Reggae ist für uns Bassisten/innen eine Art Paradies: Der Bass ist im Soundgefüge oft dominant und wir dürfen zur Abwechslung einmal richtig “busy” und melodisch spielen. Da die Drums ähnlich wie im Disco-Funk ein sehr stabiles und nahezu variationsloses Fundament liefern, entstehen für uns Tieftöner ungewohnte Freiheiten. Nicht zu vergessen ist die durchweg positive Stimmung, die diese Musik verbreitet. Kurz gesagt, Reggae-Bass spielen macht einfach Spaß!
- Bass-Sound im Reggae: gerne dumpf und bassig!
- Beliebte Reggae-Spieltechnik: Palm-Mute-Anschlag mit wenig Attack
- Reggae-Drums verstehen: “One Drop”, “Stepper” & Co.
- Feste Patterns, lange Töne … und Pausen – die Rhythmik von Reggae-Basslines
- “Happy, happy!” – das Tonmaterial von Reggae-Basslines
- Geheimtipp für Reggae-Basslinien: die „1“ weglassen!
Allerdings wird die folgende Enthüllung für den einen oder anderen eventuell eine herbe Enttäuschung darstellen: Um gut Reggae-Bass zu spielen, muss man NICHT zwangsläufig Substanzen rauchen, welche das Bewusstsein erweitern und zur Entspannung beitragen – weitaus besser und schneller kommt man mit dem intensiven Studium dieser Stilistik voran.
Wie bei jeder anderen Stilanalyse auch lassen sich auf diese Weise häufig verwendete Muster/Patterns in Bezug auf Rhythmik, Tonmaterial, Soundeinstellungen etc. feststellen, die sich als signifikante Merkmale dieser Stilistik erweisen. Diese Patterns in seinem eigenen Repertoire parat zu haben, hilft natürlich enorm bei der Entwicklung von eigenen Reggae-Basslines!
Sechs solcher Merkmale im Reggae möchte ich euch heute vorstellen. Natürlich gibt es noch viele weitere – eine Stilistik lässt sich ja nicht auf nur ein paar wiederkehrende Muster reduzieren. Auch gibt es nicht “den Reggae”, sondern zahlreiche verschiedenen Subgenres (z.B. Dub, Rockers, Roots etc.). Die folgenden Tipps sind jedoch allgemeingültig und für eigenen Basslines und Grooves ein sehr guter Ausgangspunkt.
Bass-Sound im Reggae: gerne dumpf und bassig!
Es gibt eine Legende zum typischen “mumpfeligen” Reggae-Basssound. Ich weiß nicht, ob sie tatsächlich wahr ist, aber sie ist zumindest lustig und zeigt, wo die Richtung hingeht. Eines schönen Tages in den 1970er-Jahren machte eine Reggae-Band gerade Soundcheck. Der Mischer war so begeistert vom Sound des Basses, dass er den Bassisten fragte, wie er diesen hinbekäme.
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Der Bassist schaute den Mischer verdutzt an, da er nichts anderes tat als sonst auch. Es stellte sich schließlich heraus, dass das Mikro hinter die Bassbox gefallen war und daher nur den Schall der Bassreflexöffnung abnehmen konnte – geboren war der Reggae-Basssound: Ein fetter und fulminanter Sound ohne Höhen und Attack, also das knackige Anschlagsgeräusch, das den exakten Start der Note definiert. Dadurch klingt der Bass mitunter fast wie ein Synthesizer.
Erreichen kann man diesen dumpfen Sound auf recht einfache Weise, indem man einen Low Pass Filter verwendet. Dieser lässt lediglich die tiefen Frequenzen passieren – alles oberhalb eines festgelegten Einsatzpunktes wird eliminiert.
Im folgenden Beispiel habe ich meinen Bass einmal unbearbeitet gelassen und einmal einen Low Pass Filter zum Einsatz gebracht. Dieser lässt lediglich die Frequenzen unterhalb von 150 Hz passieren.
Die dazugehörige EQ-Kurve sieht folgendermaßen aus:
Am Bassverstärker muss man je nach Ausstattung probieren, was am besten funktioniert. Ein Anheben der Bässe und gleichzeitiges Absenken der Höhen und hohen Mitten ist ein guter Anfang. Auch die Verwendung von Flatwound- (also geschliffenen) Saiten kann hilfreich sein, da diese per se weniger höhenreich klingen als (ungeschliffene) Roundwound-Saiten.
Beliebte Reggae-Spieltechnik: Palm-Mute-Anschlag mit wenig Attack
Ein anderer Weg, diesen Sound zu erreichen bzw. noch zu unterstützen, ist eine von vielen Reggae-Bassisten gern un dhäufig genutzte Anschlagstechnik namens Palm Mute. Hierbei schlägt man die Saiten mit dem Daumen an und dämpft gleichzeitig mit dem Handballen die Saiten in der Nähe der Brücke ab.
Auf diese Weise entsteht ein sehr bassiger, dumpfer und kurzer Ton mit wenig Attack. Mit dieser Technik kann man zwar nicht allzu schnell spielen, das kommt uns aber für den authentischen Reggae-Vibe sehr entgegen.
Dieses Video zeigt dir, wie die Palm-Mute-Technik funktioniert:
Reggae-Drums verstehen: “One Drop”, “Stepper” & Co.
Wenn man Reggae-Bass spielen möchte, muss man die Reggae-Drums verstehen! Zwar sind die Drum-Grooves im Reggae relativ simpel und beinhalten in der Regel nur wenige Variationen, sie sind dafür aber komplett anders als in anderen Stilistiken aufgebaut.
Im “Großraum” Rock, Pop, Funk, Souletc. spielt die Bassdrum ja stets auf die Zählzeiten 1 und 3 (Downbeat), während der Drummer die Snare auf der 2 und der 4 spielt – dem sogenannten Backbeat. Von diesem Groove gibt es natürlich unzählige Variationen, aber im Grunde lassen sich alle auf diese Urform zurückführen.
Im Reggae liegt der Schwerpunkt auch auf der 2 und der 4, allerdings wird diese jetzt durch die Bassdrum gespielt, meist im Verbund mit einem Rimclick der Snare. Das hört sich für unser Ohr erst einmal ungewohnt an.
Hier zwei Drumgrooves, einmal mit binärer Unterteilung, einmal mit Swingfeeling:
Man kann beide Grooves auch in Doubletime – also doppelt so schnell – zählen und notieren (120 statt 60 bpm, Achtel statt Sechzehntel). Dann wäre die Bassdrum auf der 3 zu hören.
Aber egal wie, wir haben es hier mit einem grundlegend anderen Feeling als in den anderen genannten Stilistiken zu tun, was der Reggae-Bassist natürlich unbedingt wissen muss! Erklingt die Bassdrum (wie in den obigen Beispielen) nur auf 2 und 4 (oder 3, je nachdem, wie man zählt), so nennt man dies “One Drop”.
Ein anderer beliebter Groove, gerade bei schnellerem Tempi, ist der sogenannte “Stepper”. Hier spielt die Bassdrum auf allen Vierteln, die Snare (bzw. der Rimclick) bleibt auf der 3.
Das klingt dann so:
Feste Patterns, lange Töne … und Pausen – die Rhythmik von Reggae-Basslines
Typische Reggae-Rhythmen für Bass gibt es eigentlich nicht, wohl aber ein paar allgemeine Richtlinien. Oberstes Ziel ist, die Musik schön ruhig und entspannt klingen zu lassen. Das erreicht man entweder durch längere Töne (bzw. längere Pausen) und/oder einer Kette an Tönen. Einzelne im Takt verteilte Töne bzw. viele Synkopen machen den Groove eher nervös und finden sich daher seltener (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel!).
Der wohl entscheidende Faktor ist aber die Wiederholung. Ist einmal ein Groove etabliert, ändert sich daran im Verlauf des Songs für gewöhnlich herzlich wenig. Auch der harmonische Aufbau verhält sich so. Die Akkorde von Vers und Chorus sind nicht selten identisch oder unterscheiden sich nur geringfügig.
Auf diese Weise kann der Groove inklusive der Bassline fast unverändert über den kompletten Song durchlaufen. Das bringt natürlich Ruhe in die Musik und schafft eine entspannte, mitunter fast hypnotische Atmosphäre. Auffällig ist auch, dass viele Basslines in zweitaktigen loopartigen Patterns ablaufen, was diesen Effekt zusätzlich unterstützt.
Hier sind ein paar Beispiele zu längeren Tönen, Ketten, zweitaktigen Patterns und Wiederholung:
“Happy, happy!” – das Tonmaterial von Reggae-Basslines
Im Pop, Rock, Soul, Blues, Funk etc. ist die Moll-Pentatonik DAS Mittel der Wahl, denn sie lässt Songs schön dreckig und rau klingen. Im Reggae ist dies nicht selten etwas anders, denn es sollen ja die beliebten “Positive Vibrations” verbreitet werden.
Vermutlich aus diesem Grund werden Basslinien im Reggae häufig von Tonleitern und Dreiklangs-Brechungen dominiert, und auch die Dur-Pentatonik findet man des Öfteren. Unterm Strich ergibt dies mehr Möglichkeiten für melodische Basslines und einen fröhlicheren Sound.
Hier hört ihr ein Beispiel, das Tonleitern und Dreiklänge kombiniert:
Geheimtipp für Reggae-Basslinien: die „1“ weglassen!
Ein beliebter rhythmischer Trick ist das Auslassen der Zählzeit 1 in der Bassline. Dies ist vor allem bei zweitaktigen Patterns interessant. Man kann entweder die 1 des ersten, die 1 des zweiten, oder die 1 beider Takte auslassen.
Hier findet ihr zu jedem Szenario ein Beispiel:
Für eigene Experimente habe ich euch die Playalongs und Akkordfolgen zusammengestellt.
Viel Spaß mit euren eigenen Reggae-Basslines und bis zum nächsten Mal!
Euer Thomas Meinlschmidt