Viele Livekonzerte finden heutzutage bereits ohne Verstärker und Boxen auf der Bühne statt. Stattdessen setzt man auf Modelling-Amps und In-Ear-Systeme. Auch beim Thema Homerecording und in vielen professionellen Tonstudios spart man sich häufig den Aufwand des Mikrofonierens und setzt lieber gleich Software zur Amp- und Boxensimulation anstelle des originalen Vorbildes ein. Aber hört man heutzutage eigentlich noch einen Unterschied zwischen dem analogen Vorbild und der digitalen Nachbildung? Die Grundlage unseres heutigen Klang-Blindtests ist ein Vergleich von ein und demselben Setup – nur eben zum einen der echte mikrofonierte Amp mitsamt Box und zum anderen die gleiche Kombination als Software.
- Kontrahenten: Orange AD200 mit 8×0-Box gegen IK Multimedia Amplitube
- Analog vs. digital: Pros & Cons
- Analogie beim Thema “digitale vs. analoge Fotografie”
- Wo bleibt der Rock’n’Roll?
- Analog vs. Digital: Audio-Blindtest
- Audiovergleich Clean-Sound
- Audiovergleich mit mehr Gain
- Blindtest im Video
- Auflösung und Fazit: Analog vs. digital – was klingt besser?
Kontrahenten: Orange AD200 mit 8×0-Box gegen IK Multimedia Amplitube
Damit die Sache ein fairer Kampf wird und auch wirklich aufschlussreich ist, habe ich mich bemüht, dass das verwendete Equipment und die verwendete Software so identisch wie möglich sind. Meine Damen und Herren, hier sind unsere zwei Kontrahenten:
Analoges Equipment:
- Orange AD200 MkIII 200 Watt Vollröhrenamp
- Orange 8x10er Box geschlossene Konstruktion ohne Hochtonhorn
- Klon eines Vintage AKG C 414 Großmembran-Mikrofons
Digitale Software:
- Emulation eines Orange AD200 MkIII 200 Watt Vollröhrenamps
- Emulation einer Orange 8x10er Box geschlossene Konstruktion ohne Hochtonhorn
- Emulation eines Vintage AKG C 414 Großmembranmikrofons
Die verwendete Software ist das Amplitube-Plugin von IK Multimedia Amplitube (“Custom Shop”-Version; Amps, Boxen, Mikros können hier einzeln erworben werden)
Testbass:
Als Instrument kam ein Lakland Jazz Bass mit Ahorngriffbrett zum Einsatz – beide Pickups und die Tonblende waren 100% geöffnet.
Keine weiteren Effekte oder Mikros (Raum etc.) fanden Verwendung. Der zu hörende Sound besteht aus jeweils 50% Mikrofon und 50% D.I.-Signal des Amps. Abstand und Positionierung des Mikrofons sind so identisch wie möglich. Natürlich sind auch alle Einstellungen am Amp für das jeweilige Soundbeispiel gleich. Ein 100%iger 1:1-Vergleich ist logischerweise nie möglich, aber immerhin kommen wir hier der Sache schon sehr nahe.
Mitunter meint man Unterschiede in der Lautstärke wahrzunehmen. Die Pegel beider Signale habe ich aber bestmöglich aneinander angeglichen. Es handelt sich also eher um ein subjektives Empfinden, da sich Frequenzverlauf oder Dynamikumfang zuweilen unterscheiden.
Analog vs. digital: Pros & Cons
Kommen wir zu den Pros und Cons der beiden Kontrahenten – nicht als Wertung zu verstehen, sondern lediglich eine Liste der wichtigsten Aspekte. Ganz vorne rangiert da natürlich der Preis, denn die von mir genutzte Software kostet gerade mal etwa 50,- Euro! Wenn man hier zuschlägt, besitzt man zwar nur einen einzigen Amp, eine Box und ein Mikro, aber wenn man genau dieses spezielle Setup sucht, muss man auch nicht mehr ausgeben. Für einen echten Vollröhren-Amp nebst Box plus Mikro werden hingegen auf einen Schlag mehrere Tausend Euro fällig – im Falle des hier verwendeten Setups ca. 4500,- Euro Neupreis!
Das ganze analoge Equipment ist natürlich auch groß und schwer und möchte irgendwo untergebracht werden. Ist in den eigenen vier Wänden oder im Proberaum nicht gerade Platz im Überfluss vorhanden, kann das schnell ein Problem darstellen.
Hinzu kommt auch das Thema Lautstärke: Kann man nicht gerade auf den Luxus eines eigenen freistehenden Hauses zurückgreifen, ist ein aufgedrehter Röhrenamp der schnellste Weg zum einem Besuch der Polizei!
Einen Amp plus Box gut abzunehmen kostet zudem Zeit und Energie und setzt einiges an Fachwissen bzw. Erfahrung voraus – und auch ein entsprechend akustisch geeigneter Raum ist sinnvoll. All das entfällt bei der digitalen Variante. Ist bei einem Job nicht gerade viel Geld im Spiel, sind Zeit und Effizienz schon wichtige Faktoren!
Softwarebasierte Lösungen erlauben es dem User zudem, in der “Post Production” jederzeit den Sound noch nachträglich zu verändern und ggf. neuen Bedingungen anzupassen. Fällt einem z.B. im Lauf des Mixens ein, dass man lieber doch mit weniger Verzerrung arbeiten möchte, so kann man den Verzerrungsgrad jederzeit anpassen.
Der letztgenannte Aspekt kann aber auch ein Nachteil sein: Nimmt man mit der traditionellen Methode auf, so muss man sich entscheiden, welcher Sound der beste für einen speziellen Song ist. Dies setzt einen längeren kreativen Prozess voraus. Man muss sich im Vorfeld ganz anders mit der Materie auseinandersetzen, da die Möglichkeiten in der “Post Production” deutlich limitierter sind. Software schafft eine gewisse Beliebigkeit, denn man weiß, dass man ewig daran herumschrauben kann, bis einem irgendwas gefällt. Das führt meist dazu, dass man sich auch weniger Gedanken um den passenden Sound macht.
>>>In diesem weiterführenden Workshop bekommst du Tipps zur Wiederbelebung alter Basssaiten!<<<
Analogie beim Thema “digitale vs. analoge Fotografie”
Anhand eines Vergleichs mit dem Thema “analoge Fotografie” lässt sich diese Problematik noch besser darstellen: Richtige Filme kosteten Geld, ebenso wie deren Entwicklung. Zudem war die Anzahl der Bilder eines Films begrenzt.
Folglich überlegte man sich in der Regel ganz genau, warum man welches Motiv bei welchen Lichtverhältnissen fotografieren wollte. Man musste eine kreative Entscheidung treffen, denn Beliebigkeit konnte teuer werden. Heute hingegen kann man mit seinem Handy Tausende Fotos machen, die nichts kosten: Irgendeine gutes Bild wird dann schon dabei sein. So verhält es sich oft auch mit Software-Lösungen in der Musik!
Wir alle interagieren mit unserem eigenen Sound, ein guter Sound inspiriert uns, bringt uns auf neue Ideen und lässt uns teilweise völlig andere Dinge spielen. Auf Deutsch: Der Sound beeinflusst unsere Performance! Mit einem guten Amp im Rücken spiele ich persönlich besser als mit einem cleanen D.I.-Signal, welches ich nur über Kopfhörer höre, da ich nicht vom Sound inspiriert werde (zumindest nicht im gleichen Maße).
Wo bleibt der Rock’n’Roll?
Meine persönliche Erfahrung ist es, dass ich mit einem potenten Amp mit entsprechender Lautstärke deutlich weniger spiele, da der Ton an sich viel stabiler ist und den ganzen Raum einnimmt. Ist dies nicht der Fall, neigt man gerne dazu, den Raum durch mehr Noten füllen zu wollen!
Musik ist Schall und Schall ist bewegte Luft. Das authentischste Verfahren, Musik einzufangen, ist also das Mikrofon, welches den originalen Sound der Performance einfängt. Möchte man also so authentisch wie möglich sein, führt daran kein Weg vorbei.
Zu guter Letzt ist da aber auch noch der “Rock’n’Roll-Faktor”: Amps und Boxen auf der Bühne oder im Studio sind nun mal einfach sexy und besitzen eine gewisse Ausstrahlung und Autorität. Die hat Software definitiv nicht! Wie gesagt, hier geht es nicht um eine Wertung, sondern nur um eine Liste der wichtigsten Pros und Cons, über die jeder sich seine eigenen Gedanken machen kann.
Analog vs. Digital: Audio-Blindtest
Kommen wir aber zum entscheidenden Faktor: dem Sound. Gibt es hier Unterschiede? Und wenn ja: wie groß oder klein sind diese? Sind es nur geschmackliche, oder auch qualitative Unterschiede? Und vor allem: Hört man diese Unterschiede auch noch im einem Mix mit anderen Instrumenten?
Wichtige Info: Beide Signale würde man in einer richtigen Produktion noch mit Equalizer und Kompressor bearbeiten, um sie besser in den Mix einzubetten, sprich: den Drums und den Gitarren anzupassen. Darauf habe ich hier natürlich verzichtet.
Tasten wir uns in den nachfolgenden Klangbeispielen langsam vom isolierten Basssignal zum vollem Mix vor. Um Vorurteile auszuschließen, verrate ich erst einmal nicht, bei welchem Beispiel was zu hören ist. Eine gute Abhöre oder Kopfhörer sind dafür natürlich sehr sinnvoll.
Die Lösung verrate ich euch am Schluss dieses Artikels.
Audiovergleich Clean-Sound
Audiovergleich mit mehr Gain
Blindtest im Video
Treiben wir es mit dem Blindtest noch etwas weiter und bringen die Macht der Bilder ins Spiel. Die Lösung gibt es am Ende des Videos.
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Mehr InformationenAuflösung und Fazit: Analog vs. digital – was klingt besser?
Dies kann natürlich kein genereller Vergleich zwischen beiden Welten sein, sondern nur ein Vergleich zu einem spezifischen Anbieter. Hier gibt es sicherlich auch Unterschiede zwischen diversen Herstellern. Ich habe hier aber bewusst auf eine Software zurückgegriffen, welche bezahlbar ist und keine proprietäre Hardware oder veraltete Technologien (Dongles etc.) benötigt. Sie wäre also für jedermann erschwinglich, innerhalb vom Minuten verfügbar und ohne weitere Investitionen einsatzbereit.
Eine Bewertung des Ganzen überlassen wir euch, da dies jeder für sich nach dem individuellen Geschmack, den Anforderungen, räumlichen Begebenheiten etc. entscheiden darf. Über eure Kommentare unter diesem Artikel würden wir uns natürlich freuen!
Ach ja, es fehlt natürlich noch die Auflösung für das Audiofile-Rätsel. Diese lautet: A = Amp, B = Software – habt ihr richtig geraten?
Bis zum nächsten Mal, euer Thomas Meinlschmidt