Praxis
Oszillator
Nach einem Kaltstart muss man dem MicroBrute zunächst einige Minuten Aufwärmzeit gönnen, bis die Schaltkreise die Stimmung halten. Analogliebhaber nehmen das natürlich gern in Kauf, denn es ist der untrügliche Beweis, dass wir es hier tatsächlich mit einem analogen Synthesizer zu tun haben. Heutzutage weiß man das ja manchmal gar nicht mehr so genau. Ist der Synth dann auf Touren gekommen, so hält er die Stimmung äußerst zuverlässig.
Hier zunächst die drei „nackten“ Schwingungsformen des Oszillators bei ganz geöffnetem Filter:
Das klingt schon mal ziemlich gut. Alle drei Schwingungsformen können gleichzeitig verwendet und gemischt werden. Zusätzlich bietet jede Schwingung eine modulierbare Shaping-Funktion. Beim Sägezahn ist das der sogenannte „Ultrasaw“, der aus zwei zusätzlichen Sägezahnschwingungen besteht, die mit einem Poti hinzugemischt werden können. Indem man eine Modulationsquelle – in der Regel den LFO – in die „Saw“-Buchse auf dem Patchfeld patcht, lassen sich diese Kopien in der Tonhöhe modulieren, was dann Unison-artige Schwebungen zur Folge hat. Der größere MiniBrute besitzt zu diesem Zweck einen weiteren, dezidierten LFO, der beim Micro leider eingespart wurde. Hier muss man den Haupt-LFO für die Ultrasaw-Modulation opfern. Und so klingt es:
Beim Rechteck gibt es einen Regler für die manuelle Einstellung der Pulsbreite. Über eine Patch-Verbindung lässt sie sich per LFO oder Hüllkurve modulieren.
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Beim Dreieck wartet der geheimnisvolle „Metalizer“, eine Art Fluxkompensator mit enorm hohem Warp-Faktor. Er „faltet“ die Schwingung und erzeugt obertonreiche, metallische Spektren, die für bissige, durchsetzungsfähige Klänge sorgen und manchmal fast nach einem digitalen Synthesizer klingen (das ist hier ausdrücklich positiv gemeint!). So klingt es, wenn man das „Metalizer“-Poti langsam aufdreht:
Der Metalizer ist zu Modulationszwecken mit der Envelope verbunden, ohne dass man dafür eine Steckverbindung herstellen müsste. Das heißt, er wird von der Hüllkurve beeinflusst, wenn man in der EG-Sektion den „ENV Amt“-Regler aufdreht. Wird in eine der betreffenden Patch-Buchsen ein Kabel gesteckt, so wird diese Verbindung unterbrochen und man kann den Metalizer z.B. auch per LFO modulieren. Hier ein Beispiel dafür, was man allein mit Metalizer und Hüllkurve so alles machen kann. Dieser Sound kommt nur von der Dreieckschwingung – Filter, „Brute Factor“ und alles andere haben wir noch gar nicht angefasst.
Overtone
Ganz links in der Oszillatorsektion warten die beiden Potis der „Overtone“-Abteilung, die beim MicroBrute an die Stelle des Suboszillators des MiniBrute tritt. Dahinter verbirgt sich eine Rechteckschwingung, die bei ganz nach links gedrehtem Poti „Sub > Fifth“ eine Oktave unter dem VCO klingt. Der Sub des MiniBrute bietet auch eine Sinusschwingung und eine zweite Oktave – auf beides muss man hier verzichten. Stattdessen kann „Overtone“ auch eine Quinte über dem VCO klingen und man kann per Poti oder LFO/EG-Modulation auf das Verhältnis zwischen tiefer Oktave und Quinte Einfluss nehmen. Heraus kommen Klänge, die man einem „normalen“ Suboszillator eben nicht entlocken kann.
Im nächsten Beispiel ist nur die Overtone-Sektion zu hören, die drei anderen VCO-Schwingungsformen sind aus. Per Poti und LFO wird „Overtone“ moduliert. Das ist nun wirklich mal ein Sub der etwas anderen Sorte und eine echte Bereicherung. In Kombination mit den anderen Schwingungsformen erweitert „Overtone“ die klanglichen Möglichkeiten jedenfalls beträchtlich und sorgt dafür, dass das Klangmaterial trotz des Fehlens eines zweiten, “richtigen” VCO nicht so bald zu Ende geht.
Filter
Verlassen wir nun die Oszillator-Abteilung und werfen einen Blick auf das Filter. Schon beim MiniBrute machte Arturia hier einiges anders als die meisten anderen Hersteller moderner Analogsynthesizer und baute eben nicht zum hundertsten Mal das Moog-Filter nach. Stattdessen haben die Brute-Synths ein Multimodefilter nach Art des heute kaum bekannten Steiner-Parker Synthacon, der in der Synthesizergeschichte eine Randnotiz blieb. Das resonanzfähige Filter weist eine Flankensteilheit von 12dB/Okt. auf und bietet beim MicroBrute die Typen Tiefpass, Bandpass und Hochpass. Hier ein paar Filterfahrten mit einer Sägezahnschwingung und verschiedenen Resonanz-Einstellungen:
Der Sound ist schon ein anderer, als man ihn von all den Ladder-Imitaten gewohnt ist. Mit der eher flachen Flankensteilheit packt das Filter bei moderater Resonanz nicht ganz so entschlossen zu. In der Selbstoszillation kreischt es manchem hingegen vielleicht ein bisschen zu rüpelhaft. Ganz so kultiviert und seidig wie etwa bei einem Moog geht es hier jedenfalls nicht zu, aber das macht das Filter meiner Ansicht nach nicht unbedingt schlechter. Es trifft sicherlich nicht jeden Geschmack und so mancher knackige Synth-Bass würde zweifelsohne von einer höheren Flankensteilheit profitieren – ich persönlich mag es aber und finde vor allem toll, dass jemand mal ein Filter baut, das einfach ein bisschen anders ist. Wie beim Oszillator geht Arturia hier einen eigenen Weg und versucht nicht einfach, Bewährtes zu kopieren. Gerade von einem Hersteller, dessen Name so untrennbar mit Software-Imitaten von Synthesizerlegenden verbunden ist, hätte man so viel Eigenständigkeit gar nicht erwartet.
Hinter dem namensgebenden „Brute Factor“ verbirgt sich ein Feedback-Loop, der den Sound bei moderaten Settings etwas aufrauht. Bei stärker aufgedrehtem Poti treten teils heftige Verzerrungen auf den Plan. Dabei hat der „Brute Factor“ schon leicht grenzdebil-gewalttätige Züge und besonders in Kombination mit viel Resonanz führt sein Einsatz häufig zu gänzlich unerwarteten Ergebnissen und einer ordentlichen Portion Chaos.
Modulationen
Der LFO bietet die Schwingungsformen Dreieck, Sägezahn (fallend) und Rechteck und lässt sich auf Wunsch zum Sequencer und damit auch zu einer MIDI-Clock synchronisieren. Im Sync-Modus steuert das Rate-Poti den Notenwert im Verhältnis zur Clock. Wenn im Patchfeld kein Kabel in der LFO-Buchse steckt, beeinflusst der LFO die Tonhöhe. Mittels Patch-Verbindungen kann man ihn alternativ auf den Filter-Cutoff, die Pulsbreitenmodulation, den Metalizer, „Supersaw“ oder die Sub-Fifth-Überblendung routen. Die Stärke der Modulation wird durch das Amount-Poti bestimmt und lässt sich dem Modulationsrad zuweisen. Dieses kann wahlweise auch direkt den Filter-Cutoff steuern. Damit sind die LFO-Intensität und der Cutoff zugleich die einzigen unmittelbaren Klangparameter, die ohne Zuhilfenahme eines MIDI-to-CV-Konverters von außen per MIDI beeinflusst werden können.
Die ADSR-Envelope ist fest mit dem Filter-Cutoff verdrahtet, wo sie über ein Poti positiv oder negativ zum Einsatz kommen kann. Steht der VCA-Schalter auf „ENV“, so steuert sie zusätzlich die Lautstärke. Darüber hinaus kann die Hüllkurve über das Patchfeld bei Bedarf auf eines der übrigen sechs Modulationsziele geroutet werden, wobei die Intensität dieser Modulation über ein zweites „ENV Amt“-Poti in der Envelope-Sektion geregelt wird. Über die Editorsoftware lässt sich das Legato-Verhalten der Envelope einstellen.
Dank der Kombination einiger fest verbundener Routings mit dem kleinen, aber wirkungsvollen Patchfeld sind die Modulationsmöglichkeiten erfreulich vielseitig. Wenn man den Pitch-CV-Ausgang an der Rückseite mit einbezieht, kann man über das Patchfeld zum Beispiel auch Keytracking-Effekte etwa für den Metalizer oder die Sub-Überblendung erzielen. Außerdem eignet sich die kleine Steckmatrix dazu, den MicroBrute auf verschiedenste Weisen mit anderen CV-fähigen Synthesizer(modulen) zu verkabeln. Ich finde dieses Konzept klasse – auf der einen Seite bekommt man einen kompakten Synthesizer, den man sich unter den Arm klemmen und einfach spielen kann. Gleichzeitig bietet der MicroBrute erfreulich viel Freiraum für Experimente in Verbindung mit anderem analogen Equipment. Alles richtig gemacht, würde ich sagen.
Das Schrauben am MicroBrute macht viel Spaß, weil es sehr direkt ist und der Synth immer kräftig, durchsetzungsstark und ein bisschen ungezügelt klingt. Hinzu kommt das urtümliche Patchen im Steckfeld, das manchmal unerwartete Ergebnisse hervorbringt und sich wunderbar analog anfühlt. Die Kleinen müssen ja immer am lautesten schreien, und das kann der MicroBrute hervorragend. Wie der ältere Bruder wirkt er ein bisschen wie der leicht ungepflegte Außenseiter mit den Sommersprossen und der Rotznase, der beim Fußball nicht mitspielen darf, aber am geschicktesten Äpfel klaut und beim Kirschkernweitspucken immer gewinnt. Er mag vielleicht keine drei Oszillatoren und kein Highend-Filter haben, aber dafür besitzt er jede Menge Charakter und vorlaute Eigenständigkeit. Großes Kino für einen Synth, der gerade einmal knapp 300 Euro kostet, finde ich. Ich hege große Sympathien für solche Konzepte: Lieber etwas weniger Funktionen, dafür aber schnelle, klanglich meistens überzeugende Ergebnisse und jede Menge Spaß. Dafür bin ich gern bereit, auf Luxus wie Speicherplätze und MIDI-Übertragung von Reglerbewegungen zu verzichten – andere werden das anders sehen und gute Gründe dafür haben. Doch hört am besten selbst:
Sequencer
Der MicroBrute verfügt über einen kleinen Stepsequencer mit acht Patterns, zwischen denen man per Drehschalter wechseln kann. Jedes Pattern kann bis zu 64 Steps umfassen, auch beliebige „ungerade“ Pattern-Längen sind kein Problem. Das Tempo wird mit dem Rate-Poti eingestellt, getappt oder von einer MIDI-Clock vorgegeben. Mit einem Schalter versetzt man den Sequencer in den Aufnahmemodus und kann dann einfach die gewünschten Noten nacheinander eingeben. Pausen lassen sich mit einem Druck auf den Tap-Button einfügen. Danach wechselt man in den Play-Modus und kann das Pattern per Tastendruck „abfeuern“, wobei es beim Spielen verschiedener Tasten transponiert wird. Das ist einfach und effektiv und mal etwas anderes als ein klassischer Arpeggiator, wie man ihm zum Beispiel beim MiniBrute vorfindet. Übrigens ist es auch möglich, Patterns mit einer einfachen Syntax in einem Texteditor zu programmieren und dann per Editorsoftware in den MicroBrute zu laden. Dieser eigentlich eher „unmusikalische“ Programmierprozess kann zu sehr interessanten Ergebnissen führen.
Über die Editorsoftware bekommt man Zugriff auf einige weitere Sequencer-Einstellungen. Zunächst einmal gibt es hier einen Hold-Schalter, der für eine kontinuierliche Wiedergabe eines Patterns sorgt. Hierfür hätte ich mir einen Hardware-Switch am Instrument selbst gewünscht, damit man mal eben ein Pattern „festhalten“ und mit beiden Händen schrauben kann. Außerdem kann man das Retrigger-Verhalten des Sequencers wählen, also ob das Pattern beim Spielen einer weiteren Note von vorne losläuft oder mit dem gerade erreichten Step weitermacht. Auch das Verhalten beim Wechsel von Patterns und die Step-Länge in musikalischen Unterteilungen des Clock-Signals lassen sich festlegen. In einem analogen Umfeld besonders interessant ist aber die „Step On Gate“-Einstellung, die es erlaubt, die Steps nicht per Clock, sondern mit eingehenden Gate-Impulsen weiter zu schalten. So hört der Sequencer bei Bedarf auch auf analoge Taktgeber wie etwa einen LFO und die Tür ist weit offen für Experimente, zum Beispiel Step-Geschwindigkeiten jenseits der Grenze zum hörbaren Bereich.
Software Editor
Die MicroBrute Connection Software von Arturia ist als kostenloser Download erhältlich und läuft auf Mac und PC. Das Programm ist natürlich kein kompletter Editor zur vollständigen Programmierung des Synths, bietet aber Zugriff auf einige Settings, die sich nicht am Instrument selbst einstellen lassen. Neben den erwähnten erweiterten Parametern für Sequencer, LFO und EG findet man hier Einstellmöglichkeiten für die Noten-Priorität (höchste, tiefste, neueste), die Velocitykurve (wobei das nur die über USB versendeten MIDI-Noten betrifft – die Klangerzeugung reagiert nicht auf Velocity), den MIDI-Kanal und die Bend-Range, die man im Gegensatz zum MiniBrute nicht direkt am Instrument einstellen kann. Auch der Sync-Modus kann hier gewählt werden (External, Internal und automatisch). Praktisch ist weiterhin die Möglichkeit, die Sequencer-Patterns auf dem Computer zu sichern und bei Bedarf wieder in den MicroBrute zu laden.
MicroBrute vs. MiniBrute
Dass der MicroBrute nicht einfach bloß ein „MiniBrute light“ ist, ist im Verlauf dieses Tests schon deutlich geworden. Zwar fehlen ihm ein paar Bausteine des größeren Bruders – die zweite Hüllkurve, der Rauschgenerator, der Notch-Filteryp, der Sinus-Suboszillator, die zusätzlichen LFOs für Vibrato und Ultrasaw und der Arpeggiator, um die wichtigsten zu nennen. Zum Teil wird das aber durch interessante Neuerungen kompensiert, die man wiederum beim MiniBrute vergeblich sucht: Den neuen „Overtone-Sub“, den programmierbaren Stepsequencer und die erweiterten CV-Fähigkeiten durch das Patchfeld gibt es nur beim MicroBrute, der damit auch für MiniBrute-Besitzer interessant wird. Ich bin fast geneigt zu sagen, dass man tatsächlich beide Synths gebrauchen kann, sofern man den Brute-Sound grundsätzlich mag. Die moderaten Preise rücken das auch in den Bereich des Möglichen – die 300 Euro für den MicroBrute möchte ich angesichts des Sounds sogar als echtes Schnäppchen bezeichnen.