Binaurale Stereoaufnahmen sind definitiv ein Trend. Das erkennt man daran, dass von bislang unbekannten wie von etablierten Firmen binaurale Mikrofone erhältlich sind.
Im Grunde ist binaurales Stereo nur eine Aufnahmetechnik, die wiederbelebt wurde. Hier bekommt ihr die wichtigsten Infos, um mit der binauralen Audio-Aufnahmetechnik loszulegen.
- Was ist „binaurales Audio“?
- Was unterscheidet binaurales Stereo von „normalem“ Stereo?
- Ist binaurales Audio eine neue Entwicklung?
- Wieso wird binaurales Audio zum Trend?
- Wofür ist binaurales Stereo geeignet?
- Was benötigt man zur Aufnahme binauralen Audios? (+ Hacks!)
- Worauf muss man beim Erstellen binauraler Aufnahmen achten?
- Wie funktioniert die Ortung von Schall nicht nur Links-Rechts, sondern auch Vorne-Hinten und Oben-Unten mit binauralen Aufnahme- und Wiedergabeverfahren?
- Wie klingt binaurales Audio? AUDIOBEISPIELE
- Funktioniert binaurales Audio gut? Was sind die klanglichen Nachteile von binauralen Aufnahmen?
- VORTEILE BINAURALER AUFNAHMEN
- NACHTEILE BINAURALER AUFNAHMEN
- Testberichte Equipment für binaurale Aufnahmen
- Was sind „binaurale Beats“ und wie funktionieren sie?
Was ist „binaurales Audio“?
Als binaurale Aufnahmen (binaurale Recordings) werden heute im Regelfall solche Audio-Aufnahmen bezeichnet, die möglichst über Kopfhörer abgehört werden sollten. Das ist der Fall, weil jedes der beiden Ohren zur korrekten Funktion des Stereoverfahrens ausschließlich das für dieses Ohr bestimmte Signal erhalten muss. Binaurales Audio kann auch mit Software nachgestellt werden.
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Was unterscheidet binaurales Stereo von „normalem“ Stereo?
Es sollten Kopfhörer zum Hören benutzt werden. Die Ortung funktioniert nicht nur Links-Rechts, sondern auch Oben-Unten und Links-Rechts. Die Aufnahme erfolgt mit nur zwei Mikrofonen, die entweder in den echten Ohren oder möglichst naturgetreu nachgebildeten Ohrmuscheln installiert werden.
Was unterscheidet binaurales Stereo von Surround und 3D/Immersive Audio?
Binaurales Stereo benötigt von Aufnahme bis Wiedergabe nur zwei Kanäle und muss nicht weiter kodiert oder dekodiert werden. Mehrkanalige Audioformate besitzen tatsächliche Schallquellen, die oftmals eine bessere Ortung zulassen. Surround und 3D/Immersive Audio sind für Lautsprecherwiedergabe konzipiert. Mehrkanalige Formate funktionieren unabhängig von der Kopf- und Ohranatomie des Hörers. Mehrkanalige Aufnahmen gelingen zum Beispiel mit dem Zylia Portable Recording Studio oder dem Zoom H3-VR. Es gibt auch Hersteller, die nicht mit „Z“ anfangen, die Mehrkanal-Aufnahmesysteme anbieten. 😉
Ist binaurales Audio eine neue Entwicklung?
Nein, binaurale Aufnahmen gibt es schon sehr lange. Die Grundlagen wurden im vorletzten Jahrhundert geschaffen, kurzzeitig populär wurden Kunstkopfaufnahmen in den 1970ern. Nachdem binaurales Recording in der Audioproduktion nur ein Nischendasein gefristet hat, wird es aktuell immer beliebter.
Wieso wird binaurales Audio zum Trend?
Die Verbreitung von Kopfhörern wächst immer weiter. Besonders durch das Aufkommen praktischer Wireless-In-Ears wie den Apple AirPods Pro nimmt der Konsum von Musik, aber auch Sprachproduktionen wie Podcasts, Hörspielen und Hörbüchern zu. Es ist immer preiswerter und einfacher geworden, auch als Laie selbst Aufnahmen durchführen zu können.
Wofür ist binaurales Stereo geeignet?
Binaurale Recordings und binaurale Wiedergabe sind dort sinnvoll, wo eine gute Lokalisierbarkeit im Raum und eine Immersion („Eintauchen“) gewünscht sind – und wo davon ausgegangen wird, dass in erster Linie mit Kopfhörern abgehört wird.
Typische Einsatzgebiete:
- Hörspiele
- Atmos
- 3D/Gaming
- Musikproduktionen, bei denen Raumeindruck wichtig ist (Klassik, besonders Orgelproduktionen)
- Audio-Demonstrationen/Schulungen zu auditiver Wahrnehmung
- Musikproduktionen (bzw. einzelne Spuren daraus), die wahrscheinlich zu einem großen Anteil über Kopfhörer konsumiert werden
Tipp: Proberaumaufnahmen binaural aufnehmen – Grund: Die auditive Erinnerung an die Situation ist bestmöglich, da man das Aufgenommene im wahrsten Sinne des Wortes mit seinen eigenen Ohren hören kann! Besonders als Schlagzeuger ist das interessant (wenn auch meist kaum professionell nutzbar).
Was benötigt man zur Aufnahme binauralen Audios?
- Als binaurales Mikrofon kann entweder ein Kunstkopf (Neumann KU 100) verwendet werden oder Mikrofone, die an oder in den Ohren oder an einem „Dummy“ angebracht sind.
- Stereo-Aufnahmegerät, z.B: Stereo-Digitalrecorder
- Kopfhörer zum Abhören
Hack 1:
Der Dummy Head zur binauralen Aufnahme kann auch selber modelliert werden, etwa aus Gips, aus Holz oder sonstigem Material. Je besser die Ohrmuscheln dargestellt werden, desto besser für die Funktion mit In-Ears. Etwa am äußeren Ende des Gehörgangs sollten die Mikrofone liegen (nicht an der Stelle des menschlichen Trommelfells, denn dann wäre der Gehörgang mit seinen wichtigen akustisch wirksamen Dimensionen ja doppelt!). Es sollten Druckempfänger zum Einsatz kommen, denn auch das menschliche Gehör registriert Druckunterschiede und nicht den Druckgradienten. Wichtig beim Modellieren sind die korrekten Dimensionen (Ohrabstand) und das Vorhandensein von Wangen/Augenhöhlen und besonders der Nase!
Hack 2:
Alternative zum gekauften binauralen Mikrofon: Es gibt eine Superbillig-Variante, die mein alter Kumpel Daniel in den beginnenden 1990ern wohl eher durch Zufall entdeckt hatte und mit der er zahlreiche Aufnahmen durchgeführt hat: Er hatte einen MD-Recorder, der auch einen 3,5“-Mikrofoneingang besaß und der neben der Kopfhörerbuchse lag. Weil typische In-Ears nach dem dynamischen Wandlerprinzip arbeiten, lassen sie sich umgekehrt auch als Mikrofone verwenden (wenn auch mit falschen Impedanzen). Die In-Ears im Ohr herumdrehen und an den Mikrofoneingang anschließen kann also durchaus funktionieren, etwa mit einem digitalen Mobilrecorder.
Worauf muss man beim Erstellen binauraler Aufnahmen achten?
- Die Vorneortung ist meist ziemlich schlecht. Für den Menschen muss diese aber auch gar nicht besonders gut sein, denn für diesen Bereich gibt es einen geeigneteren, viel genauer Winkel-darstellenden Sinn: den Sehsinn.
- Bei Mikrofonen, die in die Ohren gesteckt werden: Jede Bewegung des Kopfes, auch vertikal, bewegt das gesamte Stereo-/3D-Bild.
- Nebengeräusche durch Atmen, Kleidung, Herzschlag, Schlucken, etc. können sich auf die Mikrofone übertragen, deswegen möglichst still bleiben.
- Die besten Ergebnisse werden mit „Standardanatomien“ erzielt, also bei Menschen mit nicht auffällig besonderen Kopf- und vor allem Ohrmuscheldimensionen und Formungen des Außenohrs.
- Die Mikrofonmembran sollte am Eingang oder äußeren Rand des Trommelfells liegen.
- Bei binauralen Ohrmikrofonen ist ein Monitoring nur durch eine weitere Person möglich. Deswegen muss der Pegel mit dem Meter im Auge gehalten werden.
- Da üblicherweise Druckempfänger verwendet werden, sollte auf Infraschall und Subbass geachtet werden. Im Zweifel Hochpassfilter verwenden!
Wie funktioniert die Ortung von Schall nicht nur Links-Rechts, sondern auch Vorne-Hinten und Oben-Unten mit binauralen Aufnahme- und Wiedergabeverfahren?
Die menschliche Ortung von Schallereignissen (auch „Lokalisation“) funktioniert in drei verschiedenen Ebenen:
- Horizontalebene: Links-Rechts-Ortung
- Frontalebene: Vorne-Hinten-Ortung
- Medianebene: Oben-Unten-Ortung (auch „Elevation“)
Die Horizontalebene ist diejenige, die bei normalen Stereohören über Lautsprecher und Kopfhörer benutzt wird. Entweder mit einem Stereomikrofonverfahren, einem Pan-Regler oder anderen Positionierungsverfahren werden Signale dargestellt. Die Ortung in der Horizontalebene funktioniert mit einer Kombination aus Laufzeitunterschieden zwischen den Ohren aufgrund leicht unterschiedlich eintreffender Schallereignisse sowie Klangfarbenunterschiede, die sich aus der Abschattung durch den Kopf ergeben. Sehr vereinfacht gesprochen funktioniert die Ortung in der Frontal- und Medianebene durch die charakteristischen Frequenzgang- und Phasenveränderungen, die besonders durch die Schallumwege in den Windungen und Kanälen der Pinna (=Außenohr) stattfinden.
Wie klingt binaurales Audio?
Hier sind Beispiele für binaurale Aufnahmen (mit Kopfhörern abhören!):
Funktioniert binaurales Audio gut? Was sind die klanglichen Nachteile von binauralen Aufnahmen?
Es gibt einen grundsätzlichen, systemischen Nachteil: Die so genannten HRTF (Head Related Transfer Functions) sind im Grunde die Filterantworten des gesamten Kopfes auf eintreffenden Schall. Je nach Einfallsrichtung in den drei Ebenen ist das Muster unterschiedlich und kann ausgewertet werden. Allerdings sind diese HRTF von Mensch zu Mensch verschieden, weil ja jeder eine andere Anatomie besitzt. Und weil jeder Mensch mit seiner eigenen Anatomie das Richtungshören erlernt hat, funktioniert die Lokalisation von Schallereignissen mit „fremden Köpfen“, beispielsweise Kunstköpfen oder anderen Menschen, die mit Mikrofonen ihren Ohren aufgenommen haben, deutlich schlechter. Es gibt sogar Untersuchungen darüber, dass Personen, die beispielsweise eine Nasen-Operation haben durchführen lassen oder durch einen Unfall Teile des Ohres verloren haben, zunächst deutlich schlechter lokalisieren können. Weitere Probleme entstehen durch die schwache Vorneortung und natürlich durch die eher schlechte Kompatibilität mit Lautsprecherwiedergabe.
Vorteile binauraler Aufnahmen
- 3D-Eindruck/Immersion
- nur zwei Kanäle nötig bei Aufnahme und Wiedergabe
- preiswerte Technologie, teilweise mit vorhandener/selbstgebauter Technik durchführbar
- erstaunlich natürlich, „echteste“ Lokalisationsmöglichkeit
Nachteile binauraler Aufnahmen
- nur für Kopfhörerwiedergabe gut geeignet
- Vorneortung schwach
- je nach Aufnahmevoraussetzungen und individueller Anatomie unterschiedlich gute Ergebnisse
- bei binauraler Aufnahme in „echten“ Ohren Probleme durch Bewegung, Eigengeräusche, etc.
Testberichte Equipment für binaurale Aufnahmen
Was sind „binaurale Beats“ und wie funktionieren sie?
Binaurale Beats haben nichts mit der hier dargestellten Aufnahme- und Wiedergabetechnik zu tun. Binaurale Beats sind niederfrequente Klangeindrücke, die unser Hörsinn produziert, wenn leicht gegeneinander verstimmte Audiosignale auf die Ohren gegeben werden. Das ist vergleichbar mit dem Entstehen einer Schwebung, wie man sie bei der Einstellung der Chorreinheit von Pianos oder anderen mehr-/doppelsaitigen Saiteninstrumenten her kennt – nur dass diese Signalempfindungen erst im Gehirn entstehen. In der Neurologie und zur Entspannung können binaurale Beats eingesetzt werden.
Jacob Richter sagt:
#1 - 03.12.2019 um 08:51 Uhr
Danke für den Bericht. Ich denke in Binaural- bzw. Spatial-Audio steckt noch sehr viel Potenzial. Gefühlt wird das Thema im Bereich der Audiotechnik aber noch zu Stiefmüttlerlich behandelt.
Nick (Redaktion Recording) sagt:
#1.1 - 03.12.2019 um 09:22 Uhr
Hallo Jakob,danke für den Kommentar. Ich denke auch, vielleicht ist es der Consumer, der die Technik aus dem Dornröschenschlaf holt!Beste Grüße
Nick Mavridis (Redaktion Recording)
Antwort auf #1 von Jacob Richter
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenJacob Richter sagt:
#1.1.1 - 03.12.2019 um 09:36 Uhr
Ich denke schon das der Consumer daran einen Anteil hat aber um mal wieder das Phrasenschwein zu füttern: "Content is King". Bei den überaus verschiedenen Medien die wir konsumieren Musik; Gaming; Film arbeiten ja schon viele an unterschiedlichen Anknüpfungspunkten zu diesem Thema. Ich denke es ist nur eine Frage der Zeit bis interaktive Elemente aus dem Gaming oder Surround-Technik aus dem Film in die Musik kommen.
Wer hat nicht mal Bock seine Lieblingsband in VR von der Bühne aus zu beobachten und das ganze dann noch in Dolby Atmos und mit Outer-Head-Localisation. ;)
Antwort auf #1.1 von Nick (Redaktion Recording)
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenNick (Redaktion Recording) sagt:
#1.1.1.1 - 03.12.2019 um 09:40 Uhr
Stimmt, ich dachte auch mehr an (Achtung, ich mache mit bei dem Phrasenspaß:) "User Content Creation" durch Produkte wie das Hooke.Und gGuten content gab es ja durch die Kunstkopfaufnahmen, aber eben noch nicht genug Hörer. Wahrscheinlich führt beides gemeinsam zum Erfolg, die einfachen Recordings der Mobilnutzer und erweiterte und vor allem aktuelle Angebote des "großen" Markts.
Antwort auf #1.1.1 von Jacob Richter
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