Praxis
Nix Plastik! Das eisblau gebürstete Mikrofon liegt schwer und wertig in der Hand, die Verarbeitung – auch die des Speiseteils – wirkt ordentlich. Das Vorurteil “China” scheint also erst einmal nicht zu greifen. Bezüglich der Materialien und Fertigungsgenauigkeiten sollten die chinesischen Autohersteller eventuell auch einmal Spione in die Fabrik entsenden, die dieses Mikrofon hergestellt hat. Auch am Speisenetzteil gibt es nichts zu mäkeln. Ob die gebürsteten Oberflächen und die Farben als “edel” oder “überdesignt” angenommen werden, darf jeder selbst entscheiden. Ich persönlich mag den kühlen “Badezimmer-Look” derartiger Audiogeräte nicht sonderlich, aber ich habe auch eine ausgeprägte Liebe zu echtem Vintage und zurückhaltender Zeitlosigkeit (à la Wagenfeld oder Jacobsen). AKGs Spinnen können ebenfalls als “Soll” herhalten, das zum “Ist” einiger anderer Hersteller eine doch oft recht hohe Differenz aufweist: Sie sind leicht, funktionell und haltbar. Doch was sollen diese Anmerkungen, es geht schließlich bei einem Mikrofon in erster Linie um Wesentlicheres, den Sound!
Nix Plastik! Auch diesen Absatz kann ich getrost so anfangen, denn das 820 Tube klingt definitiv nach einem echten Röhrenmikrofon! Es “drückt” das Signal ein wenig mit sanfter Pegelkennlinie, fügt bei höherpegligen Signalen zunehmend deutlich Harmonische hinzu, die jedoch schnell genug mit einer Signalspitze wieder verschwinden, um nicht ungewolltes Schmieren hinzuzufügen. Daher wird auch transientenreiches Material –hörbar vor allem an den S- und T-Lauten – ohne Zerstörung übertragen. Dies ist im Allgemeinen ein Hinweis auf eine hochwertige Kapsel und eine durchdachte Schaltung ohne viel Firlefanz. Angenehm ist zudem die geringe Popp-Anfälligkeit des Schallwandlers, die Sängerin musste für das File schon annähernd forciert P-Laute erzeugen (Aufnahmen ohne Popp-Filter). Das Vocal-File bei Nierencharakteristik bestätigt das Frequenzgang-Diagramm. Die sanfte Anhebung der Präsenzen und des Bereichs um die 12 kHz steht den meisten Vocals sehr gut. Dadurch eignet sich das Perception im Nierenbetrieb vor allem für die Aufzeichnung der menschlichen Stimme.
Für manche Instrumente mag dies etwas kontraproduktiv sein, doch geht das 820 moderat zu Werke – nichts, was sich nicht mit einem ordentlichen EQ (falls gewünscht) wieder ausgleichen ließe. Wer von mir etwas pauschaler eine Aussage zur “Wärme” dieses Mikrofons haben möchte, dem kann ich sagen: “Ja, ist da.” Das liegt allerdings nicht zuletzt am Frequenzgang des Mikros. Wenn man aber den Pad-Schalter betätigt, ist sie sogar etwas deutlicher als bei manchem anderen Röhrenmikrofon, aber eben ohne viele oft ungewünschte oder in vielen Situationen unpassende Nebeneffekte. Von “Vintage-Charakter” möchte ich hier aber nicht sprechen, denn dafür ist das Mikrofon dann doch zu offen, zu schnell, zu modern und zu brillant.
Für dich ausgesucht
Die unterschiedlichen Klangcharakter würde ich mir gerne noch extremer wünschen. Wäre das Pad noch eine Schippe “heißer” gefahren, würde man mit dem 820 bei Bedarf einen richtigen Soundmacher haben. Das summierte Signal der beiden Nierenkapseln – die Kugel also – verhält sich erwartungsgemäß, der nach Polardiagramm recht späte Einbruch der Charakteristik-Konstanz hat in der Praxis keinerlei wesentliche Effekte – andere Mikros verhalten sich mehr oder weniger gleich. Die Delle unterhalb von 5 kHz ist zu verschmerzen. Manchen Signalen tut eine Abschwächung hier sogar recht gut (dem Altsaxophon etwa), anderen fehlt dadurch etwas Biss. Die Acht ist eine Acht, wie sie sein sollte: „eckig“ und präsent. Die akustischen Einflüsse der Kapsel selbst wirken erst bei enorm hohen Frequenzen auf den Frequenzgang, sodass die angegebene Konstanz der Empfindlichkeit auch tatsächlich erreicht wird. Für eine stark präsente Stimme, die dennoch ausreichend luftig ist, ist die Acht nicht nur bei diesem Mikrofon mein Favorit für Gesang – vor allem bei Raps.
Hans sagt:
#1 - 29.11.2014 um 01:02 Uhr
Hallo,Vielen Dank für den Test.Welches AKG 414 war denn damals genau das Vergleichsmodell, es gibt ja mehrere davon (z.B. TLII oder XLS u.a.)
...falls das noch jmd sagen könnte, wäre es toll ;)Danke, Hans
Nick (bonedo) sagt:
#2 - 29.11.2014 um 01:18 Uhr
Hallo Hans,da musste ich tatsächlich etwas in meinem Hirn kramen, aber ich hab's gefunden: Das ist das C 414 XL II gewesen. Der Test zu diesem wiederum ist hier zu finden: http://www.bonedo.de/artike...Beste Grüße,
Nick
Hans sagt:
#3 - 01.12.2014 um 18:31 Uhr
Vielen Dank für die schnelle Antwort!Gibt es denn zufällig Erfahrungen eurerseits mit dem 820 Tube an lauten Quellen (klassischer Gesang, Flügel) - bleibt es da verzerrungsfrei?
An sich gefällt mir sehr gut, was hier und anderweitig im Netz zu dem Mic zu hören ist.Grüße, Hans
Nick (bonedo) sagt:
#4 - 04.12.2014 um 13:51 Uhr
Hallo Hans,das Mikrofon bleibt sehr lange – also auch bei hohen Pegeln – konstant in seinem Klangverhalten. Das macht es natürlich eher schwer, ihm stärkere Färbung zu entlocken, ist aber für genannte Anwendungen sicher vorteilhaft. Andererseits werden für klassische Stimmen und Flügel im Regelfall Kleinmembran-Kondensatormikrofone benutzt. Diese besitzen aufgrund der kleineren Kapseldurchmesser vor allem eine bessere Höhenwiedergabe. Schau doch mal in unseren Testmarathon mit 42 Mikros im Vergleich: http://www.bonedo.de/artike... Aber natürlich kann man auch mit GMK-Mikrofonen hervorragende Ergebnisse erzielen.Beste Grüße,
Nick
Rasmuse sagt:
#5 - 01.11.2022 um 21:47 Uhr
Hey, hatte mich erst sehr gefreut zu lesen, das auch Sax-Samples als Hörbeispiel angeboten werden. Leider hat da hat ein Hobbysaxophonist mit einem nicht sonderlich guten Horn und einem mittelmäßigen Ansatz einspielen dürfen. Das klingt mit keinem Mikro gut. Der Mehrwert ist dann eher gering
Nick Mavridis sagt:
#5.1 - 02.11.2022 um 08:48 Uhr
Hi Rasmuse, da hast Du vollkommen Recht. Der Hobbysaxophonist (und sogar noch nicht einmal das…) war ich und das Altsax ein uraltes, servicebedürftiges Voss. Und was Du da in einem zwölf Jahre alten Test feststellst, ist genau der Grund, weshalb ich seither auf derartige Soundbeispiele verzichte. Mit Saxophon, Trompete, Gitarre und andere Instrumente teste ich zwar meist die Mikrofone, erspare aber den Lesern die Kunstwerke und mir die Blöße. Beste Grüße und "Gut Blatt" (oder wie sagt man?) Nick Mavridis
Antwort auf #5 von Rasmuse
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