Im ersten Teil dieser Reihe zum Thema “Gospel-Bass” haben wir schon festgestellt, dass in dieser Stilistik zur Zeit unglaublich viel passiert. Fast täglich scheinen sich Protagonisten wie Andrew Gouche, Fred Hammond, Sharay Reed, Jermaine Morgan, Daric Bennett, Justin Raynes, Kaybass etc. vor allem auf Social-Media-Kanälen gegenseitig zu neuen Höchstleistungen zu pushen. Einige der Genannten betreiben sogar eigene YouTube Channels inklusive Unterricht auf Basis von Mitgliedschaften. Nachdem wir im ersten Teil zurück auf die Geschichte und die Grundlagen des Contemporary Gospel geblickt haben, widmen wir uns heute einigen Stilmerkmalen wie Sound, Harmonik, Grooves etc. Der dritte und letzte Teil gehört dann ganz den wilden Bass-Fill-Ins, welche einem immer wieder mit offenem Mund vor dem Bildschirm zurücklassen.
Gospelchops: Instrumente & Sound
Nach wie vor werden viele Stilistiken klanglich durch die “üblichen Verdächtigen” wie J-Bass und P-Bass geprägt. Gerne gesellen sich vielleicht noch andere Klassiker wie z. B. ein Music Man Stingray hinzu. Allesamt kann man getrost als Bassmodell-Archetypen bezeichnen.
Die Jungs des Contemporary Gospel hingegen haben mit diesen Klischees gründlich aufgeräumt: Das Bild in dieser Szene dominieren Instrumente von amerikanischen Edelschmieden wie Ken Smith, Fodera, Michael Tobias Design (MTD), Elrick etc. Diese Bässe sind in der Regel 5- oder 6-Saiter mit aktiven Elektroniken. Das komplette Frequenzspektrum inklusive tiefer B- und hoher C-Saite wird ins Spiel integriert und die aktiven Elektroniken mit ihren klanglichen Möglichkeiten ausgiebig genutzt.
Die Folge ist ein knackiger und transparenter Sound, der sich ausgezeichnet Gehör verschafft und schon für sich genommen quasi “fertig produziert” klingt. Die Tage von Statements wie “Jaco brauchte auch nur vier Saiten” oder “Im Studio werden nur passive Bässe benutzt” sind hier also gezählt – die Protagonisten des zeitgenössischen Gospel-Bassspiels gehen völlig vorurteilsfrei und gänzlich ohne Scheuklappen ans Werk und schaffen so einen neuen Standard!
Gospelchops: Spieltechniken
Neben dem christlichen Anteil in der Gospelmusik, den die meisten Musiker bereits seit frühester Kindheit durch entsprechende Gottesdienste verinnerlichen, spiegeln sich auch alle Entwicklungen des E-Basses der vergangenen Jahrzehnte wider. Namen wie Jaco Pastorius, Larry Graham, Loius Johnson, Stanley Clarke, Marcus Miller, Victor Wooten, etc. sind den modernem Gospelbassisten wohlbekannt.
Und auch der Einsatz unterschiedlichster Spieltechniken wie Fingerstyle, Slap (inklusive Double Thumbing), Palm Muting (mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger in der Nähe der Brücke) und Akkorde ist an der Tagesordnung.
Die Wechsel zwischen den einzelnen Spieltechniken gehen dabei völlig fließend innerhalb eines Songs vonstatten. Manchmal dient dies, um auf die verlangte Dynamik zu reagieren, oder um einen Part oder Fill-In einen bestimmten Sound zu verleihen. Damit ihr diese Wechsel üben könnt, gibt es hier einen typischen Gospel-Shout-Vamp, bei dem wir uns von Palm Mute über Fingerstyle bis hin zu Slap steigern:
Gospelchops: Harmonische Merkmale
Fast alle genannten Gospelbassisten sind gut ausgebildete Musiker. Nicht wenige haben auch Musik an einer Hochschule studiert. Allen Playern gemeinsam ist, dass sie ein ausgezeichnetes harmonisches Verständnis besitzen und sowohl Skalen, Pentatoniken und Arpeggios über das gesamte Griffbrett jederzeit mühelos in ihr Spiel einbinden können.
Nicht selten kommen im Gospel ausgesprochen viele Akkorde vor, mitunter sogar mehrere pro Takt. Dies liegt daran, dass auch die Begleitband häufig den harmonischen Bewegungen des Chores folgt. Das hat natürlich unweigerlich auch Einfluss auf die Basslines, die sich dem schnellen harmonischen Geschehen anpassen müssen. Ein sich wiederholendes melodisches Pattern kommt daher eher selten bis gar nicht vor. Der Begleitungs-Stil ist daher weniger statisch, sondern sehr fließend und melodisch wie rhythmisch anspruchsvoll.
Ein weiterer auffälliger Aspekt ist, dass wir vielen Slashchords begegnen, d.h. wir spielen eine alternative Note anstelle des Akkord-Grundtons (z. B. G/A = G-Dur-Dreiklang über der Bassnote A). Viele Akkorde werden zudem durch sogenannte Optionen wie Septime, None oder Sechste erweitert, was für das Groovespiel meist nicht so relevant ist, dafür aber für Fills (siehe dritter Teil).
Auch der Anteil von Jazzvokabular wie Bebop-Skalen und chromatischen Leittönen ist im Verhältnis zu anderen stilistischen (außer natürlich Jazz) relativ hoch. Was für die rhythmischen Merkmale gilt, trifft also auch hier zu: Es finden sich harmonische und melodische Elemente aus allen Stilistiken, die im Laufe der Zeit mit dem traditionellen Gospel verschmolzen.
Zusammengefasst reden wir hier also über einen deutlich unterschiedlichen und umfangreicheren Ansatz als z. B. die im Rock, Funk etc. häufig dominierende Moll-Pentatonik. Tiefer in dieses Thema tauchen wir im dritten Teil ein, in dem es um ausgedehnte Fills mit diesem Tonmaterial geht.
Gospelchops: Groove-Merkmale
Wie im ersten Teil bereits angedeutet, entstand der moderne und zeitgenössische Gospel dadurch, dass vor allem die Jüngeren sich in der etwas bieder wirkenden christlichen Musik nicht besonders gut wiederfanden. Aufkommende Strömungen in den Fünfzigern und Sechzigern, wie Rock, Pop, Soul, Funk etc., klangen da schon deutlich aufregender und fanden daher zwangsläufig ihren Weg in die Kirchen.
Für die Grooves und Basslines des Contemporary Gospel bedeutet dies natürlich, dass Elemente von allen genannten Stilistik enthalten sind: Aus der Rockmusik kamen die Energie und der Druck, der vor allem dann entsteht, wenn mehrere Instrumente unisono spielen. Aus dem Funk adaptierte man die Leichtigkeit und Luftigkeit der Grooves, wenn sich mehrere Instrumente zu einem Ganzen verzahnen. Und aus dem Soul floss unter anderem das gefühlvolle Laidback-Feeling ein, welches gerade bei langsamen und mittleren Tempi für Gänsehaut sorgen kann.
Im Umkehrschluss bedeutet dies natürlich auch, dass man als moderner Gospelbassist ein grundsätzliches Verständnis für all diese Einflüsse besitzen sollte!
Der ganz große “Game Changer” dabei war sicher das allen Stilistiken gemeinsame Backbeat-Feeling, also die peitschende Snare auf den Zählzeiten 2 und 4, die zusammen mit der Bassdrum auf 1 und 3 einen treibenden Puls erzeugt. Dieses Feel ist das Merkmal sämtlicher Stilistiken wie Rock, Pop, Soul, Funk etc. und verlieh nun auch dem Gospel einen ganz neuen Drive!
Ein auffälliger Aspekt ist, dass wir in Gospel-Basslines relativ selten sich wiederholende ein- oder zweitaktige Patterns finden. Dies hat sicherlich mit der genannten Anzahl der Akkorde zu tun. Es gibt zwar einen Basis-Rhythmus, welcher aber ständig dem aktuellen Kontext angepasst werden muss. Dabei wird sehr viel improvisiert und sich weniger auf vorher festgelegte Basslines verlassen, die immer gleich bleiben. Das setzt natürlich eine solide harmonische und rhythmische Sicherheit voraus!
Gospelchops: Groove-Beispiele
Zum Abschluss habe ich ein paar typische Beispiele bzgl. Akkordfolgen und Grooves erstellt, wie sie sich häufig im Comtemporary Gospel finden. Ich habe auch eine Version ohne Bass hochgeladen, so dass ihr eure eigenen Experimente machen könnt.
Da 5-Saiter bzw. Instrumente mit noch mehr Saiten im zeitgenössischen Gospel Standard sind, habe ich die Basslines auch entsprechend ausgelegt. Eine alternative Version für vier Saiten ist jedoch als Tabulatur ebenfalls enthalten. Ich habe versucht, Stilelemente wie tiefe B-Saite, Akkorde, Improvisation über den Basis-Groove, verschiedene Spieltechniken etc. mit einfließen zu lassen.
Beispiel 1 – Ballade:
Beispiel 2 – Achtelgroove:
Beispiel 3 – Funky Gospel:
Beispiel 4 – Slap Shuffle:
Viel Spaß beim Grooven und Ausprobieren und bis zum dritten Teil unserer Workshopreihe zum Thema “Gospel-Bass”!
Euer Thomas Meinlschmidt