PRAXIS
So, dann mal ran an die Bulletten. Ich verfrachte die Lautsprecher an die Hörposition auf massive Stative. Ich schalte an und höre ein leichtes Brummen. Könnte es etwa sein, dass … (Handbuch blätter…) – tatsächlich: Die Acoustic Energy AE22-04 sind nicht magnetisch abgeschirmt! Zwar ist das heute nicht mehr ganz so wichtig wie in Zeiten brutaler Magnetfelder in absoluter Nähe zu Boxen durch Röhrenmonitore, doch war es bei mir das Netzteil eines Mikrofonvorverstärkers, welches ich als Übeltäter ausfindig machen konnte. Nun ja.
Beim Einhören und Ausprobieren erweist sich die LED-Anzeige, über die ich noch unter Details die Nase gerümpft habe, doch als ganz praktisch, denn immerhin bekommt man sofort eine optische Rückmeldung darüber, ob man beim blinden Herumnesteln an der Rückseite der AE den richtigen Knopf gefunden und auch in die gewünschte Richtung gedreht hat. Diese Kritik kann ich also gleich wieder kassieren. Sorry. Weil ich aber so unfassbar fies bin, suche ich mir einfach etwas Neues: Ein bisschen mehr Flexibilität hätte ich angenehm gefunden, so waren mir 3 dB im Bass eigentlich etwas zu viel, zumindest zum Einpendeln hätte ich auch in den Höhen und Mitten gerne eine breitere Möglichkeit an Levels zur Verfügung gehabt. Selbstverständlich kann man die ganze Entzerrerei von Lautsprechern auch insgesamt sehr kritisch sehen – meine Custom-Lautsprecher beispielsweise haben so etwas nicht und haben es auch nicht nötig.
Der Hochtonbereich kommt mir gewohnt vor. Hier wurde meiner Meinung nach zu einem wirklich ordentlichen Chassis gegriffen, welches auch nicht zu engwinklig arbeitet. Um mit den AE zu arbeiten, muss man sich nicht auf einem winzigen Sweet-Spot festnageln, das gilt auch bezüglich der Höhe. Viele Engineers stehen auch mal bei der Arbeit auf, daher ist das nicht unwichtig. Auf der Webseite von Acoustic Energy kann man lesen, die AE22 seien für die Verwendung auf der Meterbridge konzipiert. Ich weiß zwar nicht, ob die Ablagen der wenigen verbleibenden Großpulte wirklich mit AEs bevölkert werden oder schon sind, doch den Effekt, dass die schallharte Fläche eines Pultes oder eines Produktionstisches dem Sound eher zuträglich ist (weil bei der Konzipierung bedacht), konnte ich ebenfalls beobachten. Frei im Raum aufgestellt wirkten sie “unrund”.
Was besonders auf die Gestaltung des Hochtonbereichs zurückzuführen ist, ist die Tatsache, dass man mit den Lautsprechern problemloses Dauerhören durchführen kann. Ich verwende manchmal Aktivboxen mit Air-Motion-Transformer oder sogar Elektrostatenkopfhörer, um wirklich jeden Anstieg und Abfall genau beobachten zu können und auch feinste Texturen zu erkennen. Besonders die Stax-Kopfhörer muss ich aber nach einer Albumlänge wieder abnehmen, denn das Hören damit ist wirklich anstrengend! Der Begriff “ermüdungsfreies Hören”, gerne für eine leere Marketing-Floskel gehalten, stimmt aber voll und ganz, besonders hier. Bitte nicht falsch verstehen: Die AE22 sind keine Weichspüler mit windelweicher Wattewirkung, sondern einfach gut abgestimmt. Besonders Musik mit Streichern oder Stimmensignale mit interessantem Höhenbereich (mal wieder sei auf die CD “Out Of Season” verwiesen) machen wirklich einfach nur Spaß. Damit wären wir eigentlich bei der Aussage, dass man mit den AE22-04 wohl besonders gute HiFi-Lautsprecher gebaut hat. Das gute, alte “Thriller”-Album etwa klingt, als sei es exakt für diese Systeme gemischt worden, was vielleicht auch an den nicht ganz ebenen Mitten und Präsenzen liegt. Darüber, wie sinnvoll Monitore mit solchen “angenehmen” Eigenschaften auf der Meterbridge sind, lässt sich vortrefflich diskutieren. Ich erfreue mich jedenfalls daran, bis zur Rückgabe der Monitore einfach Musik über sie zu hören. Und ja: auch einfach mal nebenbei!
Im Bassbereich arbeiten die Boxen, wie man es aufgrund des Konzepts erwarten kann. Ich muss schon sagen, dass mich Reflexgehäuse oft genug gehörig nerven. Wie oft sind sie schwammig, resonant, bauchig und blubberig, wie oft hat man das Gefühl, dass man den Bass des Gehäuses hört anstatt den des Signals! Tja: Gute Bassreflexsysteme bauen ist eben nicht so einfach! AE haben sehr gut entschieden, keine “Die-sind-aber-klein-und-klingen-doch-so-bassig”-Wunder zu bauen, sondern ein geschlossenes Konzept zu verfolgen, was prinzipiell “weniger” Bass für die Baugröße zur Folge hat. AEs Bässe sind kurz, trocken, unaufdringlich und klar zu fassen. Gerade weil die Resonanzveränderung fehlt, lassen sich auch ordentlich tiefe Signale gut beobachten und einstellen – sie haben allerdings wenig Pegel – aber sie sind da und werden “ehrlich” übertragen. Eine Bassdrum lässt sich bezüglich des Attacks hervorragend und bezüglich des Subbasses noch erstaunlich passabel einschätzen! Bässe (z.B. der von “Wake Up” auf der Mad Season) zeigen, dass auch im Inneren des Gehäuses alles stimmt: Keine Moden machen sich bemerkbar, so soll es sein.
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Für die Mitten gilt das oben Gesagte etwas eingeschränkt. Sie tendieren ganz leicht zum “Dengeln” zwischen 500 und 1500 Hz, damit leider außerhalb der Reichweite der eingebauten Filter. Wie gesagt, ich spreche von Tendenzen! Generell sind die Mitten am wenigsten überzeugend: Hört man “New Noise” von Refused, kann man das gut nachvollziehen, denn die Höhen sind schnell und klar, aber ohne zu beißen, die Bässe aufgeräumt und trocken, die dichten Mitten des Tracks aber – verursacht durch die “schlechtgelaunten” Gitarren – machen der Box durchaus zu schaffen. Das Ganze ist durchaus pegelabhängig, es wirkt hier fast so, als seien der LF-Treiber oder sein Amp mit dem Energiegehalt des Signals überfordert. Bei geringeren Pegeln weist das System aber noch eine absolut hervorragende Impulsfreudigkeit auf! Trotz der etwas störenden Kompression im Mittenbereich bleibt hingegen der Bass jedoch auch kurz vor den Clips noch absolut klar und punchy!
Insgesamt macht das AE22-Pärchen Spaß, doch wollen für mich die Eigenschaften gutmütiger, sehr schöner, unkratziger Höhen, analytisch dargestellter, fast schon schmal-lippig kommentierter Bässe und etwas gedrungenem, nichtlinearen Mittenbereich nicht so recht zu einem Lautsprecher zusammenfinden, den ich für meine Arbeit benötigen würde. Dichtes Pop-/Rock-Material überfordert ihn am Leichtesten, besonders bei etwas höherem Pegel und eben in größeren Räumen. Klassik zu hören, auch große Klangkörper mit breitem Frequenzspektrum, macht hingegen enorm Spaß, wie alles, was etwas “luftiger” ist. Leonard Cohens fast schon dilettantisch gespielte Begleitgitarre und seine ehrliche Stimme machen sich einfach hervorragend auf den 22ern!