WIE MAN SICH DIE ZEIT UNTERTAN MACHT – DIE ARBEITSPRAXIS
Hört sich ja alles spannend an. Nur: Wie wird das angestellt? So manche Applikation hat zwar viele tolle Möglichkeiten, ihre jeweilige Bedienung ist jedoch häufig alles andere als selbsterklärend. Häufig gibt es in verschiedenen Programmteilen eine unterschiedliche Handhabung von Parametereinstellung, Terminologie oder Sortierung. Anders bei Live: Alles, was hier geschieht, ist logisch und nachvollziehbar, das Design verdient nicht nur Preise, sondern hat genau solche auch erhalten. Ressourcensparend (das beinhaltet auch Bildschirmplatz), livetauglich, übersichtlich, mit klar voneinander getrennten Sinneinheiten, aber trotzdem schön. Sehr nett: Es gibt keine Werkzeuge, aus denen ausgewählt werden muss. Einzige Ausnahme bietet der „Pencil“, den man vor allem als Alternative ansehen und daher häufig schlicht ignorieren kann. Der Mauszeiger verwandelt sich positionssensitiv in eine Lupe, eine Edit-Klammer, oder in was sonst gerade an dieser Stelle sinnvoll erscheint. Super, danke Leute!
Das recht junge Konzept ermöglicht Arbeitsschritte, die mit anderen Audioprogrammen nicht möglich sind. Besonders hervorzuheben sind hier die Envelopes. Dies sind clipbasierte Automationen, bei denen sich für jeden Parameter die Durchlauflänge einzeln festlegen lässt. Ein eintaktiges Drum-Loop kann also mit verschiedenen Klangerzeuger-, Clip-, Mixer- oder Effekt-Parametern so automatisiert werden, dass er erst in vielen tausend Jahren wieder exakt die gleichen Parametereinstellungen hat. Langeweile ade. Leider kann man keine “leeren” Audioclips erstellen, die die Parameter der Plug-Ins verändern, die externes Audiomaterial von beispielsweise Analog-Synthesizern prozessieren (Workaround: Digital-Null-Clips benutzen). Ebenfalls schade ist, dass die Follow Actions, mit denen Abspielreihenfolgen bestimmt werden, nicht für komplette Szenen anwendbar sind. Aber schon in den Tracks sorgen sie für interessante Möglichkeiten. Anschauen! Wem das noch nicht ausreicht, der kann beliebiges Audiomaterial in wählbarer Auflösung auf eine MIDI-Spur slicen. Wird dieser Vorgang gestartet, entsteht eine neue MIDI-Spur samt Sampler, bei dem die einzelnen Bestandteile auf die Tasten gelegt werden. Die erst einmal in der Ursprungsreihenfolge vorhandenen Slices können im MIDI-Editor verschoben, dupliziert und bearbeitet werden, wie es von der Arbeit mit MIDI-Daten, die einen Sampler ansteuern, bekannt ist. Erinnert sich vielleicht noch jemand, wie lange das zu Zeiten der Hardware-Sampler gedauert hat? Live ist also gleichzeitig ein ausgefuchstes Zeitsparprogramm.
Eine wichtige Frage ist die nach der Qualität. Audiowerte sind in erster Linie nur Zahlen, die nur wenig über den Sound an sich angeben. Dabei ist es erst einmal von geringer Aussagekraft , ob eine 64-Bit-Engine zum Einsatz kommt oder eine, die mit einer Wortbreite von 32-Bit arbeitet. Wichtig sind neben den Algorithmen im Mixer vor allem die der granularen Funktionen, schließlich ist Live doch ein “Elastic Audio”-Programm. Besonders, wenn die hohe und etwas ressourcenhungrigere Hi-Quality-Einstellung verwendet wird und die Art des Materials (Beats, Tones, Texture oder Complex) richtig gewählt wurde, ist die Klangqualität absolut erstaunlich. Sicher: Bei extremen Transponierungen oder Stretches/Compressions stößt Live, wie auch jedes andere Programm, an seine Grenzen. Natürlich benötigen diese Fähigkeiten Leistung. Kommen Abletons Effekte und womöglich Drittanbieter-Plug-Ins hinzu, ist oft der schnellste Mac oder PC mit seinem Latein am Ende. Schön ist, dass es nun auch in Live möglich ist, Spuren einzufrieren, damit anstelle vieler Bearbeitungsstationen nur noch eine einzige Audiospur (linear) wiedergegeben werden kann.
Live kommt mit einem stattlichen Paket von Plug-Ins daher. Ein einfacher Sampler (der auf den drolligen Namen Simpler hört) ist genauso dabei wie ein sehr guter Drum-Sampler. Die ganz große Lobesfanfare würde ich aber erst dann auspacken, wenn ich (Start-)Zeiten anhand einer Schwingungsform einstellen könnte und es eine vernünftige Pitch-Envelope gäbe. Schön ist auch die Library, die nicht nur aus dem Instrument, sondern teilweise auch mit nachgeschalteten Effektketten kombiniert ist. Mit Hilfe der MIDI-Effekte lassen sich logische Veränderungen an den Befehlen vornehmen. Des Weiteren ermöglichen sie Arpeggiator-Funktionen und dergleichen. Bei den Audio-Effekten finden sich, neben wirklich vernünftigen Brot- und Butter-Effekten (EQs, Dynamics, Reverb, Delay), auch die richtig abgefahrenen „Signal-auf-den-Kopf-steller“. Der Beat Repeat und das Grain Delay sind richtige Monster! Zu Racks kombiniert und mittels Mapping organisiert, erhält man Regler, mit denen man brave Audiosignale mit einer Handbewegung komplett auf Links drehen kann. Wer Spaß an der Zerstörung hat, kommt vor allem mit Redux, dem finsteren Bitcrusher/Aliaser auf seine Kosten, denn der bekommt tatsächlich alles kaputt. Etwas sanfter gehen Dynamic Tube und Saturator mit dem Material um. Die Drums klingen zu niedlich? Die Vocals klingen nach Schwiegermutter-Liebling? Dann sollte man einfach mal einen der beiden „Dickmacher“ in den Kanalzug droppen. Ein absolutes Schätzchen ist auch der Resonator, der pegelabhängig stimmbare Resonanzfrequenzen zum Material hinzufügt. Oft genutzt, um Drums “singen” zu lassen, kann das Plug-In noch viel mehr. Mit Envelopes automatisiert wird es richtig witzig, aber Listen-to-MIDI-Funktionen oder einen separaten Vocoder gibt es leider nicht. Die Architektur ist jedenfalls vorhanden: Sidechaining und Routing von Einzel-Outs sind absolut problemlos. Lediglich ein in jedem Kanalzug für jeden Send individuell schaltbares Pre-/Post-Routing der Send-Abgriffe wird vermisst (Hey! Wie wäre es mit Routing-Plug-Ins in der Effektkette? Das wäre doch mal was!). Hm, naja, auch das Subgroup-Routing ließe sich etwas eleganter lösen. Wem die mitgelieferten Software-Stückchen nicht genügen: Natürlich ist Live offen für VST(i)- und AU-Plug-Ins.
OUTER SPACE – IS THERE LIFE OUTSIDE LIVE?
Obwohl Live eine vollständige Produktionsumgebung darstellt, gibt es so einiges, das man gerne außerhalb der Applikation machen möchte oder muss. Die Welt außerhalb des Programms existiert also tatsächlich. Softwarebedienung ist zwar schön und gut, doch gerade im Live-Betrieb ist es angenehmer, dicke Hardwaretaster drücken, Fader schieben und an Knöpfen drehen zu können, als mit schwitzigen Fingern eine Computermaus oder – schlimmer noch – ein Trackpad bedienen zu müssen. Kein Problem für Ableton Live. Einerseits ist es möglich, viele Hardware-Controller direkt anzumelden, andererseits gibt es eine einfache Learn-Funktion in der Session (oder auch in einem Template, deutsches Ableton-Speech: Schablone), mit der Softwareparameter und Hardware miteinander “verheiratet” werden können – leider kann der Abholmodus nur global eingestellt werden. Genauso schnell geht es übrigens mit der Computertastatur. Selbstverständlich werden Multi-I/O-Audiointerfaces und MIDI-Interfaces unterstützt. Nützlich ist die Möglichkeit, einen Output als separaten Cue einzusetzen – schließlich möchte das Publikum nicht unbedingt mitbekommen, welche Loops man gerade auf Einsatztauglichkeit im Set abhört. Dass das Programm sich als ReWire-Host oder -Slave anbietet, lässt so manches anderes Programm blass aussehen (oder eher: den Hersteller arrogant wirken). Auch der Umgang mit Latenzzeiten, externen Plug-Ins sowie die Multi-Kern und -Prozessorunterstützung sind vorbildlich. Selbst ein Testtongenerator ist an Bord. Sollte die Rechenkraft dennoch nicht ausreichen – es gibt mittlerweile eine Freeze-Funktion.
Die Synchronisation über MIDI zu weiterem Equipment erfolgt mittels MIDI Beat Clock (MC) oder – nicht zu verwechseln – MIDI-Timecode-Quarter-Frame-Message (MTC). Leider werden MIDI-Machine-Control-Befehle (MMC), mit denen Laufwerksfunktionen übermittelt werden, weder empfangen noch versendet. Eine weiter Möglichkeit ist, Live mit Tap-Tempo zu synchronisieren. Mit der vorhin dargestellten Learn-Funktion lässt sich der Tap-Taster auch auf einen Fußschalter legen – der Begriff “Sequencing Instrument” nimmt Formen an! Ohne Probleme kann man nun Loops zur Platte oder bei ein wenig Übung und einem Schuss Talent sogar zur ohne Click spielenden Band synchronisieren. Grandios ist die Nudge-Funktion, mit der man wie ein DJ kurzfristig das Tempo erhöhen oder verringern kann, um ein Tempo “einzufangen”.
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ERWEITERUNGEN
Wer möchte – und entsprechend zusätzliche Zeit (=Geld) investiert – kann Live zusätzlich mit weiteren Softwareoptionen ausstatten. Dies sind sowohl Instrumente, als auch Sample-Libraries. Der Analog ist ein Synthesizer, der dank subtraktiver Klangerzeugung seine Klänge generiert. Der Name suggeriert “analogen Sound”, und tatsächlich klingt das Plug-In ordentlich. Positiv hervorzuheben ist das Filter-Routing samt seiner Shortcuts und das einfache und verständliche Interface. Schade allerdings, dass es nur zwei Oszillatoren gibt: Einige Klänge benötigen eben drei davon. Mit dem Operator kann man nach kurzer Einarbeitung einfache FM-Sounds generieren, die noch überschaubar bleiben. Die Algorithmen lassen sich einfach (aber nicht frei) verschalten, es gelingen erstaunlich gute frequenzmodulierte Sounds. Wirklich: Komplexere Systeme braucht fast niemand. Trotzdem gibt es auch hier eine Wunschliste: Hard-Sync und mehrere LFOs mit einer nicht nur gestaffelten, sondern frei über alle abgedeckten Frequenzen einstellbaren Range. Der auf Physical Modelling basierende Tension ist genau wie das E-Piano Plug-In zwar ganz nett, aber nicht umwerfend. Da hat der Markt momentan klanglich einiges mehr zu bieten. Als mitgelieferte Plug-Ins würde man artig “Danke” sagen, aber kaufen, also so richtig mit Geld…ich weiß nicht. Der Sampler hingegen ist in der Lage, einen Großteil der Kunden zufrieden zu stellen, wenn auch Abletons „Ein-Fenster-Philosophie“ beim Mapping geopfert wurde (Warum eigentlich? Bei den Racks klappt´s doch auch!). Fast alles, was man bei einem Sampler einstellen will, ist auch hier möglich. Eine tiefergehende “Freak”-Editierung stößt allerdings auch hier an ihre Grenzen. Es ist äußerst umständlich, Samples in manchen Parametern unabhängig zu bearbeiten. Komplexe Sample-Instrumente verlangen nach eigenen Filtern pro Sample/Zone, verbessertem Key-Follow und eigenen Streaming-Optionen samt RAM-Buffersizes. Ebenfalls gegen Bakschisch können die EIC (“Essential Instruments Collection”), Session Drums, Drum Machines und diverse “Orchestral”-Libraries erworben werden, die allesamt ordentlich (aber nicht umwerfend) klingen und vor allem preiswert sind. Die Preisgestaltung der Zusätze darf man fair nennen: Weitaus teurere Produkte sind oft tatsächlich um einiges besser. Es ist jedoch immer die Frage des Einsatzzweckes. Kaum jemand wird einen Kinofilm mit der Orchester-Library scoren wollen. Tipp: Die Drum-Machines und der Operator sind das Geld in jedem Fall wert!
Freundlicherweise funktioniert die Einbindung in die Soft- und Hardware-Außenwelt tadellos, so dass man von Ableton nicht (wie so oft) zur Inselarbeit gezwungen wird. Dies lässt das Produkt in einem guten Licht stehen. Wer allerdings mit Live 1.0 angefangen hat, wird sich sicher darüber ärgern, dass Ableton fast jedes Jahr ein kostenpflichtiges Major-Update durchgeführt hat und somit schon bei Version 7 ist, während manches mehr als doppelt so alte Programm bei Nummer 8 angelangt ist. Dennoch ist Live sogar mit einigen Zusatzmodulen preislich noch durchaus akzeptabel.
INSTALLATION
Ob auf Mac-OS- oder Windows-Maschinen installiert wird, stellt keinen riesigen Unterschied da, denn das Programm läuft auf beiden System mit nahezu identischer Oberfläche. Für die aktuellen Versionen ist mindestens OS 10.3.9 vonnöten, 10.4 wird empfohlen. Die Hardware sollte über einen Intel-Prozessor verfügen, zur Not tut´s aber auch noch ein G4. Wer Windows Vista oder XP besitzt, sollte eine Prozessorleistung von mindestens 1,5 GHz nutzen können. ASIO-Soundkarten sind zwar keine Vorschrift, aber “recommended” ist sie schon. Aus gutem Grund: Viele andere Anbindungen im Formatjungel sind für derartige Anwendungen ziemlicher Käse.
Unter einem halben Gigabyte RAM geht bei beiden Plattformen nichts, als Empfehlung geben Ableton ein volles Gigabyte an. Diese werden für flüssiges Arbeiten auch definitiv benötigt, deshalbt gibts noch eine Empfehlung von Bonedo hinterher: Packt die Rechner voll damit! Ok: Keine besonders neue Weisheit.
Die Installation von DVD geht auf dem Mac wie gewohnt flüssig und problemlos vonstatten. Im Applications-Folder findet man nach der Installation ein Paket mit knapp 200 Megabyte Inhalt, das eigentliche Programm darin “wiegt” gut 60 MB. Wie für derart große Programme üblich, findet man nach der Installation im Application Support in der User-Library die Freischaltungsfiles, Presets, Grundschwingungsformen und weiteren Kram. Ebenfalls im Home-Folder befinden sich die Preferences, die auch die Templates und Crashlogs aufbewahren. Die Anbindung der Audio- und Midi-Hardware erfolgt bequem und ist selbsterklärend. Als Haupt-Testrechner wurde ein MacBook 2 GHz Intel Core Duo mit 10.4. in den Konfigurationen mit 1 GB und 2 GB RAM verwendet. Mit letztgenannter Konfiguration hat man es definitiv leichter, was sich in der gesamten Leistungsfähigkeit des Systems bemerkbar macht. Alle angeschlossenen Core-Audio-Systeme (MotU 828 MKI und MKII, internes Audio-I/O über S/PDIF) liefen durchaus problemlos. Auch Kurztests auf einem iMac 24″ und einem Sony Vaio offenbarten keine wirklichen Probleme, die Prozessoren des iMac wurden beide benutzt.
Die Installation auf der PC-Maschine und deren Konfiguration kann unter Umständen eine wirklich komplexe Aufgabe darstellen. Ableton scheinen der Programmiererzunft jedoch alle Ehre zu machen!
Auf der nächsten Seite gibts ordentlich Kirmes: Live-Screenshots!
ROUTING
CLIP-EDITING
SETTINGS UND EINSTIEGSHILFEN