In Zeiten von DAWs scheint „ehrliche“ Handarbeit im Studio keine allzu große Rolle mehr zu spielen. Stattdessen liegen etliche Lösungen nur einen Mausklick entfernt und der Bildschirm scheint längst zum besten Kumpel von Produzenten und Mixing Engineers geworden zu sein. Die drei folgenden Stories zeigen euch, wie wichtig dagegen in den 1970er Jahren der kreative Umgang mit Tonbandmaterial war. Wie es Produzenten gelang, den Sound früher Drum Machines mit echten Schlagzeugaufnahmen nachzubilden und auch das handwerkliches Geschick und das Abspulen von Kilometern zu einem Hit-Album führen konnten.
Endlos-Schleife handgemacht: Pink Floyd – Dark Side of the Moon (1973)
Wenn es ein Album gibt, das Fans von progressiven Rock und psychedelischen Klängen seit Jahrzehnten gleichermaßen begeistert, dann ist es wohl Pink Floyds „The Dark Side of the Moon“. Seit seinem Erscheinen im März 1973 zeigten sich die Aufnahmen als wahrer Dauerbrenner in den Charts. Seit ihrer Veröffentlichung erreichte die Scheibe Jahr für Jahr immense Verkaufszahlen. Acht Monate lang schlossen sich der Herren Gilmour, Mason, Wright und Waters von Mitte 1972 an in den Londoner Abbey Road Studios ein, um diesen Klassiker einzuspielen und zu produzieren. Die verwendete Technik der Abbey Road Studios war zu dieser Zeit State-of-the-Art. Frühe Synthesizer wie der EMS VCS 3 oder der Synthie AKS kamen zum Einsatz und verliehen dem Album einen für seine Zeit nicht nur psychedelischen, sondern futuristischen Sound. Auf der Geräteliste der legendären Studios fand sich damals unter anderem die berühmte TG12345-Konsole.
Die Zusammenstellung dieses Top-Equipments und die Atmosphäre der Studios beflügelten Band und Tontechniker, sich kreativ auszuleben. So wurden etwa für den Soundeffekt am Beginn des Stückes „Money“ der Klang von Geldmünzen in einer metallenen Rührschüssel aufgenommen und mit Aufnahmen von zerreißendem Papier und Kassenklingeln garniert. Da die Band zu eben diesen Geräuschen das Intro des Songs spielen wollte, sollten die Klangeffekte entsprechend rhythmisch sein. Nichts leichter als das: Das Tape der 4-Spur-Aufnahmen wurde einfach in gleich lange Stücke geschnitten und als Endlosband zusammengefügt. So konnten die verschiedenen Geräuschaufnahmen in einem gleichbleibenden Rhythmus immer wieder durchlaufen. Wie aber sollte diese sechs Meter lange Endlos-Bandschleife in die Bandmaschine eingespannt werden? Die Lösung war so einfach wie genial: Kurzerhand wurde ein Mikrofonstativ (!) zur Laufrolle umfunktioniert. Aufgespannt zwischen der Abspielmechanik der Bandmaschine und der glatten Metalloberfläche des Mikrofonständers konnte das Band so wieder und wieder über den Tonkopf laufen bis das mit einer weiteren Bandmaschine aufgezeichnete Resultat eine Dauer hatte, die lang genug für das Intro des Stückes war.
Perfektionistische Toiletten-Drums: Joy Division – Unknown Pleasures (1979)
Das Joy Division-Album „Unknown Pleasures“ zählt zweifellos zu den prägendsten Alben der ausgehenden 70er Jahre. Die Strawberry Studios, in denen das Album aufgenommen wurde, gehörte der britischen Rock-Band Band 10CC, die im Gegensatz zu Joy Division für ihre aalglatt produzierten Songs bekannt waren. Auf den ersten Blick war dies also nicht unbedingt die passende Recording-Umgebung, die man sich für eine Post-Punk-Band vorstellt. Doch die Studios waren mit dem für die damalige Zeit neusten Equipment ausgestattet. Und so kam es, dass man mit Martin Hannett einen aufstrebenden Produzenten verpflichten konnte, der sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre einen Namen gemacht hatte. Er offenbarte sich während der Aufnahmen des Albums nicht nur als über die Maßen kreativ, sondern auch als absoluter Perfektionist. Ob der Klang eines zerspringenden Glases als Percussion-Element oder die Geräusche eines hinauffahrenden Aufzugs, der Produzent sorgte für den unverkennbaren innovativen Sound dieser Scheibe.
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Als Fan früher Drum-Machines versuchte Hannett einen ebensolchen Sound auch mit dem Schlagzeug-Set von Joy Division-Drummer Stephen Morris zu erzeugen. Um extrem saubere Signale zu erhalten und Übersprechungen vollständig zu eliminieren, wollte er mit der krassesten Mikrofon-Separation arbeiten, die denkbar ist. Folglich ließ er Morris sämtliche Schlaginstrumente nacheinander einspielen und zeichnete sie auf separate Spuren auf. Außerdem nutze er, um den Klang der Drums fetter zu machen, nicht nur digitale Delays mit ultrakurzer Delay-Zeit, sondern leitete das Signal unter anderem auch in einen Toiletten-Raum. Diesen beschallte er mit einem Lautsprecher und nahm das Ergebnis dann per Mikrofon auf. Ein anderes Mal ließ Hannett den Schlagzeuger auf dem Dach des Studios spielen und mikrofonierte die Drums dort, um so jegliche Raumreflexionen vollständig ausschließen zu können.
Auch wenn das Resultat aus heutiger Sicht bei vielen Hörern vielleicht nicht mehr als ein anerkennendes Lächeln hervorruft, galt der Drum-Sound für diese Zeit doch als revolutionär, denn er war zugleich erstaunlich klinisch und klang doch (noch) natürlich. Somit war Hannett seiner Zeit klanglich weit voraus. Auf „Unknown Pleasures“ hat er einen unverkennbaren Zwitter aus Authentizität und Drum-Machine-Ästhetik geschaffen, der sich die gesamten 1980er Jahre hindurch auch bei anderen Künstlern bewähren sollte. Reinhören!
Die Grenzen des Machbaren: Kraftwerk – Autobahn (1974)
Im Sommer 1974 nahmen Kraftwerk – zu dieser Zeit noch als Krautrock-Band bekannt – ihr für die elektronische Musik wegweisendes Album „Autobahn“ auf. Den meisten von euch dürfte zumindest die Refrain-Zeile des Titel-Stücks bekannt sein: „Wir, fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“. Zwar sind auch nicht-elektronische Instrumente wie Geige, Flöte und Gitarre sowie Field Recording-Geräuschfetzen auf dem Album zu hören. Doch spielen Synthesizer und verfremdete Synthesizer-(Neben)Geräusche fraglos die tragende Rolle im musikalischen Setup dieses Albums. Zu den Kuriositäten, die dieses Album umranken, zählt deshalb, dass ausgerechnet Synthesizer in den zugehörigen Credits keinerlei Erwähnung finden. Stattdessen werden Ralf Hütter und Florian Schneider auf dem Back-Cover des Albums lediglich „Electronics“ zugewiesen. Das wirkt erst weniger verwunderlich, wenn man weiß, dass Kraftwerk-Mastermind Florian Schneider den Bau eines Vocoders an den Ingenieur Peter Leunig in Auftrag gab, der dann im Intro zum Stück “Autobahn” verwendet wurde. Die Arbeit mit Synthesizer war zu dieser Zeit eben mitunter noch handfeste Elektronik-Tüftelei.
Auch wenn etliche Entstehungsgeschichten „Autobahn“ umranken, reicht es schon, sich die „harten Facts“ anzuschauen, möchte man auf Kuriositätensuche gehen. Denn das Album wurde mithilfe des Ton-Ingenieurs Conny Plank zwar u.a. in dessen Studio vor den Toren Kölns aufgenommen. Doch – wie könnte es anders sein – spielt auch die Autobahn eine wichtige Rolle für die Entstehung der Aufnahmen. Denn Plank besaß nicht nur ein „Residential Studio“, sondern auch einen uralten VW-Bus, in dem er seine Aufnahmegeräte nach Düsseldorf transportierte. Und so legte er das ein ums andere Mal mit seinem Recording-Gefährt die knapp 60 km zum mittlerweile legendären Düsseldorfer Kling Klang Studio von Kraftwerk zurück. Dort parkte er sein Gefährt im Hof des Kling Klang Studios, Mintropstraße 16. Dann hieß es volle Kraft voraus für die Elektronik-Pioniere und ihre Musik-Maschinen. Das Titelstück wurde so in Kombination im Kling Klang Studio in Düsseldorf eingespielt und unmittelbar in dem im VW-Bus im Hof geparkten Equipment aufgenommen. Das aufgezeichnete Songmaterial mischte Plank dann einige Zeit später zusammen mit Ralf Hütter und Florian Schneider in seinem Studio in Wolperath, nachdem er mit seinem Studio-VW-Bus LÄNGST wieder zurückgefahren war. Eben ein echtes „Autobahn“-Album!
Hört doch mal in den Song „Autobahn“ hinein. Es kann ja auch die knapp 3 1/2 Minuten lange Single-Version anstelle der 22 Minuten dauernden Album-Version sein. Denn letztere füllte 1974 die komplette erste Hälfte des Vinyl-Albums. Es war schlichtweg das Maximum, was Vinyl-Scheiben damals fassen konnten… ein Klangerlebnis, das zu dieser Zeit tatsächlich bis an die Grenzen des Machbaren ging.