Bonedo: Du bist ja auch außerhalb von Reamonn unter anderem mit deinem „Achtung! Musik!“-Studio in München ganz schön viel beschäftigt …
Ja, inzwischen habe ich auch ein eigenes Label. Das Studio und den Verlag hatte ich schon vorher. Jetzt gleich kommt unser Keyboarder Sebi, mit dem ich als Ausgleich zu Reamonn viel Instrumentalmusik mache. So können wir unsere solistische Seite ausleben. Aber trotz dieser Sache ist natürlich und ohne Frage unser 100prozentiger Mittelpunkt Reamonn. Wir sind im Jahr bestimmt 200 oder 300 Tage für und mit der Band unterwegs. Andererseits ist es wichtig, nebenher was zu haben. Ich weiß noch, so vor drei Jahren, als ich dieses Studio noch nicht hatte, saß ich immer wie auf heißen Kohlen, wenn ich nach Hause kam. Ich habe faktisch nur auf die nächste Tour gewartet. Irgendwann sagte ich dann zu meiner Frau Nicole: „Mensch, ich brauche unbedingt einen Platz, wo ich mich mit Leuten treffen und Musik machen kann.“ Und hier habe ich diesen Platz, ich kann Interviews geben, Musik spielen und aufnehmen. Da fühle ich mich aufgehoben und die Zeit zwischen den Tourneen macht Sinn.
B: Hier im Studio kann man sehen, dass für einen guten Gitarrensound einiges an Technik vonnöten ist.
Als Gitarrist kaufst du dir zuerst eine Gitarre, wenn du wieder Geld hast, kaufst du einen geilen Amp dazu. Und du denkst: Das wars dann. Aber du bist noch lange nicht am Ende! Denn alles, was danach kommt, ist mindestens genauso wichtig: Das Mikro, das davor steht, der Vorverstärker, durch den das Signal geht, der EQ und wie er bedient wird. Es war schon oft so, dass ich gedacht habe, ich hätte den besten Sound der Welt, und wenn ich dann später die Aufnahmen gehört habe, hat es mir eigentlich gar nicht gefallen. Und da ist mir dann klar geworden, dass das, was nach dem Amp kommt, genauso wichtig ist wie das, was davor ist. Und das vergessen die meisten Leute. Aber nur auf diese Weise wirst du dich später genau so hören, wie du klingen willst. Nehme ich ein digitales oder ein Bandecho? Eine unheimlich wichtige Frage, aber viele drücken sich vor diesen Entscheidungen, weil es plötzlich eine riesige Welt wird.
Ich habe deshalb auch mein Studio im letzten Jahr weiter aufgestockt. Ich wollte nur noch die Produktion unserer CD abwarten, um dann mit den neuen Erfahrungen zu entscheiden. Bei den Kompressoren hat sich das bewahrheitet, was ich seit Jahren weiß: die beiden LA-2A und 1176 von Universal Audio sind die besten Geräte für Gitarren und Vocals – und darauf bin ich ja in meinem Studio spezialisiert. Am LA2A hast du zwei Regler und machst damit einen guten Sound. Da musst du keine Doktorarbeit drüber lesen, du kannst sofort intuitiv arbeiten. Seitdem ich aufgestockt habe, klingt alles state-of-the-art-mäßig. Darauf bin ich stolz, denn das ist das, was ich eigentlich immer im Kopf hatte. Klar ist das hier lediglich ein Demostudio, wo ich kreativ sein kann. Aber meine Gitarren und der Gesang müssen so aufgenommen sein, dass der Sound zu 100 Prozent stimmt.
B: Sollte sich jeder Gitarrist auch mit der Studiotechnik befassen?
Für dich ausgesucht
Nicht zwingend. Ein Freund von mir ist der Gitarrist von Kylie Minogue, aber er nimmt nie selber auf. Er ist ein reiner Tourgitarrist, der mit großen Künstlern unterwegs ist. Was im Aufnahmestudio abgeht, interessiert ihn überhaupt nicht. Er ist ein Livegitarrist und will und muss sich über die Studiotechnik keine Gedanken machen. Das ist zwar auch ein witziger Weg, aber mein Ding wäre es nicht, da ich das Studio liebe.
B: Es hat sich ja mit der digitalen Entwicklung sehr viel im Studiobereich getan.
Ja, jeder kann heute gute Aufnahmen recht günstig machen. Da sieht man auch bei den Musikern auf myspace.com oder youtube.com. Ich mag das. Klar graben diese Möglichkeiten, Musik selbst aufzunehmen, den Demostudios das Wasser ab. Für die ist es schlecht, aber für die Kunst an sich ist diese Entwicklung gut. Die Plattenfirmen könnten Talente heutzutage viel früher erkennen. Ich erinnere mich, dass wir 1990 einmal mit einer Band einen Song in einem Studio aufgenommen haben. Das kostete ungefähr 500 Mark! Da war nicht daran zu denken, ein paar Tage an einem Titel zu feilen oder mehrere Lieder aufzunehmen. Heute ist das viel einfacher und das ist gut so.
B: Hast du bei der Gründung des Studios nur auf deine Erfahrung zurückgegriffen oder dir auch externe Hilfe geholt?
Ich hatte Unterstützung von Jochen Veith. Als er das erste Mal hier war, waren diese Räume noch reine Industriefläche. Das Budget war vorgegeben, und obwohl es knapp war, schaffte es Jochen, dieses Studio nach meinen Vorstellungen zu bauen. Bis auf die Regie ist alles „Raum-in-Raum“ gebaut, damit man den Vox aufdrehen kann, bis der Arzt kommt und die Aufnahmen richtig toll klingen. Das Ganze ist echt hochwertig gemacht und wurde während des Baus auch von Jochen überwacht. Die Technik basiert auf dem Yamaha DM2000. Ansonsten habe ich halt Sachen gekauft, die mir bei den Reamonn-Produktionen positiv aufgefallen sind. Da ich aber bei den Aufnahmen mit der Band nicht selbst an den Knöpfen sitze, bestelle ich mir die ausgewählten Sachen zunächst hierher, um sie zuerst einmal selbst auszuprobieren. Ich würde nie etwas kaufen, was ich nicht selbst gehört habe. Ich habe mich für APIs (Automated Processes Inc.) als Vorverstärker entschieden. Die machen klanglich genau das, was ich will und sind vom Frequenzbild her etwas schlanker. Die Yamaha-Inputs sind sehr gut, aber klanglich sehr neutral und nicht so druckvoll wie die APIs. Bei den Kompressoren geht es nicht nur um den Klang, sondern beispielsweise auch darum, wie sich die Regler verhalten, ab wann sie eingreifen. Was die Amps und Boxen betrifft, steht hier im Studio genau das, was ich auch auf den Reamonn-Produktionen verwende. Wenn wir nicht unterwegs sind „überwintert“ das Equipment hier. Alles ist dann abgemiked, und wenn jemand spielt, muss man nur noch umschalten, aber nichts mehr einstellen.
B: Gibt es beim Sound auch rein objektive Kriterien oder ist das reine Geschmackssache?
Klar ist der Sound erstmal rein subjektiv das, was mir gefällt. Andererseits weiß ich auch, was man für eine gute Produktion braucht. Die Gitarre klingt vielleicht alleine gespielt richtig fett und gut. Aber sobald die Band dazu kommt, klingt sie dünn. Deshalb muss sie an den Gesamtsound angepasst werden.
B: Es stehen ja jede Menge Gitarren hier herum. Welches sind deine Favoriten?
Wenn ich jetzt nach Los Angeles gehe und mich für einige Gitarren entscheiden müsste, dann wären dabei: die Gibson ES 335 von 1962, eine unglaubliche Gitarre, wo auch jeder Produzent da sitzt und begeistert ist. Sie lässt sich auch wahnsinnig gut spielen. Dann wäre da auch die Gibson SJ 200, eine Akustikgitarre, die ich mir direkt bei Gibson ausgesucht habe. Ich habe so zwei, drei Stunden auf ungefähr fünf Gitarren gespielt und mich dann dafür entschieden. So mache ich das immer. Ich nehme mehrere in die engere Wahl und schaue, in welche ich mich verliebe. Dabei wäre ebenfalls meine 69er Stratocaster. Sie ist ein bisschen verschroben, weil sie überlackiert wurde, ganz billig – eigentlich ein Verbrechen! Aber es ist eine Wahnsinnsgitarre mit einem dicken Sound. Auch meine 69er Telecaster kommt mit. Die habe ich mir vor vier Jahren in Los Angeles gekauft. Ich habe immer eine Telecaster gesucht, die nicht so einen dünnen, fisseligen Ton hat. Mit dieser Gitarre bin ich fündig geworden. Meine siebensaitige George-van-Eps Gretsch-Gitarre ist ebenfalls ein Highlight. Sie hat einen unglaublich schönen Akustikton und für den „Notfall“ noch diese Saite ganz unten. Für die aktuelle Produktion habe ich dann eine Hanika-Gitarre bekommen. Unglaublich, der baut Nylongitarren, die die Welt noch nicht gesehen hat. Absolut der Hammer. Die ist jetzt auch immer auf der Bühne dabei. Es gibt natürlich noch viele mehr, aber das sind die Wichtigsten. Ich habe mir irgendwann schon mal überlegt, ob ich nicht alle meine Gitarren fotografiere und aus den Fotos einen Bildschirmschoner mache. Das Problem ist aber, dass man die Gitarren nicht mehr sehen würde, weil die Fotos so klein sein müssten, damit alle draufpassen.
B: Du hast anfangs erwähnt, dass du inzwischen auch dein eigenes Label hast. Was ist da der Ansatz?
Ich bin auf der Suche nach guter handgemachter Musik. Handgemacht heißt dabei nicht, dass eine Gitarre mit drin sein muss, aber die Leute sollen hinter dem stehen, was sie machen und nicht nur denken „jetzt mache ich mal schnell einen coolen Hit“. Es gibt viel zu viele Musiker, die so denken, obwohl so etwas nicht funktioniert. Ich mag die Labelarbeit und will meine Erfahrungen dort auch einbringen. Ich kenne das Geschäft und habe auch die nötigen Kontakte. Hier im Studio waren schon öfter Bands, die ich dann immer an andere Labels verweisen musste. Jetzt ist alles in einer Hand und ich kann bestimmte, ausgesuchte Sachen, hinter denen ich besonders stehe, auch selbst veröffentlichen.
B: Kommen wir noch zu eurer neuen CD. Ihr habt diesmal mit mehreren Produzenten gearbeitet …
Wir haben uns noch nie für eine Produktion so viel Zeit genommen. Produktionstechnisch haben wir einen Riesenschritt gemacht. Mit mehreren Produzenten zu arbeiteten ist einerseits sehr aufwändig, andererseits macht es sehr viel Spaß, weil du für die Nummern jeweils den Produzenten wählen kannst, der am besten passt. Das Problem war nur, dass die CD bis ein, zwei Wochen vor dem Mixing geklungen hat wie ein Sampler. Es sind viele Songs aus verschiedenen Jahren drauf. „Million Miles“ etwa, unsere zweite Single aus dem Album, gab es vor vier Jahren schon. Damals kamen wir nicht weiter. Jeder sagte, der Song ist klasse, aber irgend etwas fehlte. Deshalb war er weder auf unserem dritten, noch auf dem vierten Album. Erst auf „Reamonn“ hatten wir ihn fertig. Das ist so wie mit einem Rohdiamanten, der noch geschliffen werden muss. „Million Miles“ haben wir vier Mal aufgenommen, weil wir wussten, dass da mehr geht. In Vancouver haben wir den Song dann noch mal komplett neu eingespielt, und das ist auch die Version, die auf der CD ist. Beim Song „Faith“ haben wir am Tag vor dem Mixing noch das Intro umgeworfen! Wir haben geskyped und ich habe dann hier in meinem Studio noch Gitarren eingespielt und über i-disk rausgejagt – es war irrsinnig. Da sitzt du dann da und nimmst eine Gitarre auf, die du selbst enginierst. Vorher hast du drei, vier Monate mit den besten Leuten der Welt aufgenommen, und auf den letzten anderthalb Metern kommst du noch mal runter auf „ich und meine Gitarre“. Irgendwie macht man sich dann schon seine Gedanken: Du reist viel, gibst viel Geld aus und dann merkst du, dass es in deinem eigenen Studio auch geht. Wenn man allerdings das ganze organische Gebilde einer Produktion sieht, dann würde es natürlich auf diese Weise so nicht funktionieren. Das ganze Album wurde dann durch den Mix von Chris Lord-Alge richtig rund und klingt wie aus einem Guss. Insgesamt repräsentiert die CD für mich Reamonn voll auf den Punkt gebracht.
B: Es gab ja einige Probleme im Studio. Wo lagen die?
Das ist jetzt schwer zu erklären … Das Songwriting war eigentlich im November 2007 bereits abgeschlossen und wir wollten aufnehmen. Aber irgendwie hat es sich nicht so angefühlt. Wenn wir mit dem Schreiben fertig sind, können wir es normalerweise nicht mehr abwarten, ins Studio zu gehen. Damals war es so, dass wir 50, 55 gute Songs hatten, aber irgendwie noch der Kick fehlte. Das Gefühl, dass du jetzt ins Studio gehst und etwas ganz Großes machst, war nicht da. Aber wenn du aufnimmst, dann musst du daran glauben, dass es was Besonderes wird. Deshalb haben wir die Aufnahmen immer wieder hinausgezogen. Wir haben uns zwischenzeitlich dann mit unserem amerikanischen Management und tollen Musiker in den USA getroffen. Aber es hat sich letztendlich bis Juli 2008 hingezogen, bis wir die Produzenten gefunden hatten, die uns Mut machten, ins Studio zu gehen.
B: Uwe, wir danken dir für das Gespräch!