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Aftertouch – Ausdruck per Nachdruck

Aftertouch ist die bisher erfolgreichste Erweiterung für eine Synthesizer-Tastatur, da die Druckdynamik dem Tastenspiel klanglich mehr Ausdruck verleihen kann. Dabei ist sie einfacher zu beherrschen als neuere Ansätze wie MPE. Grund genug, diesen zeitlosen MIDI-Controller näher vorzustellen.

Aftertouch – Ausdruck per Nachdruck. (Quelle: Michael Geisel)
Aftertouch – Ausdruck per Nachdruck. (Quelle: Michael Geisel)

Knöpfe und Regler nutzen Keyboarder gerne, auch Pedale für Synthesizer sind eine willkommene Unterstützung beim Spielen. Es existiert jedoch ein spezieller Controller, den man nicht direkt am Instrument sieht und daher auch bei keiner Performance bemerkt: Aftertouch (oder „Pressure“). Überwiegend sind es jüngere Musiker, die gerne an Maschinen schrauben und den Aftertouch weder kennen noch vermissen. Der typische Aftertouch-Anwender ist in der Regel schon ein wenig älter, spielt gerne auf der Tastatur und schätzt die Druckdynamik bei seiner Aktion in einer (Cover-)Band. Schon aus diesem Grund möchten wir vor allem jüngeren Lesern einige Fakten zu dieser etablierten Spielhilfe vermitteln.

Was bedeutet Aftertouch?

Aftertouch ist eine bei vielen Synthesizern verfügbare Funktion, die es dem Spieler ermöglicht, seinem Spiel zusätzliche Ausdrucksmöglichkeiten und Nuancen zu verleihen. In der Funktionsweise erfasst Aftertouch (abgekürzt „AT“ und meist mit „Druckdynamik“ übersetzt) den weiteren Druck, der auf die Tasten ausgeübt wird, nachdem sie angeschlagen wurden. Diesen Nachdruck nutzt man, um beispielsweise unterschiedliche Parameter wie Lautstärke, Filter, Modulation oder Tonhöhe zu steuern. Dabei unterscheidet man zwei Arten von Aftertouch: Channel Aftertouch und Polyphonic Aftertouch. Für viele Keyboarder und Synthesizer-Spieler ist Aftertouch auch eine Alternative zum Modulationsrad. Denn wenn beide Hände mit dem Spielen von Notenpassagen beschäftigt sind, kommt die Druckdynamik entspannend ins Spiel.

Aftertouch gibt es länger als MIDI

Kreative Musiker und Komponisten haben sich fast immer für Tastaturen interessiert, die mehr Ausdrucksmöglichkeiten bieten als eine herkömmliche Orgel- oder Klaviatur. Das bloße Anschlagen und Loslassen von Tasten kann doch nicht alles sein. Deshalb sollte man wissen, dass es bereits vor dem Aufkommen von MIDI schon druckdynamische Keyboards gab: Sie findet man etwa beim ARP Soloist (1973), einer der ersten kommerziell erfolgreichen Preset-Synthesizer. Vangelis schätzte seinen Liebling Yamaha CS-80 (1976), der polyfone Druckdynamik bietet. Der Multimoog (1978) hat Aftertouch zur Steuerung von Filter und Oszillatoren. Sequential integriert im Flaggschiff Prophet-T8 (1983) sogar 76 Holztasten, die auf Anschlagdynamik (Velocity) und auf polyfonen Aftertouch reagieren. Für den Vintage-Sammler sind die Ensoniq-Synthesizer aus den 1980er Jahren ein Tipp. Der Ensoniq SQ-80, VFX oder der TS-10 bieten sogar die polyfone Variante zu günstigeren Preisen. Tatsächlich sind es schon immer exklusivere Instrumente gewesen, die über eine differenziert spielbare Tastatur verfügen.

Zwei Arten: monofoner und polyfoner Aftertouch

Die einfachere und am weitesten verbreitete Form ist der Channel Aftertouch. Das weitere Nachdrücken einer Taste wirkt sich hier immer auf alle Töne gleichzeitig aus. Es ist also nicht möglich, einzelne Töne eines Akkordes per Druckdynamik klanglich hervorzuheben. Genau das funktioniert bei der Luxusvariante, dem polyfonen Aftertouch. Der polyphone Aftertouch erzeugt über Drucksensoren für jede einzelne Taste der Tastatur individuelle Druckwerte. Wie man sich vorstellen kann, sind solche Tastaturen aufwendiger und auch teurer in der Herstellung. Nicht nur Tastaturen, auch Pads (Novation Launchpad und ASM Hydrasynth Desktop) und exotischere Geräte wie Roli Seaboard, Haken Continuum Synthesizer oder LinnInstrument verfügen über polyphonen Aftertouch. Der in 2018 eingeführte MPE-Standard erweitert den polyphonen Aftertouch sogar, indem Controller- und Aftertouch-Werte auf mehreren verschiedenen MIDI-Kanälen übertragen werden. Begrifflich steht MPE für „MIDI Polyphony Expression“ und in ihrer Besonderheit sendet die MPE-Tastatur pro Taste fünf Parameterwerte: Tonhöhe, Velocity, Aftertouch sowie die vertikale und horizontale Fingerposition.

Drei berühmte Fallbeispiele des Aftertouch

Was bringt Aftertouch eigentlich? Klanglich gibt es drei Klassiker, bei denen sich druckdynamisches Spiel auszahlt. Unsere Videos zeigen beispielhaft, was Druckdynamik klanglich bewirkt. Dazu verwenden ein Controller-Keyboard (Studiologic SL 73 Studio) und spielen damit ein Lead-Synth-Preset eines Software-Instruments.

Erster Fall: Pitch-Modulation: Auslösen eines Vibratos bei gehaltenen Noten

Erster Fall: Pitch-Modulation (Video: Matthias Sauer)

Zweiter Fall: Filter-Modulation: Öffnen oder Schließen des Filters

Zweiter Fall: Filter-Modulation (Video: Matthias Sauer)

Dritter Fall: Lautstärke-Modulation: Ab- oder Zunahme des Lautstärkepegels

Dritter Fall: Lautstärke-Modulation (Video: Matthias Sauer)

Das sind drei Ausdrucksmöglichkeiten von Aftertouch, die sich quasi immer bewähren. Natürlich kann man auch mehrere Sound- und Effekt-Parameter gleichzeitig steuern. So werden beispielsweise Filter- und Lautstärke-Werte erhöht und gleichzeitig ein Hall- oder Delay-Effekt intensiviert. Auch sehr extravagante Modulationen kann man realisieren. Die Steuerung von Tonhöhe, Filterfrequenz und Lautstärke ist meist aber der beste Ansatz – weniger ist mehr.

Aftertouch hat praktisch auch Nachteile

Zunächst arbeitet Aftertouch bei vielen Tastaturen leider mechanisch zu grob. Man benötigt schon viel Kraftaufwand für die Klangsteuerung. Es kommt keine subtile oder lineare Modulation zustande – es ist praktisch mehr ein „Afterswitch“ als Aftertouch. Dies schreckt so manchen Keyboarder ab, Spielspaß geht anders. Auch zwei weitere Dinge lassen die Druckdynamik im Vergleich zum Modulationsrad schlechter aussehen: Erstens kann man nicht so einfach einen stabilen Modulationswert halten (anders als eben bei einem Handrad, Dreh- oder Schieberegler) und zweitens startet man immer bei Wert Null. Anders als etwa beim Pitchbending, wo man den Ton schon beim Anschlagen moduliert. Versehentliches Auslösen von Aftertouch durch zu heftiges Anschlagen der Tasten ist ein weiteres Manko. Wer allerdings mit einem Sequenzer (Hardware oder DAW) arbeitet, kann solche unnötigen Daten vorab filtern oder nachträglich löschen. Übrigens: Wer mit dem Aftertouch spieltechnisch nicht klarkommt, sollte ein Schweller-Pedal (Volume/Expression) probieren, so etwa zur Dynamik-Kontrolle.

Aftertouch als MIDI-Controller einsetzen

Aftertouch ist eine Spielhilfe und erzeugt MIDI-Events, die zusammen mit den gespielten MIDI-Noten in einer DAW aufgenommen werden können. In der Eventliste erkennt man drei Parameter für Aftertouch-Events:

  • Kanal: hier erscheint der MIDI-Kanal 1–16
  • Nummer: man sieht ein leeres Feld, es gibt nur ein Datenbyte
  • Wert: das ist der jeweilige Druckwert
Aftertouch: MIDI Events
Fotostrecke: 3 Bilder So erscheint Aftertouch in der Event-Liste einer DAW (hier Apple Logic Pro X).

Im Gegensatz zum Pitchbend- oder Modulationsrad ist Aftertouch kein universeller Controller und daher auch nicht in der General-MIDI-Spezifikation enthalten. Für die Bearbeitung dieser Daten ist ein luxuriöser Piano-Rollen-Editor wesentlich komfortabler als die Event-Liste. Mit der Maus können nachträglich dynamische Kurven gezeichnet werden. Wer ganz auf Druckdynamik verzichten möchte, sollte den MIDI-Eingangsfilter seiner DAW verwenden. Nur so stellt man sicher, dass die eingespielte Sequenz keine unnötigen Daten enthält. Gerade polyphoner Aftertouch ist recht datenintensiv.

Schauen wir uns noch ein Video zur MIDI-Event-Darstellung an. Zuerst sieht man die Aktion am Keyboard, danach das Ergebnis im Editor der DAW:

Erzeugen von Aftertouch-Daten am Keyboard, gefolgt vom Ergebnis im Editor der DAW. (Video: Matthias Sauer)

Das meint Pianist und Keyboarder Andreas Gundlach zum Thema Aftertouch

„Ich selbst war Ende der 90er Jahre sehr an polyphonem Aftertouch interessiert und hatte damals einen GEM S3 und einen Ensoniq SQ80. Heute verwende ich noch den Ensoniq TS-10. Bei Bläsersätzen kann ich das „Shake-Vibrato“ nur der höchsten Trompete zuordnen, wenn ich Akkorde greife und nur den kleinen Finger stärker drücke. Oder ich imitiere solistisch die Spielweise der Bluesgitarristen – eine Saite halten und die Nachbarsaite „benden“. Dazu braucht man den polyphonen Aftertouch.“

Pianist und Keyboarder Andreas Gundlach. (Quelle: Andreas Gundlach)
Pianist und Keyboarder Andreas Gundlach. (Quelle: Andreas Gundlach)

Den Channel Aftertouch verwende ich für Vibrato oder Pitchbending. So soliere ich mit einer Hand und habe die andere für Begleitakkorde frei. Allerdings: Wenn ich im Fortissimo spiele, löse ich dabei manchmal versehentlich die Modulation aus. Das kann bei experimentellen Sounds sehr reizvoll sein, aber das gehört selten zu meinem Repertoire. Beim Korg Pa5X nutze ich Aftertouch hauptsächlich für Vibrato bei Solos – bei Pads kann ich beispielsweise zwecks fetterem Sound über Aftertouch eine Oktavlage höher mit einmischen.“

Hinter den Kulissen: Einstellungen für Aftertouch treffen

Leider gibt es selten die Möglichkeit, den Aftertouch der Tastatur detailliert einzustellen oder zu kalibrieren – so wie beim ASM Hydrasynth. Dies kann jedoch durch geschickte Klangprogrammierung teilweise kompensiert werden. Tatsächlich kann man relativ frei entscheiden, welche Klang- oder Effektparameter gesteuert werden sollen. Vor allem Synthesizer mit einer Modulationsmatrix lassen praktisch keine Wünsche offen. So kann die Druckdynamik per Matrix vielen Parametern zugeordnet werden, denn Effekt- und Klangparameter sind längst nicht alles. Teilweise können auch Arpeggiator– oder Sequenzer-Funktionen gesteuert werden. Man sollte aber realistisch bleiben: In den Basisparametern wie Lautstärke, Tonhöhe oder Filterfrequenz steckt meistens die größte Ausdruckskraft.

Modulationsmatrix.
Fotostrecke: 2 Bilder Viele digitale Hardware-Synthesizer und Software-Instrumente bieten einen Modulationsmatrix. So auch der Sampler von Apple Logic Pro X.

Aftertouch ist ein Kriterium beim Kauf eines Synthesizers

Kann man von jedem Synthesizer Aftertouch erwarten? Nicht wirklich, der Anspruch korreliert mit dem Preis, denn eine AT-fähige Tastatur ist einfach teurer. Bei günstigeren Synthesizern sollte man deshalb ein Auge zudrücken. Dazu gehört beispielsweise das Korg-Trio Wavestate, Modwave und Opsix. Diese können aber Aftertouch-Daten empfangen. Yamaha setzt hier klare Grenzen: Montage kommt mit einem AT-fähigen Keyboard, während es bei den günstigeren MODX-Modellen fehlt. Enttäuschend ist, dass Clavia beim Nord Lead 4 und A1 keine druckdynamische Tastatur anbietet. Bei solchen Performance-Geräten darf man zumindest einen Channel-Aftertouch erwarten. Eine Ausnahme bildet hier das Nord Lead 3, auch das Nord Wave 2 und das Nord Stage 4 bieten Aftertouch. Wer Performance-orientiert spielt, sollte schon vor dem Kauf die technischen Daten des Synthesizers oder (Controller-)Keyboards studieren. Bei einer gewichteten 88er-Piano-Tastatur wird man selten den Wunsch haben, die Sounds per Druckdynamik spielen zu wollen, aber auch diese können über diese Funktion verfügen.

Aktuelle Tasteninstrumente mit Aftertouch

Betrachtet man die aktuelle Synthesizer-Landschaft, so sticht ein Synthesizer besonders hervor: ASM Hydrasynth. Alle vier Modelle (Keyboard, Desktop, Deluxe und Explorer) unterstützen polyphone Druckdynamik sowie MPE. Dieser kann dediziert eingestellt werden, wofür intern Dynamikkurven und weitere Parameter wie Aftertouch-Delay oder Fade zur Verfügung stehen.

ASM Hydrasynth Synthesizer
Fotostrecke: 2 Bilder Ein AT-Könner unter den digitalen Synthesizern ist der ASM Hydrasynth. Bei ihm lässt sich die Druckdynamik sensibel justieren.

Auch unter den preisgünstigen Synthesizern finden sich einige Exemplare: So lässt sich die Tastatur des Arturia MiniFreak dynamisch spielen und die Druckdynamik relativ übersichtlich über eine Modulationsmatrix programmieren. Erfreulicherweise bieten die allermeisten Synthesizer im oberen Preissegment zumindest einen Channel-Aftertouch. Bei den Top-Arranger-Keyboards bekommt man natürlich auch hochwertige Tastaturen unter die Finger. So natürlich beim Yamaha Genos und Korg Pa5X. Die jeweilige Produktbeschreibung im Online-Shop gibt eigentlich immer Auskunft darüber, ob die Tastatur über Aftertouch verfügt oder nicht. Die polyphone Version wird jedoch explizit erwähnt.

Weitere Video-Beispiele aus der Praxis mit der ATFunktion

Der ASM Hydrasynth bleibt auch in der Desktop-Version dynamisch, denn seine 24 Pads ermöglichen sogar polyfonen Aftertouch. Dies demonstrieren wir anhand eines Preset im Vangelis-Style.

ASM Hydrasynth Desktop. (Video: Matthias Sauer)

Polyfonen Aftertouch bietet erst recht der MPE-Controller Roli Lumi. Angespielt wird ein Sound des mitgelieferten Software-Synthesizers Equator.

Roli Lumi Controller. (Video: Matthias Sauer)

Aftertouch nur bei Synthesizern? Mitnichten! Für Spieler von Arranger-Keyboards ist Druckdynamik ebenso wichtig wie praktisch. Hier drückt man mit der linken Hand Akkorde (als einfache Fläche oder zur Begleitautomatik) und kann mit der anderen Spielerhand spontan ein Vibrato hinzufügen.

Korg Pa5X Arranger-Keyboard. (Video: Matthias Sauer)

Zum Schluss

Wie praktisch alle Spielhilfen ist auch der Aftertouch eine sinnvolle Option, da das Spiel auf einer druckdynamischen Tastatur eines Synthesizers oder Controller-Keyboards an klanglicher Ausdruckskraft gewinnt. Im Vergleich zu einem MPE-Controller und alternativen Spielhilfen lässt sich der Aftertouch einfach praktisch erschließen. Dennoch muss man sich mit dieser Technik anfreunden, auch ein wenig programmieren wollen und die leider meist grobe mechanische Umsetzung bei vielen Synthesizern akzeptieren. Die Druckdynamik bietet sich vor allem für den Live-Einsatz an, während im Studio andere Möglichkeiten zur Eingabe und Bearbeitung von MIDI-Daten zur Verfügung stehen. Es bleibt zu hoffen, dass die Hersteller in Zukunft öfter hochwertige Synthesizer mit AT-Keyboard auf den Markt bringen. Im Idealfall verfügen diese über zahlreiche Factory Presets, die bereits optimal auf das druckdynamische Spiel mit Aftertouch vorbereitet sind.

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