den Eigengebrauch entwickelt. Der Name ist Programm, bedeutet das französische “sans” doch “ohne”, also sprich: “ohne Amp”. Prinzipiell handelt es sich beim SansAmp um eine analoge Ampsimulation, die mit einer ebenfalls analogen Speakersimulation gekoppelt ist und im klassischen Bodenpedal-Format daherkommt. Regelbar ist die heute erhältliche „Classic”-Variante über vier Potis, nämlich Presence Drive, Amplifier Drive, Output und High. Hinzu kommt ein seitlich angebrachter Schalter, der mit den Optionen Lead , Normal und Bass drei klassische Amp-Charakteristiken abbilden will, nämlich Marshall, Mesa-Boogie und Fender.
Besonders wirksam sind die acht Character-Control-Dip-Schalter für Mid-Boost I, Mid-Boost II, Low Drive, Clean Amp, Bright Switch, Vintage Tubes, Speaker Edge, Close Miking. Jede Kombination dieser Schalter ist möglich, was eine ungeheure Fülle an Soundoptionen bietet.
Die SansAmp-Grundidee ist bei Tech 21 mittlerweile in zig Produktvariationen geflossen, darunter in die FlyRig-Serie, den GT2, das PSA Board und diverse Bass-DI-Lösungen.
Prominente User des SansAmps sind Clawfinger, Paul Landers von Rammstein, Matthew Bellamy von Muse oder Steve Hackett.
3. Zoom – 9002, 9030 – (1990)
Die japanische Firma Zoom wurde 1983 in Tokyo gegründet und stellte mit dem Zoom 9002 im Jahre 1990 ihr erstes Produkt vor. Dabei handelte es sich um ein Multieffektgerät, das eigentlich eher als Übetool konzipiert war. Mit der Größe einer Zigarettenschachtel und zwei Arretierungen konnte es bequem an jeden Gitarrengurt verfrachtet werden, zumal es außer am 7,5-V-Netzteil auch mit den mitgelieferten Akkus befeuert werden konnte. Für den Live-Einsatz besaß das 9002 eine zusätzliche Mini-Fernbedienung, mit der man zwischen vier Presets umschalten konnte. Das kleine Tool konnte zwar mit einer Fülle von Effekten aufwarten, war ansonsten aber relativ spartanisch ausgestattet und hatte neben Clean nur die Option, einen Distortion zu aktivieren, der lediglich mit dem Parameter “Depth” eingestellt werden konnte.
Dieser Sound ist z. B. auf dem Joe Satriani-Song “Crying” vom Album “The Extremist” zu hören.
Knapp zwei Jahre später entstand im Rahmen einer neuen Serie ein weiteres Kompaktgerät, nämlich das Zoom 9000, das durch Dweezil Zappa bekannt wurde, der vor allem den Step Phaser gerne einsetzte. Zu dieser Reihe zählte noch das 19″ Gerät Zoom 9010 sowie die 9,5″ Variante 9030, die bei den Nine Inch Nails, Prince oder David Sylvian zu hören ist. Letzteres bietet neben üppigen und teilweise sehr eigenwilligen Effekten auch mehr Optionen hinsichtlich der Verzerrung und lässt die Wahl zwischen einem Distortion, Overdrive und Crunchsound.
4. Boss – Cube 30 – COSM Technologie (1995)
1995 entwickelte der japanische Hersteller Roland/Boss die COSM-Technologie, ein Kürzel, hinter dem sich der Begriff “Composite Object Sound Modeling” verbirgt. Die erste Einheit, der diese Klangerzeugung zuteilwurde, war das VG-8, eine Floorboard-Einheit, die über einen GK-MIDI-Tonabnehmer angesteuert wurde und neben reinen Gitarrenamp-Simulationen eine Fülle an Klangeffekten erzielen konnte.
Ab diesem Zeitpunkt setzte Boss diese Technologie in vielen Folgeprodukten ein, darunter die 19″ Einheit GP100, die GT- oder ME-Reihe sowie die CUBE-Amps. Ursprünglich für Gitarristen entwickelt bot COSM die Grundlage für weitere Roland-Produkte wie die 1997 erschienenen V-Drums, das V-Piano oder Vokal-Effektgeräte wie den Boss VE-20 Vocal Processor. Stellvertretend für diese Art der Ampsimulation habe ich die Cube 30 Amp-Reihe ausgewählt, die 2002 das Licht der Welt erblickte und in ihrer weiteren Produktionslaufbahn zum Cube 30X mit Stimmgerät und Power Squeezer erweitert wurde. Der Amp kommt mit acht Ampmodellen inklusive einer Akustikvariante, einem Dreiband-EQ, Volume- und Gain-Regler sowie einer Fülle an Effekten. Mittlerweile wurde die COSM-Technologie im aktuellen Flaggschiff, dem GT-1000, durch AIRD abgelöst, die auf Impulsantworten setzt.
Benutzer von COSM-Produkten im weiteren Sinne sind unter anderen Robert Fripp, Devin Townshend, Nita Strauss, Paul Jackson Jr. oder Marty Friedman.
5. Line6 – POD 2.0 (2000)
Gegründet wurde die amerikanische Company Line6 im Jahre 1996 in Kalifornien. Gleich das erste Produkt, der voll programmierbare AxSys212 Gitarrencombo machte klar, wohin die Reise gehen sollte, nämlich ins Terrain des digitalen Amp-Modelings. Dieser Verstärker war mit zwei 12″ Speaker bestückt, lieferte unzählige Effekte und Ampmodelle, war jedoch durch seine Bauweise nicht wirklich handlicher als analoge Zeitgenossen. Das änderte sich, als 1998 der POD 1.0 erschien, ein kompaktes Kästchen mit 16 Ampmodellen, das Ende der 90er eine Art Revolution einläutete. Zwar existierten zeitgleich auch andere digitale Ampsimulationen aus dem Hause Roland wie das Boss GP-100 und VG-8, doch in puncto Einfachheit, Größe und Handhabe hatte die kleine Nierenschale die Nase deutlich vorne. Knapp zwei Jahre später, also im Jahre 2000, erblickte schließlich der Nachfolger als Version 2.0 mit der doppelten Anzahl an Amp-Modellen, also insgesamt 32 Stück, das Licht der Welt.
Die Bedienung gestaltete sich sehr intuitiv und wird, wie bei einem echten Amp, über Regler realisiert. Man wählt eines der Verstärkermodelle und stellt dieses dann mit den sechs Reglern Output Level, Drive, Bass, Middle, Treble und Channel Volume ein. Neben den Amps kommt die “Bohne” auch mit einer Fülle an Effekten, die jedoch eher rudimentär regelbar sind. Die Sounds können schließlich auf 36 Speicherplätzen abgelegt und per optionalem Fußschalter abgerufen werden. Auch im Bereich der Editierung war der POD 2.0 seiner Zeit voraus, denn Presets konnten über den Emagic Sound Diver per MIDI am Computer mehr oder weniger stabil eingestellt werden. Mittlerweile existieren zig Nachfolger im Line6-Portfolio, darunter der POD XT, POD HD und jüngst die Helix-Reihe.
Die Liste der Künstler, die den POD auf Aufnahmen oder live einsetzten, ist fast uferlos. Zu ihnen zählen Farin Urlaub, Porcupine Tree, Clawfinger, Jamiroquai, Fear Factory, Muse, Garbage, Elbow und viele mehr.
Soundbeispiele
Um eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen, soll es hier um den reinen Ampsound der Modeler und nicht um Effekte gehen, da wir es mit Produkten zu tun haben, die teilweise extrem unterschiedliche Ausstattungen besitzen oder sogar überhaupt keine Effektsektion bieten. Die Sounds sind sehr unterschiedlich und es ist auch nicht Ziel, ein Matching der verschiedenen Produkte vorzunehmen. Hier soll es darum gehen, die unterschiedlichen Klangästhetiken vorzustellen, die in ihrer jeweiligen Zeit und teilweise auch darüber hinaus ihre Berechtigung hatten. Da sich der Artikel mit der Geschichte des Modelings beschäftigt, legen wir den Fokus auf die Frage: Wie geht jedes Produkt das Vorhaben an, den Klang eines Gitarrenverstärkers umzusetzen?
Versuchsaufbau:
Jede Gerätschaft wird über den Output (bzw. Headphones Out im Falle des Cube 30) mit meiner Soundkarte, einer RME Fireface UFX verbunden. Da nicht alle Produkte über Stereo-Outs verfügen, betrachten wir nur den Monobetrieb. Als Gitarren kommen eine Stratocaster mit Singlecoils sowie eine Les Paul mit Humbuckern zum Einsatz. Die Settings der Modeler könnt ihr dem Video entnehmen, grundsätzliche Einstellungen werden jedoch angegeben.
Clean Picking – Singlecoils
Gitarre: Stratocaster – Bridge- & Neck-Pickup
Settings:
- Rockman: CLN Kanal
- SansAmp: Normal Kanal, Dipschalter 2, 4, 5, 7 und 8 aktiviert
- Zoom: Drive Block Off
- Cube 30: Black Panel-Modell
- POD: Blackface-Modell mit 2×12″ Cabinet
Clean Chords – Singlecoils
Gitarre: Stratocaster – Position 2
Settings:
- Rockman: CLN Kanal
- SansAmp: Normal Kanal, Dipschalter 2, 4, 5, 7 und 8 aktiviert
- Zoom: Drive Block Off
- Cube 30: Black Panel-Modell
- POD: Blackface-Modell mit 2×12″ Cabinet
Crunch – Singlecoils
Gitarre: Stratocaster – Bridge Pickup
Settings:
- Rockman: Edge Kanal
- SansAmp: Normal Kanal, Dipschalter 2, 5, 7 und 8 aktiviert
- Zoom: Drive Block Crunch
- Cube 30: Brit Combol-Modell
- POD: Brit Class A-Modell mit 2×12″ Cabinet
Medium Gain – Humbucker – Dynapick
Gitarre: Les Paul – Bridge Pickup
Settings:
- Rockman: Dist
- SansAmp: Normal-Kanal, Dipschalter 2, 5, 7 und 8 aktiviert
- Zoom: Drive Block Crunch
- Cube 30: Classic-Modell
- POD: Brit Hi Gain-Modell mit 4×12″ Cabinet
High Gain – Humbucker
Gitarre: Les Paul – Bridge Pickup
Settings:
- Rockman: DIST-Kanal, Gain Boost & Notch Filter On
- SansAmp: Lead-Kanal, Dipschalter 1, 5, 7 und 8 an
- Zoom: Drive Block DIST
- Cube 30: R-Fier-Modell
- POD: Treadplate-Modell mit 4×12″ Cabinet
Lead – Humbucker
Gitarre: Les Paul – Bridge- & Neck-Pickup
Settings:
- Rockman: DIST-Kanal, Gain Boost On
- SansAmp: Lead-Kanal, Dipschalter 1, 2, 5, 7 und 8 an
- Zoom: Drive Block DIST
- Cube 30: Metal Modell
- POD: Modern Hi Gain-Modell mit 4×12″ Cabinet
Zum Abschluss hört ihr eine Praxisbeispiel mit den obigen Modelern in der identischen Reihenfolge zu einem Backingtrack. Das cleane Picking stammt von einer Stratocaster, die Powerchords sowie das Solo von einer Les Paul.
Fazit:
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Produkten ist enorm. Jeder Sound kann in bestimmten Kontexten seine Berechtigung haben, wenn man ihn gezielt einsetzt und sich vielleicht auch von der Vorstellung löst, dass ein aufgerissenes Fullstack 1:1 simuliert werden soll. Für mich haben insbesondere die analogen Vorgänger wie der Rockman und der SansAmp eine zeitlose Eigenständigkeit, die allerdings auch vollkommen losgelöst von einem echten Ampsound ist. Die beiden Analogamps stehen komplett für sich und können je nach Einsatzbereich eine tolle Klangalternative bieten, was die Recordinggeschichte ja auch bewiesen hat. Bei den Digitallösungen sieht es anders aus. Das Zoom bietet interessante Effekte und kranke Sounds, die man als besonderes Gimmick oder für hervorstehende Leads einsetzen kann. Allerdings fehlt ihm der echte Amp-Charakter und auch die Durchsetzungsfähigkeit in einem Mix gestaltet sich als extrem schwer. Mit dem POD und der COSM-Technologie von Roland wird es schon etwas ernster. Frühe Digital-Amps kranken jedoch an der spürbaren Latenz, einer gewissen transientenarmen Flachheit und mangelnder Lebendigkeit, die sie von echten Röhrenamps unterscheiden. Nichtsdestotrotz sind die Sounds mit ein paar Tricks brauchbar. Im Gegensatz zur Zeitlosigkeit der analogen Modeler muss man jedoch sagen: Je neuer die Produkte und fortschrittlicher die Digitaltechnik wurde, desto besser wurden die möglichen Ergebnisse, die momentan im AxeFx, Kemper, Helix oder Quad Cortex gipfeln.
Die Reise wird weitergehen, vergleichbar einem ins Unendliche laufenden Grenzwertes Richtung Röhrenamp, und man kann gespannt sein, wann das Endziel erreicht sein wird.
Verwandte Inhalte
- Hat digital die Röhrenamps überholt?
- Vergleichstest Modeling Amps
- 5 Fakten, die für einen Modeling Amp sprechen
Kutte sagt:
#1 - 01.06.2022 um 14:46 Uhr
Guter Bericht. Zum Schlussatz, in Bezug auf Endziel, rechne ich nicht mit erreichen. Es gab ja auch auch nie einen endgültigen Best of Röhren AMP. Für Endziele sind Musiker, vor allen Dingen Gitarrenheros, wohl nicht geschaffen. Wäre ja auch schrecklich für die High end Industrie.