Flageolett-Töne auf dem E-Bass zu spielen, ist eine der unzähligen Türen, die uns der legendäre Jaco Pastorius geöffnet hat. Wusste man zwar schon vor Jaco, dass man mithilfe von Flageoletts den Bass stimmen kann, erschuf Pastorius mit diesen Obertönen eine ganz eigene Klangwelt. Wie in vielen anderen Bereichen verschob die Basslegende auch hier die Grenzen – und zwar gleich um Lichtjahre! Jaco Pastorius benutzte Flageoletts auf dem E-Bass z.B. für Melodien, um Akkorde darzustellen – oder einfach als Klangfarbe während eines Grooves! Als bis heute unerreichtes Meisterwerk beim Thema “Flageoletts auf dem E-Bass spielen” gilt “Portrait Of Tracy” aus Jacos Debütalbum. Wie wir weiter unten in diesem Bass-Workshop sehen werden, nutzte er für einen überwiegenden Teil von “Portrait Of Tracy” ganz geschickt die physikalische Bauart des E-Basses.
- Die Physik hinter den Flageolett-Tönen
- Spieltechnik und Sound beim Spiel mit Flageoletts
- Flageolett-Spiel – Jaco Pastorius als Inspiration!
- Die wichtigsten Flagoletts auf dem E-Bass-Griffbrett
- Griffbilder für Flageolett-Töne auf dem E-Bass
- Zwei Flageolett-Songs für Bass mit Griffbildern
- Zwei Methoden für eigene Experimente mit Flageoletts auf dem Bass
- Flageolett-Töne mit anderen Techniken kombinieren
Ich persönlich finde Flageoletts weniger nützlich für unseren Bassisten-Alltagsjob, denn in einem herkömmlichen Bandkontext gehen sie leider relativ schnell unter. Interessant kann es allerdings werden, wenn man eine Passage hat, wo man z.B. die Vokalisten oder ein anderes Melodie-Instrument alleine begleitet. Hier kann man mit Flageoletts im Zusammenspiel mit gegriffenen Tönen ganz wunderbar die Harmonien darstellen – und das noch mit einem faszinierenden Sound!
Und selbst wenn man keinerlei Nutzen für Flageoletts im Bandalltag findet, bleiben sie eine wunderbare und reizvolle Klangwelt. Eine Welt, in die man sich auf dem heimischen Sofa flüchten kann, um einmal abzuschalten und einfach nur Spaß zu haben. Mehr Gründe braucht man eigentlich nicht, oder?
Die Physik hinter den Flageolett-Tönen
Der Ton, den wir aus dem Bassverstärker hören, ist physikalisch gesehen eigentlich kein Ton, sondern ein Klang. Dieser setzt sich aus dem Grundton (tiefste Frequenz) sowie verschiedenen Teiltönen zusammen, welche in einem ganzzahligen Verhältnis zum Grundton stehen: 2:1 entspricht der Oktave, 3:1 der Quinte, etc.
Diese Teiltöne nennt man “harmonisch”. Die Summe aus dem Grundton und den harmonischen Teiltönen ergibt dann unseren musikalischen Klang. Diese Teiltöne werden auch Obertöne und im musikalischen Fachjargon “Flageolett-Töne” genannt. An den entsprechenden Stellen am Griffbrett, welche einem ganzzahligen Verhältnis zum Grundton entsprechen, können wir sie relativ deutlich hörbar machen und musikalisch nutzen. Der pragmatischste Vorteil ist jedoch ohne Frage das Stimmen des Instrumentes mithilfe von Flageoletts.
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Spieltechnik und Sound beim Spiel mit Flageoletts
Das Erzeugen von Flagoletts unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten von dem von gegriffenen Tönen. Zum einen drücken wir die Saite nicht ganz auf das Griffbrett herunter, sondern berühren sie nur leicht.
Zum andern müssen wir unseren Finger dort platzieren, wo sich das entsprechende Teilungsverhältnis befindet. Dieses liegt bei vielen (wenn auch nicht allen!) Flageoletts exakt über den Bundstäbchen – normalerweise greifen wir ja knapp vor diesen.
Ein anderer Fall tritt ein, wenn wir gleichzeitig Flageoletts und einen gegriffenen Ton erzeugen möchten. Damit wir hier die Flageoletts nicht aus Versehen wieder abdämpfen, müssen wir den Greiffinger deutlich mehr krümmen. Diese Grifftechnik ähnelt der Spielweise von Gitarristen, wenn sie einen Akkord mit Leersaiten und gegriffenen Tönen spielen.
Im Bild greife ich ein G auf der E-Saite mit dem Zeigefinger und halte diesen soweit wie möglich gekrümmt, damit ich die dem kleinen Finger gegriffenen Flageoletts im fünften Bund auf der D- und G-Saite nicht versehentlich wieder abdämpfe.
Um Flageoletts noch besser hörbar zu machen und akustisch in den Fokus zu rücken, kann man dies zusätzlich mit seiner Anschlagstechnik und seinem Equipment tun. Besitzt man einen Bass mit einem Neck- und einem Bridgepickup, so sollte man nur den Bridgepickup nutzen.
Der mittig-drahtiger Sound des Stegtonabnehmers fördert den Sound von Flageoletts und lässt diese klarer erscheinen. Spielt man mit der Anschlagshand zusätzlich über dem Tonabnehmer, so unterstützt man diesen Effekt noch mehr.
Am Equalizer sind die Mitten zwischen 500 Hz und 800 Hz eine Art “Volumenregler” für Flageoletts. Hier genau liegt nämlich ihr Sweetspot und man sie kann mit einer Anhebung in diesem Bereich wunderbar nach vorne holen. Je nach Bass, Amp und Box können sich die Frequenzen natürlich unterscheiden, aber irgendwo zwischen ca. 500 Hz bis 800 Hz sollte man fündig werden.
Hier sind zwei Klangbeispiele, zum Einsatz kam ein Jazz Bass mit einem Singlecoil in der Halsposition und einem Singlecoil in der Stegposition. Beim ersten Beispiel sind beide Tonabnehmer voll aufgedreht und es ist kein Equalizer aktiviert:
Im folgenden Beispiel benutze ich ausschließlich den Bridgepickup des Jazz-Basses und positioniere hier auch meine Anschlagshand. Zudem booste ich die Mitten im oben angesprochenen Bereich etwas. Die Obertöne treten auf diese Weise klanglich viel deutlicher hervor:
Flageolett-Spiel – Jaco Pastorius als Inspiration!
Bevor wir weiter ins Detail gehen, gibt es hier ein paar Beispiele des großen Meisters als Inspiration für den Einstieg ins Thema Flageoletts. Den Anfang macht eine kleine Melodie, welche das Intro zu “Portrait Of Tracy” bildet:
Auch Jacos Komposition “Continuum” zeigt sehr schön, wie die Kombination aus einem Grundton (hier leere E-Saite) und mehreren Flageoletts eine komplexen Akkord ergeben kann. In diesem Fall ist das übrigens ein E6add9-Akkord:
In so mancher Live-Version von Jacos Version von “The Chicken” baute Pastorius geschickt Flageoletts als Farbtupfer in die Bassline ein. So zum Beispiel:
Dies sind schon mal drei Wege, wie man Flageoletts einsetzen kann. Als nächstes wollen wir analysieren, wo wir diese auf unserem Instrument finden.
Die wichtigsten Flagoletts auf dem E-Bass-Griffbrett
Flageoletts auf dem Griffbrett zu finden, ist gar nicht so schwer. Mit ein paar einfachen Merksätzen findet man sich schnell zurecht. Hier sind die wichtigsten:
- Im fünften Bund befindet sich der gleiche Ton wie die Leersaite – allerdings zwei Oktaven höher.
- Im siebten Bund ist das Flageolett identisch mit dem gegriffenen Ton, nur eine Oktave höher.
- Der Flageolett-Ton auf dem siebten Bund ist identisch mit dem Flageolett auf dem fünften Bund der nächsttieferen Saite. Im siebten Bund der G-Saite finden wir also z.B. das gleiche Flageolett wie im fünften Bund der D-Saite. Mit dieser Erkenntnis können wir auch unseren Bass im Handumdrehen sehr genau stimmen.
- Im zwölften Bund befindet sich die Oktave der Leersaite – Flageolett und gegriffener Ton sind hier sogar identisch.
- Über dem vierten und dem neunten Bund einer Saite befinden sich dieselben Flageoletts. Sie entsprechen der Großen Terz der jeweiligen Leersaite – wiederum aber zwei Oktaven höher.
Hier findet ihr noch einen Merksatz, für den man allerdings etwas Wissen über Akkorde benötigt:
- Vom fünften Bund abwärts findet man einen Dominant-Septakkord bezogen auf die Leersaite. Deutlich wird dies an einem Beispiel, zu welchem wir die G-Saite zurate ziehen wollen: Im fünften Bund ist das Flageolett wiederum ein G (siehe Punkt 1). Im vierten Bund liegt die Terz (B, deutsch H) zur Leersaite. Gegen Ende des vierten Bundes und Nähe des dritten erklingt die Quinte der Leersaite (D), und im kurz nach dem Bundstäbchen des dritten Bundes findet man die Septime (F). Alle Flageoletts klingen natürlich zwei Oktaven höher als die Leersaite.
Die nachfolgende Grafik zeigt dir, wo sich die wichtigsten Flageoletts auf dem Griffbrett bis zum 12. Bund befinden:
Griffbilder für Flageolett-Töne auf dem E-Bass
Kommen wir noch einmal kurz zurück zu Jacos “Portrait Of Tracy”. Sieht man sich eine Transkription davon an, so fällt auf, dass sehr häufig Flageoletts in den gleichen Bünden auf verschiedenen Saiten gespielt werden, z.B. siebter Bund G- und siebter Bund D-Saite.
Das liegt zum einen an der Quartstimmung unseres Instruments und zum anderen an unserer Anatomie. Unsere Finger sind nun mal gerade – zwei Töne im selben Bund auf verschiedenen Saiten lassen sich daher einfacher greifen, als wenn sie mehrere Bünde voneinander entfernt wären. Dies trifft vor allem zu, wenn man noch einen weiteren gegriffenen Ton zu bewältigen hat.
Die mit Abstand häufigsten Kombinationen bzw. Griffbilder sind:
- Fünfter und fünfter Bund (5-5)
- Siebter und siebter Bund (7-7)
- Vierter und vierter Bund (4-4), was identisch ist mit neuntem und neuntem Bund (9-9)
- Fünfter und vierter Bund (5-4) oder umgekehrt (4-5)
Auch viele andere Songs mit Flageoletts machen ausgiebig Gebrauch von diesen Phänomen. Ein weiteres beeindruckendes Beispiel dafür ist Victor Wootens Version von “Amazing Grace”, das sich ebenfalls zu einem echten Flageolett-Klassiker entwickelt hat. Hier ein kleiner Auszug im Video, der den ausgiebigen Gebrauch der Griffbilder zeigt:
Das Geniale daran ist, dass gerade die beiden Griffbilder 5-5 und 7-7 mit nahezu jedem Ton eine sinnvolle und gut klingende Kombination ergeben. “Jeder Schuss ein Treffer” ist hier sozusagen die Devise!
Probieren wir es aus: Zunächst das Griffbild 5-5 auf G- und D-Saite. Dazu spiele ich von der tiefen Leersaite E chromatisch (in Halbtonschritten) ein Oktave nach oben. Im PDF habe ich euch die wahrscheinlichsten möglichen Deutungen der Klänge aufgeschrieben (natürlich gibt es aber noch weitere Interpretationen):
Hier findet ihr das Gleiche mit dem Griffbild 7-7, erneut auf G- und D-Saite:
Wie man hören und in der Notation sehen kann, funktioniert tatsächlich so ziemlich jeder Ton! Das ist absolut cool und stößt die Türen für die ersten eigene Experimente sehr weit auf. Am häufigsten kommen diese Griffbilder in der Kombination von G- und D-Saite vor. So lässt sich am einfachsten noch ein weiterer Ton auf der E- oder A-Saite greifen.
Zwei Flageolett-Songs für Bass mit Griffbildern
Nachfolgend findet ihr die Songs “Knockin On Heavens Door” (Bob Dylan, Eric Clapton) und “Little Wing” aus der Feder von Jimi Hendrix, welche ich anhand der Griffbilder und Grundtönen begleite. Ich habe dabei keinerlei rhythmische oder sonstige Variationen eingebaut. Dies obliegt der Interpretation des Interpreten – also euch allein. Lasst eurer Kreativität gerne freien Lauf!
Man kann anhand dieser beiden Beispiele jedoch wunderbar sehen und hören, dass beide Songs ausschließlich mit den beiden Griffbildern 5-5 und 7-7 ganz hervorragend funktionieren.
Natürlich gibt es auch alle möglichen anderen Kombinationen und Möglichkeiten, je nach musikalischem Kontext und Geschmack. Aber diese Griffbilder sind ein toller und schneller Einstieg in das Thema und man kommt hier schnell sehr weit.
Zwei Methoden für eigene Experimente mit Flageoletts auf dem Bass
Zu wissen, wo sich welche Flageoletts auf unserem Griffbrett befinden, ist leider nur die halbe Miete. Der nächste Schritt ist, damit selbst kreativ zu werden und Musik zu machen.
Grundsätzlich gibt es dafür zwei Herangehensweisen. Die erste wäre ein intuitives “Trial And Error”-Verfahren: Einfach abtauchen in die Klangwelt der Flageoletts und ausprobieren, was gut klingt. Das ist ähnlich unserem “Jeder Schuss ein Treffer”-Experiment aus Punkt 4. Hier wurden einfach diverse Griffbilder mit diversen Grundtönen kombiniert (oder einen Grundton mit verschiedenen Griffbildern oder ein Griffbild mit verschiedenen Grundtönen oder, oder, oder …), und irgendwann wird man zwangsläufig auf eine Idee stoßen, die einem gefällt. Diese kann man dann immer weiter entwickeln. Dazu braucht es keinerlei harmonisches Wissen, sondern lediglich unsere Ohren.
Der zweite Ansatz ist, sich eine vorhandene Akkordfolge eines Songs vorzunehmen (siehe “Knockin …” und “Little Wing”). So hat man eine bereits Grundton-Reihe und kann analysieren, welche Flageoletts dazu passen könnten. Dies wird nicht immer vollständig möglich sein, deshalb muss man auch weitere Töne jenseits des Dreiklangs (Grundton, Terz, Quinte) in Betracht ziehen.
Da die meisten Flageoletts zwei Oktaven höher klingen als der Grundton, klingen auch Optionen (Erweiterungen des Dreiklangs genannt) wie Sexte, None und Septime richtig klasse. Eine große Hilfe für diesen Ansatz ist die obige Grafik mit allen Flageoletts – ein Grundwissen zum Thema “Akkorde” ist aber sicherlich auch von großem Vorteil!
Flageolett-Töne mit anderen Techniken kombinieren
Zum Abschluss gibt es einen Ausblick, wie man Flageoletts mit anderen Techniken mischen und dem eigenen musikalischen Kontext anpassen kann. Ausschließlich mit Flageoletts zu spielen ist wohl eher etwas für das Spielen ohne Begleitung. Im Bandalltag müssen wir meist noch zusätzlich unserer Hauptaufgabe gerecht werden.
Im ersten Beispiel integriere ich Flageoletts in einen Fingerstyle-Groove. Dies würde sehr gut als Intro oder zu einem Part passen, in dem die anderen Instrumente entsprechend Raum lassen:
Auch die momentan sehr populäre Palm-Mute-Technik (Spielen mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger) ist ein idealer Partner für Flageoletts. Mit ihr lassen sich sehr gut perkussive Elemente (wie der Backbeat auf der 2 und der 4) hinzufügen.
Auf diese Weise erhält man Grundtöne, Akkorde (durch die Flageoletts) und zentrale rhythmische Elemente auf einmal. Hier eine ganz simple Akkordfolge, die mit der Palm-Mute-Technik gespielt wird:
Viel Spaß und Erfolg beim Experimentieren zum Thema “Flageoletts auf dem E-Bass spielen” und bis zum nächsten Mal, euer Euer Thomas Meinlschmidt