Ein Schlagzeug so mit Mikrofonen zu versehen, dass ein guter Sound heraus kommt, gilt als eine der Königsdisziplinen unter Recordingfreunden.
Entsprechend prall gefüllt ist das Internet, wenn es sich um dieses Thema dreht. Manchmal scheinen sich Anhänger verschiedener Philosophien nahezu unversöhnlich gegenüber zu stehen. Neben der Frage, welche Aufnahme-Elektronik wie beispielsweise Interfaces und Preamps zum Einsatz kommen sollten, wird diskutiert, ob es mit nur einem Mono-Mic nicht punchiger wird, ob Nahmikrofonierung nicht überflüssig ist, ob der Zollstock nicht sowieso das wichtigste Werkzeug beim Drumrecording sein sollte. All diese Fragen möchte ich hier nicht beantworten, stattdessen soll dieser Workshop dazu dienen, die üblichen Muster ein bisschen aufzubrechen und Inspirationen zu liefern.
Ein paar Grundlagen
Die am häufigsten verwendeten Aufnahmetechniken für das Drumset setzen sich aus einer Mischung aus Nah- und Distanzmikrofonen zusammen. Distanzmikrofone sind hier die Overheads, manchmal kommen noch Raummikros hinzu. Ihre Aufgabe ist es, das Schlagzeug als Einheit abzubilden und dem Zuhörer ein mehr oder weniger „realistisches“ Gesamtbild zu vermitteln. Obwohl es heutzutage erstaunlich leistungsfähige Plug-ins gibt, ist es aufgrund dieser Tatsache nur schwer möglich, einzelne Instrumente später unabhängig voneinander nachzubearbeiten. Um dies zu realisieren, hat sich irgendwann das Close-Miking etabliert. Der geringe Abstand zwischen beispielsweise einer Snaredrum und dem Snare-Mikrofon fokussiert das Snaredrum-Signal und reduziert den Pegel der anderen Instrumente des Sets. Soll nun also der Attack der Snaredrum erhöht werden, lässt sich das relativ zielgenau bewerkstelligen, ohne dass sich der Eingriff auf das ganze Drumset auswirkt. Welche Anteile die Distanz- und die Nahsignale im fertigen Song haben, hängt von der Musikrichtung und den Aufnahmebedingungen ab. In den meisten Fällen werden Schlagzeuge mit zwei Overheads, Closemics an den einzelnen Trommeln und vielleicht der Hihat und dem Ride sowie einem oder zwei Raummikrofonen abgenommen. Beliebt ist auch ein sogenanntes „Dirt-Mic“, welches zwischen Bassdrum, Hängetöm und Snare positioniert und in der Nachbearbeitung mehr oder weniger stark komprimiert dem Gesamtsound zugemischt wird.
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Warum vom Bewährten abweichen?
Da stellt sich die Frage, warum man überhaupt etwas verändern soll, schließlich lassen sich mit den vorhandenen Mitteln doch nachweislich legendäre Aufnahmen erstellen. Die Antwort lautet: Es macht einfach Spaß. Hinzu kommt, dass die meisten Recordingsessions dank der Digitalisierung heutzutage in Eigenregie stattfinden und man daher viel mehr Zeit hat zu experimentieren. Hinzu kommt, dass ein eigener Sound heute mindestens genauso wichtig ist wie ein eigener Stil. Mir persönlich hat das Experimentieren mit meinen Schlagzeug- und Mikrofon-Setups sehr geholfen, eigene Klangvorstellungen zu entwickeln und mich teilweise sogar zu neuen Spielweisen inspiriert. Ein par Beispiel dafür findet ihr auch auf meinem Instagram-Account Maxbeatwerk. Kommen wir nun zum Kern der Sache, den Mikrofonierungen.
„Overheads braucht man immer!“ Wirklich?
Eine unausgesprochene Regel in der Welt der Schlagzeugmikrofonierung lautet, dass es immer mindestens ein Mikrofon braucht, um das Set in seiner Gesamtheit abzubilden, sprich ein Overhead. Auf nahezu allen Bildern und Videos, die im Netz kursieren, seht ihr Mikros an der entsprechenden Position. Das hat natürlich einen guten Grund, denn Overheads bilden nun einmal alle Instrumente des Drumsets (mit Ausnahme der Bassdrum) in einem realistischen Verhältnis ab und sorgen dafür, dass das Schlagzeug als klangliche Einheit erscheint. Was aber, wenn genau das gar nicht erwünscht ist? Speziell die moderne Form der Musikproduktion greift häufig auf Samples zurück, die oft gar nicht aus einem Raum stammen und auch gar nicht den Eindruck vermitteln sollen. Da ist die extrem verhallte Snaredrum, die mit einer trocken-mittigen Bassdrum und einer phasig klingenden Hihat kombiniert wird oder Toms, die wirken, als würden sie in einer Kathedrale gespielt.
Wer sich mit seinem akustischen Drumset solchen Klangvorstellungen nähern möchte, muss ein bisschen umdenken. Denn dann müssen die Closemics eine Hauptrolle übernehmen und agieren nicht mehr nur als „Stützmikrofone“. Der Klang ist natürlich ebenfalls erst einmal gewöhnungsbedürftig, er animiert allerdings dazu, sich in der Nachbearbeitung verstärkt mit den einzelnen Instrumente zu befassen und sie mithilfe von EQs, Kompressoren und vielleicht sogar Gates so zu formen, dass sie so klingen, wie man möchte. Auch ihre Anordnung im Stereobild kann jetzt deutlich genauer erfolgen. Ein weiterer Vorteil des Verzichts auf Overheads kann übrigens auch sein, dass ihr im Bandgefüge wesentlich weniger Übersprechungen im Drumset-Mix habt. Dass ihr außerdem gar nichts an eurem Setup ändern müsst, ist ein weiterer Pluspunkt – denn natürlich solltet ihr die Overheads stehen lassen und im Zweifelsfall auch immer mit aufnehmen.
“Underhead”-Mikros machen den Sound spannender
Als Nutzer eines eher kleinen Aufnahmeraumes mit niedrigen Decken habe ich lange experimentiert, wie mein Schlagzeug größer klingen könnte, ohne Raummikrofone zu verwenden. Die Antwort ist das, was ich als Underheads bezeichnen würde. Statt in Deckennähe montiert, befinden sich ein oder zwei Mikros in Bodennähe und “hören” das Drumset damit aus einer anderen Perspektive. Die Möglichkeiten der Positionierung sind vielfältig und richten sich danach, wie euer Set aufgebaut ist und welche Richtcharaktersitik die verwendeten Mikrofone besitzen. Gute Erfahrungen habe ich mit einem Nieren-Kondensator gemacht, welches ich etwa 20 Zentimeter über dem Boden im Dreieck aus Snaredrum, Bassdrum und Hi-Hat platziere. Die Einsprechachse justiere ich frei, sie zeigt meistens auf einen Punkt zwischen Hi-Hat und Snaredrum. Im Mix agiert das Signal als eine Art kombiniertes Snare-Bottom-Hi-Hat-Raum-Mikro und wird leicht bis sehr stark komprimiert. Der Klang des Sets wird dadurch aufregender, offener und auch etwas größer als der Raum vermuten läßt. In einem Stereosetting positioniere ich ein weiteres Mikro auf die gleiche Höhe zwischen Bassdrum, Floortom und Ride und richte es danach aus, was ich in dem speziellen Fall prominent hören möchte. Das Konzept der Underheads ist keine echte Alternative zu Overheads, dazu sind die Ergebnisse nicht vielseitig genug verwendbar. Ich sehe es eher als zusätzliche Mikrofonierung zu einem konventionellen Setup mit Overheads. Tipp: Mit Grenzflächenmikros funktioniert das Konzept auch sehr gut. Hier kommt ein Beispiel mit meinem Mojave MA201FET als Mono Underhead.
Die Bassdrum von der Spielerseite abnehmen
Eine tolle und gar nicht mal so selten anzutreffende Mikrofonierungsalternative stellt die Abnahme der Bassdrum von der Spielerseite dar. Je nach Szenario und gewünschter Soundvorstellung stelle ich dafür das Floortom etwas zur Seite und richte das Mikrofon seitlich auf das Bassdrumfell aus. Der Abstand beträgt etwa 20 bis 30 Zentimeter, mein Lieblingsmikrofontyp ist dafür das Bändchenmikro. Das ermöglicht aufgrund seiner Bauweise ein starke Auslöschung seitlich einfallenden Schalls und fokussiert damit die Bereiche vor und hinter der Membran. Selbstverständlich muss es kein teures Modell sein, auch günstige Bändchen bringen den gewünschten, großen Ton. Aber Vorsicht: Zu nah am Fell solltet ihr den Schallwandler nicht positionieren, denn die verbauten Aluminiumhäutchen reagieren empfindlich auf direkte Luftbewegungen. Hier hört ihr drei Beispiele, ich spiele hier eher leicht und nehme den Beater nach dem Anschlag vom Fell weg, um mehr Ton im Ausklang zu erhalten. Diese Tiefmitten vom Schlagfell profitieren von dieser Abnahme-Variante besonders.
Angrenzende Räumlichkeiten als natürliche Hallgeräte
Die folgende Mikrofonierungsalternative ist definitiv kein Geheimtipp mehr, erweitert euer Arsenal an Tricks allerdings sehr effektiv. Die „Zutatenliste“ dafür beinhaltet ein Mikrofon samt Stativ, ein extra langes Kabel, einen freien Preamp-Kanal an eurem Mixer oder Interface sowie die Möglichkeit, die Türe eures Aufnahmeraumes beim Spielen zu öffnen. Je nach dem, wie die baulichen Gegebenheiten um euren Raum gestaltet sind, erhaltet ihr durch das Platzieren des Mikrofons vor eurer Tür einen einzigartigen Hall- beziehungsweise Raumklang, der zwischen extrem dreckig und erstaunlich edel und offen klingen kann. Vor allem ist dieser Sound extrem individuell, schließlich besitzt diesen Klangraum wohl niemand anderes. Ob ihr das Ergebnis als einziges Signal verwendet oder in unterschiedlicher Dosierung und Bearbeitung zu eurem Drum-Mix hinzu fahrt, bleibt eurem Geschmack überlassen. Hier hört ihr mein Schlagzeug einmal trocken, dann mein Bändchenmikrofon auf einem langen, an mein Studio angrenzenden Flur und zum Schluß den Gesamtmix.
Das Mikrofon als Effektgerät
Wenn ihr euren Drumsound verfremden möchtet, steht euch eine nahezu unendliche Palette an entsprechenden Plug-ins zur Verfügung. Es gibt allerdings auch Wege, den Effekt direkt an der Quelle zu erzeugen. Umgebaute Telefonhörer und Spezialmikrofone (wie das Scope Labs Periscope Pro) mit Übertragungseigenschaften, die jeden Klangpuristen schreiend das Weite suchen lassen, sind eine Möglichkeit, kosten aber entweder Geld oder verlangen technische Fähigkeiten. Wesentlich einfacher – und gleichzeitig einzigartig – ist es daher, ein Mikrofon aus eurem bestehenden Fundus zu nehmen und es ein bisschen zu modifizieren. Darüber gestülpte Dosen, Flaschen oder andere Behälter erzeugen einen schmutzigen Phasing-Effekt unterschiedlicher Intensität und Tonalität und bieten euch enorme Optionen, eure Recordingsessions mit spannenden Signalen anzureichern. Faszinierende Ergebnisse, die fast schon an die bekannten Drummaschinen wie die Roland TR-808 erinnern, ergeben sich auch, wenn ihr ein Mikrofon in ein verstimmtes (Floor-) Tom ohne Resonanzfell platziert. Die Reflektionen an den Kesselinnenwänden erzeugen dann eine Art Flangereffekt, das mitschwingende Fell liefert Modulationen in den Tiefmitten. Dafür müsst ihr die Trommel nicht zwangsläufig anschlagen: In Setnähe positioniert, schwingt sie automatisch mit. Solche Settings verwende ich oft für Beats, in denen es nicht zu geschäftig und nicht zu dynamisch zugeht, denn dann läßt sich der Effekt mit einem Gate auf dem entsprechenden Kanal kontrollieren. In diesem Soundbeispiel verwende ich jedoch einfach ein an die Decke gerichtetes SM57 mit einer darauf platzierten Plastikflasche. Je kaputter und phasiger das Signal in natura klingt, desto besser. Für Experimente dieser Art gilt: Es muss aufregend klingen, nicht „gut“ oder gar natürlich. Mit EQs und Kompressoren könnt ihr das Signal anschließend verbiegen, ich habe mich hier für den Soundtoys Decapitator entschieden. Derartig verfremdete Sounds sind hervorragend für Intros geeignet oder Situationen, in denen es möglichst „lo-fi“-mäßig zugehen soll.
Fazit
Dass sich mit den herkömmlichen Verfahren zur Schlagzeugmikrofonierung ganz hervorragende Resultate erzielen lassen, ist unbestritten. Speziell in unserer modernen Zeit, wo Schlagzeuger nicht selten gleichzeitig Drumtechs, Tonleute und Produzenten in Personalunion sind, lohnt es sich jedoch, von den bekannten Pfaden abzuweichen und die vorhandenen Mikrofone anders zu nutzen als nach den bewährten Standards. So lassen sich angrenzende Räume hervorragend als natürliche Halloptionen nutzen, sehr trockene Klänge lassen sich hingegen durch den Verzicht auf Overheads realisieren. Auch Effektsounds müssen nicht zwangsläufig von Plug-ins beigesteuert werden, verschiedene Behälter sorgen, über Mikros gestülpt, für brachiale Klangmodifikationen oder subtile Texturen. Nicht zuletzt lohnt es sich, sowohl die Instrumente als auch die Mikrofon-Setups an Projekte oder Songs anzupassen und dabei die Regeln mal kurz zu vergessen. Oft stellt man dann fest, dass Ergebnisse heraus kommen, die man mit den Standardmethoden nicht hinbekommen hätte. Und nebenbei schärft man das Gefühl für den eigenen Sound. Das soll ja gerade in Zeiten der Individualisierung und Einzigartigkeit auch eine schöne Sache sein. Also, über Bord mit (einigen) Regeln und losexperimentiert!