Das Raushören und eventuell auch Transkribieren von Melodien, Soli oder Riffs ist eine Kunst für sich. Dass es sich dabei um eine reine “Ohrenaufgabe” handelt und man ein sehr gutes und musikalisch trainiertes Gehör braucht, um ein guter Transkribierer zu sein, ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Natürlich braucht es ein gutes Gehör, aber eigentlich ist es das Gehirn, das uns zum Raushören von Musik befähigt. Und wie bei allen Aufgaben, die man meistern will, sind auch hier entsprechende Kenntnisse und eine Portion logisches Denken essentiell.
Aber das wirklich Faszinierende am Transkribieren ist die Tatsache, dass man damit sein Gehör = Gehirn trainiert, immer schneller und genauer zu werden, denn Raushören ist letztendlich das Wiedererkennen von Mustern und deshalb übbar!
Für einen guten Einstieg möchte ich euch ein paar Tipps an die Hand geben, mit denen ihr eure ersten Melodien leichter auf dem Instrument findet.
1. Melodie ohne Instrument nachsingen
Beim Raushören hat man im Prinzip gegen zwei Hindernisse zu kämpfen. Zum einen muss man die Töne im Kopf bzw. in der Erinnerung haben, die man spielen will, und zum anderen muss man sie auf dem Griffbrett finden. Vernachlässigt man den ersten Punkt, so ist man ständig mit der Rewind-Funktion am Media- oder CD-Player beschäftigt und hangelt sich von Ton zu Ton. Das ist zeitraubend und nicht sonderlich sinnvoll.
Versucht, gleich zu Beginn die Melodie ohne euer Instrument nachzusingen, denn erst dann habt ihr sie wirklich im Kopf. Vergesst nicht, dass euer Gehirn ein Computer ist, der die Melodie in eurem inneren Ohr verlangsamen oder an bestimmten Noten stehenbleiben kann.
Daher gilt: Erst die Melodie auswendig singen und dann das Instrument in die Hand nehmen. Dadurch trainiert ihr auch euer musikalisches Gedächtnis.
2. Tonart herausfinden
Als nächstes versucht ihr, mit dem Instrument die Tonart des Stückes herauszufinden. Häufig müsst ihr dazu nur zwei oder drei Akkorde erkennen, und häufig ist der Start- oder Endakkord des Songs ein guter Ansatzpunkt. Habt ihr die Tonart, so wisst ihr auch, welches Tonmaterial höchstwahrscheinlich in diesem Stück zur Verwendung kommt, es sei denn, ihr steht auf atonale Zwölftonmusik. Das heißt, ihr sucht nach der Melodie innerhalb der Tonleitertöne der übergeordneten Tonalität. Handelt es sich um ein Stück, das eher im Blues oder Classic-Rock-Genre zuhause ist, entstammen viele Melodien sogar der Pentatonik.
3. Startton herausfinden
Nun gilt es, den Startton ausfindig zu machen. Manchmal erkennt man in Relation zum ersten Akkord bereits, auf welcher Stufe die Melodie beginnt. Falls nicht, ist es durchaus legitim, im Trial-and-Error-Verfahren so lange herumzusuchen, bis der Ton stimmt.
Bedenkt: Wenn ihr die Tonart kennt, müsst ihr höchstwahrscheinlich auch nur sieben Töne ausprobieren.
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4. Scalepattern auf der Gitarre heraussuchen
Gute Vokal-Melodien haben meist keine große Range (auch Tessitur genannt), denn sie sollen ja singbar sein. Im Durchschnitt bewegen sich Gesangslinien zwischen einer und eineinhalb Oktaven. Das heißt für euch: Sucht euch ein Skalenpattern in der korrekten Tonart heraus, in dem ihr vom Startton ausgehend genug Platz nach oben und unten habt.
Beim Nachspielen von Soli ist die Range natürlich wesentlich größer, aber beim Solieren bewegt man sich ohnehin über das gesamte Griffbrett. Nichtsdestotrotz kommt man auch hier schneller zum Ziel, wenn man sich seine Scalepattern zurechtlegt und seine Suche auf die Tonleitertöne eingrenzen kann.
5. Hilfssoftware mit Time-, Pitch und EQ- Bearbeitungsmöglichkeiten
Handelt es sich um sehr schnelle Passagen, so darf man natürlich auch Hilfsmittel zur Hand nehmen und den Abschnitt um einige Prozentpunkte verlangsamen. Je nach Timestretch-Algorithmus und Verlangsamungsrate entstehen dabei manchmal unerwünschte Artefakte, die das Raushören wiederum erschweren können, aber bei Temporeduktion bis 50% dürfte sich das in Grenzen halten. Einige Player, alle DAWs und sogar YouTube-Videos haben diese Funktion bereits integriert.
Wer jedoch komfortabler arbeiten will, findet mit spezieller Transkriptionssoftware wie z.B. Anytune, Transcribe, Audacity, Audio Speed Changer uvm. Tools, die dazu noch Loops und einiges mehr erlauben. Ein weiterer Vorteil von Programmen dieser Art ist auch die Möglichkeit der EQ-Bearbeitung, denn manchmal ist es hilfreich, die Bässe herauszunehmen oder aber zu betonen – je nachdem.
Auch das Oktavieren des Tracks nach oben oder unten kann manchmal die Arbeit erleichtern und sogenannte “Karaoke”-Funktionen können die Spuren, die im Panning-Center liegen entweder hervorheben oder löschen.
Erlaubt ist, was euch zum Ziel bringt!